Anonym
Gast
Ich wohne in einem dieser städtischen Betontürme im fünften Stock. Eher zweckmäßig als schön, aber die Mieten sind bezahlbar. Die Woche über arbeite ich hart, am Wochenende aber fröne ich dann mal meinem Hobby und koche selbst.
Genügend Supermärkte sind fußläufig zu erreichen, am Rande der Siedlung hat kürzlich sogar ein Reformhaus eröffnet. Ich kaufe dort selten ein, die Preise haben sich gewaschen. Ein bestimmtes Soßenpulver hat es mir allerdings angetan, es macht aus jedem Eintopf einen kulinarischen Genuß.
Am letzten Samstag reihte ich mich also mit der begehrten Schachtel in der Hand in die lange Schlange vor der Kasse ein. Ganze Familien nutzen den Laden am Wochenende als Bühne für ihre eingeschworene Gemeinschaft.
Schon vor der Tür hatte ich die Fahrräder in dichtem Gedränge gesehen, bunt geschmückt mit Wimpeln und mit Bekenntnissen aller Art beklebt. Sonnenblumen, Bildchen zum Schutz der Urwälder, vom Aussterben bedrohtes Getier, alles mochte fröhlich im Fahrtwind flattern, wenn sie mit Gutem bepackt, Vater vorneweg, etwas zu laut rufend, ökologisch korrekt gen Heimat radelten.
An der Kasse wurden die naturbelassen fleckigen Gemüse von der Verkäuferin in Zeitungspapier gewickelt und zum Höchstpreis dem Kunden dargebracht. Eine Art Zeremonie, bei der sogar jeder profane Kohlrabi seine angemessene Streicheleinheit erhielt. An guten Worten wurde nicht gespart, so etwas dauert natürlich. Auch ich mußte mich dieser Prozedur der Entschleunigung unterwerfen, obwohl meine Suppe wartete.
Ein bärtiger Vater zog ein leinenes, zerknittertes Taschentuch heraus und rieb etwas Muttererde von zwei krummen Karotten, ehe er sie seinen Sprößlingen zureichte, die sogleich folgsam mit herzerfrischendem Krachen hineinbissen. Alles lächelte milde. Eigentlich sollte der Mensch zurück zu Ackerbau und Viehzucht!
Ich hatte dabei meinen handtuchgroßen Balkon vor Augen, der außer Tisch und Klappstuhl nur noch einem Kübel mit Tomatenpflanzen Platz bietet, eher fürs Auge. Vollwertig ernährt hat mich der Kübel noch nie. Und im Falle von Hühnerhaltung auf dem Balkon etwa hätte ich sofort den Tierschutz am Hals.
An der Kasse wurde gerade mit tiefem Bedauern das Bienensterben erörtert, dann folgten Tipps zum Energiesparen. Eine junge Frau im selbstgestrickten Schafwollpullover wurde unversehens zum leuchtenden Vorbild dieser Runde aufgrund ihrer Empfehlung, die Toilette jeweils nur mit einem Zahnputzbecher Wasser nachzuspülen. Ähnliches hatte ich bisher nur von Bundeswehreinsätzen in Wüstenstaaten gehört. Wie es in ihrem Bad wohl riechen mochte? Ihr Pullover jedenfalls verströmte unzweifelhaft einen Geruch nach Wollfett, frisch aus dem Schafstall.
"Papa, darf ich..." schmeichelte ein Mädchen mit strammen Zöpfen. Der Vater griff ins Regal nach einem Apfel mit Wurmloch. Wahrscheinlich hatte die Kleine eher an etwas Buntes, Süßes gedacht. Aber in dieser Gemeinde lernen die Kinder früh zu nehmen, was sie eben kriegen können. Widerstand zwecklos!
Mittlerweile war die Pappschachtel in der Umklammerung meiner Hand feucht geworden und leicht verbeult.
Ich habe lange Arbeitstage und nur am Wochenende Zeit für mich. Unruhig trippelte ich ein Stückchen weiter an meinen Vordermann heran. Es beschleunigte aber nichts, denn jetzt ging es gerade um Solarenergie. Warum nur nimmt nicht jeder Mensch die milde Gabe der Sonne an, die doch das Leben schenkt und Energie in Hülle und Fülle... Gerne doch!
Ich sah mich plötzlich an der Betonwand meines Wohnblocks emporklimmen, nur nicht nach unten sehen und bloß nicht die Solarzellen fallenlassen, die ich unter den Arm geklemmt hielte, während am Boden ein vorsorglich gerufener Rettungswagen auftauchte und vielleicht auch die Presse. Irgendeiner spinnt doch täglich in diesem Viertel!
Und zu Hause wurde meine Suppe langsam kalt! Ich suchte verzweifelt nach irgendeinem Ablageplatz für meine Schachtel, murmelte "ich muß dann auch leider" und verließ den Gottesdienst, indem ich mich schamhaft an der munteren Warteschlange vorbeidrückte.
Die Blicke, die mir folgten, lagen zwischen Mitleid und Empörung. Diese Hektik, immer dieser Streß! Ehe mir noch die Selbstgestrickte nachrufen konnte: "sie werden am Herzinfarkt sterben, wenn sie so weitermachen, junger Mann!", mit von Trauer getragener Stimme ob meines verfrühten, sinnlosen Todes, war ich draußen.
Gegenüber gibt es einen Discounter, der führt auch Soßenpulver. Zwar nicht das Zaubergebräu aus der Hexenküche, aber brauchbar. Die Kassiererinnen sind dort schnell, immer zur Eile angetrieben. Tut mir leid für sie, aber in meinem Job geht es mir nicht besser. Und irgendwann an diesem Tag mußte ich schließlich auch mal etwas in den Magen bekommen.
Genügend Supermärkte sind fußläufig zu erreichen, am Rande der Siedlung hat kürzlich sogar ein Reformhaus eröffnet. Ich kaufe dort selten ein, die Preise haben sich gewaschen. Ein bestimmtes Soßenpulver hat es mir allerdings angetan, es macht aus jedem Eintopf einen kulinarischen Genuß.
Am letzten Samstag reihte ich mich also mit der begehrten Schachtel in der Hand in die lange Schlange vor der Kasse ein. Ganze Familien nutzen den Laden am Wochenende als Bühne für ihre eingeschworene Gemeinschaft.
Schon vor der Tür hatte ich die Fahrräder in dichtem Gedränge gesehen, bunt geschmückt mit Wimpeln und mit Bekenntnissen aller Art beklebt. Sonnenblumen, Bildchen zum Schutz der Urwälder, vom Aussterben bedrohtes Getier, alles mochte fröhlich im Fahrtwind flattern, wenn sie mit Gutem bepackt, Vater vorneweg, etwas zu laut rufend, ökologisch korrekt gen Heimat radelten.
An der Kasse wurden die naturbelassen fleckigen Gemüse von der Verkäuferin in Zeitungspapier gewickelt und zum Höchstpreis dem Kunden dargebracht. Eine Art Zeremonie, bei der sogar jeder profane Kohlrabi seine angemessene Streicheleinheit erhielt. An guten Worten wurde nicht gespart, so etwas dauert natürlich. Auch ich mußte mich dieser Prozedur der Entschleunigung unterwerfen, obwohl meine Suppe wartete.
Ein bärtiger Vater zog ein leinenes, zerknittertes Taschentuch heraus und rieb etwas Muttererde von zwei krummen Karotten, ehe er sie seinen Sprößlingen zureichte, die sogleich folgsam mit herzerfrischendem Krachen hineinbissen. Alles lächelte milde. Eigentlich sollte der Mensch zurück zu Ackerbau und Viehzucht!
Ich hatte dabei meinen handtuchgroßen Balkon vor Augen, der außer Tisch und Klappstuhl nur noch einem Kübel mit Tomatenpflanzen Platz bietet, eher fürs Auge. Vollwertig ernährt hat mich der Kübel noch nie. Und im Falle von Hühnerhaltung auf dem Balkon etwa hätte ich sofort den Tierschutz am Hals.
An der Kasse wurde gerade mit tiefem Bedauern das Bienensterben erörtert, dann folgten Tipps zum Energiesparen. Eine junge Frau im selbstgestrickten Schafwollpullover wurde unversehens zum leuchtenden Vorbild dieser Runde aufgrund ihrer Empfehlung, die Toilette jeweils nur mit einem Zahnputzbecher Wasser nachzuspülen. Ähnliches hatte ich bisher nur von Bundeswehreinsätzen in Wüstenstaaten gehört. Wie es in ihrem Bad wohl riechen mochte? Ihr Pullover jedenfalls verströmte unzweifelhaft einen Geruch nach Wollfett, frisch aus dem Schafstall.
"Papa, darf ich..." schmeichelte ein Mädchen mit strammen Zöpfen. Der Vater griff ins Regal nach einem Apfel mit Wurmloch. Wahrscheinlich hatte die Kleine eher an etwas Buntes, Süßes gedacht. Aber in dieser Gemeinde lernen die Kinder früh zu nehmen, was sie eben kriegen können. Widerstand zwecklos!
Mittlerweile war die Pappschachtel in der Umklammerung meiner Hand feucht geworden und leicht verbeult.
Ich habe lange Arbeitstage und nur am Wochenende Zeit für mich. Unruhig trippelte ich ein Stückchen weiter an meinen Vordermann heran. Es beschleunigte aber nichts, denn jetzt ging es gerade um Solarenergie. Warum nur nimmt nicht jeder Mensch die milde Gabe der Sonne an, die doch das Leben schenkt und Energie in Hülle und Fülle... Gerne doch!
Ich sah mich plötzlich an der Betonwand meines Wohnblocks emporklimmen, nur nicht nach unten sehen und bloß nicht die Solarzellen fallenlassen, die ich unter den Arm geklemmt hielte, während am Boden ein vorsorglich gerufener Rettungswagen auftauchte und vielleicht auch die Presse. Irgendeiner spinnt doch täglich in diesem Viertel!
Und zu Hause wurde meine Suppe langsam kalt! Ich suchte verzweifelt nach irgendeinem Ablageplatz für meine Schachtel, murmelte "ich muß dann auch leider" und verließ den Gottesdienst, indem ich mich schamhaft an der munteren Warteschlange vorbeidrückte.
Die Blicke, die mir folgten, lagen zwischen Mitleid und Empörung. Diese Hektik, immer dieser Streß! Ehe mir noch die Selbstgestrickte nachrufen konnte: "sie werden am Herzinfarkt sterben, wenn sie so weitermachen, junger Mann!", mit von Trauer getragener Stimme ob meines verfrühten, sinnlosen Todes, war ich draußen.
Gegenüber gibt es einen Discounter, der führt auch Soßenpulver. Zwar nicht das Zaubergebräu aus der Hexenküche, aber brauchbar. Die Kassiererinnen sind dort schnell, immer zur Eile angetrieben. Tut mir leid für sie, aber in meinem Job geht es mir nicht besser. Und irgendwann an diesem Tag mußte ich schließlich auch mal etwas in den Magen bekommen.