der Pfannkuchen

Wittelsbach

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Einleitung:
In den heißen Sommertagen 2022 habe ich meinen Keller aufgeräumt. Fertig bin ich nicht geworden, viel habe ich nicht geschafft, eigentlich habe ich nur die Kiste mit meinen alten Tagebüchern geöffnet.
Der Inhalt ist längst verjährt, also denke ich, die eine oder andere Episode kann ich hier in der Leselupe zu Gehör bringen.
Schauplätze sind der Campingplatz in der Lüneburger Heide, das Gymnasium in Hannover, die Wohnung mit fünf Schwestern im Katalonienweg. Der Schreiber ist 16 Jahre alt, wir befinden uns in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, politisch ist nichts korrekt.
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Montag, 03.09.1973
Unverantwortlicherweise hatte Muttern mich mit meinen Schwestern allein gelassen. Zur Mittagszeit! Und es gab mein Lieblingsessen, Pfannekuchen mit Apfelmus, anbei grobe Leberwurst!
Da muss man sehen, wo man bleibt!
Eine Möglichkeit war, selbst am Herd zu stehen und die gut durchgezogene Eier-Milch-Mehl-Masse in die Pfanne zu schöpfen.
Dann war ich an der Quelle!
Aber meine soziale Stellung wäre angeknackst, denn die Schwestern würden diese Schwäche nie vergessen! Ein Mann am Herd!
Man darf Mädchen nicht unterschätzen, sie erscheinen oft weich und schwach. Das sind sie auch, man kann sie direkt mit einem lieblichen Sommerregen vergleichen. Doch aus diesem warmen Regen kann schnell eine reißende Flut werden, die den Felsen, also mich, abschleift! Ähnlich wie das nagende Wasser sind sie längerfristig gesehen mit ihren kleinen, giftigen Bemerkungen ganz schön effektiv! Wenn ich mich jetzt also an den Herd stellen würde, käme das irgendwann wieder in einem völlig ungeeigneten Augenblick auf den Tisch. Und würde meine Autorität untergraben!
Eine andere Möglichkeit sah ich aber nicht. Ein Viertel schnitt ich direkt aus jedem fertigen Kuchen für mich heraus, als Macherlohn sozusagen.
Ja, da fingen sie schon an, hinter meinen Rücken über meine hausfrauliche Tätigkeit zu lachen.
Dafür teilte ich mir vom nächsten Pfannekuchen ein etwas größeres Viertel zu.
Sie kicherten und tuschelten immer noch. Aber das Tuscheln galt gar nicht mir, sondern einer Illustrierten. Eines meiner Sexhefte? Vor Schreck fasste ich beim Wenden des Fladens am Griff vorbei an den heißen Eisenrand. – Schön, wenn der Schmerz nachlässt!
– Nein, es war eine Bravo.
„Was gibt es denn da wieder zu giggeln?“ fragte ich herablassend.
Obwohl alle durcheinander alberten, verstand ich nach einiger Zeit, dass der Hausarzt dieser Zeitschrift diesmal das Thema Petting durchhechelte. Da hatte wohl eine Leserin angefragt, ob das eine Krankheit sei.
„Küssen, Streicheln, Lecken, und Knabbern!“ las Ulrike kichernd vor.
„Und woran knabbern?“ fragte ich und nahm unauffällig einen ganzen halben Pfannekuchen, verfeinerte ihn mit Leberwurst, rollte ihn auf und biss ab.
„Klar, dass du keine Ahnung hast!“ sagte Christiane, „Möchte nicht wissen, was du mit deiner Freundin so treibst! – Wie geht es denn Melanie so?“
„Sind die denn überhaupt noch zusammen?“ fragte Ulrike, als wenn ich nicht im gleichen Raum am Herd stehen würde.
„Er hat gerade einen ganzen halben Pfannekuchen gemopst!“ warf Monika ein.
„Mela, Mela!“ krähte Kleinkind Biene vergnügt und stieß das halbvolle Apfelmusglas um. Tat dann so, als wäre ihre hässliche Stoffratte für das Missgeschick verantwortlich. Die wird bestimmt mal Schauspielerin.
Biene, nicht die Ratte.
Das Theaterstück hätte sie sich aber sparen können, denn es störte sich niemand an dem Malheur, Monika stippte schon den Rest ihres Fladens auf die Tischplatte.
„Hoffe, ihr habt den Tisch vor dem Essen sauber gemacht. Habe mir vorhin die Fingernägel hier geschnitten.“ Ich begutachtete meine Hände. Monika ihren Bissen.
„Melanie geht es übrigens bestens, sie ist ein glückliches Einzelkind!“
„Du bist ein Ekel!“
„Besonders empfänglich für liebevolle Streicheleinheiten sind die Bereiche zwischen Hals und Ohrläppchen, der Nacken, und die Achselhöhlen!“ las Ulrike vor. Alle brüllten los vor Lachen.
„Was denn?“ fragte Biene.
„Die Achselhöhlen von Onkel Klaus!“ Monika japste nach Luft. „Da können sie auch genauso gut seine Füße erwähnen!“
Vom nächsten Pfannekuchen wanderte überhaupt nichts auf den Küchentisch.
„Petting ist eine zärtliche Entdeckungsreise auf dem Körper des Partners, sagt Doktor Sommer! – Bei diesem Jungen hier könnte ich mir das schon vorstellen!“ meinte Christiane.
„Was für ein Junge?“ fragte ich argwöhnisch.
„Junge des Jahres 72.“
„Er hat gerade einen ganzen ganzen Pfannkuchen genommen!“ petzte Monika.
Ich fragte nach, was es mit dem Jungen des Jahres auf sich hatte.
„Er muss süß sein, einem interessanten Hobby nachgehen und er darf keine Angst vor der Kamera haben!“ las Christiane vor.
Ich war neugierig geworden. „Und dann wird man abgedruckt? Mit Photo und so? Gib mal her!“
Und schon zeigte sich, dass sich meine Befürchtungen bewahrheiteten. Ich war zwar leidlich satt geworden, aber meine Autorität war im Arsch. Natürlich verschwand das Heft unterm Tisch. Und ich fasste beim Nachgreifen in das klebrige Apfelmus auf der Tischplatte.
 



 
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