Der Nächste!

Ein Theaterstück in einem Akt
aus der geschlossenen Anstalt
Albrechtshausen-Süd
Abt. strukturaffine Anarchisten
Leitung: Wolfgang Watzl


Der Nächste!


Bühnenbild:

Ein vollkommen schmucklos-graues, altmodisches Büro, welches seine besten Zeiten längst schon hinter sich hat. Auf einem simplen Schreibtisch einige Ordner, ein Stempel mit Stempelkissen sowie etwas Kleinkram. In der Mitte des Tisches liegt beinahe achtlos ein Revolver älterer Bauart.
Ein knarzender Sessel, darauf ein hornbebrillter Mann unbestimmbaren Alters in einem abgetragenen, fassonlosen Anzug. Dazu eine billige, lieblos gebundene dünne Strickkrawatte.
Neben der Riffelglas-Eingangstür sitzen links und rechts je ein in einen grauen Arbeitsmantel und ebenso grauem „Dienstkappel“ gewandete apathisch wirkende Büttel. Nur durch die sich geringfügig unterscheidende aschgraue Haartracht kann man erkennen, dass es sich um einen Mann mittleren Alters und um eine Frau offensichtlich kurz vor der Pension handelt. Beide starren schweigend ins Leere.
Unweit von ihnen eine halboffene Tür in einen dunklen, offensichtlich fensterlosen Raum.



Der Büromensch ungerührt, dabei jeden Anflug von Höflichkeit weiträumig umschiffend:
„Der Nächste....“

Ein älterer Mann mit Stock erscheint undeutlich hinter dem Riffelglas. Er öffnet ein wenig umständlich die Tür, tritt ein und bleibt unbeholfen zwischen den beiden grauen Lakaien stehen. Er nickt devot zum Grusse und blickt ein wenig geduckt um sich.
„...ist das hier...?“

Der Büromensch barsch unterbrechend, ohne den Eintretenden eines Blickes zu würdigen:
„..ja isses!“

Schweigen.

Der Büromensch, unwirsch:
„Und, was hadda zu sagen... zu sagen?“

Der Klient kleinlaut aber diensteifrig, als wäre er soeben erwacht:
„Nr. 34.1278.PM/4b, bitt´schön. 4B“.
Dabei versucht er den Anschein zu wahren, ein wenig stramm zu stehen.

Der Büromensch, lakonisch, fast brummend:
„Und, was hadda noch zu sagen, hadda was, ha?“

Der Mann, leise aber fest:
„Nein, jetzt nimmer. Es wurde alles bereits gesagt, bitt´schön. Klar und deutlich hat man es mir gesagt. Und schön. Schön auch, schön! Deutlich und schön!“
Schweigen.

Der Mann kaut unentschlossen ein wenig an seinen Lippen. Bedächtig nähert er sich dem Schreibtisch. Seufzend greift er nach der Waffe, richtet sie gegen seine Schläfe und drückt ab. Wie ein schwerer Sack fällt er tonlos zu Boden.
Der Büromensch beugt sich unbeeindruckt über den Tisch zum Toten und setzt sich ächzend wieder hin. Träge notiert er irgendwelche Vermerke in seine Akten, schliesst diese und legt sie umständlich beiseite.
Die zwei Büttel blicken sich kurz wortlos an, erheben sich von ihren Sitzen, nähern sich dem Leichnam und drehen ihn auf den Rücken. Jeder packt eines seiner Beine und schleifen ihn geradewegs in einen dunklen Nebenraum. Nach einem deutlich zu vernehmenden Plumps marschieren sie mechanisch wieder zu ihren Sitzen. Dort sitzend stieren sie wieder wie leblos vor sich hin.

Der Büromensch wirft sich ein wenig in Pose:
„Der Nächste!“

Ein jüngerer, salopp gekleideter Mann tritt ohne anzuklopfen ein, geht forsch bis an den Tisch und stellt sich breitbeinig mit verschränkten Armen auf.

Der Büromensch blickt ihn über den Brillenrand hinweg gleichgültig an.
„No, was is´,worauf wart´ ma denn?“

Der Mann betont lässig:
„ Nr. 76.2301.HM/2d, wenn´s ihnen so kombinier´n tät´.“

Der Büromensch revanchiert sich für diese Provokation mit einem simplen:
„Na also, geht ja!“
Dabei notiert er träge etwas in seinen Akten.

Der Mann steckt seine Hände in die Hosentaschen und sieht sich achtlos im Raum um.

Der Büromensch mechanisch:
„...und, noch was zu sagen?“
Daraufhin etwas sarkastischer:
„Vielleicht noch einen Geistesblitz auf den die Welt sehnsüchtig warten möcht´ oder so.
Oder wolln´s meinetwegen was vorsingen, sie --- sie Vogel sie?“


Der Mann spöttisch:
„Pfeifen tät´ ich ihnen gern was. Pfeifen! Auf alles da und auf sie ganz besonders würd´ ich gern pfeifen! Und wie, das können´s mir ung´schaut glauben“

Dabei schürzt er seine Lippen und schickt sich an, tatsächlich eine Melodie zu intonieren.

Der Büromensch erhebt sich emotionslos, greift zum Revolver und schiesst schweigend dem Mann eine Kugel in den Kopf.
Dieser fällt mit einem matten Seufzer in sich zusammen.
Der Büromensch legt teilnahmslos den Revolver weg, setzt sich hin und notiert wie gewohnt etwas in seine Unterlagen.

Trübsinnig trotten erneut die Kalfaktoren heran, schnappen sich den Toten und schleifen ihn pflichtgetreu in den Nebenraum. Kurz darauf lassen sie sich wieder dröge auf ihre Sessel plumpsen.

Der Büromensch, gleichgültig:
„Der Nächste!“

Stille, nichts rührt sich vor der Türe.

Der Büromensch, mürrisch und etwas akzentuierter:
„Der Nächste!“

Stille...

Die Büttel heben phlegmatisch die Köpfe. Mit einer angedeuteten Kopfbewegung weist der Büromensch zur Tür.
Die Frau erhebt sich lasch und lehnt umständlich ihren Oberkörper in den Warteraum.
Nur ein verwaschenes, kaum verständliches „Keiner mehr da“ entringt sich ihrer Kehle.

Der Büromensch erhebt sich, tritt vor seinen Schreibtisch und rückt pedantisch seine Brille zurecht.

Gewissenhaft, mit fester Stimme:
„Nr. 11.074.EH/4k, ich wurde mustergültig unterwiesen und habe nichts vorzubringen!“

Stramm greift er zur Waffe und schiesst sich in die Schläfe. Wie geprobt fällt er tonlos zu Boden und wird von den Schergen gleichgültig zu den anderen in den Nebenraum gezerrt.

Beide erscheinen wieder, die Frau bückt sich teilnahmslos nach dem Revolver.
Der Mann schlurft zum Lichtschalter und knipst vorschriftsmässig die Lampe aus.
Dunkel, Stille...

Der Knecht, monoton:
„Nr. 02.003.FK/8z“

Die Frau, mit schwerfälligem Zungenschlag:
„Nr. 01.523.SM/9f“

Kurz darauf fallen in der absoluten Dunkelheit zwei Schüsse.



Vorhang
 



 
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