Der Spaziergang des alten Mannes

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Der Spaziergang des alten Mannes



Der alte Mann saß in der Küche seines Hauses und trank langsam und genussvoll, so wie an jedem Morgen, seinen Kaffee. Er nahm das Brotmesser zur Hand, wischte es am Tischtuch ab und legte es wieder hin. Schmutzige Messer störten ihn ungemein. Nachdem er seinen Kaffee ausgetrunken hatte, stellte er die Tasse in die Spüle, sah sich nochmals in der Küche um und brach zu seinem allmorgendlichen Spaziergang auf. Im Nebenzimmer, dem Wohnzimmer, summte eine Fliege.

Er trat aus dem Haus auf die Straße und überlegte kurz welche Richtung er heute einschlagen sollte. Nachdem die Entscheidung gefallen war ging er zügig, aber nicht zu schnell, in Richtung Dorfmitte. Murmelnd grüßte er eine Nachbarin die soeben den Müll vors Haus trug, zog aber den Kopf sofort wieder ein und konzentrierte sich auf seine Schritte. Das Gehen fiel ihm trotz fortgeschrittenen Alters noch leicht, lediglich auf unebenem Untergrund musste er vorsichtig sein, das Gleichgewichtsgefühl ließ immer mehr nach. Sein Weg führte vorbei an der kleinen Grundschule, hier hatte er sie kennengelernt, seine Martha. Sie war mit Ihren Eltern hierher gezogen und trat in die dritte Klasse ein. Schnell schlossen die beiden Freundschaft und waren bald unzertrennlich.

Als der alte Mann an der Kirche vorbei kam schweiften seine Gedanken wieder zu Martha ab. Hier hatten sie geheiratet, vor vielen Jahren, sie strahlend, er stolz, die Eltern gerührt. In dieser Kirche wurden auch ihre Kinder getauft, die Kinder die jetzt selbst schon wiederum Kinder hatten und der besseren Chancen am Arbeitsmarkt wegen weggezogen waren.

Einsam waren Martha und er, aber sie liebten sich und das Leben am Land. Er verdiente als Briefträger genug um sorglos zu leben und den Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Martha verdiente als Erntehelferin bei den Bauern im Dorf noch etwas dazu, so hatten sie ein gutes Auskommen.

Tief in seine Gedanken an früher versunken lief er beinahe in die seit Jahren schief stehende Laterne beim Friedhofstor. „Ja, hier werden auch wir unsere letzte Ruhe finden“ sagte er leise vor sich hin.

Seine Schritte führten ihn langsam, aber stetig, an den Rand des Dorfes. Er nahm auf einer Bank Platz und sah über die Felder und Wiesen, bis hin an den Horizont an dem sich die Silhouette der nahen Berge abzeichnete. Seufzend dachte er „Ach wäre Martha nur jetzt auch hier“.

Er genoss noch ein wenig den friedvollen Anblick der vor ihm liegenden Landschaft, dann erhob er sich und ging entspannt nach Hause zurück. In der Küche lag noch der Geruch des Kaffees, vermischt mit einem neuen, weniger angenehmen Duft. Im Nebenzimmer summte es lauter, es mussten mehr Fliegen geworden sein die sich rund um die klaffende Wunde an Marthas Hals versammelt hatten. Der alte Mann legte das Brotmesser in die Bestecklade, setzte sich an den Küchentisch und starrte mit leeren Augen ins Nichts.
 
Hallo @Claudio Scoreggia

flüssig geschrieben (ein paar Kommas fehlen); schönes Thema. Überraschendes Ende.
Anfang und Ende gut kombiniert (Messer und Fliegen). Sehr gut.

Jetzt folgt aber das Aber:

Der Gang vorbei an Schule, Kirche und Friedhof erfolgt für mich unbegründet. Als wäre der Prota vom Autoren konstruiert worden, dieses Orte anzusteuern. Der Effekte halber. Verstehst du, was ich meine?
Warum läuft er denn da vorbei? in meinen Augen nur, damit der Autor die (Liebes-)Geschichte erzählen kann.

Seufzend dachte er „Ach wäre Martha nur jetzt auch hier“.
Diesen Satz finde ich daher ein wenig irreführend.

Warum hat er sie getötet?

LG, Franklyn Francis
 
Vielleicht hat er in diesem Moment seine Tat bereut?
Warum hat er sie getötet? Da kann es viele Gründe geben, Streit mit Affekthandlung, vielleicht war sie pflegebedürftig und er überfordert, eine unheilbare Krankheit oder einfach eine Kurzschlusshandlung - jeder Leser kann sich seinen passenden Puzzlestein zur Ergänzung suchen.

Vielen Dank für dein Rating!
 
G

Gelöschtes Mitglied 22242

Gast
Hi @Claudio Scoreggia ,

gute Idee, finde ich, und in großen Teilen auch gut umgesetzt.
Ein paar Anmerkungen hätte ich noch und hoffe, dass du etwas damit anfangen kannst.


Schmutzige Messer störten ihn ungemein
Ich finde diese Rechtfertigung für sein handeln braucht es nicht. Als Leser schöpft man ja zu diesem Zeitpunkt nicht den geringsten Verdacht, dass das Messer später nochmal wichtig wird.


und trank langsam und genussvoll,
das „genussvoll“ würde ich unbedingt weglassen, da das langsame trinken von Kaffee ja bereits ein gewisses Genießen der Handlung suggeriert.
Generell fällt mir eine häufige Nutzung von abstrakten Adjektiven auf.
Hier ein weiteres Beispiel:


Er genoss noch ein wenig den friedvollen Anblick der vor ihm liegenden Landschaft, dann erhob er sich und ging entspannt nach Hause zurück.
Mit als Leser würde absolut nichts fehlen, wenn du auf diese „Füllmasse“ verzichten würdest.
Und wenn du herausarbeiten möchtest, dass der Protagonist entspannt ist, dann würde ich das so lösen, dass der Leser ein Bild vor Augen hat.

übertriebenes Beispiel:
Für drei Atemzüge hielt er inne und genoss den Blick auf die Kirschbäume, die inzwischen ihre weißen Blüten trugen.
Dann erhob er sich von der verwitterten Holzbank und schlenderte, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, nach Hause. Unter seinen Füßen knirschte der Schotter.

Die Atmenzüge machen die Zeit für den Leser messbar, die Kirschbäume mit den Blüten erzeugen sofort ein Bild … im Gegensatz zu einer Landschaft.
… Das Schlendern umschreibt die Entspannung … usw :)

Viele Grüße,
Tommy
 
sehr sehr gelungen !, vor allem auch, weil offen bleibt warum, wieso ..., und überschrift, der schwerpunkt liegt auf dem spaziergang eines alten mannes, einem allerwelts-event, mit dem die tötung oder selbsttötung marthas gleichgesetzt wird. auch die verwendung des messers bleibt sehr gekonnt völlig in der schwebe.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hi @Claudio Scoreggia ,

gute Idee, finde ich, und in großen Teilen auch gut umgesetzt.
Ein paar Anmerkungen hätte ich noch und hoffe, dass du etwas damit anfangen kannst.




Ich finde diese Rechtfertigung für sein handeln braucht es nicht. Als Leser schöpft man ja zu diesem Zeitpunkt nicht den geringsten Verdacht, dass das Messer später nochmal wichtig wird.




das „genussvoll“ würde ich unbedingt weglassen, da das langsame trinken von Kaffee ja bereits ein gewisses Genießen der Handlung suggeriert.
Generell fällt mir eine häufige Nutzung von abstrakten Adjektiven auf.
Hier ein weiteres Beispiel:




Mit als Leser würde absolut nichts fehlen, wenn du auf diese „Füllmasse“ verzichten würdest.
Und wenn du herausarbeiten möchtest, dass der Protagonist entspannt ist, dann würde ich das so lösen, dass der Leser ein Bild vor Augen hat.

übertriebenes Beispiel:
Für drei Atemzüge hielt er inne und genoss den Blick auf die Kirschbäume, die inzwischen ihre weißen Blüten trugen.
Dann erhob er sich von der verwitterten Holzbank und schlenderte, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, nach Hause. Unter seinen Füßen knirschte der Schotter.

Die Atmenzüge machen die Zeit für den Leser messbar, die Kirschbäume mit den Blüten erzeugen sofort ein Bild … im Gegensatz zu einer Landschaft.
… Das Schlendern umschreibt die Entspannung … usw :)

Viele Grüße,
Tommy
Lieber Tommy,

danke für deinen Input!

LG
 
Hallo Claudio,

danke für deine Rückmeldung.

jeder Leser kann sich seinen passenden Puzzlestein zur Ergänzung suchen.
Du hast natürlich recht. Es muss nicht alles erklärt werden. Ein solches Ende bzw. eine solche offene Frage hat den Vorteil, das der Leser es sich selbst aussuchen kann. Finde ich sogar gut. (Obwohl ich persönlich einen klitzekleinen Hinweis wie z.B. leere Tablettenpackungen o.ä. besser gefunden hätte. Aber ist ja kein Wunschkonzert und ist deine Geschichte.)

Jetzt bleibt für mich nur noch die Frage offen, warum der Prota gerade jetzt die Orte der Erinnerung aufsucht. Oder soll sich das der Leser auch selbst ausdenken? ;-)

LG, Franklyn
 



 
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