Der metallen Kran

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Rachel

Mitglied
der metallen kran

der metallen still stehende kran in der ersten morgensonne
spiegelt das licht für zwanzig dreißig sekunden unbewegt zurück

dann dreht sich die erde weiter weiter weiter
um ihre achse

die gravitation holt sich (zu spät)
den rest einer unfertigen idee

der metallen still stehende kran zieht das schwindende all
ins zimmer und geht drei luxus-schritte weiter weiter weiter

den extra ordinary reiter
in einem bausch und bogen nasser

ins universum wasser
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das gefällt mir außerordentlich, vorallem bis Strophe vier, die letzten beiden Strophen überzeugen mich nur fast, sicher deshalb, weil die Reime etwas erzwungen wirken. Dennoch empfehle ich es mal. Es ist originell, anders und offenbart dein Potenzial.

LG
Patrick
 

Tula

Mitglied
Hallo Rachel
Dem schließe ich mich gern an, in Lob und mit einem leisen Zweifel, ob das Gedicht nach

... drei luxus schritte weiter weiter
weiter ...

nicht enden könnte. Den ordinary reiter kann ich nicht mehr ganz einordnen, unter Umständen ist der Beobachter gemeint (?)

LG
Tula
 
Zuletzt bearbeitet:

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
"der metallen kran

der metallen still stehende kran in der ersten morgensonne
spiegelt das licht für zwanzig dreißig sekunden unbewegt zurück

dann dreht sich die erde weiter weiter weiter
um ihre achse

die gravitation holt sich (zu spät)
den rest einer unfertigen idee

der metallen still stehende kran zieht das schwindende all
ins zimmer und geht drei luxus-schritte weiter weiter weiter

um seine Achse"

Vielleicht einfach so, dann schließt du den Kreis auch.?

LG
Patrick
 

petrasmiles

Mitglied
Interessant, dass meine beiden Vorredner an der gleichen Stelle ihre 'Aussetzer' hatten wie ich gestern Abend. Bis dahin gefiel es mir nämlich auch ausgesprochen gut, und dann war ich verunsichert - mochte aber nicht insistieren, weil ich es ja vielleicht nur nicht verstanden habe.
Es scheint da doch so etwas wie einen definierten Bedeutungsrahmen zu geben.

Liebe Grüße
Petra
 
Hi Rachel

anbei ein paar Gedanken zu deinem Gedicht

1. das grundlegende Thema der ersten vier Zeilen für mich: Was können wir als Menschen bewirken und wo sind wir der Natur "ausgeliefert".

2. In den nächsten zwei Zeilen (5+6) lese ich eine "aufsteigende Idee", die der Kran (das Kreative, technisch-menschliche) hievt oder anhebt aber die Gravitation (die Urgewalt der Natur, das außerhalb der Kontrolle des Menschen liegende) holt sich eine unfertige Idee. Das eingeschobene "zu spät" lese ich wie eine Bewertung dieses Vorgangs. Jetzt, wo die Gravitation sich die Idee geholt hat, ist es zu spät.

3. In Zeile 7+8 wirkt die Gravitationskraft der Anziehung nun nicht mehr von der Erde aus, sondern der metallen still stehende Kran zieht das schwindende All ins Zimmer und "geht drei Luxus-Schritte weiter". Ich würde es so übersetzen, dass hier die innere Welt der "unfertigen Idee" und die äußere Welt sich fantasievoll vermischen, wobei das "schwindende All" eine Ablenkung von der "unfertigen Idee" darstellen kann, aber auch eine Bedrohung, die durch die Stabilisierung durch den Kran fassbarer wird (ins Zimmer, ins Bewußtsein kommt).

4. Sehr überraschend geht nun der Kran, von dem wir mehrfach erfahren haben, dass er "still steht" drei Luxus-Schritte weiter und weiter und weiter, wobei damit auch gemeint sein kann, dass die drehende Erde den Kran mit sich nimmt und im Akt des zeitrafferartigen Beobachtens des Zimmerbewohners der Kran "so aussieht, als ginge er mit Schritten". Jedenfalls scheint mir zu geltend: Die Auflösung der Grenzen zwischen innerer und äußerer Welt schreitet voran und der Kran bewegt sich erstmals eine Luxus-Strecke weiter, wo er vorher als rein still stehend wahrgenomen wurde. Folglich wandelt sich das Bild in den letzten drei Zeilen und eingeführt wird ein "extra ordinary Reiter", ein außergewöhnlicher Reiter, der sich in einem "nasser" befindet. Damit könnte ein Zustand gemeint sein und der extra ordinary Reiter könnte dem Reim auf "weiter geschuldet" und im Grunde beliebig ersetzbar sein. Wirklich wichtig scheint das Luxuriöse, außergewöhnliche. "in Bausch und Bogen" drückt grundsätzlich ein undifferenziertes, verallgemeinerndes Urteil aus, kann aber auch als total und allumfassend verstanden werden, zB in dem Ausdruck in Bausch und Bogen verwerfen. In dieser Hinsicht lese ich es auch hier. Das Eingehen ins Universum-Wasser und das Auftauchen aus dem licht der ersten Morgensonne hat etwas von einem Kreislauf und einer Wandlung in der Bildersprache von Elementen und Spannungszuständen rund um eine "unfertige Idee", "Bewußtwerdung" und Bildern zu Luxus und Außergewöhnlichkeit.

5. Es erinnert ein bisschen in seiner spirituell anklingenden Sinnsuchertiefe an "Ozyamandias" von Percy Shelley. Beide Gedichte beschäftigen sich letztlich mit der Vergänglichkeit menschlichen Strebens und der Unbedeutentheit menschlicher Errungenschaften im Angesicht der Zeit und der Natur. Gerade das will Ozymandias auch erreichen: Der Leser möge die Vergänglichkeit menschlichen Ruhms erkennen.

6. Anklänge finden sich auch an die Gedichte von Phillip L´etranger. Er verwendet auch oft eine stark verschlüsselte Bildsprache, die sich auch dem intutitiven Zugang nicht so leichtfertig öffnen will.

Ein interessantes Werk, das sprachliche Herausforderungen hat, die nicht immer geschmeidig ineinanderführen, aber das rohe, grobe, technische gut unterstreichen.

mes compliments

Dio
 

Patrick Schuler

Foren-Redakteur
Teammitglied
Anklänge finden sich auch an die Gedichte von Phillip L´etranger. Er verwendet auch oft eine stark verschlüsselte Bildsprache, die sich auch dem intutitiven Zugang nicht so leichtfertig öffnen will.
Darüber kann man streiten.

Ansonsten ist das (mal wieder) ein grandioser Kommentar.
 

sufnus

Mitglied
Hey Rachel!
Dieses Gedicht war ein Wagnis und an den zahlreichen Kommentaren und der (sehr verdienten - congrats!) Empfehlung sieht man, dass sich das Wagnis gelohnt hat. :) Ich bin also sehr sehr angetan. Und zugleich (was gar nicht so im Widerspruch zum Angetansein steht) bin ich auch noch nicht so ganz an Bord dieses Gedichts. Das strahlende Juwel dieser Zeilen ist für mich "der extra ordinary reiter", der ist geheimnisvoll, offen für viele Deutungen (irgendwie muss ich ja an einen apokalyptischen Reiter denken) und durch die anglophone Beigabe hat er was Urbanes an sich. Irgendwie ein ganz cooler Typ. :)
Die Reime sind mir dann aber wieder ein bisschen zu viel des Guten. Der doppelte Paarreim weiter-reiter-nasser-wasser desavouiert für mich in gewisser Hinsicht das übrige Gedicht und mir erscheint das ein bisschen unverdient, insbesondere gegenüber meinem Kumpel, dem extra ordinary Reiter.
Und dann hadere ich noch mit dem Grammatikfehler im Titel. Nicht, dass ich ein Problem mit Grammatikfehlern in der Lyrik habe, eine bewusst kaputte Sprache ist ja ein zwar womöglich etwas unsubtiles aber doch wirkmächtiges Ausdrucksmittel. Jandl mag hier als Lehrmeister dienen. Aber der Grammatikmishap passiert halt nur einmal und wird irgendwie nicht weiter aufgegriffen. Insofern vielleicht doch nur ein Typo?
Also jetzt hadere ich hier ein bisschen rum... aber das wichtige Stichwort war: sehr angetan! :) (vor allem dieser Reiter... in den hab ich mich ein bisschen verliebt... )
LG!
S.
 
Darüber kann man streiten.
das Ist sicher so.

Ich sprach auch nur von mir. Ich h abe an ein paar Interpretationen von LEs Gedichten kläglich versagt und bei anderen brillieren können. Ihre Zugänglichkeit liegt für mich oft im Gesamteindruck. Und der geneigte Leser sollte sich vorsehen zu schnell mit seinem alltäglichen dechiffrierwrkzeug an einzelnen Zeilen zu operieren. Er könnte etwas ernsthaft verletzen! wie bei Rachels Werk. So ungefähr war das gemeint.
 
Zuletzt bearbeitet:

sufnus

Mitglied
hi @sufnus welchen Fehler meinst du? Der prädikativ Maskulinum ist doch Metallen oder meinst du es müsste Metallene oder Metallne heißen als nominativ ?
Ich glaube, dass ein prädikativer Gebrauch von Nomina (als freie Prädikativa) im Deutschen wirklich ziemlich zwingend irgend eine Art Verb voraus setzt - auch elliptische Konstruktionen (die ein Verb nur implizieren), also Wendungen unter Wegfall von "sein" oder "haben" usw. dürften bei Prädikativa eher problematisch sein.
Insofern kann man zwar schreiben: "Der Kran ist metallen" (metallen = Prädikativum), aber ohne das Verb ginge m. E. höchstens etwas wie "Der Kran (metallen)".
Daher ist hier beim Titel der "metallische" Aspekt attributiv gebraucht und muss an sein Bezugswort (den Kran) angeglichen werden: "Der metallene Kran" oder "Der metallne Kran". Anders sähe es beim attributiven Gebrauch bei einer Wechselflexion mit zwei Adjektiven aus: "Der metallen silbrige Kran". Das ist erlaubt (allerdings ein bisschen altmodisch - auf eine gute Weise altmodisch ;) ), weil das "silbrige" da die Flexion mit übernimmt.
Soweit sähe hier zumindest mein sprachliches Weltbild aus (ich lasse mich aber gerne belehren - zumal in der Abgrenzun von prädikativem und adverbialem Gebrauch, da hab ich immer so meine Schwierigkeiten, was aber bei der eigentlichen Flexionsfrage unerheblich sein sollte. ;)
LG!
S.
 

Rachel

Mitglied
Hallo, alle zusammen. Herzlichen Dank für eure Augen, Sterne ... das ist echt spannend und interessant, was ihr seht. Das Gedicht erzählt in zwei Schritten, was kurz zuvor passierte:

Das Licht, das der Kran ins Zimmer warf, kam stark blendend; egal war, dass ich sein Herkommen nicht gleich verstand. Osten im Rücken. Der Kran, früh am Morgen ungesteuert, steht still, wird mir klarer - was also leuchtet und dreht sich? Alles Physik? So entstand, kurz skizziert, die erste Hälfte, das halbe Gedicht.

Gleich danach bin ich mit Tänzchen (was sagt der Körper) durchs Zimmer, extra ordinary gen Bad (nasser Universum Wasser) zum Duschen. Zurück am Rechner, wieder auf Bildersuche, kam mir der elektrische Reiter (einer im Lichtkostüm, jede Glühbirne zum Verlieben :) ) in den Sinn. Das ist eigentlich alles.

@Patrick: das Erzwingen der Reime, soll vielleicht (zu spät) festhalten, was noch unfertige/abstrakte Idee - ein flüchtiger Restnutzen Licht war.

@Tula: Es könnte früher enden, ja. Ist aber irgendwie ... noch ungeduscht ... nicht ganz vorbei. Ich versteh dennoch, was du meinst.

@petrasmiles: Am Abend zuvor (?) wusste ich noch nicht, dass ich das Gedicht am nächsten Morgen ins Netz stelle. Du warst im Forum fleißig am Schreiben, vielleicht kam was durcheinander.

@dio: Mehrfach gelesen, was du ausführst. Vielen Dank! 3.+ 4. sind nah am Volltreffer. Manche deiner Überlegungen sind wie ein fehlender Baustein, danke, kann ich augenblicklich verstehen. Manches versteh ich ... anders, assoziativ, intuitiv ... das spürst du richtig. Luxus war das selbst geschenkte Tänzchen und einfach schreiben im Bauch und Bogen.

@sufnus: Das freut mich sehr, dass du den extra ordinary (elektrischen) Reiter so schätzen kannst. Er steht für einiges, was mit Strom, Licht und Liebe zu tun hat. Der metallen Kran (ob richtig oder folsch) soll aufs menschlich kalte Wirtschaften lenken.

Hei! Ihr seid echt großartig! :)
 

sufnus

Mitglied
Phillip L´etranger
Hey Dio!

Als Du obig diesen Dichter erwähntest, war ich ehrlich gesagt ein bisschen verwundert, weil mir der Name überhaupt nichts sagte (was ein bisschen eingebildet klingt, aber so schlecht ist mein Überblick in der aktuellen "Szene" halt echt nicht).
Je nun.
Jetzt bin ich doch ganz zufällig (wobei: von Zufällen kann man in der kleinen Lyrikwelt eigentlich nicht wirklich reden) in der Offline-Welt über ihn gestolpert und erinnerte mich der Erwähnung durch dich, lieber Dio. :) Damit ist nun auch diese Bildungslücke geschlossen und ich bin äußerst erfreut. Coole Texte! Diese Münchner sind schon Hunde... :)
LG!
S.

P.S.:
Im Nachgang hab ich dann doch auch noch google bemüht und bin unter anderem... auch wieder hier in der Leselupe gelandert... schade, dass er aktuell wohl nicht plant, hier nochmal was einzustellen....
 
Im Nachgang hab ich dann doch auch noch google bemüht und bin unter anderem... auch wieder hier in der Leselupe gelandert... schade, dass er aktuell wohl nicht plant, hier nochmal was einzustellen..
hi suf

freue mich dass du le für dich entdeckt hast. ich vermisse auch so manchen autor hier und wo anders. aber so ist das leben und die hoffnung stirbt zuletzt. vielleicht veröffentlich er noch bei „keinverlag„ ansonsten findest du ihn ja auf seiner internet seite und bei diversen wettbewerben wo er auch recht erfolgreich ist. was mich wieder zu ferdi bringt. den hättest du kennenlernen müssen. ich glaube ihr beiden hättet euch gut verstanden und unter meinem kopfkissen liegt immer noch ein goldstück mit dem ich eines tages die erstausgabe seiner „rana saga“ rund um prinz klappstuhl bezahlen werde… so nun genug rachel faden missbraucht. ich sehe, dass der “metallen kran“ beginnt mich anzustarren ….

mes compliments

dio
 



 
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