Der LKW-Fahrer

Rei

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Morgens, wenn es noch dunkel ist, verlässt er seine Wohnung, eine kleine Wohnung mit einem Bett und einem Kühlschrank und einem Kleiderschrank und einem Fernseher, der sowieso nie läuft. Die Wohnung liegt in einer tristen Gegend, graue Hochhäuser in grauen Straßen, gefüllt mit grauen Autos und grauen Passanten, die um diese Uhrzeit mit dem Hund unterwegs sind.
Ein Hund, denkt er, den wollte ich auch einmal haben.
Der Motor springt stotternd an und geht in ein beruhigendes Brummen über. Er legt den Rückwärtsgang ein und macht sich auf den Weg zur Arbeit. Die Strecke kennt er auswendig, er weiß, wann die Ampeln auf grün springen, wann der Bus an der Haltestelle hält und zum Weiterfahren blinkt. In ihm wie jeden Morgen die verschlafenen Gesichter der Nachtschichtler und Spät-Heimkommer. Keiner hat ein Lächeln auf dem Gesicht, jeder ist müde und grau.
Er fährt weiter, auf den schlammigen Betriebshof, stellt sein Auto in einer Ecke ab. Und geht zu seinem Arbeitsplatz: dem LKW. Zuerst den Fahrtenschreiber einstellen und die Scheibe austauschen. Dann starten und Licht an. Es ist so dunkel, so grau da draußen, als er das Radio einschaltet und ihn sommerliche Melodien aus dem Grau zu reißen drohen. Doch der Moderator unterbricht, meldet für heute schlechtes Wetter und spielt eine Ballade. Er fährt los, quer durch das triste Industriegebiet, auf die Autobahn. Tempomat einstellen und ab dafür! Es geht geradeaus, sanfte Kurven schlängeln sich vor ihm und winden sich in das schwarze Nichts vor ihm, in dem es vor weiteren Kurven und Ausfahrten nur so wimmelt. Autos überholen ihn, das macht ihm nichts aus. Warum sollte er sich darüber aufregen? Gehört zu seinem Job, überholt zu werden, zu seinem Leben. Er fährt dem Sonnenaufgang entgegen, immer tiefer dringt er in das sanfte Rot der Sonne ein, das bald die Straße überflutet und sein Herz ein wenig leichter werden lässt. Aber dichte Regenwolken drängen die Strahlen der Sonne bald zurück und machen die Straße wieder grau, grau wie sein Inneres. Er seufzt, stellt einen anderen Sender ein und fährt weiter, einfach immer nur geradeaus, der grauen Straße entlang, hinein in weiteres, verregnetes Grau. Seine Ausfahrt kommt, er biegt ab. Schwerfällig brummt der LKW über die schmale Ausfahrt, brummt weiter auf schmalen Wegen zum Kunden. Enge Kurven machen es ihm nicht leicht, hupende Autofahrer überholen verärgert, als er das Fahrzeug mit zwanzig den Berg hoch quält. Endlich angekommen, jetzt ausladen. Der Wind pfeift unangenehm kalt in den Ohren, lässt seine Nase rot anlaufen. Er schlottert und verzieht sich in das Führerhaus. Der Kompressor brummt so beruhigend, er genießt das sanfte Schaukeln in seinem Rücken und schließt einen Moment die Augen und lässt sich in ein Land voller Farben und Gerüchen entführen. Aber nicht lange, das Silo ist leer. Aussteigen, Schläuche abmontieren, Kompressor ausstellen, weiterfahren. Wieder zurück auf die Autobahn, die immer noch grau und mit regennassen Straßen auf ihn wartet. Ja, sie wartet auf ihn. Er verstellt wieder den Sender, sucht Musik, die so gar nicht zu dem ganzen Grau um ihn herum passt. Aber da ist nichts, also hört er Nachrichten. Ein Unfall mit einem LKW, Stau, zwei Tote. Der Fahrer wäre am Steuer eingeschlafen. War ihm auch schon passiert, aber er war nur im Graben gelandet, niemandem war etwas passiert. Im gleichen Moment gähnt er.
Die Straße schlängelt sich wieder quer durch die Landschaft, die immer noch grau und düster ist. Winter, denkt er, ich hasse den Winter. Er ist genau wie ich, trist und grau.
Wieder auf dem Betriebsgelände, spricht er mit ein paar Leuten, lädt seinen LKW voll, wartet ein paar Stunden wegen Verzögerungen und macht sich auf den Weg zu seinem Zuhause: der Autobahn. Diesmal die andere Richtung, nicht weniger grau, nicht weniger trist. Die Regenwolken hängen nicht mehr so tief, lassen sogar ein wenig Sonne durch. Aber nicht zuviel, es könnte einem leicht ums Herz werden. Die Wolken verschließen ihre Lücke wieder und lassen den Regen wieder gegen die große Windschutzscheibe prasseln. Die drei Scheibenwischer kämpfen tapfer gegen die Macht des Wassers und wischen es unermüdlich zur Seite, damit er etwas sehen kann.
Das Wetter wird schlechter, findet er, aber das Radio sagt dazu nichts. Sie spielen ein Lied, das er heute schon dreimal gehört hat. Aber es gefällt ihm. Er ertappt sich beim Mitsingen und hört auf. Die Scheibenwischer arbeiten schneller, der Regen prasselt noch stärker. Das Grau vor seinen Augen wird stärker, dunkler.
Ob es einen Sinn ergibt, dass das Wetter so ist, fragt er sich und stellt die Heizung etwas höher. Er hofft, bald seinen Zielort zu erreichen. Es ist schon spät, und er muß wieder nach Hause.
Nach Hause wohin, fragt er sich und denkt an sein Bett, seinen Kühlschrank, seinen Kleiderschrank und seinen Fernseher, der sowieso nie läuft. Er seufzt, umfasst das große Lenkrad fester und steuert seinen LKW immer weiter die Autobahn entlang, immer den Kurven und Bögen folgend, die irgendein Bauherr der Straße aufgezwungen hatte. Seine Ausfahrt kommt, er biegt ab und fährt auf den schmalen Seitenstraßen, biegt um enge Kurven, hört die Autofahrer hinter ihm schimpfen, wenn er weit ausholt und abbiegt. Sie verstehen ihn nicht, lassen ihn nicht seine Arbeit tun. Sie haben Feierabend, das weiß er. Aber er hat keinen Feierabend. Endlich hat er seinen Zielort erreicht, kann abladen. Es ist kälter wie am Mittag, die kleinen Pfützen im Hof sind gefroren. Spaßeshalber rutscht er auf einer der Pfützen herum und gönnt sich das erste Lachen dieses Tages. Aber er hat nicht viel Zeit, irgendetwas stimmt mit dem Schlauch nicht. Er montiert ihn ab, montiert ihn wieder dran, ja, jetzt läuft es. Es dauert lange, bis er wieder alles zusammenräumen kann. Es wird dunkel, nicht nur durch die vielen Wolken, die der Regen hinterlassen hatte, nein, die Sonne ist schon wieder untergegangen. Sie wirft ein paar letzte Strahlen nach ihm, bis sie gewaltsam vom Horizont verschluckt wird. Er seufzt und steigt in sein Fahrerhaus. Das Radio läuft, die Heizung spendet halbherzig Wärme, als er den Hof verlässt und wieder auf die Autobahn fährt, die jetzt genauso grau und schwarz vor ihm liegt wie am Morgen. Er gibt Gas, schaltet den Tempomat ein und ab dafür! Er lehnt sich zurück, entspannt sich. Das Radio spielt gute Musik, er wippt den Takt mit dem Fuß mit, während sein LKW sich immer weiter in das Dunkel der Nacht bohrt. Unaufhaltsam und mächtig schiebt er sich immer weiter vorwärts, lässt Kilometer um Kilometer hinter sich. Seine Ausfahrt kommt, er biegt ab und steht kurz darauf wieder auf dem menschenleeren Betriebshof. Er stellt den LKW ab, schließt die Tür zu und setzt sich in sein Auto. Er legt den Rückwärtsgang ein und macht sich auf den Weg zu seiner Wohnung, einer kleinen Wohnung mit einem Bett und einem Kühlschrank und einem Kleiderschrank und einem Fernseher, der sowieso nie läuft. Graue Gestalten gehen mit ihren Hunden spazieren zwischen grauen Hochhäusern in grauen Straßen in einer tristen Gegend.
Ein Hund, denkt er, den hatte ich auch einmal gewollt. Er kennt die Ampelschaltung, weiß, wann der Bus an der Haltestelle hält und zum Weiterfahren blinkt. In ihm sitzen die ausgeruhten Nachtschichtler und Spät-Ausgeher, aber keiner lächelt. Er ist da, stellt sein Auto ab und geht hinauf.
Morgen, denkt er, komme ich ja wieder nach hause. Nach Hause auf die Autobahn. Die Haustür fällt hinter ihm zu und lässt das Dunkel der Nacht draußen in der tristen, kalten Nacht.


C Rei 22012001
 



 
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