H
HFleiss
Gast
Es war eines der Häuser, denen man ansieht, dass sie bis auf den letzten Ziegelstein ausgedient haben.
Das Haus hatte hier in dieser Gegend nichts zu suchen, es war ebenerdig, mit kleinem, verwildertem Gartengrundstück und lag inmitten einer Beamtenwohnsiedlung aus den zwanziger Jahren, die man erst kürzlich saniert hatte. Das Dach war eingefallen, schwarz stachen die Sparren in das Geäst des abgestorbenen Ahornbaumes, durch die Fensterhöhle zur Straße blickte man im Vorbeigehen in ein Wohnzimmer mit ehemals bunten Tapeten, die verschmutzt und zerfetzt von den Wänden hingen. Es war nicht ausgebrannt, wie ich nach meinem ersten Eindruck vermutete, nein, die Zeit hatte das Haus getötet wie etwas Lebendes, der Atem war ihm ausgegangen, und es war wie ein leerer Blasebalg in sich zusammengefallen. Es war ein Fremdkörper in unserem Wohnviertel, ein trauriger, der Rest einer Zeit, die wohl in die Kindheit meiner Eltern fiel. Es lag auf einer Anhöhe, ausgetretene Stufen führten zum Haus hinauf, dorthin, wo man den Eingang vermuten konnte. Der Drahtzaun um den Garten aber war erst wenige Jahre alt, so die Verfallenheit des Gebäudes wie zum Hohn betonend. Jeder fragte sich, weshalb die Stadt diesen Schandfleck nicht abreißen ließ.
Sooft ich an diesem Gemäuer vorbei ging, reizte es mich, den Garten zu betreten, die drei Stufen hinaufzugehen und von nahem zu betrachten, was blieb von vergangenem Leben. Ich wohnte schon zwei Jahre in dieser Gegend, als ich eines regnerischen Nachmittags, ich begegnete nur wenigen Leuten auf der Straße, mir ein Herz fasste, den an einer verborgenen Stelle herabgedrückten Zaun überstieg und mit unsicherem Schritt die drei Stufen betrat. Der sandige Mörtel knirschte unter meinen Schritten. Es war Juli, das nasse Grün des Gartens verhüllte mitleidig die Trauer des Ortes.
Es war ein kleines, schmuckloses Haus: ein Wohnzimmer mit großem Fenster, eine bescheiden große Küche, denn ein altertümlicher Kochherd, dem die Ringe über dem Feuerloch fehlten, drückte sich an eine Wand, linker Hand ein winziges Zimmer, das als Schlafzimmer gedient haben musste, und ein schmaler Raum, von dem ich glaubte, dass es einst der Flur war. Es roch nach Moder und feuchtem Mörtel, die Dielen waren von Insekten zerfressen oder herausgerissen, ich musste achten, worauf ich meine Füße setzte. Plötzlich stutzte ich. Seltsam, eine guterhaltene Tür verschloss ein Kellergelass. Ich rüttelte am Vorhängeschloss. Vergebens, das Schloss war neu, öffnen ließ es sich nur mit einem Schlüssel. Das Haus gehörte also jemandem, es wurde benutzt.
Ich war in ein fremdes Haus eingedrungen! Panik ergriff mich. Ich stürzte die Stufen hinab, verfing mich mit dem Fuß an dem herabgedrückten Zaun und war froh, als ich endlich auf der Straße stand. Verstohlen blickte ich mich um: Hatte mich jemand aus der Ruine kommen sehen? Ein älterer Mann mit Einkaufsbeutel kam mir entgegen, er blickte nicht hoch, als er an mir vorüberging. Ich atmete auf, alles war gut, niemand, so hoffte ich, war aufmerksam geworden.
Am selben Abend noch wurde ich aus meiner Wohnung gekidnappt.
Wohin mich die beiden Männer geschleppt hatten, konnte ich nicht herausfinden. Der Raum war eng, zweimal ein Meter, fensterlos, durch die Spalten des Bretterverschlags, der als Tür diente, fiel Licht. Sie hatten mir Hände und Füße gefesselt. Aber mein Mund war frei. Ich befand mich in einem Zustand, den ich in Freiheit als Trance bezeichnet hätte. Ein bittersüßlicher Geschmack lag mir auf der Zunge. Nach und nach wurde mir klar, dass ich betäubt worden war, ehe man mich hierhin gebracht hatte.
Wie spät war es? War es noch Nacht oder bereits Tag? Ich saß in die Ecke gepresst und konnte mich nicht rühren. Ich ließ mich auf die Seite fallen. Ein spitzer Schmerz in der Schulter, als ich auf sie fiel, ich unterdrückte ein Stöhnen. Mit äußerster Anstrengung robbte ich mich näher an die Tür, ich musste wissen, wo ich mich befand. Es gelang mir, meinen Kopf einem der Spalte in der Tür zu nähern.
Es war ein hellerleuchteter Raum. Das Auge schmerzte, nur langsam gewöhnte ich mich an das Licht. Der Raum war riesig, soviel konnte ich ausmachen, auch er fensterlos. In der Nähe meines Verschlages stand hüfthoch ein dunkelmetallenes Gerät, eine Maschine, ein Drehstuhl davor.
Gedämpft ertönten plötzlich Stimmen, Männerstimmen. Sie näherten sich meinem Verlies. So schnell es ging, robbte ich zurück, wieder in meine Ecke. Ich stellte mich schlafend.
Die Tür wurde aufgerissen. Schritte näherten sich mir. Eine Hand machte sich an meinen Beinen zu schaffen, die Fessel wurde gelöst. Der Mann schnaufte, er roch nach Bier und Zigarettenrauch. Er klatschte mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Ich tat, als würde ich soeben erst zu mir kommen.
„Hoch!“
Mühsam stützte ich mich mit dem Rücken an der Wand ab, ich schob mich an ihr hoch, bis ich stand.
„Mitkommen!“
Der erste Schritt ging ins Nichts. Ich stürzte. Diesmal unterdrückte ich den Schrei nicht, als ich auf die Schulter fiel. Der Mann riss mich hoch, bis ich wieder stand. Er umklammerte meinen Arm und gab mir einen Stoß in den Rücken. „Los! Vorwärts!“
Der Raum war gleißend hell wie tausend Sonnen. Ich blieb stehen, die Augen schmerzten. „Weitergehen!“ Wieder ein Stoß in den Rücken.
Es war ein noch junger Mann, höchstens Dreißig. Gut gebaut, elastischer Schritt. Er trug einen blauen Overall wie unser Hausmeister.
Ein älterer Mann in dem gleichen blauen Overall, er ähnelte meinem Schwager mit seinem gepflegten grauen Haar und dem leichten Bauchansatz, kam uns entgegen. Er nahm mich in Empfang. Wortlos ging er neben mir hier. Überall standen Maschinen herum, der Raum war damit angefüllt. Ich rätselte: Wozu mochten sie dienen? Endlich hatten wir den riesigen Raum durchschritten und blieben vor einer eisernen grauen Tür mit großen Riegeln stehen. Ich kannte solche Türen aus den Luftschutzkellern meiner Kindheit.
Mein Begleiter führte eine Karte in einen Schlitz rechts neben der Tür ein. Die Riegel bewegten sich, die Tür öffnete sich einen Spalt.
„Stufe, Achtung!“
Der Raum war leer bis auf einen Schreibtisch in der Mitte, an dem eine Tischlampe brannte. Dahinter erkannte ich ein Gesicht, durch das Spiel von Licht und Schatten ähnelte es einem Totenkopf.
„Treten Sie näher, setzen Sie sich!“ Die Stimme klang herrisch.
Jetzt erst sah ich den Holzstuhl vor dem Schreibtisch. Misstrauisch nahm ich umständlich Platz. Hinter mir schloss sich die Metalltür.
„Wie fühlen Sie sich?“
Ich antwortete nicht. Ich versuchte das Gesicht zu erkennen. Der Mann merkte es und rückte vom Schreibtisch ab, in das dahinter liegende Dunkel.
„Es geht“, sagte ich. Meine Stimme klang fremd, ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ich in meiner Situation überhaupt eine Antwort geben könnte.
„Margitta Schönemann, Sie sind einundvierzig Jahre alt, geschieden, die beiden Söhne im Ausland, der ältere Kapstadt, der jüngere London. Ist das richtig?“
Ich nickte. „Sie wissen Bescheid“, wagte ich zu sagen.
„Was tun sie dort?“
Ich zögerte mit der Antwort. Ich rückte mich auf dem Stuhl zurecht, um Zeit zu gewinnen.
„Antworten Sie!“
„Sie wissen es doch, warum fragen Sie?“
„Wir wissen, dass der Jüngere in London studiert, Hochfrequenztechnologie. Was studiert der Ältere?“
„Finden Sie es heraus.“
„Sie haben zu antworten. Sonst muss ich andere Seiten aufziehen.“
„Was für andere Seiten?“
„Wir können Ihre Söhne holen. Falls Ihnen das lieber ist.“
„Sie wissen es doch, was er studiert: Jura!“
„Warum nicht gleich so.“ Der Mann beugte sich wieder vor und suchte etwas aus den vor ihm liegenden Papieren heraus. Er hielt ein Blatt in der Hand und las ab: „Der geschiedene Ehemann lebt in den USA, Connecticut. Was tut er dort, wovon lebt er?“
„Mir nicht bekannt. Warum halten Sie mich hier fest? Was habe ich getan? Wer sind Sie überhaupt?“
Der Mann antwortete nicht. Plötzlich dreht er die Lampe in meine Richtung. Geblendet senkte ich den Kopf.
„Sie haben hier nichts zu fragen.“
„Werden Sie Lösegeld verlangen?“
Der Mann fixierte mich, spürte ich, obwohl ich ihn nicht erkennen konnte.
„Oder werden Sie mich ... töten?“
Er schwieg. Minutenlang blätterte er dann in seinen Papieren. Plötzlich prallte seine Hand auf die Tischplatte. Er erhob sich.
„Werden Sie wegziehen?“
Die Frage kam unverhofft. „Warum? Ich bin erst vor zwei Jahren hierher gezogen. Sagen Sie mir den Grund, weshalb ich wegziehen sollte.“
„Wir finden Sie, verlassen Sie sich darauf.“
„Dann finden Sie mich eben. Mehr als töten können Sie mich nicht, Sie ... Sie Zwerg Nase.“ Woher ich in diesem Moment meinen Mut genommen hatte, konnte ich mir später nicht erklären.
„Und keine Polizei. Verstanden?“
Der Mann, er war älter, als ich ihn mir vorgestellt hatte, erhob sich und ging zur Tür. Sie öffnete sich wie von Geisterhand.
Der jüngere, elastische Mann nahm mich in Empfang und führte mich wieder durch den Riesenraum. Ein paar Männer in blauen Overalls saßen jetzt an den Maschinen, es piepste und ratterte leise. Niemand drehte sich nach mir um.
Als ich zu mir kam, lag ich in einer Sandkuhle. Meine Hände waren nicht mehr gefesselt, nur die Schulter schmerzte noch. Es zirpte rings um mich herum. Es war ein brach liegendes Feld vor der Stadt, heller Tag, Glockenläuten, irgendwo in der Ferne krähte ein Hahn. Eine magere Spinne kroch auf mich zu, ich erhob mich. Über mir kreiste ein Greif, ein Roter Milan. Jetzt stürzte er herab. Vielleicht hatte er ein Kaninchen ausgemacht.
Ich stapfte über das Feld und versuchte, meine Gedanken zu sammeln und mir über das Vergangene klar zu werden: Man hatte mich gekidnappt und dann in ein Gebäude ohne Fenster verschleppt, vielleicht ein unterirdisches Gebäude? Jemand, der sich nicht vorgestellt hatte, verhörte mich. Wozu wollte er wissen, wo meine Jungen waren und was sie studierten? Eine Bestätigung? Wozu? Und warum fragten sie mich nach meinem geschiedenen Mann? Das Erlebte war rätselhaft, ich suchte nach einem Sinn. Erst als ich die Frage nach dem Lösegeld stellte, ließ der Verhörer von mir ab. Worin bestand der Zusammenhang? Ich hatte mir nichts vorzuwerfen, ich war eine unauffällige Bürgerin, niemals mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ich war auch nicht vermögend – wer also wollte was von mir erfahren? Vor allem: Was? Die Angst um die Jungen begann mich zu überwältigen, ich wimmerte, ich stolperte und fiel auf die Knie, mit der Faust schlug ich auf die Erde, bis es schmerzte. Als hätte man mich ertappt. Wobei ertappt? Mir war, als folgten mir Augen, wohin ich auch gehen würde.
Das nahe Dorf, in das ich mich dann schleppte, kannte ich von früheren Ausflügen mit den Jungen. Sogar daran hatten sie gedacht. Zur Bahn waren es mehr als fünf Kilometer. Natürlich hatte ich keine Fahrkarte. Ich war sicher, erklären konnte ich mir meine Sicherheit jedoch nicht, dass ich nicht in eine Kontrolle kommen würde.
Anderntags, ich wollte nach einer unruhig verlaufenen Nacht zur Polizei gehen und meine Entführung anzeigen, führte mich mein Weg wieder an dem verfallenen Haus vorbei. Schon von weitem sah ich den Bagger. Er war dabei, das brüchige Gemäuer abzureißen. Soeben griff das Baggermaul nach der Wohnzimmerwand mit der großen Fensterhöhle und schwang seine Last über die Straße. Der Bagger verhielt einen Moment und öffnete dann die Greifer. Scheppernd rutschte und knallte das Gestein in den Kipper, eine Staubwolke wirbelte auf. Das Grün des verwilderten Gartens hatte sich weiß gefärbt.
Auf der anderen Straßenseite stand ein jüngerer Mann. Gelangweilt sah er den Abrissarbeiten zu. Sein Overall hob sich blau vor der weißen Hauswand ab.
Das Haus hatte hier in dieser Gegend nichts zu suchen, es war ebenerdig, mit kleinem, verwildertem Gartengrundstück und lag inmitten einer Beamtenwohnsiedlung aus den zwanziger Jahren, die man erst kürzlich saniert hatte. Das Dach war eingefallen, schwarz stachen die Sparren in das Geäst des abgestorbenen Ahornbaumes, durch die Fensterhöhle zur Straße blickte man im Vorbeigehen in ein Wohnzimmer mit ehemals bunten Tapeten, die verschmutzt und zerfetzt von den Wänden hingen. Es war nicht ausgebrannt, wie ich nach meinem ersten Eindruck vermutete, nein, die Zeit hatte das Haus getötet wie etwas Lebendes, der Atem war ihm ausgegangen, und es war wie ein leerer Blasebalg in sich zusammengefallen. Es war ein Fremdkörper in unserem Wohnviertel, ein trauriger, der Rest einer Zeit, die wohl in die Kindheit meiner Eltern fiel. Es lag auf einer Anhöhe, ausgetretene Stufen führten zum Haus hinauf, dorthin, wo man den Eingang vermuten konnte. Der Drahtzaun um den Garten aber war erst wenige Jahre alt, so die Verfallenheit des Gebäudes wie zum Hohn betonend. Jeder fragte sich, weshalb die Stadt diesen Schandfleck nicht abreißen ließ.
Sooft ich an diesem Gemäuer vorbei ging, reizte es mich, den Garten zu betreten, die drei Stufen hinaufzugehen und von nahem zu betrachten, was blieb von vergangenem Leben. Ich wohnte schon zwei Jahre in dieser Gegend, als ich eines regnerischen Nachmittags, ich begegnete nur wenigen Leuten auf der Straße, mir ein Herz fasste, den an einer verborgenen Stelle herabgedrückten Zaun überstieg und mit unsicherem Schritt die drei Stufen betrat. Der sandige Mörtel knirschte unter meinen Schritten. Es war Juli, das nasse Grün des Gartens verhüllte mitleidig die Trauer des Ortes.
Es war ein kleines, schmuckloses Haus: ein Wohnzimmer mit großem Fenster, eine bescheiden große Küche, denn ein altertümlicher Kochherd, dem die Ringe über dem Feuerloch fehlten, drückte sich an eine Wand, linker Hand ein winziges Zimmer, das als Schlafzimmer gedient haben musste, und ein schmaler Raum, von dem ich glaubte, dass es einst der Flur war. Es roch nach Moder und feuchtem Mörtel, die Dielen waren von Insekten zerfressen oder herausgerissen, ich musste achten, worauf ich meine Füße setzte. Plötzlich stutzte ich. Seltsam, eine guterhaltene Tür verschloss ein Kellergelass. Ich rüttelte am Vorhängeschloss. Vergebens, das Schloss war neu, öffnen ließ es sich nur mit einem Schlüssel. Das Haus gehörte also jemandem, es wurde benutzt.
Ich war in ein fremdes Haus eingedrungen! Panik ergriff mich. Ich stürzte die Stufen hinab, verfing mich mit dem Fuß an dem herabgedrückten Zaun und war froh, als ich endlich auf der Straße stand. Verstohlen blickte ich mich um: Hatte mich jemand aus der Ruine kommen sehen? Ein älterer Mann mit Einkaufsbeutel kam mir entgegen, er blickte nicht hoch, als er an mir vorüberging. Ich atmete auf, alles war gut, niemand, so hoffte ich, war aufmerksam geworden.
Am selben Abend noch wurde ich aus meiner Wohnung gekidnappt.
Wohin mich die beiden Männer geschleppt hatten, konnte ich nicht herausfinden. Der Raum war eng, zweimal ein Meter, fensterlos, durch die Spalten des Bretterverschlags, der als Tür diente, fiel Licht. Sie hatten mir Hände und Füße gefesselt. Aber mein Mund war frei. Ich befand mich in einem Zustand, den ich in Freiheit als Trance bezeichnet hätte. Ein bittersüßlicher Geschmack lag mir auf der Zunge. Nach und nach wurde mir klar, dass ich betäubt worden war, ehe man mich hierhin gebracht hatte.
Wie spät war es? War es noch Nacht oder bereits Tag? Ich saß in die Ecke gepresst und konnte mich nicht rühren. Ich ließ mich auf die Seite fallen. Ein spitzer Schmerz in der Schulter, als ich auf sie fiel, ich unterdrückte ein Stöhnen. Mit äußerster Anstrengung robbte ich mich näher an die Tür, ich musste wissen, wo ich mich befand. Es gelang mir, meinen Kopf einem der Spalte in der Tür zu nähern.
Es war ein hellerleuchteter Raum. Das Auge schmerzte, nur langsam gewöhnte ich mich an das Licht. Der Raum war riesig, soviel konnte ich ausmachen, auch er fensterlos. In der Nähe meines Verschlages stand hüfthoch ein dunkelmetallenes Gerät, eine Maschine, ein Drehstuhl davor.
Gedämpft ertönten plötzlich Stimmen, Männerstimmen. Sie näherten sich meinem Verlies. So schnell es ging, robbte ich zurück, wieder in meine Ecke. Ich stellte mich schlafend.
Die Tür wurde aufgerissen. Schritte näherten sich mir. Eine Hand machte sich an meinen Beinen zu schaffen, die Fessel wurde gelöst. Der Mann schnaufte, er roch nach Bier und Zigarettenrauch. Er klatschte mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Ich tat, als würde ich soeben erst zu mir kommen.
„Hoch!“
Mühsam stützte ich mich mit dem Rücken an der Wand ab, ich schob mich an ihr hoch, bis ich stand.
„Mitkommen!“
Der erste Schritt ging ins Nichts. Ich stürzte. Diesmal unterdrückte ich den Schrei nicht, als ich auf die Schulter fiel. Der Mann riss mich hoch, bis ich wieder stand. Er umklammerte meinen Arm und gab mir einen Stoß in den Rücken. „Los! Vorwärts!“
Der Raum war gleißend hell wie tausend Sonnen. Ich blieb stehen, die Augen schmerzten. „Weitergehen!“ Wieder ein Stoß in den Rücken.
Es war ein noch junger Mann, höchstens Dreißig. Gut gebaut, elastischer Schritt. Er trug einen blauen Overall wie unser Hausmeister.
Ein älterer Mann in dem gleichen blauen Overall, er ähnelte meinem Schwager mit seinem gepflegten grauen Haar und dem leichten Bauchansatz, kam uns entgegen. Er nahm mich in Empfang. Wortlos ging er neben mir hier. Überall standen Maschinen herum, der Raum war damit angefüllt. Ich rätselte: Wozu mochten sie dienen? Endlich hatten wir den riesigen Raum durchschritten und blieben vor einer eisernen grauen Tür mit großen Riegeln stehen. Ich kannte solche Türen aus den Luftschutzkellern meiner Kindheit.
Mein Begleiter führte eine Karte in einen Schlitz rechts neben der Tür ein. Die Riegel bewegten sich, die Tür öffnete sich einen Spalt.
„Stufe, Achtung!“
Der Raum war leer bis auf einen Schreibtisch in der Mitte, an dem eine Tischlampe brannte. Dahinter erkannte ich ein Gesicht, durch das Spiel von Licht und Schatten ähnelte es einem Totenkopf.
„Treten Sie näher, setzen Sie sich!“ Die Stimme klang herrisch.
Jetzt erst sah ich den Holzstuhl vor dem Schreibtisch. Misstrauisch nahm ich umständlich Platz. Hinter mir schloss sich die Metalltür.
„Wie fühlen Sie sich?“
Ich antwortete nicht. Ich versuchte das Gesicht zu erkennen. Der Mann merkte es und rückte vom Schreibtisch ab, in das dahinter liegende Dunkel.
„Es geht“, sagte ich. Meine Stimme klang fremd, ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ich in meiner Situation überhaupt eine Antwort geben könnte.
„Margitta Schönemann, Sie sind einundvierzig Jahre alt, geschieden, die beiden Söhne im Ausland, der ältere Kapstadt, der jüngere London. Ist das richtig?“
Ich nickte. „Sie wissen Bescheid“, wagte ich zu sagen.
„Was tun sie dort?“
Ich zögerte mit der Antwort. Ich rückte mich auf dem Stuhl zurecht, um Zeit zu gewinnen.
„Antworten Sie!“
„Sie wissen es doch, warum fragen Sie?“
„Wir wissen, dass der Jüngere in London studiert, Hochfrequenztechnologie. Was studiert der Ältere?“
„Finden Sie es heraus.“
„Sie haben zu antworten. Sonst muss ich andere Seiten aufziehen.“
„Was für andere Seiten?“
„Wir können Ihre Söhne holen. Falls Ihnen das lieber ist.“
„Sie wissen es doch, was er studiert: Jura!“
„Warum nicht gleich so.“ Der Mann beugte sich wieder vor und suchte etwas aus den vor ihm liegenden Papieren heraus. Er hielt ein Blatt in der Hand und las ab: „Der geschiedene Ehemann lebt in den USA, Connecticut. Was tut er dort, wovon lebt er?“
„Mir nicht bekannt. Warum halten Sie mich hier fest? Was habe ich getan? Wer sind Sie überhaupt?“
Der Mann antwortete nicht. Plötzlich dreht er die Lampe in meine Richtung. Geblendet senkte ich den Kopf.
„Sie haben hier nichts zu fragen.“
„Werden Sie Lösegeld verlangen?“
Der Mann fixierte mich, spürte ich, obwohl ich ihn nicht erkennen konnte.
„Oder werden Sie mich ... töten?“
Er schwieg. Minutenlang blätterte er dann in seinen Papieren. Plötzlich prallte seine Hand auf die Tischplatte. Er erhob sich.
„Werden Sie wegziehen?“
Die Frage kam unverhofft. „Warum? Ich bin erst vor zwei Jahren hierher gezogen. Sagen Sie mir den Grund, weshalb ich wegziehen sollte.“
„Wir finden Sie, verlassen Sie sich darauf.“
„Dann finden Sie mich eben. Mehr als töten können Sie mich nicht, Sie ... Sie Zwerg Nase.“ Woher ich in diesem Moment meinen Mut genommen hatte, konnte ich mir später nicht erklären.
„Und keine Polizei. Verstanden?“
Der Mann, er war älter, als ich ihn mir vorgestellt hatte, erhob sich und ging zur Tür. Sie öffnete sich wie von Geisterhand.
Der jüngere, elastische Mann nahm mich in Empfang und führte mich wieder durch den Riesenraum. Ein paar Männer in blauen Overalls saßen jetzt an den Maschinen, es piepste und ratterte leise. Niemand drehte sich nach mir um.
Als ich zu mir kam, lag ich in einer Sandkuhle. Meine Hände waren nicht mehr gefesselt, nur die Schulter schmerzte noch. Es zirpte rings um mich herum. Es war ein brach liegendes Feld vor der Stadt, heller Tag, Glockenläuten, irgendwo in der Ferne krähte ein Hahn. Eine magere Spinne kroch auf mich zu, ich erhob mich. Über mir kreiste ein Greif, ein Roter Milan. Jetzt stürzte er herab. Vielleicht hatte er ein Kaninchen ausgemacht.
Ich stapfte über das Feld und versuchte, meine Gedanken zu sammeln und mir über das Vergangene klar zu werden: Man hatte mich gekidnappt und dann in ein Gebäude ohne Fenster verschleppt, vielleicht ein unterirdisches Gebäude? Jemand, der sich nicht vorgestellt hatte, verhörte mich. Wozu wollte er wissen, wo meine Jungen waren und was sie studierten? Eine Bestätigung? Wozu? Und warum fragten sie mich nach meinem geschiedenen Mann? Das Erlebte war rätselhaft, ich suchte nach einem Sinn. Erst als ich die Frage nach dem Lösegeld stellte, ließ der Verhörer von mir ab. Worin bestand der Zusammenhang? Ich hatte mir nichts vorzuwerfen, ich war eine unauffällige Bürgerin, niemals mit dem Gesetz in Konflikt geraten, ich war auch nicht vermögend – wer also wollte was von mir erfahren? Vor allem: Was? Die Angst um die Jungen begann mich zu überwältigen, ich wimmerte, ich stolperte und fiel auf die Knie, mit der Faust schlug ich auf die Erde, bis es schmerzte. Als hätte man mich ertappt. Wobei ertappt? Mir war, als folgten mir Augen, wohin ich auch gehen würde.
Das nahe Dorf, in das ich mich dann schleppte, kannte ich von früheren Ausflügen mit den Jungen. Sogar daran hatten sie gedacht. Zur Bahn waren es mehr als fünf Kilometer. Natürlich hatte ich keine Fahrkarte. Ich war sicher, erklären konnte ich mir meine Sicherheit jedoch nicht, dass ich nicht in eine Kontrolle kommen würde.
Anderntags, ich wollte nach einer unruhig verlaufenen Nacht zur Polizei gehen und meine Entführung anzeigen, führte mich mein Weg wieder an dem verfallenen Haus vorbei. Schon von weitem sah ich den Bagger. Er war dabei, das brüchige Gemäuer abzureißen. Soeben griff das Baggermaul nach der Wohnzimmerwand mit der großen Fensterhöhle und schwang seine Last über die Straße. Der Bagger verhielt einen Moment und öffnete dann die Greifer. Scheppernd rutschte und knallte das Gestein in den Kipper, eine Staubwolke wirbelte auf. Das Grün des verwilderten Gartens hatte sich weiß gefärbt.
Auf der anderen Straßenseite stand ein jüngerer Mann. Gelangweilt sah er den Abrissarbeiten zu. Sein Overall hob sich blau vor der weißen Hauswand ab.