Der Mann der kriechen kann

Bobokuk555

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1. Der neue Morgen

Wolfgang hörte den Wecker klingeln. Langsam schlug er die Augen auf. Er bemerkte sofort die leichten, drückenden Kopfschmerzen und dass er wieder auf der Matratze festgeschwitzt war. Es war gestern der 3. Tag in Folge in diesem Jahr, an dem die Temperatur über 30 Grad gestiegen ist; es war endlich Sommer. Da er in einer Dachgeschosswohnung wohnte, war es in den Innenräumen nicht wirklich kühler. Die Hitze verließ weder seine Wohnung noch seinen Körper, weshalb er jetzt bereits die dritte Nacht in Folge nur sehr schlecht schlief und mit leichten, aber nicht zu ignorierenden Kopfschmerzen aufwachte.
„Heute.“, dachte er sich. „Heute probier' ich es wirklich aus.“ Er drehte sich zur Seite und machte seinen Wecker aus. 6 Uhr morgens, also noch eine Stunde, bis er an seiner Arbeitsstätte sein muss.
Könnte heute knapp werden, aber er könnte ja heute Abend länger arbeiten, um die verlorene Zeit wieder reinzuschaffen.
Er stand langsam auf und zog erstmal das verschwitzte T- Shirt aus. Er ging ins Bad um sein allmorgendliches Ritual durchzuführen: Pinkeln, Zähneputzen, Haare waschen. Heute wieder mit kaltem Wasser, um den Kopfschmerzen Herr zu werden. Er machte sich noch einen Kaffee und verdünnte ihn mit ausreichend Milch, hauptsächlich um die Trinktemperatur anzupassen. Nachdem er sich umgezogen hatte, den Kaffee getrunken und noch einen Blick auf sein Handy geworfen hatte (die Wetter-App sagte für heute 35 Grad voraus) sah er auf die Uhr; halb 7 jetzt. Zeit zu gehen. Er packte noch seine Siebensachen in seine Hosentaschen: Geldbeutel hinten, in die vorderen Taschen Handy, Wohnungsschlüssel und eine Packung Papiertaschentücher (man kann nie wissen wann man mal eins braucht) und öffnete die Wohnungstür. Er ging nach draußen und schloss die Türe ab. Dann legte er sich auf den Boden.

2. Der übellaunige Chef

Albert war mit einem Schlag hellwach, als er das wohl Unerwartetste, Undenkbarste überhaupt geschehen sah. Er war gerade dabei, die Schaltpläne des letzten Auftrags zurück ins Lager zu bringen, um sie korrekt zum Auftrag abheften zu können. Er ging den Flur ihres kleinen Betriebes entlang, den Blick Richtung Eingangstür, welche am Ende (oder Anfang?) des kurzen Ganges lag. Die Tür öffnete sich, und da lag sein Kollege Wolfgang am Boden und schob sich halb mit den Füßen, halb mit seinem Gesäß vorwärts, durch die Tür in den Flur hinein. Sein Kopf ging voraus, der Blick stur Richtung Decke gerichtet, und seinen Mund umschmeichelte ein dümmliches Grinsen.
„Schlaganfall!!“ dachte Albert sofort. Sein Puls schoss sofort nach oben und er hastete auf seinen Lieblingskollegen Wolfgang zu. Er ging auf die Knie und legte, warf eher die Schaltpläne neben sich auf den Boden. Trotz seiner pulsierenden Panik dachte er, dass es wohl besser wäre, seinen Kollegen nicht zu erschrecken. Vorsichtig reckte er seinen Kopf über ihn, legte seine Hand langsam und sanft auf seine Brust und begann langsam und ruhig zu reden.
„Woffe?“, fragte er. „Gehts dir gut? Ist dir was passiert?“ Wolfgang brach sofort in lautes, schepperndes Gelächter aus. Es war seine normale Lache, etwas zu laut, etwas zu aufdringlich, aber so klang sein Gelächter nunmal. Albert zuckte trotzdem heftig zusammen; die Situation war einfach zu skurril, sein Nervengewand sowieso schon zum Zerreißen gespannt. „Jaja, mir geht’s prima!“ gluckste Wolfgang. „Wenn du wüsstest wie oft ich diese Frage heute schon gehört habe! Keine 2 Minuten seit ich meine Wohnung verlassen hatte musste ich mich bereits rechtfertigen!“ Wolfgang war leicht rot angelaufen und grinste wie ein Irrer. Doch das mit dem irren Eindruck könnte auch einfach Alberts Einbildung sein, dachte er sich; er sieht seinen Kollegen schließlich selten (eigentlich nie!!) in einer solchen Situation. „Ich dachte mir heute Morgen einfach, es wäre doch interessant mal den Tag im Liegen zu vollbringen! Das ist, sofern man sich nicht fortbewegen muss, einfach viel gemütlicher. Und an die Fortbewegung gewöhn´ ich mich auch so langsam!“ Wieder ein kurzes Kichern, dann sah er Albert erwartungsvoll an. Er drehte nicht mal seinen Kopf in Alberts Richtung, er verdrehte einfach nur die Augen extrem nach rechts, um Albert ins Gesicht zu schauen.
Albert dachte nach. Vielmehr war er einfach kurz ruhig, zog die Stirn kraus und versuchte die letzten Informationen irgendwie zu verarbeiten, allerdings stellte sich kein logisches Denken bei ihm ein. Er starrte einfach kurz vor sich hin ins Leere. So vergingen ein paar Sekunden, während derer Wolfgang einfach nur am Boden lag, die großen Augen immer noch stark nach rechts gewandt, um Albert weiterhin ins Gesicht zu schauen. „Du machst das also absichtlich.“ stellte Albert nach ein paar Sekunden fest. „Ganz genau.“ erwiderte Wolfgang. Es vergingen nochmal ein paar wortlose Sekunden. „Ok. Aber warum?“. „Wie gesagt, es ist so einfach viel bequemer. Die Hitze zurzeit war für mich dann das Ausschlaggebende. Am Boden ist es nunmal viel kühler in geschlossenen Räumen. Den Plan hab ich aber schon länger.“ Schweigen. Nach weiteren ruhigen Sekunden voller Stirnrunzeln und umherirrenden, leeren Blicken seitens Alberts fragte dieser dann das Naheliegendste: „Sag mal, hast du den Verstand verloren??“ Nochmal ließ Wolfgang sein schepperndes Lachen ertönen. Wolfgang lachte viel; er und Albert hatten denselben Humor und warfen sich die Gags und Sprüche teils im Sekundentakt um die Ohren, weshalb Albert von dessen schrägem Lachen nicht so leicht zu stören war. Aber jetzt riss dadurch Alberts Geduldsfaden. Er schlug Wolfgang etwas fester als beabsichtigt auf die Brust und fuhr ihn an: „Alter, ich hab mir echt Sorgen um dich gemacht!! Dabei machst du nur ´nen blöden Scherz! Der übrigens nicht sonderlich witzig ist!!“ Wolfgang blieb kurz die Luft weg, er hustete und lachte, unterlegt von Verschluckungsgeräuschen, leise weiter. „Tut mir echt leid, Hoschi!“ sagte er. „Ich weiß, dass das alles seltsam aussieht und vielleicht etwas irre klingt. Aber ein Scherz ist das keineswegs! Ich meine es wirklich ernst! Die Vorteile liegen doch auf der Hand! Und wenn ich mich erst an die neue Art der Fortbewegung gewöhnt habe könnte das echt ein großes Ding für mich werden!“
Albert blickte wieder leicht stoisch, leicht verwirrt vor sich hin, als schräg hinter ihm die Tür zum Chefbüro aufging. Dietmar Bertram, der Chef ihres kleinen Betriebes, kam leicht gehetzt heraus und lief auf Wolfgang und Albert zu. Sein Blick nahm schnell erschrockene Züge an, als er Wolfgang am Boden liegen sah. „Wolfgang??“ fragte er er erschrocken. Sie waren sich alle perdu in ihrem Betrieb, bis auf die teilzeitarbeitende Buchhalterin Frau Fecht, die erst seit vorgestern für die Firma Betel Elektrik arbeitete. „Wolfgang!! Mein Gott! Bist du gestürzt? Tut dir was weh? Alles ok? Wolfgang!!“ Wolfgang grinste wieder ziemlich breit, jedoch diesmal ohne loszulachen. Ihm tat die Brust von Alberts Schlag leicht weh und er wollte nichts riskieren; außerdem hatte er vor Dietmar doch zuviel Respekt um jetzt lachen zu können. Schließlich war Dietmar ja sein Chef. „Alles ok Diddi!“ sagte Wolfgang. „Ich hab´s Albert gerade schon gesagt, ich lieg´ absichtlich auf dem Boden.“ Statt weiter zu erklären, wartete er erstmal ab, um die Reaktion von seinem Chef zu betrachten. Dietmar stand quasi hinter Wolfgang, in diesem Fall eher über seinem Kopf. Anstatt den Kopf in den Nacken zu drehen, waren seine Augen steil nach oben gerichtet, um seinen Chef im Blick zu behalten. Heute würde er sich so wenig wie nur möglich bewegen. „Was?“ fragte Dietmar in forschem Ton. „Was soll das?“ „Ich will ab jetzt meine Tage im Liegen verbringen! Das ist bequem, gesund und energiesparend! Die Vorteile liegen einfach auf der Hand!“ erwiderte Wolfgang. Er schielte weiterhin festen Blickes seinen Chef an. Dieser verdrehte jetzt genervt die Augen. Er war von seinen Arbeitern dummen, teilweise nervig dummen Humor gewöhnt, aber das war einfach schwachsinnig. „Jaja. Jetzt steh auf und mach dich an die Arbeit! Genug rumgeblödelt jetzt! Außerdem bist du ne halbe Stunde zu spät, die schaffst du die Woche bitte noch rein! Wir haben viel zu tun grad!“ „NEIN!“ sagte Wolfgang. Es klang wohl energischer wie gedacht, denn Dietmar drehte sich schnell und entschlossen um, sein Blick plötzlich ziemlich wütend. „Also die Zeit schaff´ich schon rein, das meinte ich nicht.“ erklärte Wolfgang schnell. „Aber aufstehen werde ich nicht. Ich meine diese Entscheidung wirklich ernst!“ Jetzt trat etwas Verwirrung in Dietmars bösen Blick. „Dein Ernst jetzt?“ fragte er. „Was soll das? Du bist hier auf Arbeit, verdammt, uns nicht in irgendeinem Comedyclub!! Jetzt mach dass du an deinen Schreibtisch kommst!!“ Wolfgang robbte ein Stückchen weiter in den Gang, in Richtung des Büroraumes, den er sich mit Albert teilte. Er hatte die Beine dazu leicht angewinkelt und hob seinen Hintern an, schob sich etwas weiter, hob dann die Schulterblätter, indem er mit dem Kopf nach unten drückte, und schob diese etwas weiter. Es sah einfach lächerlich aus. „WIRDS JETZT BALD MAL??“ schrie Dietmar los. „DAS BRAUCHT JA EWIG!!“ „Ja, das liegt am Teppich! Der bietet zu viel Reibungswiderstand. Wäre der Boden glatt, könnte ich mich einfach drüberschieben und wäre schneller unterwegs. Würde ich das auf dem Teppich machen, würde zuviel Hitze entstehen und ich hätte nichts von der kühleren Luft in Bodennähe!“ „WILLST DU MICH VERARSCHEN????“ brüllte Dietmar los. Er war normalerweise ein ruhiger Mensch und würde nie seine Arbeiter anschreien. Aber das war einfach zuviel. Derart respektloses Verhalten konnte er einfach nicht tolerieren. „JETZT STEH ENDLICH AUF UND MACH DICH AN DIE ARBEIT!! DAS KANN DOCH WOHL NICHT DEIN ERNST SEIN!!“ Albert blieb ruhig stehen und tat so als wäre er unsichtbar. Er hatte seinen Chef noch nie so wütend erlebt und wollte in diesen Wahnsinn möglichst nicht mit reingezogen werden. Er sah sich verlegen um und sah hinter sich seine Pläne am Boden liegen. Er trat zurück um sie aufzuheben. Er würde einfach im Lager verschwinden und abwarten bis Woffe und sein Chef fertig sind, sich dann wieder an seinen Schreibtisch zurückziehen und diesen Tag so gut es geht ignorieren.
„Diddi.“ sagte Wolfgang in versöhnlichem Ton. Doch mit Kosenamen hätte er wohl lieber aufpassen sollen. „NENN MICH JETZT BLOSS NICHT SO, VERDAMMT!! DAS IST DER FALSCHE MOMENT FÜR DEINE FRECHE KLAPPE! AN DIE ARBEIT JETZT!“ Wolfgang lief rot an, die Situation war ihm sehr unangenehm inzwischen. Dennoch musste er seinem Chef doch noch etwas sagen. „Da wäre dann das nächste Problem. Ich kann so ja nichts an meinem PC arbeiten. Aber man könnte ja den Bildschirm unten an meiner Schreibtischplatte befestigen. Die Tastatur auch. Dann kann ich meine Aufträge genauso gut bearbeiten. Wenn wir da den Teppich rausmachen komm ich in meinem Büro auch gut voran. Im Flur wäre ein Parkettboden auch ganz schick. Wenn ich auf einen Einsatz muss weiß ich noch nicht wie das am besten ginge, aber da fällt uns bestimmt noch was ein! Vielleicht ein Brett mit Rollen unten dran. Das wäre auch hier ganz gut oder für den Arbeitsweg. Aber das müssten wir dann noch genau planen, waren jetzt erstmal so Grundsatzgedanken von mir.“ Wolfgang war jetzt sehr nervös und redete entsprechend schnell. Er konnte gut verstehen weshalb sein Chef so wütend reagiert hat. Dennoch war es seiner Meinung nach höchste Zeit, die Zukunft zu planen.
Dietmar verdrehte genervt die Augen. „Mein Gott!“ sagte er resigniert. „DU kommst jetzt mal mit in mein Büro. Und da unterhalten wir uns mal ein bisschen.“ Einen solchen ernsten, konzentrierten Tonfall hörte Wolfgang selten von seinem Chef, sonst nur gegenüber seiner Kunden, wenn er professionell klingen möchte. Dietmar ging ruhigen Schrittes in sein Büro zurück und hielt die Bürotür offen. Wolfgang bewegte sich zügig kriechend voran. Eigentlich wollte er es ruhig angehen lassen und heute möglichst nicht ins Schwitzen geraten, aber er wollte ja seinen Chef nicht verärgern. Außer dem typischen Generve das nunmal von einem Vorgesetzten ausging, war Dietmar doch ein recht netter Mensch. Er kroch durch den Türbogen, ignorierte den Schmerz, als sein Rücken kurz auf den Teppichniederhalter zwischen den Räumen stieß und blieb im Raumbeginn liegen. Dietmar warf schwungvoll die Türe zu.

Kurz darauf öffnete sich langsam die Tür zum Lager einen Spalt breit. Albert lugte vorsichtig hinaus in den Gang. Als er sah, dass die Luft rein ist, schlich er schnell zurück in den Büroraum und setzte sich an seinen Rechner. Dann musste er doch etwas grinsen. Er sah auf die Uhr; es war viertel vor Acht. Er öffnete den Internetbrowser. Jetzt brauchte er erstmal eine kurze Verschnaufpause. Ein wenig sinnlos rumsurfen, vielleicht gleich noch einen Kaffee aus dem Pausenraum holen. Jetzt sollte erstmal etwas Ruhe einkehren. Er lachte leise vor sich hin. Verrückter Morgen! Wolfgang hat sich ziemlich reingeritten, aber DAS ist doch mal eine Geschichte!

Wolfgang wiederum lag leicht außer Atem auf dem Boden im Büro seines Chefs. Er verdrehte wieder kräftig die Augen, um Dietmar im Blick zu behalten. Dieser setzte sich gerade hinter seinen Schreibtisch. Nach einem Moment Schweigen fragte dieser: „Du willst jetzt wirklich so liegen bleiben, was?“ „Ja genau, darum geht’s mir.“ erwiderte Wolfgang. Er war jetzt doch sehr nervös. Vor seinem Chef seinen Lebensplan auszubreiten ist doch nochmal was Anderes als bei seiner Nachbarin heute Morgen. Oder bei Albert. Oder beim Busfahrer auf dem Weg hierher. Oder dieser Passantin mit diesem süßen Hund, der gleich mal sein Gesicht zur Begrüßung abgeschlabbert hat. „Also“, fuhr Dietmar mit genervtem Ton fort. „Was soll das Ganze jetzt bedeuten?“ Er rollte auf seinem Sessel um den Schreibtisch herum, auf Wolfgang zu und blieb kurz vor ihm stehen, die Arme vor seiner Brust verschränkt. „Also“, erwiderte Wolfgang. Dietmar überhörte großzügig Wolfgangs leicht nachäffenden Ton. „Hauptsächlich bin ich beim Yoga vor 2 Tagen auf den Gedanken gekommen. Als ich eine Weile einfach mal unbewegt auf dem Rücken lag, wurde mir wieder mal bewusst, wie bequem ebenes Liegen doch einfach ist! Anfangs drückt es noch etwas im Kreuz, doch wenn man eine Weile so daliegt, entspannt sich der Rücken und alles ist bequem.“ „Ok, schön dass Sie Yoga praktizieren. Und dann?“ Dietmar war immer noch sehr genervt, bemerkte allerdings Wolfgangs Nervosität und wollte ihn mit einem ruhigen Gespräch zum Weiterreden bewegen. „Und da kams mir“ fuhr Wolfgang fort. „Vielleicht ist Liegen inzwischen ja die normale Körperhaltung für Menschen! Man fühlt sich entspannt, die Beine können sich nie erschöpft anfühlen und der Rücken wird auch nicht überstrapaziert! So viele Menschen haben Rückenschmerzen; man sagt ja auch Volkskrankheit Nr. 1 dazu. Menschen die liegen weniger!“ „MANN, jetzt...“, begann Dietmar, atmete dann aber tief durch, kniff die Augen zusammen, rieb sich an der Stirn und sagte „Ok, weiter“. Jetzt wollte er dann doch alles hören. „Also wie gesagt, was wenn Liegen inzwischen unsere natürliche Körperhaltung wäre? Wir müssen seit Jahrhunderten nicht mehr jagen und haben keine natürlichen Feinde vor denen wir schnell weglaufen müssten. Bei den meisten Menschen ist der Rücken schnell überlastet, wodurch es zum Hexenschuss kommt, Probleme mit den Bandscheiben und was weiß ich nicht noch alles. Die Beine fühlen sich auch schnell müde an, wenn man zum Beispiel mal ein paar Stunden stehen muss. Ich glaube, dass wir schon lange nicht mehr aufrecht stehen sollten!“ „Also jetzt reichts doch mal!“ fiel Dietmar ins Wort. „Das ist doch absoluter Humbug! Jedes Kind weiß dass der aufrechte Gang ganz natürlich bei einem Menschen ist!!“ „Und da sagen Sie jetzt was!“ ereiferte sich Wolfgang. Seine Nervosität war jetzt komplett verflogen. „Kinder lernen den aufrechten Gang doch von uns Erwachsenen! Von sich aus würde ein Baby vielleicht nie auf diese Art der Fortbewegung kommen! Und einen der wichtigsten Gründe habe ich noch gar nicht erwähnt: Den Temperaturvorteil! Den Großteil unseres Lebens verbringen wir nunmal in Innenräumen. Und da ist die Luft am Boden einfach am besten! Im Sommer ist dort die kühlste Luft. Gase steigen auch immer nach oben, deshalb soll man bei Feuer ja auch immer in Bodennähe bleiben. Außerdem ist ein fester Boden zum drauf Liegen das Beste für den Rücken! Im Schlaf verbringen wir auch Stunden auf dem Rücken und fühlen uns danach pudelwohl!“ „Aber viele haben auch heftige Kreuzschmerzen vom Liegen im Bett!“ „Weil sie eine zu weiche Matratze haben!!“ Wolfgang war jetzt sehr aufgedreht und wollte seinen Standpunkt klar machen. „Oder sie liegen auf der Seite oder was weiß ich! Ich meine ja auch Liegen auf einem festen Boden! Am Besten den ganzen Tag lang!“
Dietmar schloss wieder angestrengt die Augen und rieb sich die Stirn. „Ok.“ sagte er. „Das Beispiel mit den Babys. Sie meinen ein Baby würde von sich aus nie laufen, da das wohl nicht die angeborene menschliche Fortbewegungsart ist.“ „Nicht mehr. Diese Zeiten sind seit der Industrialisierung rum.“ Dietmar schaute Wolfgang wortlos in die Augen. Diese schwachsinnige Bemerkung musste er erst verdauen. Wolfgang lag da und schaute Dietmar mit verdrehten Augen an. „Babys krabbeln. Von ganz allein, ohne dass es ihnen jemand zeigt. Wäre das dann nicht die natürliche Fortbewegungsart?“ fragte Dietmar. „Ach Diddi. Das sind doch nur Babys. Die wissen doch auch nicht alles.“ Dietmar starrte Wolfgang an, mit dem finstersten, wütendsten Blick seines Lebens. „Raus.“ sagte Dietmar jetzt. „Raus aus meinem Büro. Aus meiner Firma. Geh jetzt sofort raus hier. Ich will dich heute nicht mehr sehen. Komm morgen wieder, und zwar zu Fuß, oder komm NIE WIEDER hierher! Hast du verstanden?“ Wolfgangs Blick ging wild hin und her. Seinen Kopf bewegte er nicht, doch seine großen Augen schossen hin und her wie bei einem verrückten Tennisspiel,bei dem der Ball auch mal nach oben und unten fliegt. Er schluckte zweimal, dann begann er sich zu drehen, indem er sich mit den Beinen im Kreis schob. Er kroch Richtung Tür. „Ähhh...“ begann er, „Dietmar, könntest du mir vielleicht noch die Tür...“ „RAUS JETZT!!!“ brüllte Dietmar in einer extremen Lautstärke. „SOFORT RAUS!!!“. Wolfgang sprang auf, ging schnell durch die Tür, schloss sie vorsichtig hinter sich, dann legte ersich wieder auf den Boden und kroch Richtung Ausgang. Dort wiederholte er das Spiel und bewegte sich mit viel Abheben und Gewichtsverlagerung über den Asphalt Richtung Bushaltestelle. Sein T-Shirt war nach diesem Vormittag auf jeden Fall reif für die Wäsche, doch dies war erstmal seine geringste Sorge. Zuerst musste er nachdenken, wie er seinen neuen Lebensstil mit seinem Job in Einklang bringen könnte.

3. Die schöne Katja

Albert wartete doch noch ab, bis Wolfgang das Gebäude verlassen hatte. Es wunderte ihn nicht, dass Wolfgang heute rausgeworfen wurde, soviel Blödsinn konnte einfach nicht ohne Konsequenzen bleiben. Er hörte seinen Chef brüllen, in einer Lautstärke, die er Dietmar gar nicht zugetraut hatte. Er ließ noch eine Minute verstreichen, dann verließ er das Büro und begab sich in den Vesperraum. Ein kleiner Raum, der für ihre Verhältnisse in diesem kleinen Betrieb aber mehr als ausreichend war. Hier stand ein kleiner rechteckiger Tisch mit 4 Stühlen drumherum, ein Kühlschrank, eine Spüle in einer länglichen Theke und auf dieser noch eine Mikrowelle.
Und Katja. Katja, die neue Buchhalterin, hatte heute wohl einen Arbeitstag. Sie half nur teilzeitmäßig aus und Albert hatte noch nicht ganz durchschaut wann sie kommt und wann nicht. Es war erst das zweite Mal dass er sie sah. Er kannte bisher nur ihren Namen und wusste, dass sie wunderschön war. „Oh, hallo, Frau Fecht!“ begrüßte Albert seine neue Lieblingskollegin. „Wie geht’s Ihnen?“ Er klang gekünstelter als er beabsichtigt hatte, fast wie ein Mensch nach einem Hirnschlag. Er hoffte dass sie das nicht bemerkte. „Oh. Hallo, Herr...“ „Lösch.“ „Herr Lösch. Wie geht’s Ihnen?“ „Ganz gut! Arbeiten Sie heute hier?“ Fast war Albert die offensichtliche Frage peinlich, aber so funktionierte Smalltalk nunmal. Manchmal startet ein Gespräch eben etwas holprig. „Ja, ich arbeite heute.“ antwortete sie und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Ich wollte mir aber zuerst einen Kaffee holen. Doch eben habe ich ein heftiges Gebrüll gehört und trau mich nicht so recht in Herr Bertrams Büro. Ich dachte eigentlich, hier wäre das Arbeitsklima recht entspannt, aber heute geht’s wohl hoch her! Ist etwas passiert?“ Albert musste loslachen. Die Situation war ja heute echt verrückt; für eine neue Kollegin musste das alles regelrecht wahnsinnig wirken. „Keine Angst, normalerweise ist hier wirklich alles ganz entspannt. Dietmar ist auch ein sehr freundlicher Mensch, normalerweise. Aber heute... heute sind Sachen vorgefallen...“ Albert konnte erstmal nicht weiterreden, jetzt schüttelte es ihn vor Lachen ordentlich durch. Katja schaute ihn mit einem verwirrten Lächeln und einem Stirnrunzeln an. Als Albert sich wieder im Griff hatte, erzählte er seiner neuen Kollegin erstmal die ganze Geschichte.
Katja runzelte immer noch verwirrt ihre Stirn nachdem sie die Geschehnisse des frühen Tages gehört hatte, sah aber viel entspannter als zuvor aus. „Ok...“ eröffnete sie. „Das erklärt schonmal Herrn Bertrams Wutausbruch. Aber was soll das jetzt alles? Ist dieser Wolfgang verrückt?“ „Nein, eigentlich nicht. Er hat manchmal verrückte Ideen und Vorstellungen und redet recht viel, ohne Punkt und Komma, wenn er einen überzeugen will. Aber das heute ist mal ein bisschen drüber.“ Albert lächelte Katja an. „Ich heiße übrigens Albert. Sie können mich ruhig duzen. Wir duzen uns alle hier, sogar Dietmar. Herr Bertram.“ „Ok. Ich heiße Katja.“ Sie reichte Albert die Hand und lächelte offen. Ihr Handdruck war sympathisch- fest. „Katja also.“ Albert tat so, als hätte er ihren Namen noch nicht gewusst, doch er flog wohl damit auf. Noch immer mit Alberts Hand in ihrer, fing Katja an zu lachen. Ein echtes Lachen, das sie sogleich noch hübscher erscheinen ließ. Albert lachte auch wieder los. „Tja.“ meinte Katja. „Was ist da denn wohl dran? Ist dein Kollege da vielleicht einem großen Geheimnis auf der Spur?“ Ihre Augen waren zusammengekniffen, von starken Lachfalten eingerahmt. „Keine Ahnung.“ meinte Albert. „Ich meine, das kann doch nicht sein, oder? Ich meine, jeder liegt doch gern. Aber so ist das dann doch dezent übertrieben. Ich meine, wo liegen da auf Dauer die Vorteile?“ „Und wo die Nachteile! So kann man doch nicht seinen Tag vollbringen!“ meinte Katja. „Man kann nicht Autofahren, kommt nur sehr langsam voran... wie ist Ihr Kollege heute Morgen hierher gekommen?“ „Dein Kollege.“ verbesserte Albert. „Wolfgang fährt sowieso nicht Auto. Er kommt immer mit dem Bus hierher. Der Busfahrer muss sich heute Morgen auch gewundert haben!“ Albert lachte wieder kräftig los. „Ich meine, sowas geht doch in keiner Situation! Überleg mal, im Supermarkt! Wie er da dann wohl den Einkaufswagen vor sich herschubst?“ Katja lachte kräftig los. Sie wurde schon leicht rot im Gesicht. Albert legte nach: „Da sieht man dann nur einen Wagen im Alleingang durch die Gänge rollen! Hin zu anderen Leuten, und dann hört man von unten eine Stimme: „Entschuldigung, könnten Sie mir den Reis da bitte runterreichen?““ „Einen runterholen!“ rief Katja, erschrak gespielt vor ihrer Zotigkeit, dann wieherten beide los. „Oder am Bahnhofskiosk! Der Verkäufer hört nur eine Stimme: „Können Sie mir die Tageszeitung geben?“ Aber dann sieht der Mensch niemanden vor sich!“ Albert überschlug sich fast beim Reden. „Das hätte Potenzial für eine Sketchsendung!“ rief Katja. Albert lachte immer noch. Wolfgangs Aktion heute Morgen war wirklich der beste Eisbrecher! Katja zuckte zusammen und packte Albert kräftig am Arm. „O mein Gott!! Weißt du wo es WIRKLICH richtig schlimm wird? Beim Besuch einer öffentlichen Toilette!!“ „WAAAHH!!“ rief Albert angewidert aus, dann lachten beide bis ihnen die Tränen kamen. „Oh mein Gott du bist KRANK!!“ rief Albert. „Sie haben doch angefangen! Ich meine, du hast doch angefangen!“ erwiderte Katja schlagfertig und äffte dabei Alberts Tonfall nach. „Was?“ Sie sahen sich an, dann lachten beide wieder los. Albert tat schon der Bauch weh, aber er konnte einfach nicht aufhören. Katja lachte auch noch eine Weile. Als sie beide langsam wieder zu Luft kamen, meinte Katja: „So jetzt sollte ich aber mal weiterarbeiten. Macht vielleicht einen schlechten Eindruck gleich am zweiten Tag nur im Pausenraum zu sein.“ Sie lachte nochmals auf, sozusagen ein Nachbeben. „Mir tut alles weh, ich fühl mich wie nach einem Marathon!“ „Ja, mir geht’s da ganz ähnlich!“ sagte Albert. „Ich mach dann auch lieber mal weiter. Sieht man sich dann in der Mittagspause?“ „Nein eher nicht, ich arbeite nur bis mittags. Aber morgen komm ich auch nochmal. Ich hoffe mal Herr Bertram ist jetzt besser drauf. Und HOFFENTLICH muss ich nicht vor ihm loslachen!“ Darauf musste Katja nochmal loslachen. „Ach was, keine Angst. Wie gesagt, heute ist ein Sondertag. Aber normal ist unser Chef recht vernünftig.“ sagte Albert. Er lächelte Katja nochmals an, sie lächelte zurück. Dann drehte sie sich um und ging belustigt raus, dabei wackelte sie übertrieben hin und her, damit ihr rotbrauner Pferdeschwanz extrastark hin- und herwackelte. Albert lachte nochmal laut los. Was für eine Frau!!, dachte er wieder. Der verrückte Tag schien sich doch prima zu entwickeln. Gut gelaunt drehte er sich zur Kaffeemaschine, legte ein frisches Kaffeepad ein und stellte seine Albert- Tasse unter den Auslauf.

4. Abends/ Der Versuch

Dietmar schloss die Türe ab. Er lief leicht erschöpft zu seinem Auto, sein Aktenkoffer in seiner rechten Hand. Er entriegelte sein Auto mit seinem Fernbedienungsschlüssel, schwang sich auf den Fahrersitz und legte den Koffer auf dem Beifahrersitz ab. Er seufzte auf, legte seine Hände oben aufs Lenkrad und seinen Kopf mit der Stirn gegen seine Handrücken. Was für ein Tag!! Er konnte es immer noch nicht fassen. Was war nur mit Wolfgang los? Er war schon immer etwas aufgedreht, etwas frech, teilweise nervig. Aber eigentlich doch ein normaler Mensch! Auch ein ganz guter Arbeiter! Über gelegentliche Respektlosigkeiten, so wie das gelegentliche Diddi als Ansprache, konnte Dietmar bisher recht leicht hinwegsehen. So was störte ihn nicht; er war um ein lockeres Arbeitsklima bemüht. Allerdings sollte die Arbeit darunter nicht leiden! Das heute war einfach... verrückt. Dietmar setzte sich auf und startete den Motor. Er verließ seinen Parkplatz und trat die Heimfahrt an. Er wollte heim zu seiner Frau, sie in den Arm schließen und mit ihr darüber reden. Außerdem hatte er Hunger; hoffentlich hat Sara heute was gekocht.
Abgesehen von Wolfgangs Aussetzer war es dann eigentlich doch ein recht guter Tag. Als er heute Morgen noch wütend in seinem Büro saß und über Wolfgangs Geisteszustand nachdachte, hörte er Albert und Frau Fecht, die neue Buchhalterin, lauthals loslachen. Aha, die Geschichte sorgt wohl für Gelächter, dachte er sich. Warum auch nicht, ihr seid ja schließlich nicht davon betroffen! Aber nach einer Weile war er dann doch ganz froh, die beiden lachen zu hören. Es entschärfte etwas die Situation. Die beiden steigerten sich aber auch rein! Ihr Lachen wurde immer lauter, die Wortfetzen immer gequetschter vom Klang her.
Naja, eigentlich ganz nett für die beiden, dachte Dietmar jetzt bei seiner Heimfahrt. Für Frau Fecht ist es ein legendärer Einstieg in eine neue Stelle, und Albert tut befreites Lachen sicher auch ganz gut. Er scherzt zwar auch viel mit Wolfgang rum, dennoch denkt Dietmar manchmal, dass Albert vielleicht nicht ganz glücklich bei der Arbeit ist. Hat Albert eigentlich eine Freundin? Von seinem Privatleben weiß Dietmar nicht allzu viel; Albert erzählt da auch recht wenig. Muss er ja auch nicht. Wolfgang hat öfters wechselnde Bekanntschaften. Das erzählt er auch breit herum, ob man es wissen will oder nicht. Doch was Dietmar bei Alberts Arbeitsweise stört ist dessen allgemeine Lustlosigkeit. Im Laufe der letzten Wochen ist er immer langsamer geworden. Er surft auch öfters privat im Internet und seine Pausen werden auch immer häufiger und länger. Naja, vielleicht sollte er bald mal mit Albert reden.
Aber egal für heute. Dietmar fuhr auf seinen Parkplatz vor ihrem Haus, stieg aus und betrat mit seinem Aktenkoffer in der Hand den Hausflur. „Hallo Schatz!“ rief Dietmar. „Hi!“ rief Sara aus der Küche zurück. Es roch nach irgendwas mit Fleisch. Super, Abendessen! freute sich Dietmar, zog die Schuhe aus und betrat die Küche. „Hi!“ Er ging zu seiner Frau und umarmte sie vorsichtig von hinten; seine Hand legte er leicht auf ihren Bauch. „Was machst du?“ fragte er. „Fleischküchle!“ sagte Sara. „Willst du Brötchen dazu oder Kartoffelbrei?“ „Kartoffelbrei!“ antwortete Dietmar wie aus der Pistole geschossen. „Soll ich machen?“ „Nee das krieg ich hin, ich mach nen fertigen. Der ist gut genug für dich!“ sagte Sara mit verschmitztem Lächeln. „Ok...“ erwiderte Dietmar mit gespielter Traurigkeit. Dann lächelte er breit. „Wie lang dauerts noch? Ich hab einen BÄRENHUNGER!“ sagte Dietmar und drückte seine Frau etwas fester. „Vorsicht!“ sagte sie, puffte ihn mit ihrem Ellbogen in den Bauch und schob die Fleischküchle etwas hin und her. „Und, wie war dein Tag?“ fragte sie. „Oje, frag lieber nicht.“ stöhnte Dietmar auf. „DAS wirst du mir sowieso nicht glauben.“ Sara drehte sich um und musterte ihren Mann, den Pfannenwender wie eine Fliegenklatsche leicht erhoben. „Na jetzt bin ich neugierig. Na los, erzähl schon!“ Und Dietmar erzählte ihr von dem Wahnsinn, der sich Wolfgang nennt. „Hmmm...“ sagte Sara, „klingt... verwirrend. Gehts Wolfgang gut?“ „Du meinst psychisch? Keine Ahnung. Er klang jedenfalls recht normal. Hat flüssig gesprochen. Etwas schnell, aber das ist oft so wenn er sich in Rage spricht. Vor allem wenn es um seine teils seltsamen Ideen geht.“ Dietmar seufzte wieder. „Ansonsten weiß man wenn er Spaß macht und einfach nur über Blödsinn diskutieren will. Aber heute... sowas hab ich noch nie erlebt. Er konnte ja auch nicht arbeiten mit seinem neuen Plan.“ „Puh. Klingt echt verrückt. Weißt du schon was du jetzt machen willst?“ „Nein, keine Ahnung. Ich glaube ich warte erstmal bis morgen ab. Mal schauen wie er sich dann benimmt.“ Dietmar stand auf. „Ich setz mich schonmal ins Wohnzimmer. Brauchst du Hilfe?“ fragte er. „Nein schon ok, ist gleich fertig.“ „Ok“, sagte Dietmar müde und ging ins Wohnzimmer. Er setzte sich in die Couch, lehnte sich zurück, wodurch der Fußschemel ausfuhr und blieb so in halb liegender Position sitzen. Er starrte an die Decke. „Liegen“, dachte er sich. „Ein ganz großes Ding wohl.“ Dietmar stand auf und legte sich auf den Boden. Er war hart und unbequem. Direkt auf dem festen Holzboden ist wahrscheinlich auch nicht das Wahre, dachte sich Dietmar, stand auf und zog die Teppichinsel unter dem Couchtisch hervor. Diese war zwar etwas zu kurz um den kompletten Dietmar aufzunehmen, jedoch waren so seine Schulterblätter und das Steißbein angenehm gebettet. Eigentlich recht entspannend so zu liegen! Er spürte einen leichten Luftzug. Die Temperatur war wirklich angenehmer in Bodennähe; das musste er schon zugeben. Dietmar dachte weiterhin über seinen Tag nach. Wirklich unmöglich, sein Leben nur in liegender Position zu verbringen! Was war da nur los? Alkohol? Drogen? Dietmar konnte keine Fahne an Wolfgang riechen. Ansonsten wäre ihm auch nichts aufgefallen was abnormal an Wolfgangs Art gewesen wäre. Bis auf das mit dem Liegen natürlich.
Sara betrat das Wohnzimmer, mit zwei dampfenden Tellern in der Hand. Dietmar betrachtete sie, indem er seine Augen soweit es ging nach oben richtete. Sara lachte los. „Aha!! Mit Irrsinn angesteckt was??“ fragte sie und drückte noch ein paar Lacher zwischen den Lippen heraus; sie prustete wie ein Nilpferd. Dietmar musste jetzt auch grinsen. Sara stellte die Teller ab und stellte sich breitbeinig über Dietmar. „Was soll denn das? Wo soll denn DA der Sinn drin liegen?“ sagte sie und schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Keine Ahnung. Ich denke ich bin einfach nur ein fauler, gestörter Sack.“ erwiderte Dietmar. „Ach Diddl!!“ Das war Saras gelegentlicher Kosename für ihn. Er hasste diese Maus mit den großen Füßen eigentlich, aber wenn seine Frau ihn so nannte freute er sich immer. Sie drehte sich um 180 Grad und setzte sich auf ihn. Sie beugte sich über ihn und drückte ihm einen Kuss auf. „Jetzt gräm´ dich nicht mehr. Morgen sieht der Tag schon besser aus. Lass uns essen.“ Dietmar lächelte sie an und legte seine Hände auf ihre Hüften. „Wobei, vielleicht lassen wir das Essen auch kalt werden.“ schlug Sara vor und küsste Dietmar nochmal. Dieser lächelte nun noch viel breiter als zuvor.

Am anderen Ende der Stadt, in einer Wohnung im Erdgeschoss, lag Albert auf dem Boden. Er lag nun schon gut und gerne 10 Minuten so da. Seine Katze lag ungefähr einen Meter über seiner Schädeldecke zusammengerollt auf dem Boden und schnurrte fröhlich vor sich hin. Schon interessant, überlegte sich Dietmar. Einfach mal bei vollem Bewusstsein nichts tun ohne einschlafen zu wollen, war wirklich... sehr entspannend. Doch der Sinn seinen ganzen Tag so verbringen zu wollen, wollte Albert einfach nicht einleuchten. Draußen in der Öffentlichkeit in dieser Lage über den Boden zu kriechen!! Das ist doch verrückt! Da ist es doch wohl ganz sicher, dass man ständig besorgt angesprochen wird! Oder dass jemand die Polizei holt. Oder einen Krankenwagen. Albert schüttelte den Kopf. Das kann doch wohl nicht Woffes Ernst sein! Aber falls es ein Spaß wäre verstand Albert einfach die Pointe nicht. Was sollte an sowas schon lustig sein? Albert grinste. Gut, er hat mit Katja dann doch recht herzlich über das alles lachen können. Aber das war ja was anderes. Er konnte sich nicht vorstellen dass Woffe mit irgendeinem Gag, irgendeiner Pointe im Hinterkopf heute über den Boden bis ins Geschäft gerobbt ist. Ob er wohl wirklich auch draußen so unterwegs war? Das kann ja eigentlich echt nicht sein! Was wenn man so über einen Zebrastreifen will? Kein Autofahrer wartet doch minutenlang bis irgend so ein Depp über die Straße gekrochen ist! Entweder Woffe wird dann überfahren oder vom Fahrer verprügelt. Oder beides. Albert selbst würde drüberfahren, aussteigen und dem Mann am Boden noch eine Backpfeife verpassen, dachte er sich. Er musste grinsen und richtete sich auf. Er setzte sich auf sein Sofa und schaltete den Fernseher ein. Auf jeden Fall fühlte sich sein Rücken jetzt recht entspannt an, dachte er sich. Das ist aber auch der einzige Vorteil daran, auf dem Boden zu liegen.

Katja lag in ihrer Wohnung ebenfalls auf dem Boden, allerdings ohne dabei eine besondere Art der Entspannung zu fühlen. Das lag aber wohl auch daran, dass Katja sowieso viel Sport macht, vor allem Laufen. Recht sinnlos, dachte sie sich. Da fehlt einem doch jegliche Bewegung! Wenn man nie läuft gehen die Probleme doch erst recht los! Sie wurde schon leicht ungeduldig. Entspannung schön und gut, aber den ganzen Tag!? Wie kann man nur auf so eine Idee kommen? Katja schwang sich auf und streckte sich ausgiebig. Neinneinnein, dachte sie sich. Das wäre nix für mich! Ich fühle mich viel wohler wenn ich an meinen Zielort laufen kann! Das ist doch logisch, oder? Wie um es sich selbst zu beweisen, ging sie in die Küche, öffnete den Kühlschrank und nahm sich einen Pudding heraus. Schier lächerlich einfach dieser Vorgang! In ein paar Sekunden erledigt! Warum sollte man sich das Leben selbst so kompliziert machen? Aber vielleicht war dieser Wolfgang ja wirklich verrückt! Der morgige Tag machte sie doch etwas nervös. Sie hatte noch niemand erlebt der plötzlich durchdreht und mit derart seltsamen Ideen daherkommt! Wie soll sie sich diesem Typen gegenüber verhalten? Falls er morgen überhaupt erscheint. Nachdenklich löffelte Katja ihren Pudding. Im Stehen. Naja, wird schon gutgehen. Zum Glück ist ja dieser Albert da, der scheint ganz normal zu sein. Und sehr nett! Auch Herr Bertram scheint ein feiner Chef zu sein. Trotz der seltsamen Geschehnisse heute hat er sich ihr gegenüber recht normal verhalten. Über diesen Arbeiter haben sie nicht geredet, da war Katja auch sehr froh darüber. Tja, ein denkwürdiger Tag jedenfalls! Katja lief durch den Flur, schaute ins Kinderzimmer und sah den Kopf ihrer Tochter ruhig auf dem Kissen liegen. Schlaf gut! dachte sie sich. Sie schloss leise die Tür, stellte den Puddingbecher zurück in die Küche und ging ins Bad. Zeit ins Bett zu gehen, dachte sich Katja. Noch mehr liegen! Unwillkürlich musste sie wieder grinsen. Sie betrachtete sich im Spiegel. Auf jeden Fall ein denkwürdiger Tag!

Wolfgang lag unter seinem Esstisch, sein Laptop mit Paketband über seinem Kopf an die Tischplatte geklebt. Der Tag verlief dann doch anstrengender als geplant!, dachte er sich. Wirklich genießen konnte er das Liegen dann doch selten. Immer zu liegen ging ja sowieso nicht, hatte er schon längst bemerkt. Auf der Toilette musste man natürlich sitzen. Alles andere wäre einfach nur... krank. Genauso beim Essen machen war Stehen unumgänglich. Treppen zu benutzen war laufend auch viel einfacher; das Fiasko heute Morgen hatte ihm das klargemacht. Davon tat sein Rücken noch am meisten weh. Über den Asphalt bis zur Bushaltestelle zu rutschen war auch äußerst unangenehm. Zuerst wollte er im Raupengang den Weg zurücklegen, aber da das zu lange dauerte, schob er sich dann doch immer häufiger über den Boden. Sein T- Shirt hatte überraschend gut gehalten, aber seine Wirbel am Rückenbogen taten jetzt am Abend doch ganz schön weh. Im Browser hatte er gerade einen Tab offen, der einen schicken Rollwagen zeigte, so einen mit dem sich Automechaniker unter Autos schoben. Ergonomisch ansprechend, mit Kopfkissen, aus rotem Plastik. Nicht mal sehr teuer. Aber im Moment las er einen Bericht über Muskelschwund bei Astronauten durch. So etwas könnte auch sein Problem werden! Eigentlich bewegt er ja seinen ganzen Körper beim Kriechen, dachte Wolfgang. Auf einem Rollbrett wäre das aber nicht mehr gegeben! Vorher hatte er auch etwas über Wundliegen bei bettlägrigen Patienten in einem Altersheim gelesen. Kein schönes Thema! Vielleicht würde er ja doch wieder laufen, zumindest im Außenbereich, und in Innenräumen auf ein Rollbrett umsteigen. Gerade in Innenräumen ist das Liegen ja besonders wichtig, wegen der kühleren Temperatur in Bodennähe! Und da er auf einem Rollbrett ja viel schneller war als auf seinem Rücken, kann sein Chef ja auch nicht allzu böse sein. Wolfgang blickte gedankenverloren nach oben. Seine Gedanken drifteten ab; es war heute dann doch ein sehr anstrengender Tag. Morgen wird alles anders, dachte er sich. Mit einem Reißgeräusch löste sich links von ihm das Klebeband vom Esstisch und die linke Laptopkante knallte Wolfgang zentral auf die Stirn. „Au VERDAMMT!!“ rief er los. Er hielt mit seiner rechten Hand den halb abgelösten Laptop fest, mit links seine Stirn. DAS wird ne Beule! Mit ein paar Grummellauten zog er den Laptop vollends vom Tisch ab und klappte ihn, noch mit dem Packband beklebt, zusammen. Zeit fürs Bett, dachte er sich. Morgen noch Panzertape kaufen. Er überlegte sich noch wie er im Supermarkt durch die Gänge kroch zum Regal mit den Klebebändern. Oder wäre der Baumarkt da besser? Der ist weiter weg. Dafür haben die da vielleicht auch Rollbretter. Und vielleicht fallen ihm ja noch andere Dinge ein die er da kaufen könnte! Er atmete seufzend durch. Naja, morgen, dachte er sich und kroch Richtung Schlafzimmer, wo seine Matratze bereits auf dem Boden lag.

5. Status Quo

Albert stand mit seiner Albert- Tasse im Pausenraum der Firma Betel. Er hatte gut geschlafen, doch er war den ganzen Morgen schon sehr angespannt und nervös. Wie geht’s heute wohl weiter? Wie wird Woffe heute wohl kommen? Zu Fuß? Liegend? Oder ist ihm noch was anderes eingefallen? Vielleicht hüpft er ja auf einem Bein herein! Oder auf einem Pogostock! Vielleicht rollt er auch mit Purzelbäumen herein! Nachdenklich schlürfte Albert an seinem Kaffee. Das würde alles gegen Wolfgangs Logik von gestern verstoßen. Aber da würden ihm bestimmt wieder andere guten Begründungen einfallen. Albert sah auf die Uhr. Noch fünf Minuten bis Dienstbeginn! So pünktlich war Albert schon lange nicht mehr bei der Arbeit erschienen. In den letzten zwei, drei Monaten war er doch immer erst kurz vor sieben erschienen. Extrem kurz vor sieben. Aber heute konnte er vor Spannung einfach nicht daheim sitzen bleiben! Er war etwas zu schnell hierher gefahren und stand jetzt schon seit beinahe 10 Minuten hier im Pausenraum. Dietmar saß bereits in seinem Büro; Albert wusste nicht ob Dietmar sein Kommen bemerkt hatte. Doch er war sich sicher, dass Dietmar heute Punkt 7 sein Büro verlassen würde, um nach dem Rechten zu sehen.
Der Haupteingang öffnete sich, und Wolfgang kam in normalem Gang hereingelaufen. Albert konnte ihn durch die offen stehende Pausenraumtür sehen. „Woffe!“ grüßte er, leicht erstaunt. Er wusste nicht was er jetzt sagen sollte, also sagte er: „Was geht?“ Woffe lächelte Albert an. „Morgen, Alter! Bei dir alles klar?“ Eine ganz normale Begrüßung seitens Wolfgangs soweit. Er kam in den Pausenraum und gab Albert laut klatschend die Hand. „Und, wie war dein Tag gestern?“ Albert lachte auf. „Also mein Tag war größtenteils ganz normal! Recht gut würde ich sagen! Aber genug davon!“ Albert sah Wolfgang eindringlich in die Augen. „Alles ok bei dir? Gehts dir gut? Was sollte das gestern denn werden?“ Wolfgang sah leicht traurig zurück. „Naja was soll ich sagen. Es war ein Versuch. Ich war neugierig wie es wohl wäre seinen Tag nur noch im Liegen zu verbringen. Aber die Sache ist dann doch schwieriger umzusetzen als gedacht.“ „Ach was!!“ Albert grinste Wolfgang hämisch- überlegen an. „Und das musstest du erst auf diese Art herausfinden? Ich meine... bist du dumm oder so?“ Wolfgang sah leicht verunsichert aus. „Nein... Ich meine, die Sache könnte ja schon recht gut funktionieren! Es ist einfach nur alles zu... kompliziert.“ Wolfgang dachte kurz nach. „Vielleicht ist der Schritt direkt nur zum Liegen etwas zuviel auf einmal. Vielleicht geht das nur zu bestimmten Tätigkeiten, in anderen aber noch nicht. Da muss ich erstmal noch etwas drüber nachdenken. Ich bleib da schon noch dran. Aber keine Angst: In nächster Zeit habe ich keine Lust auf einen neuen Versuch.“ Wolfgang lächelte. „Mann, du bist... verrückt!“ sagte Albert. „Dir ist schon klar dass wir gestern alle über deinen Geisteszustand nachgedacht haben?“ „Wer, alle?“ fragte Wolfgang in leicht schnippischem Ton. „Du und Dietmar halt.“ „Und Katja.“ Albert musste jetzt doch etwas lächeln. „Unsere neue Buchhalterin war gestern wieder da.“ „Ach so.“ Wolfgang sah jetzt doch sehr verunsichert aus. „Ich hoffe, die hält mich jetzt nicht für nen Irren.“ sagte er. „Doch, natürlich! Das meine ich doch. Alle halten dich jetzt für einen Irren!“ Albert sah Wolfgang weiterhin fest an. „Ich meine, geht’s dir wirklich gut? War das alles nur ein Scherz? Wenn ja, musst du den mir erklären! Ich versteh´ den nämlich irgendwie nicht!“ „Nein, es war kein Gag. Ich wollte wirklich mal sehen, ob das Leben so wohl funktionieren würde. Und ein paar Vorteile würde das schon bringen, davon bin ich immer noch überzeugt!“ Albert schaute Wolfgang weiterhin fest in die Augen. Wolfgang klang normal, trotzdem meinte Albert, ihn soeben ganz neu kennenzulernen. Sie arbeiteten jetzt bereits seit zwei Jahren zusammen, aber so etwas Durchgeknalltes hätte er ihm einfach nicht zugetraut. Sie hörten die Türe vom Chefbüro aufgehen. Man hörte ein paar Schritte, dann betrat Dietmar das Zimmer. „Morgen!“ begrüßte er seine Arbeiter. „Morgen, Albert! Morgen, Wolfgang!“ Das Wolfgang war in Dietmars Satz besonders deutlich betont. „Wie geht’s euch?“ „Morgen, Chef!“ antwortete Albert. „Bei mir ist alles gut!“ „Morgen Didd...tmar!“ Wolfgang konnte sich gerade noch retten. „Mir geht’s auch gut! Bis auf... ein paar Schrammen am Rücken halt.“ „Aha.“ erwiderte Dietmar. „Ein paar Schrammen also. Kommst du bitte gleich mal mit in mein Büro? Wir müssen uns dann gleich mal unterhalten.“ „Ja, klar.“ sagte Wolfgang. Sein Puls schoss in ungeahnte Höhen. Dietmar drehte sich um und ging. Wolfgang warf noch einen gehetzten Blick zu Albert und lief Dietmar hinterher. Albert zuckte die Achseln und ging Richtung Büro. Er stellte seine Kaffeetasse links neben sich ab und machte seinen Rechner an. Nein, in Wolfgangs Haut wollte er jetzt nicht stecken, dachte er sich.

Wolfgang schloss hinter sich die Tür. Dietmar war bereits um seinen großen Holzschreibtisch herumgegangen, setzte sich nun auf seinen Sessel und legte seine Hände leicht erhoben vor sich auf den Schreibtisch, die Fingerspitzen sich gegenseitig berührend. Vor dem Schreibtisch stand ein Stuhl. „Setz dich.“ sagte Dietmar. Wolfgang setzte sich schweigend hin. Dietmar ließ ein paar Sekunden verstreichen. „Also,“ eröffnete er. „was sollte das gestern jetzt werden?“ Dietmar starrte Wolfgang direkt in die Augen. Nicht wütend, eher neutral. „Naja... Ein Versuch.“ erwiderte Wolfgang. „Ein etwas missglückter Versuch, muss ich zugeben. Wird nicht wieder vorkommen.“ Nach ein paar Sekunden fügte Wolfgang hinzu: „Tut mir leid.“ „Soso.“ Kurze Pause. „Ein Versuch also. Über Sinn und Unsinn lässt sich hierbei wohl streiten. Aber es war also ein Versuch.“ Dietmar starrte Wolfgang weiterhin an. Er redete langsam, ruhig und deutlich, als würde ein kleines Kind vor ihm sitzen. „Kann ich mich darauf verlassen dass so etwas nie wieder vorkommen wird?“ „Ja, natürlich.“ Wolfgang war immer noch sehr nervös. „So etwas wird nie wieder passieren.“ „Ich muss mich darauf verlassen können, dass du deine Arbeit pünktlich und gewissenhaft erledigen kannst. Mit allem, was dazugehört. Verstehst du das?“ „Klar versteh ich das. Ich arbeite ja auch nicht erst seit gestern.“ „Und doch muss ich dir das wohl erklären!“ sagte Dietmar. Er durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. „Hatte die Aktion gestern vielleicht irgendwelche Hintergründe? Bist du wegen irgendwas unzufrieden? Gehts dir psychisch wirklich gut? Ist privat bei dir vielleicht etwas Schlimmes passiert?“ Wolfgang war nun doch leicht überrascht, dass man ihn wohl wirklich für verrückt hielt. Er wusste zwar, dass seine Idee ungewöhnlich ist, aber doch nicht so abartig, oder? „Ich kann dir auch einen Termin bei einem Facharzt organisieren, falls du das möchtest. Dein Plan, alles im Liegen zu machen, ist seltsamer als du wohl selber erkennst!“ Wolfgang schaltete wieder auf Verteidigungsmodus. „Aber es könnte doch was dran sein oder? Ich meine, über so etwas denkt halt einfach niemand nach. Aber es könnte die richtige Körperhaltung für uns sein!“ „Nein.“ erwiderte Dietmar nur. „Nein, ist es nicht. Und jeder Mensch, der wirklich nicht laufen kann aufgrund Behinderungen, einem gebrochenen Bein oder so würde dir bestimmt liebend gern mal ein paar scheuern für diese Ansicht.“ Wolfgang schluckte. Er hatte nichts mehr zu erwähnen. Dietmars ruhige Dominanz erdrückte ihn beinahe. „Also. Ich würde sagen, wir vergessen das alles jetzt erstmal. Du arbeitest jetzt wieder normal mit wie sonst auch. Für gestern hast du dir natürlich sieben Minusstunden verdient. Von einer Abmahnung wegen Arbeitsverweigerung...“ Wolfgang schluckte. „sehe ich ab. Aber ich will, dass so etwas nie mehr vorkommt! Alles klar?“ „Ja, alles klar.“ Wolfgang war jetzt sehr kleinlaut. „Also, an die Arbeit.“ sagte Dietmar. Als Wolfgang gerade zur Tür ging, sagte Dietmar noch: „Und falls du dir weiterhin um deinen Rücken und deine Beine Sorgen machst, weißt du was da hilft? Sport!“ „Ja, Chef.“ gab Wolfgang kleinlaut zurück. Er verließ das Chefbüro und begab sich an seinen Rechner.

Albert schaute erwartungsvoll von seinem Monitor hoch, als Wolfgang den Raum betrat. „Und?“ fragte er. „Was, und?“ gab Wolfgang missmutig zurück. „Ja was wohl?? Jetzt sag schon! Alles geklärt zwischen euch?“ „Jaja.“ Wolfgang setzte sich gegenüber von Albert an den Tisch und schaltete seinen PC an. „Alles beim Alten. Ich muss den Tag gestern nachholen, dann ist alles in Butter. Und er macht sich wohl Sorgen um meine geistige Gesundheit.“ „Na wen wunderts. Das war ja auch die dümmste Idee die du... Die dümmste Idee der dummen Ideen.“ Albert lachte leicht auf. „Würde es einen Wettbewerb für dumme Ideen geben würdest du da bestimmt groß abräumen!“ „Jaja.“ Wolfgang war genervt, dass niemand seine Idee auch nur ein wenig nachvollziehen kann. Nicht einmal Albert, den er bisher für einen recht intelligenten Menschen gehalten hat. Wobei, das dachte er bisher eigentlich auch über Dietmar. Klar, sein Konzept hatte noch einige Schwächen, aber ein wenig Verständnis hätte man doch erwarten können! „Weißt du was? Ich will jetzt eigentlich nicht noch weiter darüber reden. Verrückte Idee: Lass uns doch arbeiten!“ Albert zuckte die Achseln. „Alles klar, Streber. Aber ich hol mir erst noch nen Kaffee. Und, wer weiß, vielleicht noch was Süßes.“ Albert erhob sich. „Soll ich dir was mitbringen?“ „Nein, danke.“ Wolfgang stierte weiter in seinen Bildschirm. Albert zuckte nochmals mit den Schultern und begab sich in den Pausenraum.
Im Pausenraum stand Katja wieder an der Kaffeemaschine. „So sieht man sich wieder!“ sagte Albert zur Begrüßung. „Morgen!“ Katja drehte sich lächelnd um. „Guten Morgen! Und, wie geht’s?“ „Gut, danke! Und selbst? Den Tag gestern noch gut rumgekriegt?“ „Ja, lief alles gut. Herr Bertram war gestern natürlich etwas grummelig, aber ansonsten doch ganz normal mir gegenüber. Und, was gibt’s Neues? Ich hab gehört, dass Wolfgang da ist. Ich habe euch im Büro reden hören.“ „Ja, er ist da. Er kann auch wieder laufen. Er hat sich vorhin gleich mit Dietmar unterhalten. Anscheinend ist alles wieder in Butter.“ „Hm.“ machte Katja. „Mhm.“ antwortete Albert. Sie sahen sich an. „Tja, freut mich, dass alles gut ausgegangen ist! Dann wird’s heute wohl ein ganz normaler Arbeitstag!“ „Ja, scheint so.“ Sie sahen sich wieder an. „Direkt ein wenig langweilig.“ Sie schauten sich an und überlegten. „Gut, dann werd ich jetzt mal weitermachen. Man sieht sich!“ Katja lief mit ihrem Kaffee Richtung Tür. „Ja. Aber gestern, das war schon crazy, oder?“ Crazy. Albert runzelte die Stirn. Dieses Wort hatte eigentlich nichts in seinem Sprachgebrauch zu suchen, aber irgendwie fühlte er sich gerade verloren. Ihm gelang es einfach nicht, ein Gespräch zu starten. „Jaaa.“ Katja blieb kurz stehen. „Also, bis später vielleicht!“ Sie ging jetzt endgültig hinaus. Albert stand im Pausenraum und schaute ihr nach. Tja, beim nächsten Mal, dachte er sich. So ein Eisbrecher wie gestern ist halt durch nichts zu toppen! Er ging zum Kühlschrank und sah hinein. Also wirklich ein ganz normaler Tag heute.

6. Nachspiel

Dietmar saß in seinem Auto und fuhr nach Hause, den Koffer wieder auf dem Beifahrersitz liegend. Er summte fröhlich vor sich hin. Heute war es dann doch ein ganz guter Tag geworden! Er hat sich mit Wolfgang ausgeredet und befürchtete auch keine Aussetzer mehr von dessen Seite. Dietmar fuhr auf seinen Parkplatz, schnappte seinen Koffer und stieg aus. Fröhlich pfeifend schloss er seine Haustür auf und trat ein. „Abend, Schatz!“ rief er. Er legte den Koffer unachtsam auf den Flurschrank, zog seine Schuhe aus und nahm seine Teppichinsel vom Jackenständer. Er drappierte den Teppichfetzen eben vor sich auf den Boden und legte sich hin. Dann schob er sich über den Holzboden geradeaus ins Wohnzimmer. Sara saß auf dem Sofa und schnaufte verächtlich aus. „Das ist wirklich dein Ernst jetzt?“ Dietmar verdrehte die Augen stark nach oben, um seine Frau sehen zu können. Sie schaute ihn wütend und verächtlich an. „Du meintest doch gestern auch dass diese Idee... dumm ist! Und falsch!!“ „Nana,“ erwiderte Dietmar mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen. „Ich weiß, anfangs sieht das vielleicht etwas seltsam aus. Aber du wirst dich schon noch dran gewöhnen!“ „Du siehst,,, LÄCHERLICH aus!!“ Saras Stimme brach weg; sie schien verzweifelt zu sein. „DU hast doch gestern KLIPP UND KLAR gesagt, warum es schwachsinnig ist, nur zu liegen!! Und jetzt... Willst du mich damit jetzt FERTIGMACHEN oder was?“ Sie war den Tränen nahe. „Hey.“ sagte Dietmar in tiefem versöhnlichem Tonfall. „Ich habs dir doch gestern schon erklärt! Ich laufe natürlich schon! Draußen meine ich. Ich werde weiterhin meine Übungen machen, mit dir Radfahren und so weiter. Es geht nur um das Daheimsein!“ Dietmar schenkte ihr sein strahlendstes Lächeln. „Ich meine, warum sollte ich denn auch nicht liegen wenn es möglich wäre? Hier sieht mich niemand und hier fällt es keinem zur Last! Das war Wolfgangs Fehler, nichts anderes! Der Grundgedanke war schon genial!“ Er lachte los. „Aber das werde ich ihm natürlich nie sagen!“ Jetzt begann Sara wirklich zu weinen. „Aber ich sehe dich hier! Das sieht einfach... lächerlich aus! Ich meine, wie sollen wir so miteinander leben können? In 4 Monaten kommt unser Baby! Wie stellst du dir das vor? Soll ich hier alles machen?? Mich um das Baby und um dich kümmern?“ Dietmar lachte wieder los. Sara sah ihn nervös an; jetzt sah er wirklich wie ein Verrückter aus. „Du musst dich nicht um mich kümmern! Ich bin schon groß, ich kann doch schon alles! Sogar liegen!“ Er brüllte fast vor Lachen auf. Dann klopfte er sich auf die Schenkel. „Komm´her, setz dich. Lass uns doch ein bisschen kuscheln. Du weißt schon, wie gestern.“ Sara heulte laut auf, rannte ins Schlafzimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Hmm. Das ging wohl fürs Erste ein bisschen zu weit. Aber naja, jede große Idee hatte zuerst ihre Zweifler. Dietmar lag da, starrte an die Decke und grinste selig vor sich hin. Er genoss den leichten Luftzug und betrachtete ihre Holzdecke. Bald. Er faltete die Hände auf seiner Brust und lächelte noch breiter. Er hörte Sara im Schlafzimmer heulen. Aber naja. Alles würde sich einpendeln. Er wusste einfach, dass er Recht hatte.
 



 
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