Der Schutzengel namens ‘EngelBert‘ an der ScheinBAR

Hagen

Mitglied
Der Schutzengel namens ‘EngelBert‘ an der ScheinBAR

„Ich möchte gerne“, sprach die Wunderbare Ulrike beim Kaffee, „heute Abend für uns Coq au vin machen.“ Sie nahm noch einen Schluck Kaffee und fuhr fort: „Leider fehlt mir dazu noch etwas Thymian. Bist du so nett und besorgst das mal eben, während ich schon mal ein Wenig vorbereite? Wir wollen’s ja perfekt machen.“
„Selbstverständlich machen wir das perfekt“, meinte ich, „wie alles, was du machst perfekt ist.“
Ich zog mir die Jacke an. „Übrigens habe ich heute Nacht wieder einen Cocktail kreiert“, meinte ich dabei. „Er sieht zwar furchtbar aus, schmeckt aber ganz gut. Jetzt fehlt mir nur noch ein Name dafür. Können wir uns heute nach dem Coq au vin mal an unserer ScheinBAR Gedanken darüber machen?“
„Natürlich. – Und bring‘ mir nicht wieder Schokolade mit! Jedes Mal wenn du einkaufst, bringst du mir Schokolade, Blumen und Sekt mit. Wir haben von allem mittlerweile genug, ich komme gar nicht gegen an. Wenn ich das alles esse, werde rund wie eine Trommel! – Einfach nur ein Sträußchen Thymian!“
„Natürlich. Aber einer schönen Frau bringt ein liebender Mann doch Schokolade, Blumen und Sekt mit wenn er einkauft.“
„Nein!“
„Okay, nichts dergleichen. – Aber Zigaretten möchte ich mir bei der Gelegenheit gleich mitbringen.“
„Aber denk‘ dran: Keine Schokolade!“
Ich nickte und schlenderte munter los. Aber als mir ein Dachziegel, kurz nachdem ich an einer Plakatwand vorbeiging, auf der eine Frau abgebildet war, die der Wunderbaren Ulrike ähnlich sah, und mir eine bestimmte Zigarettensorte aufzudrängen suchte, auf den Kopf fiel, kamen mir doch arge Zweifel über die Aussagen der Leute, die dem Tod gerade nochmal von der Schippe gesprungen waren und von einer gewissen Glückseligkeit berichten, während derer sie durch einen hellen Tunnel gesegelt waren, an dessen Ende ein Licht leuchtete. Ich jedenfalls fiel durch einen langen, dunklen Tunnel und schlug plötzlich und unversehens, gewandet in eine Art Nachthemd, auf einer grau-schwarzen Wolke auf.
‚Jetzt‘, so dachte ich, ‚bist du also tot. – Schöne Scheiße, dabei hatte ich in der Wunderbaren Ulrike endlich meine Herzensdame gefunden, wollte mit ihr ein neues Leben beginnen, Thymian mitbringen und nun das!
Nichts endet wie geplant.‘
Gerade hatte ich zu Ende gedacht, da kam ein Engel in grauem Nachthemd, in den Löcher für die Flügel geschnitten waren, entlang und wechselte die beiden Leuchtstofflampen des Lichtes am Ende des Tunnels aus.
„So“, meinte der Elektrikerengel, „da hat das also auch wieder seine Ordnung, jetzt können die Lebenden das verinnerlichen. Die glauben nämlich, das Licht am Ende des Tunnels ist das Astrallicht in dem Menschen, was identisch ist mit dem Astrallicht um uns. – Beides beinhaltet die höchste Qualität unseres Kosmos. – Glauben die!“
Der Elektrikerengel tippte sich an die Stirn, grinste und zog eine Schachtel Zigaretten aus dem Kittel, die gleiche Sorte, wie sie die Frau auf dem Plakat mir andrehen wollte. In diesem Moment begann eine der Leuchtstofflampen zu flackern.
„Scheiße“, fluchte der Elektrikerengel, „da haben die mir doch wieder Leuchtstofflampen zweiter Wahl für das Licht am Ende der Tunnels geliefert! Der Boss spart aber auch, wo er kann! Aber einen dicken Wagen fahren, das kann er! Es muss unbedingt ein Mercedes der G-Klasse in Blue Tec Gold sein, wegen der Wolken, meint er. Naja, muss er wissen. – Das mit den Leuchtstoffröhren mach' ich morgen, eine geht ja noch. Jetzt ist erst mal Feierabend! In einer Stunde ist ‘Frohlocken‘ und ‘Jubilieren‘ als Freizeitgestaltung. Sonst ist hier nix los, außer hin und wieder ein Harfenkonzert von Fräulein Hammelritt und einem lauwarmen Manna. Aber das knallt auch nicht rein! – Wo waren wir stehen geblieben?“
„Beides beinhaltet die höchste Qualität unseres Kosmos“, sagte ich. „Hätten sie auch mal eine Zigarette für mich? Ich wollte mir gerade Neue kaufen und bei der Gelegenheit Thymian für die Wunderbare Ulrike besorgen. Sie will nämlich Coq au vin machen. – Meine letzten beiden Kippen sind irgendwie weg, seit ich dieses Nachthemd trage.“
„Klar, das ist immer so.“
Der Elektrikerengel nickte, gab mir eine Zigarette sowie Feuer, und fuhr fort: „Das ist die höchste Intensität einer Liebeskraft, die den Ursprung allen Seins und vor allen Dingen des eigenen Seins repräsentiert ...“
„Quatsch!“, meinte ich. „die höchste Intensität einer Liebeskraft habe ich mit der Wunderbaren Ulrike erreicht!“
Der Elektrikerengel tippte sich wieder an die Stirn. „Das kann und will ich nicht beurteilen. In Wirklichkeit ist das nur die Notbeleuchtung, das keiner über die Wolken im Tunnel stolpert. – Bist du ein Neuer?“
„Ja“, sagte ich, „aber ich weiß nicht so recht, ob ich hier richtig bin.“
„Nee, bist du nicht. Du musst da vorne hin, wo das Tor ist.“
„Das Tor, wo ‘HlM_EL‘ dran steht?“
„Ja. genau. Das zweite ‘M‘ ist leider auch ausgefallen, ich habe schon vor vier Wochen ein dreiundzwanziger ‘M‘ und ein ‘G‘ bestellt, aber bei den Lieferzeiten ... Naja, ich wünsch' dir jedenfalls was Schönes. – Ach ja, lass' dir bloß nicht den Schlachthofarbeiter aufdrücken“, sagte der Elektrikerengel, „da sucht der Alte schon lange einen für. – So, jetzt muss ich aber wirklich los zum Frohlocken und diesem ewigen, lauwarmen Manna. – Ich hätte gerne mal wieder einen schönen Scotch, pur und raumtemperiert oder einen Bourbon on the Rocks ...“
„Kein Problem“, meinte ich, „schick mich durch diesen Tunnel wieder zurück, komm mit, wir besorgen eben Thymian und Zigaretten, gehen dann an unsere ScheinBAR und trinken einen ‘Life’s Railway to Heaven‘ oder sonst einen von mir kreierten Cocktail. Du kannst auch Whisky bekommen. Scotch, Bourbon, Canadian, Highland Single Malt Scotch …“
„Das hört sich zwar verlockend an, aber ich müsste dafür Urlaub einreichen. Da der Boss jedoch zur Zeit dauernd mit seinen Kumpels auf dem Olymp rumsitzt, starke Sprüche macht und Saufgelage abhält, ist in der nächsten Zeit nichts zu machen. Aber jetzt muss ich wirklich los!“
Ich verstand zwar nicht ganz, drückte meine Zigarette in der Wolke aus, murmelte: "Scheiße, das Klopapier ist schon wieder alle! -Etwas vornehmmer habe ich mir den Laden hier schon vorgestellt!" und ging zu dem Tor mit dem kaputten ‘M‘.
Vor dem Portal stand ein Dixiklo aus dem einer rauskam und sich an seinem etwas schmuddeliges Nachthemd die Hände abwischte. Anschließend blickte er versonnen auf das Universum, das sich einer watteweichen Ewigkeit gleich vor uns ausbreitete und bröckelte mit einem Streichholz gedankenverloren in seinen Zähnen.
„Hey Mann“, sagte er, als er mich sah, „bist du ein Neuer?“
Ich nickte.
„Dann musst du“, sein Kopf ruckte etwas in Richtung einer Tür, über dem EIN_ANG stand und neben dem ein kaputtes ‘G‘ am Boden lag, „dort rein. – Äh, du hast nicht vielleicht“, sein Fuß spielte mit einer leeren Cognacflasche, die auf der Wolke vor ihm lag, „einen guten Schluck mit rüber gerettet? Ich kann dieses ewige, lauwarme Manna nicht mehr sehen.“
„Tut mir leid, hab' mir schon selbst eben 'ne Kippe geschnorrt“, sagte ich, schlenderte zu der Tür, über der EIN_ANG stand und ging hinein. Ein leeres Wartezimmer mit dezent verschlissenen Stühlen und abgegriffenen Gala-Heften tat sich vor mir auf. Ich zog eine Wartemarke und wurde seltsamerweise sogleich aufgerufen.
Was soll’s also.
Ich betrat die himmlische Amtsstube und ging an den Schalter mit dem ‘H‘ darüber. Dort saß einer und der fragte mich, wer ich denn wohl sei.
„Ich bin Hagen“, sagte ich, worauf der Mann versuchte, irgendwas in einen alten Macintosh einzugeben. Nach einiger Zeit gab er den Versuch jedoch auf und schlug in einem zerfledderten Aktenordner nach.
„Das ist aber auch eine Scheiße“, murmelte er, „nicht mal eine anständige EDV gibt’s hier oben, aber dauernd Partys feiern auf diesem Scheißolymp, das kann der Boss! – So! Hagen sagtest du? – Ach, Herrje, du bist ja eigentlich noch gar nicht dran, zumal du endlich der passende Mann für die Wunderbare Ulrike bist“, sagte der himmlische Beamte mit gramzerfurchten Gesicht, „das war gar nicht so einfach, denn die Wunderbare Ulrike ist eine besondere Frau.“
„Wie? Woher wisst ihr denn von der Wunderbaren Ulrike?“
„Die Wunderbare Ulrike spart uns einen Engel am Boden, sagt unser Nachrichtendienst! Unser Nachrichtendienst funktioniert jedenfalls – meistens, obwohl dem auch ab und zu kleine Fehler unterlaufen. So hat unser Nachrichtendienst gemeldet, dass du keinen Diesel fährst, der Coronapandemie immer schön dicht anliegende FFP-Masken getragen hast und noch nie illegal Müll entsorgt hast. Ich kann deshalb nicht glauben, dass du noch mit Angelia Jolie schlafen willst, wie unser Nachrichtendienst auch gemeldet hat.“
„Stimmt. Mit Angelina Jolie schlafen habe ich aber aus meiner To-Do-Liste gestrichen, seit ich die Wunderbare Ulrike kenne. Da hinkt der himmlische Nachrichtendienst etwas nach – Aber was hat der himmlische Nachrichtendienst denn mit Illegaler Müllentsorgung zu tun?“
„Nun ja, hättest du illegal Müll entsorgt, müsste ich dich sofort dazu verdonnern, als Lautsprecherbox einer Punk-Rock-Band wiederzukommen!“
„Grauenhafte Vorstellung! Dann lieber als ein Radio oder CD-Spieler mit dem die Wunderbare Ulrike klassische Musik hören kann. Sie hört so gerne ‘Himmlische Harfe‘ von Nicanor Zabaleta“
„Da müssest du aber noch mächtig Karmapunkte gut machen!“
„Wie Karmapunkte? Ich habe gelernt, dass Karma aus dem Sanskrit kommt und zunächst einmal physische oder geistige Handlung oder Tat bedeutet.“
„Ja, da der Boss auf dem Olymp ab und zu mal feiert, kam ihm die Nummer mit den arbeitsscheuen Mönchen zu Gehör, die sich überlegt haben, wie sie die naiven Leute für sie arbeiten lassen können. So kamen sie auf den Karmagedanken, der besagt, dass man als höheres Wesen wiederkommt wenn man gute Taten begeht, zum Beispiel diesen Mönchen einen ausgibt, um Letztendlich die ewige Glückseligkeit anzustreben …“
„Ich habe, als ich noch Taxifahrer war, hin und wieder meinen Kollegen ein Eis ausgegeben. Zählt das auch?“
Der himmlische Beamte schüttelte den Kopf, „nur wenn einem Mönch ein Veganers Mettwurstbrötchen ausgibst.“
„Mist. Aber die ewige Glückseligkeit hat ja noch Zeit. Ich will nur mit der Wunderbaren Ulrike noch, - sagen wir mal zwanzig Jahre absolvieren!“
„Das kann ich verstehen, aber ich habe das auszuführen, was der Boss anordnet. Der Boss hat den Karmagedanken übernommen und ich habe dieses Sanskritzeug auszuführen! – Aber ich will mal sehen, wie ich dir helfen kann, schließlich sind wir chronisch unterbesetzt. Ich kann EngelBert ja auch keinen Vorwurf machen, dass er dich zu früh raufgeholt hat. – Sicher hat er wieder was gekifft, der Bursche. – Naja, was soll man schon machen, hie gibt's ja keine Fachkräfte und mit diesen AbM-Kräften, die während eines Wochenendseminars auf 'Schutzengel' umgeschult worden sind. Unten treten sich die Arbeitslosen gegenseitig tot und hier oben sind keine qualifizierten Kräfte zu kriegen. – Naja, wer lernt heutzutage noch Schutzengel, bei den miesen Bedingungen und dem Mindestlohn?“
„Wer ist denn EngelBert?“, fragte ich.
„EngelBert IX ist dein Schutzengel“, sagte der Mann am Schalter und fragte mich, was ich denn so meinte, als nächstes wiederkommen zu können, wo ich denn schon mal da sei.
„Naja“, murmelte ich, „Jesus Christus! Die Wunderbare Ulrike könnte dann meine Maria Magdalena sein ...“
„Jesus Christus ist doch schon längst tot. Außerdem ist das kein Beruf.“
„Aber Jesus hat doch gesagt, er wollte wiederkommen, oder? Außerdem hat er auch keinen ordentlichen Beruf gelernt, sondern ist nur mit seinen Kumpels rumgezogen und hat starke Sprüche gemacht. Das schaffe ich auch, habe sogar schon öfter gemacht bevor ich die Wunderbare Ulrike kennen und lieben gelernt habe, am Wochenende mit meinen Kumpels. Warum kann ich das denn nicht machen?“
„Lass das nicht den Boss hören! – Aber bei deinen paar Karmapunkten? Dass ich nicht lache!“
„Immerhin liebe ich die Wunderbare Ulrike und habe die totale Ignoranz sowie die absolute Dekadenz erlangt.“
„Das rettet dich zwar davor, als Kanalratte wiederzukommen, aber dadurch, dass du immer nur alberne Satiren für die Leselupe, kleine Geschichten und Bücher, die nie veröffentlicht werden, verfasst hast, hätte ich noch ein Leben als Schlachthofarbeiter für dich.“
„Ich kann doch kein Blut sehen!“
„Ja, ich weiß!“
„Wie wär's denn mit einem Leben als Kuh?“
„Dann könnte die Wunderbare Ulrike mich essen und mein Leben hätte einen Sinn. Sie isst doch so gerne klassische Rinderrouladen. Sorgt ihr dafür, dass die Wunderbare Ulrike mich isst? – Jetzt hätte ich fast vergessen, dass ich ihr Thymian besorgen soll! Sie will nämlich für uns Coq au vin zubereiten.“
„Was? Mit so einem Ansinnen ist ja noch niemand gekommen, das geht nicht! Aber bleiben wir doch mal bei der Kuh ...“
„Wieso denn dann als Kuh? Ich will mit der Wunderbaren Ulrike den Rest meines Lebens verbringen. Sollte ich nichts Angemessenes finden, wäre mir das Ding mit der Kuh, dass die Wunderbare Ulrike mich essen kann, ganz recht. Ich sehe sonst wie gesagt, keinen Sinn mehr in meinem Leben.“
„Muss ja nicht unbedingt eine Kuh sein. Es reicht mit deinen paar Karmapunkten jetzt schon für einen Beamten im Katasteramt! Allerdings nur die mittlere Laufbahn. Überleg' dir das.“
Es klopfte an und eine spindeldürre Frau mit Flügeln und in strahlend weißem Nachthemd kam rein. Mit der einen Hand trug sie einen hell leuchtenden Heiligenschein leicht schräg über den Kopf und in der anderen Hand hielt sie eine kleine Engelsharfe.
„Wir haben da eben einen Auffahrunfall rein bekommen“, sagte sie, „sieben Mann, einer, vermutlich der Verursacher, ist total besoffen und randaliert. Wollen sie sich bitte ein Bisschen beeilen? In einer halben Stunde ist Frohlocken und Jubilieren! - Ich mach denn schon mal Feierabend.“
„Geben sie dem Verursacher einen Becher Manna mit Baldrian und sagen sie ihm, er muss warten, wie jeder andere auch, oder morgen wiederkommen! Das Frohlocken und Jubilieren muss auch noch ein wenig warten. Ich muss mich erst um den guten Mann hier kümmern! – So, Hagen wo waren wir jetzt stehen geblieben?“
Die spindeldürre Frau entfernte sich wieder.
„Kann ich nicht wenigstens als Geistheiler oder Guru wiederkommen?“, fragte ich, „damit habe ich die größten Chancen die Wunderbare Ulrike wieder zu treffen.“
„Ha! Was meinst du wohl, wie lang für Geistheiler oder Guru die Warteliste ist? Alle wollen sie als Jogi, Guru oder sowas wiederkommen, weil man da nicht zu arbeiten braucht, nur Sprüche machen. Nee, Meister, das schlag' dir man aus dem Kopf.“
„Hm. Kann ich da nochmal drüber meditieren? Außerdem haben sie gesagt, dass ich eigentlich noch gar nicht dran bin! – Kann ich nicht nochmal zurück, und wir vergessen das Ganze? Das ist doch ein Wort, oder? Außerdem wartet die Wunderbare Ulrike mit dem Essen auf mich und ich muss noch Thymian besorgen, es soll heute nämlich, wie gesagt, Coq au Vine geben.“
„Hm, das ist natürlich ein Grund! Wenn die Wunderbare Ulrike Thymian wünscht, musst du den besorgen! Wenn du willst, stelle ich dir ein kurzzeitiges Touristenvisum in dem Himmel aus und schicke dich damit zurück.“
Des himmlischen Beamten Hand drosch auf eine Sprechanlage: „Fräulein Hammelritt! Schicken sie mir doch noch mal eben den EngelBert IX her! Dann können sie meinetwegen Frohlocken und Jubilieren.“
Es dauerte nicht lange, während der himmlische Beamte rumstempelte, kam ein schlaksiger junger Mann mit langen, schütteren Haaren, Olaf Schubert-Pullover, Jeans und 68iger Brille rein und fragte, was denn wohl so anläge.
„Wir haben hier eine Reklamation“, sagte der himmlische Beamte, „das ist Hagen, aber der ist eigentlich noch gar nicht dran.“
„Chef“, sagte der mit der 68iger Brille, „laut Tarif habe ich nur drei Leute, auf die ich aufpassen muss, sie haben mir aber sieben aufgedrückt. Ich kann schließlich nicht überall sein! Außerdem hat der Virus ‘Leonardo‘ in dem himmlischen Computer zugeschlagen, und ich muss sehen, wie ich die Daten rette. Ich hab' ja immer gesagt, wir sollen die Dateien und Life-Mails nicht immer offen lassen und die Software nicht aus irgendwelchen dubiosen, irdischen Mailboxen kopieren. Aber auf mich hört ja keiner, ich bin ja nur einfacher Schutzengel der mittleren Engelslaufbahn!“
„Ich mache dir deswegen ja auch keinen Vorwurf, Berti! Aber ich hab' hier im Moment keine Wartekapazitäten frei. – Auf der Schulung habt ihr doch ‘Timing‘ gelernt. Also sieh' zu, dass du den Vorgang hier ein paar Sekunden verzögerst, klar?“
„Klar Chef, das krieg' ich hin!“, sagte der mit der 68iger Brille zu dem himmlischen Beamten, und zu mir: „So, Alter, dann komm mal mit.“
Wir gingen zu dem Tunnel zurück, durch den ich gekommen war, er schmiss mich rein, und dann fand ich mich, wie vorher gewandet, vor einer Plakatwand wieder, von der mir eine Frau höchst eindeutig zublinzelte. Ich blieb stehen und sah nochmal genau hin. Aber da war nur ein Kerl mit Olaf Schubert-Pullover und 68iger Brille mit auf dem Plakat, dem die Dame nahelegte, doch mal eine bestimmte Zigarette zu testen. Kam mir irgendwie bekannt vor, der Kerl. Ich wollte gerade weiter gehen, da krachte ein Dachziegel vor mir aufs Pflaster.
„Noch mal Glück gehabt“, dachte ich, ging Zigaretten und noch etwas Marzipan für die Wunderbare Ulrike kaufen und dann nach Hause.
„Schön dass du kommst“, sagte die Wunderbare Ulrike als ich eintraf, „‘hat lange gedauert, da habe ich den Tisch schon gedeckt, wir können essen. – War irgendwas besonderes?“
„Ja, ich war zwischendurch mal kurz im Himmel und habe da meinen Schutzengel EngelBert kennengelernt.“
„Ah ja. Hatten die im Supermarkt wieder einen Whiskyprobeausschank aufgestellt? Ich dachte immer drin Schutzengel hieße Jonny Walker! – Hast du den Thymian?“
„Scheiße, den Thymian habe ich vergessen vor lauter Stress. Aber ich habe dir Trüffelherzen Marc de Champagne mitgebracht, weil ich dich liebe.“
„Und ich habe dir gesagt, du sollst mir keine Süßigkeiten mitbringen, weil wir genug davon haben!“
„Du hast nur von Schokolade gesprochen, von Marzipan war nie die Rede …“
„Naja, macht nix. – Dann gibt es das Coq au vin diesmal eben ohne Thymian. – Die wahre Genialität besteht darin, im entscheidenden Moment auf Perfektion zu verzichten!“
Als wir uns gerade zur Begrüßung küssen wollten, klingelte es an der Haustür.
„Gehst du mal eben aufmachen?“, meinte die Wunderbare Ulrike, „ich tue schon mal auf.“
Ich tat wie geheißen, vor der Tür stand EngelBert, mein Schutzengel.
„Hallo EngelBert“, sagte ich, „was verschafft mir die Ehre?“
„Du, Alter“, meinte EngelBert, „entschuldige, dass ich so spät noch störe, aber ich habe glatt vergessen die Aktion von vorhin in deinem Gedächtnis zu löschen, weil ich immer so im Stress bin. – Können wir denn?“
„Komm erst mal rein, löschen können wir später. Ich möchte dir die Wunderbare Ulrike vorstellen. – Äh, Wunderbare Ulrike, darf ich dir EngelBert, meinen Schutzengel, vorstellen?“
„Ein Freund von dir?“, sagte die Wunderbare Ulrike von der Küche aus, „Hagens Freunde und ‘Schutzengel‘ sind auch meine Freunde! Bitte ihn doch herein, deinen ‘Schutzengel EngelBert‘. – EngelBert kann mit uns essen.“
Als EngelBert rein kam und der Wunderbaren Ulrike ansichtig wurde, fielen ihm vor Staunen fast die Augen aus dem Kopf.
„Vivi?“, murmelte er fassungslos, „Vivi Bach? – Hat Maria Magdalena dich zum Bodenpersonal versetzt, um zu verhindern, dass der Junior eine Affäre mit dir anfängt, weil du eine absolute Traumfrau bist, wie er mal gesagt hat?“
„Quatsch“, meinte die Wunderbare Ulrike, „ich war noch nie im Himmel, und ich bin auch nicht Vivi Bach, sondern einfach nur Ulrike …!“
„Und meine Traumfrau sowie Herzensdame!“, sagte ich.
„Ja, ja. – Möchtest du mitessen – EngelBert? Wir haben Coq au vin, allerdings ohne Thymian.“
„Coq au vin? Ich werd‘ verrückt. Bei uns oben gibt es zur Nacht immer nur das Zeugs vom letzten Abendmahl.“
„Was?“
„Dem neuen Testament zufolge“ sprach EngelBert, „fand das letzte Abendmahl während des jüdischen Pessach-Festes statt, am Tag bevor Jesus verraten und ans Kreuz geschlagen wurde. Dass nur Wein und Brot gereicht wurden, ist in der Bibel im 2. Buch Mose Kapitel 12, Vers15 vermerkt. Als Erinnerung an die Flucht aus Ägypten müssen wir jeden Abend dieses entsetzliche Matzen essen, so wie der Boss es uns durch Moses befohlen hat.“
„Grauenhaft“, meinte die Wunderbare Ulrike.
„Das kann ich euch sagen! Den Wein kriegen wir aus Pappboxen, die unsere Logistikengel bei irgend so einem irdischen Onlineversand bestellen.“ EngelBert schnappte nach Luft. „Meistens sind die auch schon vom Haltbarkeitsdatum her abgelaufen und zu saurem Wein gekippt, aber der Boss meint, dass die noch gehen. Wein wird schließlich mit zunehmenden Alter besser, meint er. – Ansonsten gibt’s nur Veganers Essen oder diese schauderhaften Paradiesäpfel. – Nachdem der Boss ‘Per Anhalter durch die Galaxis‘ gesehen hat, glaubt er nämlich die Antwort auf alle Fragen gefunden zu haben: 42! Er hat daraufhin befohlen, dass im Himmel weder gekocht, gebacken, gegrillt noch erhitzt wird. Die Speisen dürfen nur noch bis maximal 42 Grad erwärmt werden.“
EngelBert setzte sich und fuhr fort: „Deswegen ist auch die Nahrung bei uns angeblich voller Leben. Dieses Leben entschwindet, sobald das Essen über 42 Grad Celsius erhitzt wird. Steigt unsere Körpertemperatur über 42 Grad Celsius, sterben wir. Gleiches gilt auch für unsere Nahrung. Deshalb werden im friedvollen Himmel keine Tiere gehalten oder gar geschlachtet und alle Lebensmittel auf die Art gegessen, wie sie in der Natur vorkommen.“
„Ach?“ sagte die Wunderbare Ulrike, „und die Paradiesvögel? Die Paradiesvögel sind meines Wissens eine Vogelfamilie, die zur Ordnung der Sperlingsvögel Unterordnung Singvögel gehört.“
„Ja, diese blöden Viecher piepsen den ganzen Tag rum und scheißen überall hin. Der Boss erlaubt dieses Viehzeug bloß, weil Maria Magdalena die Federn der Paradiesvögel an ihre Hüte steckt. Ihr solltet mal Maria Magdalena Hutsammlung sehen! Wir Schutzengel können dann auch noch den Himmel ausfegen und Früchte sowie Insekten, die sich in der Regel in den oberen Wolkenschichten befinden, sammeln. Das ist vielleicht ein Stress, immer in die oberen Wolkenschichten klettern!“
„Kann Moses das nicht machen?“, fragte ich. „Der ist schließlich um die 10 Gebote zu empfangen mehrfach auf den Berg Sinai gekraxelt.“
„Nö. Der Boss hat ihm einen Beratervertrag gegeben, seitdem kraxelt der nicht mehr.“
„Und Louis Trenker?“
„Der spricht nur noch Ladinisch im Sinne von Dolomitenladinisch, dass ihn keiner mehr versteht. Aber trotzdem gibt er nur noch gute Ratschläge, wie mal auf Berge und Wolken kraxelt. – Aber egal, kommen wir auf die Himmelsnahrung zurück! Die ‘Himmelsnahrung‘ besteht jedenfalls nur aus frischem Obst, schlecht schmeckendem, aber ‘gesundem‘ Gemüse, angeblich würzigen Wildkräutern und bunten essbaren Blüten, obwohl manche ‘Forscher‘ behaupten, dass Jesus beim letzten Abendmahl Lamm gegessen hat. – Ich bin ja so froh, bei euch endlich mal wieder was Vernünftiges essen zu können.“
„Ist ja schauderhaft“, meinte die Wunderbare Ulrike und entzündete die Kerze auf dem Tisch. „Möchtest du Wein oder Bier zum Essen?“
„Bier!“, meinte EngelBert, „habt ihr auch Altbier? Mit einem Griff an der Seite des Glases und einem Häublein Schaum oben drauf?“
„Natürlich“, sagte ich während die Wunderbare Ulrike auftat, „haben wir auch Altbier! Du kannst allerdings auch Bock, Dunkles Bier, Rauchbier, Export oder Gose, ein Traditionsbier aus dem Osten, bekommen.“
„Quatsch“, meinte die Wunderbare Ulrike, „zum Coq au vin passt nur Kellerbier!“
„Natürlich haben wir auch Kellerbier“, meinte ich, öffnete drei Flaschen Kellerbier und begann die Gläser einzuschenken.
„Darf’s etwas Tafelmusik sein?“, fragte ich, während ich dieses tat „vielleicht ‘Himmlische Harfe‘? Die Wunderbare Ulrike hört gerne ‘Himmlische Harfe‘, wenn wir Billard spielen oder an der ScheinBAR sitzen und Cocktails genießen. – Wir gehen nachher auch an die ScheinBAR. Ich hab‘ da nämlich einen Cocktail kreiert, für den ich noch keinen Namen habe. Vielleicht fällt dir einer ein.“
„Na, da freue ich mich doch drauf! – Aber bitte keine Harfenmusik! Fräulein Hammelritt, eine unserer Sachbearbeiterinnen im Kundenneuzugang, spielt in ihrer Freizeit Harfe und gibt auch Konzerte; - immer das Gleiche. Ich kann keine Harfenmusik mehr hören! Habt ihr auch: Gregorian – ‘Chariots of fire’ oder Ennio Morricone – ‘The Good, The Bad and The Ugly’? Mein Lieblingsfilm und ebenso meine Lieblingsmusik. – Leider gibt’s diesen Film nicht in der himmlischen Mediathek, der Boss holt nur dieses Zeugs rauf, was bei euch auf Bibel-TV läuft!“
„Das ist ja furchtbar!“, meinte die Wunderbare Ulrike, „Morricone haben wir doch Letztens beim Billardspielen gehört, nicht wahr, Schatz? – Ich glaube, sie liegt noch im Player. Sei so nett und leg‘ sie ein, damit wir endlich Essen können!“
Während wir schließlich aßen, plauderte EngelBert gar munter aus dem himmlischen Nähkästchen über Comedans aus früheren Zeiten, die im Himmel allerdings nur rumgrantelten und dauernd flache Witze erzählten. Schließlich fragte er, ob er mal mit Diana Spencer, der Princess of Wales zum Essen zu uns kommen könnte, weil Lady Di bekanntermaßen an einer Essstörung leidet und diesen ewigen Matzen mit saurem Wein nicht ab kann. Auf dem Speiseplan für sie sollte viel frischer Fisch, Salat und Säfte stehen, oder die Light-Varianten von fettfreiem Huhn und Paprika.
„Naja“, meinte EngelBert kauend, „ich hab mich etwas um Lady Di gekümmert, seit dieser Dodi Al-Fayed mit Liz Taylor rummacht. Dianas früherer Liebhaber, der Reitlehrer James Hewitt, ist ja noch nicht da, oder ist in die Hölle gekommen und Diana sitzt nun nur traurig rum ...“
„Die arme Diana“, meinte die Wunderbare Ulrike, „ich werde für sie mal Hähnchenbrustaufschnitt mit kleinen Möhren, Frühlingszwiebeln, Mairübchen und so kochen, kein Problem. – Nimmst du ihr das mit in den Himmel? - Aber nun sollten wir endlich an die ScheinBAR gehen!“
Das taten wir dann auch, nach dem wunderbaren Coq au vin und tranken zunächst einen ‘Life’s Railway to Heaven‘, den EngelBert zwar sehr lecker aber etwas deplaciert fand. Schließlich gingen wir zu dem Cocktail, für den ich noch keinen Namen hatte, über und EngelBert trank drei davon. Schließlich meinte er: „‘Gestresster Engel‘ währe ganz angebracht! – Und erzähl‘ keinem, dass ich bei dir vor lauter Stress nichts gelöscht habe.“
„An Schutzengel glaubt heute sowieso kein Mensch“, sagte die Wunderbare Ulrike, „du brauchst also nichts zu löschen!“.
„Was?“, knurrte EngelBert. „Natürlich bin ich hauptberuflicher Schutzengel! – Moment.“
Er zog einen zusammengefalteten Heiligenschein aus seiner hinteren Gesäßtasche, klappte ihn auseinander und hielt ihn sich leicht schräg über den Kopf. „Man trägt ihn diese Saison im Himmel so schief“, murmelte er und nahm noch einen Schluck von dem Cocktail. „Aber der ‘Gestresste Engel‘ ist fabelhaft! Wollen wir noch einen?“
„Eigentlich“, meinte die Wunderbare Ulrike, „müssten Heiligenscheine ja etwas leuchten!“
„Ich weiß! Aber unser Elektrikerengel hat bei der Bestellung für die Heiligenscheine keine Ersatzbatterien CR2032 mit bestellt. – Kriege ich nun noch einen ‘Gestressten Engel‘?“
„Natürlich“, sagte die Wunderbare Ulrike. „Die Trüffelherzen ‘Marc de Champagne‘ werde ich aufheben, wenn du und Lady Di mal zum Essen vorbeikommen. Von meinem letzten Treffen mit ihr, kurz vor ihrem Ableben, weiß ich nämlich, dass Lady Di Trüffelherzen ‘Marc de Champagne‘ sehr gerne mag. Der ‘Holy Gral of Atimathäa’ dürfte ihr auch munden, wie ich sie kenne.”

Für den geneigten Leser, den die Cocktails interessieren, die in dieser wahren Geschichte vorkommen:

Life’s Railway to Heaven
4 cl Ramazzotti
4 cl Wermut
2 cl Gin
8 cl Granatapfelsaft
Eis
Deco Cocktailkirsche

Gestresster Engel
1 Tropfen Granatapfelsirup
2 cl Eierlikör
2 cl Blue Curaçao
2 cl Ramazzotti
Auffüllen mit Ginger Ale
Eis
Deco Cocktailkirsche

Holy Gral of Atimathäa
1 Tropfen Granatapfelsirup
2 cl Gin
2 cl Alte Liebe
1 cl Cointreau
4 cl Granatapfelsaft
Eis
Deco Cocktailkirsche
 



 
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