Der Paketbote

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Hagen

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Der Paketbote

Als mir kürzlich ein paar Bücher von Amazon geliefert wurden, kam mir der Paketbote seltsam bekannt vor, ich konnte ihn auf die Schnelle aber nicht unterbringen.
Ich gab ihm einen Euro Trinkgeld, er bedankte sich, ich unterschrieb die Lieferung auf seinem komischen Apparat, freute mich über die Bücher und sah ihm nach, wie er den Weg entlang, zurück zu seinem Wagen tänzelte.
Und da klingelten bei mir alle Glocken. Das war Guido R., kein Zweifel!

Ich war damals, verdammt, das ist schon wieder an die vierzig Jahre her, ‘Außendienstmitarbeiter‘, eine tolle Umschreibung für ‘Vertreter‘, einer Firma, die unter Anderem Schaltelemente aller Art vertrieb.
So begab es sich, dass mein Chef mich mal zu einer Waggonbaufirma schickte, die gerade neue Waggons für die Straßenbahn baute.
Ich ging wie üblich vor, so mit Kataloge abgeben und die Vorzüge unserer Produkte hervorheben, und weil gerade ein professioneller Straßenbahnfahrer rumstand, setzte ich mich mit dem zusammen und hörte mir an, was der so zu sagen hatte.
Er hatte eine Menge zu sagen und zu klagen, über die Bedienbarkeit der sogenannten ‘Fahrzeugeinheiten‘.
„Sieht zwar alles wunderschön aus“, meinte er, „alles schön gerade und einheitlich, aber zu bedienen ist das wie Sau!“
Ich verstand ihn nur zu gut, drückte ihm zunächst auch einen Katalog in die Hand und schlug ihm vor, doch mal das Modell eines Panels wie es ein Profi, der damit umzugehen hat, zu bauen. Das nickte er ab, suchte sich aus dem Katalog die Schaltelemente heraus, die er benötigte und wir verabredeten uns nach seinem Feierabend um die Sache mal zu bekakeln.
Ich bestellte anschließend Musterschaltgeräte beim Hersteller und als diese eintrafen, setzten wir uns in meiner Garage zusammen und bauten ein gut zu bedienendes Bedienpanel.
„So und nicht anders, stelle ich mir ein optimales Panel vor!“, meinte der handelnde Mann von der Straßenbahn mit leuchtenden Augen. Er zeigte es seinen Kollegen und die waren auch des Lobes voll.

Der professionelle Straßenbahnfahrer ließ es sich daraufhin nicht nehmen, das Ding seinen Bossen auf den Tisch zu legen. Die zeigten sich zunächst recht beeindruckt und zogen sich zu einer Besprechung zurück.
Die Besprechung dauerte länger, als wir für die Anfertigung das Teils gebraucht hatten. Die Herren fanden das auch ganz schön, aber das letzte Wort, so meinten die Entscheidungsträger, würde noch der ‘Stardesigner‘ Herrn Guido R., den sie unter Vertrag hatten, zu sagen haben.
Der Stardesginer kam einen Tag später auch angetänzelt, vollführte mit der rechten Hand einen ‘Dekolletégriff‘, die linke legte er an die Stirn und rief: „Gott im Himmel, wie sieht das denn aus!“
Er schnappte nach Luft und meinte: „Ach, da werde ich aber noch viel dran zu tun haben! Am besten, sie schaffen mir dieses grauenhafte Geraffel aus den Augen.“
Als ich ihn fragte, ob er schon mal eine Straßenbahn gefahren hatte, wandte er sich nur indigniert ab, was für ein Ansinnen! Ein Stardesigner und Straßenbahn fahren!
Nun ja, es soll ja Leute geben, die nicht mit normalen Sterblichen sprechen.
Ich glaube, ich brauche nicht zu erwähnen, wie sich die Entscheidungsträger entschieden haben. Jedenfalls fuhren fortan fluchende Fahrer die Straßenbahnen und bedienten diese mit einem zugegebenermaßen recht hübschen, aber schwer zu bedienenden Fahrpanels.

Weil ich im Grunde einen üblen Charakter besitze, gönnte ich dem ‘Stardesigner‘ Guido R. seinen dezenten Karriereknick.
Ich weiß ja nicht, was sich in den Jahrzehnten zwischenzeitlich ereignet hat, aber so ist das Leben: Mal verliert man, mal gewinnen die Anderen.
Oder mal anders ausgedrückt: Wenn du glaubst, dir kann nichts mehr passieren, weil du vier Asse hast, hat der andere eine Smith & Wesson!
 



 
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