[ 4]
Pelegrino klappte das Buch zu und schaute auf.
"Nun, Kinder, wie hat Euch meine Geschichte gefallen?"
Seine Zuhörer schwiegen zunächst. Dann meldete sich ein Mädchen zu Wort:
"Ich fand die schon toll, aber ich verstehe nicht ganz, weshalb der gelbe Prinz auf dem Feuerpferd am Ende die Frau der Morgenröte auf das Pferd gehoben hat und die beiden dann in die Wolke geritten sind? Man kann doch auf einer Wolke gar nicht reiten, da fällt man doch hindurch!"
Pelegrino schaute das Mädchen an und antwortete sofort: "Ja, ganz recht, er ist mit dem Feuerpferd und der Frau der Morgenröte zusammen auf die Wolke zugeritten und in sie hineingesprungen. Aber warum denkst du, sie wären dort geritten? Es ist das Ende der Geschichte, der Sprung des Prinzen mit dem Feuerpferd in die Wolke. Das ist genau das Ende der Geschichte. Wären sie in der Wolke geritten oder hätten es versucht, was dir ja so undenkbar erscheint, na, dann wäre dies eben das Ende der Geschichte gewesen oder vielleicht noch nicht einmal das. Doch es ist ja nicht so."
Das Mädchen schien damit ganz zufrieden. Jedenfalls begnügte es sich mit Pelegrinos Worten und stellte keine Nachfragen. Solche schlossen sich aber auch durch die Antwort aus, was vielleicht der eigentliche Grund war, weshalb das Mädchen stumm blieb.
"Der Prinz liebt die Frau der Morgenröte nicht!", rief ein Junge aus der hinteren Reihe, und das klang nun sehr übermütig: "Warum rettet er sie dann vor der magnetischen Krake und riskiert dabei sein Leben?"
Pelegrino nahm einen Schluck Wasser.
"Weißt du, das hast du gut beobachtet. Du hast sehr aufmerksam zugehört und verstanden, dass der gelbe Prinz die Frau der Morgenröte nicht liebt. Übrigens liebt sie ihn auch nicht. Es ist überhaupt so, dass in meiner Geschichte niemand irgend jemanden liebt, oder besser gesagt: Die Geschichte spielt jenseits der Liebe, verstehst du? Hier ist die Liebe, dort, an jenem Ort, an welchem meine Geschichte spielt, nicht. Das bedeutet nun nicht, das man sich nicht rettete, sich nicht an die Hand nähme oder einander Geschenke machte, nein, keineswegs. All dies findet, wie ihr ja gehört habt, statt."
Hier tat Pelegrino eine Pause, eine sehr kurze Pause und eine sehr bedeutsame. Dabei wandte er seinen Blick dem Mädchen zu, welches zuvor gefragt hatte.
"Durch die Liebe fällt alles hindurch, die Liebe rettet keinen."
Die Kinder schienen sich schwer zu tun, ihn zu verstehen, Sprachlosigkeit machte sich breit, schließlich hob Gemurmel an. Pelegrino wartete noch eine Weile, doch als er begriff, dass das Gemurmel und die Unruhe unter ihnen beständig zunahmen, wurde es ihm zu bunt, und er herrschte ein 'Ruhe!' in die Runde, das überaus zornig und ungehalten erscholl und im Nu seine Wirkung tat.
"Glaubt ihr, Kinder, eigentlich, dass die Furcht Kinder hat? Sie hat drei: die Liebe, die Hoffnung und die Sehnsucht. Der gelbe Prinz ist ohne Furcht, so kennt er auch deren Kinder nicht, und nicht einen Augenblick lang muss er sich durch das Dornengestrüpp der Liebe, der Hoffnung und der Sehnsucht kämpfen, zu wissen, dass er die Frau der Morgenröte vor der magnetischen Krake retten muss - nicht einen Augenblick!!"
Pelegrino sprach diese Worte hart aus, es war ihm nicht daran gelegen, pastellen zu schwatzen, nur, da die Ohren seiner Zuhörer Menschen angehörten, die noch nicht lang in diese Welt hinein gehorcht hatten. Er spürte in all ihren Fragen, in all ihren Blicken, in all ihrem heimlichen Murmeln etwas, dass ihn ungnädig gegen sie machte. Ihre Gewohnheiten, ihre Erwartungen hatten für ihn etwas greisenhaftes, dass ihm Ekel verursachte, Ekel, den er im Zaume zu halten sich redlich mühte. Nur zu groß war die Gefahr, blind und unterschiedslos herzufallen auf Wesen, die sich im Grunde voneinander unterschieden, wie alles im Universum.
"Aber was befindet sich nun in der Wolke, Sir?", fragte ein anderes Mädchen.
Pelegrino erhob sich von seinem Stuhl, nahm das Buch an sich und strebte zur Tür. Als er sie erreicht hatte, wandte er sich noch einmal um und blickte es an:
"In der Wolke, mein Liebes ... in der Wolke befändest du dich, mitsamt deines Nebelstocherers, mitsamt deiner Hoffnung - wenn es sie denn gäbe."
Dann eilte er ins Freie, dem Gestade des Sees zu und schwang sich in seinen tapferen Nachen.
Mit festen starken Schlägen schob sich das Boot durch das ufernahe Seerosenfeld, das Gewölk tanzender Mücken durchschneidend, dem offenen stillen Gewässer zu. Wissend, wohin es ihn tragen würde, schaute Pelegrino über die träge auseinanderstrebenden Wellen auf den Tod.
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Pelegrino klappte das Buch zu und schaute auf.
"Nun, Kinder, wie hat Euch meine Geschichte gefallen?"
Seine Zuhörer schwiegen zunächst. Dann meldete sich ein Mädchen zu Wort:
"Ich fand die schon toll, aber ich verstehe nicht ganz, weshalb der gelbe Prinz auf dem Feuerpferd am Ende die Frau der Morgenröte auf das Pferd gehoben hat und die beiden dann in die Wolke geritten sind? Man kann doch auf einer Wolke gar nicht reiten, da fällt man doch hindurch!"
Pelegrino schaute das Mädchen an und antwortete sofort: "Ja, ganz recht, er ist mit dem Feuerpferd und der Frau der Morgenröte zusammen auf die Wolke zugeritten und in sie hineingesprungen. Aber warum denkst du, sie wären dort geritten? Es ist das Ende der Geschichte, der Sprung des Prinzen mit dem Feuerpferd in die Wolke. Das ist genau das Ende der Geschichte. Wären sie in der Wolke geritten oder hätten es versucht, was dir ja so undenkbar erscheint, na, dann wäre dies eben das Ende der Geschichte gewesen oder vielleicht noch nicht einmal das. Doch es ist ja nicht so."
Das Mädchen schien damit ganz zufrieden. Jedenfalls begnügte es sich mit Pelegrinos Worten und stellte keine Nachfragen. Solche schlossen sich aber auch durch die Antwort aus, was vielleicht der eigentliche Grund war, weshalb das Mädchen stumm blieb.
"Der Prinz liebt die Frau der Morgenröte nicht!", rief ein Junge aus der hinteren Reihe, und das klang nun sehr übermütig: "Warum rettet er sie dann vor der magnetischen Krake und riskiert dabei sein Leben?"
Pelegrino nahm einen Schluck Wasser.
"Weißt du, das hast du gut beobachtet. Du hast sehr aufmerksam zugehört und verstanden, dass der gelbe Prinz die Frau der Morgenröte nicht liebt. Übrigens liebt sie ihn auch nicht. Es ist überhaupt so, dass in meiner Geschichte niemand irgend jemanden liebt, oder besser gesagt: Die Geschichte spielt jenseits der Liebe, verstehst du? Hier ist die Liebe, dort, an jenem Ort, an welchem meine Geschichte spielt, nicht. Das bedeutet nun nicht, das man sich nicht rettete, sich nicht an die Hand nähme oder einander Geschenke machte, nein, keineswegs. All dies findet, wie ihr ja gehört habt, statt."
Hier tat Pelegrino eine Pause, eine sehr kurze Pause und eine sehr bedeutsame. Dabei wandte er seinen Blick dem Mädchen zu, welches zuvor gefragt hatte.
"Durch die Liebe fällt alles hindurch, die Liebe rettet keinen."
Die Kinder schienen sich schwer zu tun, ihn zu verstehen, Sprachlosigkeit machte sich breit, schließlich hob Gemurmel an. Pelegrino wartete noch eine Weile, doch als er begriff, dass das Gemurmel und die Unruhe unter ihnen beständig zunahmen, wurde es ihm zu bunt, und er herrschte ein 'Ruhe!' in die Runde, das überaus zornig und ungehalten erscholl und im Nu seine Wirkung tat.
"Glaubt ihr, Kinder, eigentlich, dass die Furcht Kinder hat? Sie hat drei: die Liebe, die Hoffnung und die Sehnsucht. Der gelbe Prinz ist ohne Furcht, so kennt er auch deren Kinder nicht, und nicht einen Augenblick lang muss er sich durch das Dornengestrüpp der Liebe, der Hoffnung und der Sehnsucht kämpfen, zu wissen, dass er die Frau der Morgenröte vor der magnetischen Krake retten muss - nicht einen Augenblick!!"
Pelegrino sprach diese Worte hart aus, es war ihm nicht daran gelegen, pastellen zu schwatzen, nur, da die Ohren seiner Zuhörer Menschen angehörten, die noch nicht lang in diese Welt hinein gehorcht hatten. Er spürte in all ihren Fragen, in all ihren Blicken, in all ihrem heimlichen Murmeln etwas, dass ihn ungnädig gegen sie machte. Ihre Gewohnheiten, ihre Erwartungen hatten für ihn etwas greisenhaftes, dass ihm Ekel verursachte, Ekel, den er im Zaume zu halten sich redlich mühte. Nur zu groß war die Gefahr, blind und unterschiedslos herzufallen auf Wesen, die sich im Grunde voneinander unterschieden, wie alles im Universum.
"Aber was befindet sich nun in der Wolke, Sir?", fragte ein anderes Mädchen.
Pelegrino erhob sich von seinem Stuhl, nahm das Buch an sich und strebte zur Tür. Als er sie erreicht hatte, wandte er sich noch einmal um und blickte es an:
"In der Wolke, mein Liebes ... in der Wolke befändest du dich, mitsamt deines Nebelstocherers, mitsamt deiner Hoffnung - wenn es sie denn gäbe."
Dann eilte er ins Freie, dem Gestade des Sees zu und schwang sich in seinen tapferen Nachen.
Mit festen starken Schlägen schob sich das Boot durch das ufernahe Seerosenfeld, das Gewölk tanzender Mücken durchschneidend, dem offenen stillen Gewässer zu. Wissend, wohin es ihn tragen würde, schaute Pelegrino über die träge auseinanderstrebenden Wellen auf den Tod.
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