Der realistischste Kriminalfall aller Zeiten

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Papiertiger

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10.00 Uhr. Mein Lichtwecker „klingelt“, also Meeresrauschen und ein ganz sanft heller werdendes Licht erstrahlt mein Schlafzimmer. Mist. Ich hatte eigentlich den Modus Marlowe einstellen wollen: Sounds von knarzendem Parkett, flackerndes Licht wie von einer defekten Lampe, und nun das hier. Na ja.

Ich schlurfe in die Küche nachdem ich die Tageszeitung aus der Rolle gefischt habe. „Wirecard-Betrug aufgeflogen. Wer ist der geheimnisvolle Superermittler?“ titelte die Presse. Ich schmunzle und denke zurück an den entscheidenden Moment. Markus Braun und Jan Marsalek standen in der Bar des luxuriösen Hotels als sie detailliert ihre kriminellen Pläne erörterten. Sie waren so vertieft. Es fiel ihnen nicht auf, dass ich auf dem Balkon stand, mein Nikotinkaugummi aus der Tasche meines Trenchcoats fischend, eine Dose mit klebrigem Energydrink in der einen, eine Wurstsemmel, von der süßer Senf gefährlich weit in Richtung meines Outfits rann. Eines kam zum anderen, die Dose schwankte wild hin und her, ich versuchte sie zu retten, ich stolperte, ich würde gleich, ja ganz bestimmt gleich, vom Balkon fallen. Ein lautes „Hiiiiilfe!“ schoss aus meinem zuckrig klebrigen Mundwinkel. Was zur Folge hatte das meine Zigarette hinabfiel, nicht ohne noch die auf den Balkon wehende Gardine in Brand zu setzen. Sie brannte wie Zunder, was daran liegen könnte, dass ich kurz zuvor eine halbe Flasche Whiskey und drei Cocktails vom Tablett der Bedienung in Richtung Gardine gezimmert hatte als ich etwas zu energisch einer bezaubernden Blondine gestenreich von einem meiner alten Fälle berichtete. Feuerwehr und Polizei waren rasch beim Hotel. Die beiden Herren Großunternehmer dachten es wäre wegen ihnen. Einen Tag später traten sie vor die Presse und teilten mit, dass sie sich in ihrer Bilanz um eine Milliardensumme verrechnet hatten.

Dienstag.

Ich stehe in einem gigantischen Herrenhaus. Ein 92-jähriger Starinvestor liegt tot auf dem Teppich. Daneben ist die Leiche einer 24-jährigen Studentin. Das tragische. Beide sind auf natürliche Weise gestorben. Der eine aufgrund seines hohen Alters. Die Frau an einer übersehenen Krankheit. Was mache ich denn nun? Ich blicke nachdenklich. Dann vereinbare ich das Honorar und etwas Bedenkzeit.

Mittwoch.

Hmm. Ich stehe in meinem Morgenmantel in meiner Bibliothek. Eine Regalwand von den Besten. Sir Arthur Conan Doyle. Agatha Christie. Kommissar Rex. 00 Schneider. Ich greife zu einem in Leder gebundenen Buch von Karl May, puste den Staub von dem schön bibliophil gestalteten Prachtband und beginne zu lesen.

Donnerstag.

Meine hanebüchene Story sorgt für bass erstaunte Gesichter. „Da wäre ich im Leben nicht drauf gekommen“ ruft ein Mann mit Smoking und Einstecktuch. „Sie sind einfach der Beste“ ruft die Menge begleitet von tosendem Erfolg. Ach, was. Eine ganz normale Vier-Tage-Woche für mich. Zufrieden steige ich in meinen Fiat Uno und die winkenden Zuschauer blicken mir wehmütig hinterher bis sie nur noch meine Silhouette in der rot-lila untergehenden Abendsonne erblicken.
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Papiertiger,

ich hoffe, Du hattest viel Spaß beim Schreiben!
Ich fands' lustig.
Erinnert ein bisschen an Austin Powers ... warum nicht.

Liebe Grüße
Petra
 



 
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