Der Rauchmelder

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lietzensee

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Der Rauchmelder​


Jetzt ist es also passiert. So schnell konnte ich gar nicht gucken. Ich habe einen Rauchmelder. Vorher war in meiner Wohnung alles so, wie ich es brauche. Ich hatte meine Möbel, meine Musik und die hohe Zimmerdecke mit Stuck, solide Arbeit aus der Gründerzeit, die ein Jahrhundert lang Ruhe und Verlässlichkeit ansammeln konnte. Die Stuckdecke ist natürlich immer noch da. Aber wenn ich jetzt auf meiner Wohnzimmercouch liege und die Klassiker höre, dann sehe ich über mir dieses Ding. Der Rauchmelder sitzt an meiner Decke wie eine weiße Spinne.

Es war ein Überfall gewesen. Auf diesen Überfall hatte ich den ganzen Vormittag gewartet und Angst bekommen, dass er gar nicht mehr passiert. Ich war nervös, denn auf dem Zettel stand zweiter Termin. Dabei verpasse ich nie einen ersten Termin. Dann stand der Monteur plötzlich auf seiner Leiter in meinem Flur. Er drückte die Bohrmaschine gegen die Decke. „Flur, Wohnraum, Schlafraum?“ Ich wusste nicht, was das heißen sollte und er fragte auch nicht mich. Eine Antwort kam aus dem Treppenhaus. Erst als er seine Leiter schon wieder durch die Tür zu ziehen versuchte, fragte ich, was ich nun tun sollte. Er drängte mir einen Kugelschreiber auf, damit ich etwas unterschrieb. Dann drückte er mir eine dünne Broschüre in die Hand. „Das wird alle Ihre Fragen beantworten.“

Die Broschüre hat aber keine Fragen beantwortet. Im Gegenteil! RM-680110, was soll dieser Gerätename denn bedeuten? Jetzt hängt das Ding über mir und ich habe keine Ahnung, was es wirklich tut – in meiner eigenen Wohnung. Das gibt einem zu denken. Mir gibt das so viel zu denken, dass ich zu fast nichts anderem mehr komme.

Die harmloseste Möglichkeit wäre noch, dass der Rauchmelder gar nichts tut, eine bloße Attrappe. Aber schon das wäre schrecklich. Dann liege ich Tag für Tag unter dem Gerät und frage mich, ob es nicht vielleicht doch irgend eine Funktion hat, vielleicht eine mit Zeitschaltuhr, die Wochen, Monate, Jahre später aktiviert wird. Wenn nie etwas passiert, werde ich diese Möglichkeit nie ausschließen können.

Die nächste Möglichkeit wäre deutlich beunruhigender. Vielleicht stimmt es, dass der Rauchmelder wirklich Alarm bei Rauch in der Wohnung schlägt. Ich will keinen Rauch in der Wohnung, aber woher kann ich wissen, dass das immer so bleiben wird? Und selbst wenn ich ungewollten Rauch in der Wohnung habe, will ich doch nicht automatisch, dass dieser Rauch gemeldet wird. Mal angenommen, es brennt in der Wohnung. Mein Laserdisc-Spieler fängt Feuer und stößt schwarzen Qualm aus. Natürlich muss ich gleich anfangen, zu löschen. Ich renne ins Bad, fülle einen Eimer, ich renne zurück. Nein, Wasser ist bei einem Elektrobrand schlecht. Ich suche nach Decken zum Ersticken der Flammen, renne ins Schlafzimmer, suche weiße Kissen zusammen, die ich über den schwarzen Rauch schichten kann. Und dann, in all er Aufregung, schlägt auf einmal der Rauchmelder Alarm. Mein kleines, privates, vielleicht fast schon gelöschtes Feuer wird plötzlich zu einer öffentlichen Angelegenheit. Fremde und Nachbarn werden in meine Wohnung hinein gerufen. Sie klingeln, glotzen, fragen ob alles OK ist. Dabei ist das Feuer noch nicht mal ganz gelöscht. Sie drängen sich in meine Wohnung genau dann, wenn es am schlechtesten passt.

Dass so ein Brand eintritt, wird durch den Rauchmelder ja eh viel wahrscheinlicher. Ich bin sehr vorsichtig, was die Brandgefahr betrifft. Ich prüfe regelmäßig, ob der Herd noch ausgeschaltet ist und mache Kontrollgänge durch alle Räume, nur um sicher zu sein. Aber nun soll ich glauben, dass an meiner Decke ein Gerät installiert ist, das diese Umsicht quasi ersetzt. Dann kann ich doch nicht mehr wachsam bleiben. Ich kenne mich. Das Gefühl, dass eine Arbeit wahrscheinlich schon erledigt wurde, raubt mir jede Motivation. Ich werde nachlässig werden - der ideale Nährboden für ein Feuer.

Die letzte Möglichkeit ist nicht die Wahrscheinlichste, aber natürlich ist sie die Entscheidende. Wenn der Rauchmelder an meiner Decke Rauch melden kann, warum soll er es dann dabei belassen? In diesem kantigen Gehäuse könnte alles drin sein. Kameras, Mikrofone, ein Erschütterungssensor, der weitermelden kann, wenn ich meine Tür zu fest zuschlage. Elektronik braucht heute keinen Platz mehr und kann alles. Ich habe darum mein Handy entsorgt und jetzt hängt über mir an der Decke ein ganzes Bündel fein kalibrierter Sensoren. Ihre Messreihen verknüpfen sich zu einem lückenlosen Bild meines Lebens.

Meine Wohnung ist nur dann meine Wohnung, wenn in der Wohnung bleibt, was ich in der Wohnung tue. Aber dieser Feuermelder ist ein Leck nach außen. Ich liege auf der Couch. Doch auf die Musik kann ich mich nicht mehr konzentrieren. Meine Gedanken werden immer wieder auf dieses Ding zurückgestoßen. Es weiß zu viel und vor allem kann ich nicht wissen, was genau es weiß. Der Rauchmelder muss weg. Er ist ja nur Plastik. Ein gut gezielter Schlag mit dem Besenstiel und er zersplittert in kleine Stücke. Die kann ich dann mit dem Staubsauger beseitigen.

Aber das wird nichts nutzen. Ich sehe doch, wie viel Scharfsinn in die Konstruktion dieses perfiden Geräts geflossen ist. Ich sehe die kleinen Gitter und Leuchtdioden. Ein Rauchmelder der etwas taugt, muss sicherstellen, dass er seine Aufgabe erfüllen kann. Also wird der Rauchmelder melden, wenn ich ihn zerstöre. Wenn bestimmte Kontakte unterbrochen werden, sendet er automatisch ein Signal. Er wird einen Todesschrei ausstoßen. Dann habe ich die Rauchmelder-Polizei am Hals. Die werden in die Wohnung eindringen. Was ist passiert mit Ihrem Rauchmelder? Was tun Sie hier?

Gar nichts“, muss ich dann lügen und mich rechtfertigen dafür, was ich in meiner eigenen Wohnung tue. Aber damit werden sie sich nicht zufriedengeben. Die Schweine! Ich habe das nachgelesen und es stimmt tatsächlich, dass Rauchmelder in Wohnräumen nun verpflichtend sind. Man muss in seiner Wohnung mit einem Rauchmelder leben. Aber ich werde das Ding loswerden. Ich kann in meiner Wohnung nämlich tun, was ich will und wenn ich anders den Rauchmelder nicht besiegen kann, dann zerschlage ich die Schränke in allen Zimmern. Auf die Bruchstücke schichte ich meine Kleider und gieße Rapsöl aus der Küche darüber. Irgendwo hab ich noch Streichhölzer. Ich brenne die Wohnung nieder.
 
Hallo lietzensee,

klingt ein bisschen paranoid, aber okay ... Wer Fantasie hat, mag sich vieles vorstellen können, wenn ein Fremder diese Dinger in der Wohnung installiert.
Wir haben in unserem Haus gar neun Stück davon. Da ich sie selbst angebracht habe, weiß ich, dass sie weder Kamera noch Mikrofon haben. :cool:

Nette Geschichte, handwerklich einwandfrei.

Schöne Grüße,
Rainer Zufall
 
Es ist nicht nur handwerklich gut, lietzensee, sondern auch originell: eine Geschichte, die sich nur im Kopf des Erzählers abspielt und die bis auf den Monteur zu Beginn keine weiteren Personen aufweist. Und dennoch langweilt es nicht, sondern der Leser fragt sich laufend: Mein Gott, worauf wird er denn noch verfallen? Dabei weisen seine fixen Ideen eine allmähliche Steigerung auf. Ich bin zu wenig mit der Gattung Kurzgeschichte vertraut, als dass ich beurteilen könnte, ob es da gelegentlich strukturell Vergleichbares gibt - vermutlich ja -, aber im Rahmen der LL-Kurzgeschichten wirkt derText hier geradezu innovativ.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 

hein

Mitglied
Hallo @lietzensee ,

für Dein Problem gibt es eine ganz einfache Lösung: Bauschaum!

Einfach einen ordentlichen Batzen draufschäumen und den Haufen spiralförmig auslaufen lassen. Das Ganze dann dezent mit brauner Farbe ansprühen. Jetzt sieht es aus wie ein Haufen Kacke, der an der Decke hängt und Dir jeden Moment auf den Kopf fallen kann.

Diese real wirkende Bedrohung ist doch viel besser einzuschätzen als das Geheimnisvolle Innere des Feuermelders.

LG
hein
 

lietzensee

Mitglied
Vielen Dank für Eure Kommentare,
es freut mich sehr, wenn Euch die Geschichte gefallen hat!


für Dein Problem gibt es eine ganz einfache Lösung: Bauschaum!
So einfach ist das leider nicht. Der Rauchmelder ist mit Ultraschallsensoren zur Abstandskontrolle ausgestattet. Wenn die im Umkreis von 50 cm etwas finden, dann gibt es Alarm (Leiser Warnton, 2 mal alle 10 Minuten; LED blinkt, 2 mal alle 30 Sekunden)
 
G

Gelöschtes Mitglied 21924

Gast
@lietzensee: ... und das verdammte Blinken darf man in schlaflosen Nächten die ganze Zeit anstarren. Ich weiß übrigens auch, was das Dingen macht, wenn man Reibekuchen in der Küche brät. Das schrillt. Also Besenstil aus dem Schrank geholt, mittig auf den Knopf gedrückt und ausdieMaus.
Jetzt brate ich nur noch bei weit geöffneten Fenstern. Im eisigen Winter. Weil mir vorm Herd erfrieren besser gefällt, als eine heranrückende Feuerwehr.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Auch wenn das Thema noch so vergnüglich ist: Bitte bei der Textarbeit bleiben und keine allgemeinen Empfehlungen und Erfahrungen mitteilen!

@lietzensee:

Die "Verzweiflung" des Prot kommt gut rüber!
 



 
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