Der Populist und ich - Folge 2 : Popliteratur

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Papiertiger

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"Warum schreibst du nicht mal Popliteratur“, frage ich den Populisten, „Drogenerfahrungen, ein überdrüssiger und zynischer Blick auf die Welt, eine extrem dünne Handlung, fertig“

„Gibt‘s dieses Genre überhaupt noch?“, entgegnet der Populist.

„Ich denke schon oder wie nennt sich das, was Ronja von Rönne so fabriziert?“

„Jugend hast du noch vergessen, das ist definitiv eine wichtige Zutat für erfolgreiche Popliteratur“, merkt der Populist an. „Das wurde ja schon bei Charlotte Roach kritisiert, würden solche Texte von einem vierzigjährigen Mauerblümchen stammen oder einer Siebzigjährigen mit tatsächlich bemerkenswerten Ansichten, dann würde so ein Buch keinen Verlag finden“

„Vorsichtig mit Sätzen über das Aussehen von Frauen!“, rate ich, „denk dran, Männer lesen eher selten Bücher, die Verlage widmen sich dem Massenmarkt und schielen auf die weibliche Leserschaft. Autoren wie Ken Follet wissen das – unglaublich sein Reingeschleime bei den Leserinnen in „Die Nadel“ - DAS ist literarischer Populismus!“

„Ja, Texte schreiben, die dann nicht gelesen werden ist nicht das Ziel“, denke ich und entgegne: „Aber nochmal zurück zu Frau von Rönne – gehören Adelstitel eigentlich auch zum Grundrepertoire der Popliteratur, von Stuckrad-Barre, von Storch? Aber ich schweife ab! Jedenfalls musste ich sehr lachen über die Szene in „Wir kommen“, indem die Ich-Erzählerin schildert, dass sie kurz davor ist Amazon-Top-Rezensentin zu werden. Das ist lustig! Und ist nicht genau das eine Form von Popliteratur, Kundenrezensionen?“

„Na ja, Pop kommt von Populär und bei Bewertungsportalen bekommt man die Stimme der Population, also der Bevölkerung ungefiltert mit. Und eine gut geschriebene Kritik oder ein fundierter Produkttest erfordern ein gewisses Maß an sprachlichem Feingefühl und Fleiß und man liest dort auch Meinungen aus nahezu allen Altersschichten und Berufen“, merkt der Populist an. „Das kann durchaus ein Anfang sein, um sich mit eigenen Texten an ein Publikum zu wenden. Im Gegensatz zu vielen Blogs und Einträgen in Sozialen Medien werden solche Beiträge sogar gelesen und man kann anhand der Klicks und Kommentare lernen, besser zu werden. Theoretisch zumindest. In der Praxis ist das Meiste dort natürlich unqualifizierter Müll aus der Orthographie- Hölle.“

„Also so wie unsere Kolumne hier?“, frage ich den Populisten.

„Siehst du, das unterscheidet Populisten von Idealisten und Realisten: ein Populist täuscht erfolgreich Selbstsicherheit vor und würde nie zugegeben, dass er zweifelt“, denkt der Populist und entgegnet: „Diese Kolumne ist ganz besonders. Sie ist großartig. Und was du von den Kundenrezensionen gelernt hast ist, dass du Texte viel zu leicht und zu schnell veröffentlichen kannst. Das lässt einen zur Nachlässigkeit neigen. Da wird nicht gründlich redigiert und nachgedacht, sondern vorschnell irgendwas raus gehauen. Als Populist sollte ich das im Grunde begrüßen, aber da wir Beide diese Rubrik betreuen, rate ich: Lass mal mehr Qualität in die Beiträge bringen, eine Pointe, einen roten Faden und diese Grundbedürfnisse der Leser.“

„Ich überlege mir immer mal wieder zuerst Ende, Mitte und Anfang einer Geschichte, konstruiere überraschende Wendepunkte, alles nach den zig Lehrbüchern, die ich teils sogar mehrfach gelesen habe. Dann beginne ich die Story zu schreiben, merke, dass ich keine realistischen Dialoge schreiben kann und viel lieber Geschichten konsumiere und über sie nachdenke als sie zu schreiben. „

Der Populist rollt mit den Augen. „Fake it until you make it! Dieses herumjammern ist eine Zumutung. So etwas will doch niemand lesen.“

„Und die Pointe dieser Episode unserer wundersamen Kolumne könnte sein, dass eben doch Leser bis zum Ende gelesen haben.“

„Ja, andere öffentlich scheitern zu sehen hat seinen Reiz“

„Aber wir scheitern ja nicht, wir sind bereits bei Folge 2 angelangt.“

„Machen wir während der siebten Staffel von Game of Thrones eigentlich weiter oder pausieren wir fürs erste?“

„Am besten guckst du weder die Serie noch liest du die Bücher, die Qualität von George R. R. Martins Geschichten schüchtert dich eh nur wieder ein und dann brauchst du wieder Monate bis du die das nächste Mal an einen Text herantraust. Mach jetzt einen Spaziergang, tanke Energie un...“

BING!

„Was war das?“, frage ich.

„Wir haben eine erste Reaktion auf unsere Serie erhalten. Mal sehen, was es ist.“

Mit diesem dramatischen Cliffhanger verabschieden wir Sie, liebe Leserinnen und Leser, vorerst. Wird fortgesetzt – wenn es das Volk wünscht.

PS: Definition „Volk“ wäre in diesem Fall mindestens eine Leserin oder ein Leser.
 
A

Alberta

Gast
[blue]PS: Definition „Volk“ wäre in diesem Fall mindestens eine Leserin oder ein Leser. [/blue]


Hier bin ich: Eine Leserin.
"Volk" möchte ich nicht sein. Ich bin auch nicht gerne Papst. Oder Weltmeister ...
Aber angetan, das bin ich gerne.
So wie von diesem Text, wuharrharr, mich hat`s amüsiert. Und das, obwohl ich Zahnschmerzen habe. Ergo: Muss ein guter Text sein. Oder ich heute so dankbar für jeden Hauch eines kleinwenig populistischen, hintergründigen Humors...
 



 
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