Der Narr im Geiste

Arathas

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Fool on the mind

Es war ein Dienstag Abend. Ich saß, wie so oft, an meinem PC und schrieb an einer meiner Geschichten. Oder sollte ich besser sagen: Ich wurde geschrieben? Na, ist ja auch egal. Ich hatte viel geschrieben in letzter Zeit. Die Worte flossen nur so aus meinen Fingern, ich konnte mich gar nicht dagegen wehren.
Es war wie immer: Sobald ich zu schreiben begann, passierte etwas mit mir. Es kam mir vor, als würde ich in ein anderes Reich hinabtauchen. Ohne, daß ich es bewußt wahrnahm, verschwand langsam der Bildschirm, die Tastatur, das wohlige, angenehme Geräusch des laufenden PC's. All das war nicht mehr gegenwärtig, sobald ich auch nur die ersten paar Buchstaben eingetippt hatte. Es vermischte sich anfangs nur mit der Realität, doch innerhalb weniger Minuten, ja manchmal sogar bloß Sekunden, war diese Realität, wie ich sie kannte, fort. Und dann war ich in meinem eigenen kleinen Reich der Worte, die Bilder vor meinem geistigen Auge formten. Wenn ich schrieb, wußte ich niemals wirklich, was ich da eigentlich genau tat. Als würde jemand anders für mich schreiben. Später, nachdem ich dann aufhörte zu schreiben, kehrte die Realität schlagartig zurück. Und um überhaupt zu wissen, was ich da eigentlich produziert hatte, mußte ich es erst einmal selbst lesen. Komisch, sagen Sie da. Man muß doch wissen, was man schreibt, denn man schreibt es doch immerhin selbst. Falsch! Ich wußte einfach nicht, wer mich da lenkt, wer mir die Worte eingab, die auf dem Bildschirm oder auf dem Papier zu Leben erwachten. Ich hatte tatsächlich nicht die geringste Ahnung, woher diese Gedanken kamen. Entstammten sie meinem Innern, meinem unterbewußten Ich, das sich selbst nur entfalten konnte, wenn ich schrieb? Oder kamen sie vielleicht von einer anderen Person, von früheren, jetzt längst toten Schriftstellern, die mit meinem Geist verschmolzen und so ihre Präsenz in diese Welt zurückbrachten? Wirklich, ich weiß es einfach nicht.
Aber ich wollte es herausfinden. Denn als ich an diesem Abend schon wieder einmal aus meiner, ich nannte es in Ermangelung eines besseren Ausdruckes "Trance" aufwachte, faßte ich den Entschluß, daß ich wissen mußte, wer da an der Tastatur saß und die Geschichten für mich schrieb.
Zuerst grübelte ich, wie ich es denn anstellen konnte. Ich mußte mich irgendwie selbst beeinflussen, während ich schrieb oder geschrieben wurde. Ich dachte daran, mich auf Video aufzunehmen, aber das wäre unsinnig gewesen. Ich hätte nicht meine Gedanken filmen können, nur meinen Körper. Und daß ich während des Schreibens mein Aussehen änderte, daran zweifelte ich dann doch recht stark.
Letztendlich kam mir eine bessere Idee: Ich bastelte eine Vorrichtung, die ich hinter meinem Stuhl aufbaute. Es war ein Holzhammer, mit einem kleinen Uhrwerk aus Federn und Spiralen verbunden. Den Hammer hatte ich so eingebaut, daß er nach vorn schnellen würde, sobald eine bestimmt Uhrzeit erreicht war. Natürlich würde er nicht zu fest zuschlagen, sondern nur gerade so fest, daß man von dem Schlag bewußtlos werden konnte. Ich hatte nicht den Mut, die Vorrichtung zu testen, denn ich befürchtete, mich ernsthaft dabei zu verletzen und keine zweite Chance mehr zu bekommen. Außerdem informierte ich meine Freundin, daß sie mich doch zu einer bestimmten Uhrzeit (nämlich eine viertel Stunde, nachdem die Apparatur mir planmäßig einen Knockout bescheren würde) besuchen sollte, da ich eine Überraschung für sie bereit hielt. Eine Überraschung gab es nicht, aber sie war meine Sicherheit, falls etwas schief laufen sollte. Sie würde mich dann auf dem Boden finden und hoffentlich Hilfe holen, wenn es nötig war. Ansonsten, wäre ich zu diesem Zeitpunkt wie erwartet schon wieder aufgewacht, hätte ich ihr gesagt, daß die Überraschung ins Wasser fallen würde, da ich ausgerutscht sei und mir den Kopf übel angeschlagen hätte. Ein guter Plan, alles in allem, wenn er auch bei wiederholtem Nachdenken ein wenig idiotisch wirkte, wie ich zugeben muß. Aber einer muß sich ja in den Dienst der Wissenschaft stellen, und an diesem Abend würde ich derjenige sein.
Ich stellte den Zähler an meiner Vorrichtung auf eine Stunde, setzte mich an meinen Schreibtisch und legte los. Anfangs hatte ich das Gefühl, daß ich es nicht würde tun können. Ich konnte nicht in meinem Traumreich wandeln, da ich im Hinterkopf die ständige Präsenz des Hammers fühlte und an nichts anderes denken konnte. Doch dann, ich muß wohl eine halbe Stunde lang vergeblich versucht haben, ein einziges vernünftiges Wort auf den Schirm zu zaubern, da packte mich dieses eigenartige Gefühl, und ich rutschte ab in meine Welt aus Fantasie.
Als der Hammer mich traf, war ich so tief in meinem Geschriebenen versunken wie schon lange nicht mehr. Ich hatte alles um mich herum total vergessen, und dieses andere, dieses etwas hatte von mir Besitz ergriffen und entlockte der Tastatur, was sich mir immer erst später offenbaren wollte. Durch den Schlag wurde mein Kopf nach vorn geschleudert und meine Augen verdrehten sich, bevor sie ihren Dienst versagten. Ich glaube, ich biß mir vor Schreck auf die Zunge, doch die nahende Ohnmacht trat schnell und wirkungsvoll ein.
Umso erstaunter war ich, daß sich trotzdem noch Buchstabe an Buchstabe reihte und die Sätze nicht verebben wollten. Ich blickte auf die Tastatur hinab und sehe meine Finger, wie sie über die kleinen Knöpfchen fliegen und ein leises Klappern erzeugten. Ich sehe zur Seite und bemerkte den leblosen Körper, der neben dem PC am Boden lag. Ein dünner Blutsfaden rinnt aus dem hinteren Teil seines Schädels, und ein seichter Film bedeckt bereits das Parkett. Ich weiß, daß er es ist, der dort liegt. Meine Finger tippen noch immer wild drauf los, während ich zur Seite schaue, zur verspiegelten Wand. Ich sehe mein Gesicht. Es ist nicht das Gesicht des Mannes, der dort am Boden liegt und leise atmet, während ihm Blut aus dem Mund sickert. Meine Züge sehen denen von diesem Kerl nicht einmal ähnlich. Ich halte kurz im Schreiben inne, bevor ich diese Worte hier in die Tasten haue, und betrachte meine Finger. Es sind unverbrauchte Finger, die noch nicht allzu viel von der Welt gesehen haben. Jedenfalls nicht von dieser Welt. Ich war schon in vielen anderen. Ich glaube, daß es Welten waren, die sich der Mann ausgedacht hat, der jetzt dort unten liegt. Es kann aber auch sein, daß ich es war. Ich glaube, daß diese Welt hier etwas besonderes ist. Sie fühlt sich... wirklicher an. Etwas in mir verlangt von mir, daß ich diesen Text zu Ende schreibe. Ich weiß nicht, was es ist, was mich dazu drängt, doch ich habe das Gefühl, daß ich es ihm schuldig bin. Weil er sterben wird. Der Blutfilm hat sich jetzt schon über den ganzen Boden ausgebreitet. Der Mann röchelt bloß noch, seine Atmung geht schwerer als vorhin. Sie kommt nur noch stoßweise.
Es klingelt. Ich werde aufstehen und nachsehen, wer es ist. Ich werde später weiterschreiben.

Es war die Freundin des Mannes, der nun tot neben dem PC liegt. Sie wollte zu mir heraufkommen, doch ich habe ihr über die Außensprechanlage gesagt, sie solle verschwinden. Sie fragte hysterisch, wer ich denn sei, und daß sie sofort mit ihrem Freund sprechen wolle. Ich log sie an und sagte, ihr Freund wäre zu ihr gefahren und würde dort auf sie warten. Sie ließ sich allerdings nicht täuschen und verlangte auch weiterhin zu wissen, wer ich sei. Zum Schluß drohte sie mir sogar, die Polizei zu holen. Ich hängte einfach den Hörer auf. Mit hundertprozentiger Sicherheit rennt sie jetzt gerade zu einer Telefonzelle, um den Notruf zu wählen. Oder sie hat ein Handy und spricht bereits mit der Polizei. Mir ist das nun egal. Ich werde längst weg sein, sobald jemand anders in diese Wohnung kommt. Den Toten auf dem Boden kann ich nicht erklären, aber ich habe diese seltsame Ahnung, daß ich aus diesem Grund an dem Text hier weitergeschrieben habe. Aber dies werden die letzten Zeilen sein. Ich muß los. Ich habe alles bei mir, was ich brauche. Ich habe genügend Fantasie, um mich in dieser Welt hier zurechtzufinden. Ich werde jetzt aufbrechen.
 



 
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