der stille Nachbar

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Tula

Mitglied
Der stille Nachbar


Irgendwann am Wochentage
spüren alle Arbeitstiere
eine körperliche Plage
(bei mir meistens kurz nach viere).

Auf dem wohlbekannten Örtchen
bin ich leider stets der Zweite.
Doch der Erste muckst kein Wörtchen
und sucht erst nach mir das Weite.

Wie es scheint, putzt er die Schuhe
ziemlich selten. – Ohne Regung
sitzt und schweigt er ganz in Ruhe
wie ein Buddha – null Bewegung.

Ich beherrsch‘ den Wunsch nach Klarheit;
meine Neugier zu bezähmen,
mache ich mich an die Arbeit,
ein, zwei Kilo abzunehmen.

Da dies doch mit Kraft verbunden,
gönne ich mir noch ein Päuschen.
Frage mich dann unumwunden:
Wer sitzt hier, still wie ein Mäuschen?

Hör‘ genau wie ein paar Tropfen
an der Wand herunterrasen.
Irgendwo im Becken klopfen
Füßchen auf zwei Wasserblasen.

So lausch‘ ich den sieben Lauten
dieses Fliegenparadieses.
Gestern erst, wie zwei sich hauten
an den Fliesen, aber wie es

scheint, hat jetzt mein werter Nachbar
seinen Atem jäh verloren.
Sicher Schock! Der Fliegen Krach war
wohl zu viel für zarte Ohren.

Und so wartet er geduldig,
wieder unter sich zu sitzen.
Ich dagegen fühl‘ mich schuldig,
unnütz hier herumzuschwitzen.

Schließlich ist mein Werk vollbracht, sacht
schleiche ich hinaus, verspür‘ was
Sparsinn ist – und unbedacht macht
eine Hand kurz vor der Tür das
Licht aus ...
 

Tula

Mitglied
Hallo anonym,

Danke für die Bewertung; ich sehe, ein weiterer Versuch, dem tristen Arbeitsleben wenigstens etwas Poesie abzuringen, ist nicht gerade von Erfolg gekrönt.

Wer die fehlende Privatsphäre moderner Bürotoiletten kennt, wird mich vielleicht dennoch verstehen. Bei uns kamen sie auf den genialen Gedanken, selbst IN den Boxen die unteren Wände durchgehend offen zu lassen. Eine kleine Verrenkung des Körpers und du weißt, wer auf der anderen Seite sitzt. Kein Wunder, dass sich da niemand traut, irgendeinen Laut von sich zu geben.

Nur das Ende ist frei erfunden, denn das Licht geht nach etwa einer Minute von selbst aus. Wer sich nicht beeilt ...

Tula
 

Tula

Mitglied
so in etwa, liebe rogathe

aber das Licht geht auch wieder an. Dazu muss man sich nur erheben und über den oberen Rand der Box hinaus mit den Händen fuchteln.
Wer zu kurz gebaut ist, sollte aber die Box links hinten in der Ecke vermeiden. Denn der Betroffene müsste sich zum besagten Zweck dann wahrscheinlich auf das Becken stellen :)

LG
Tula
 

James Blond

Mitglied
Hallo Tula!

Ich finde die Situation auf der Firmentoilette trefflich und zugleich satirisch beschrieben, wenn es auf dem (nicht ganz so) stillen Örtchen zur "peinlichen Begegnung der dritten Art" kommt. Die Diskrepanz zwischen erzwungener Nähe und erwünschter Isolation, zwischen bemühter Ruhe und unvermeidlichen Geräuschen sorgt für Spannung und das reflexhafte "Licht aus" beim Verlassen ist ein gelungener und realistischer Schluss.

Weniger gelungen halte ich in S6 - S8 den schockierenden Krach der Fliegen, die Erwähnung der Ereignisse des Vortages und Füßchen, die auf Wasserblasen klopfen. Auch scheint der Trochäus in einigen Versen gefährlich zu wackeln, was die insgesamt flotte Satire etwas ausbremst.


Grüße
JB
 

rogathe

Mitglied
Hallo Tula, hallo JB,
für Satire ist es mir nicht bissig genug,
für schwarzen Humor nicht witzig genug.
Skurril fände ich z.B. Fliegen, die sich über den Mangel an Clopapier beschwerten, da sie nur an gedeckter Tafel speisen möchten ... oder sowas ...

Gruß
rogathe
 

James Blond

Mitglied
Nein, eine beißende oder übertreibende Satire im engeren Sinne ist es nicht und soll es wohl auch nicht sein, muss es aber auch nicht.

Ich denke, es geht hier um eine humorvolle Betrachtung sehr realer Dinge mit ihrer inhärenten Komik im Sinne einer Realsatire.
 

Tula

Mitglied
Der stille Nachbar


Irgendwann am Wochentage
spüren alle Arbeitstiere
eine körperliche Plage
(bei mir meistens kurz nach viere).

Auf dem wohlbekannten Örtchen
bin ich leider stets der Zweite.
Doch der Erste muckst kein Wörtchen
und sucht nach mir erst das Weite.

Wie es scheint, putzt er die Schuhe
ziemlich selten. – Ohne Regung
sitzt und schweigt er ganz in Ruhe
wie ein Buddha – null Bewegung.

Ich beherrsch‘ den Wunsch nach Klarheit;
meine Neugier zu bezähmen,
mache ich mich an die Arbeit,
ein, zwei Kilo abzunehmen.

Da dies doch mit Kraft verbunden,
gönne ich mir noch ein Päuschen.
Frage mich dann unumwunden:
Wer sitzt hier, still wie ein Mäuschen?

Hör‘ genau wie ein paar Tropfen
an der Wand herunterrasen.
Irgendwo im Becken klopfen
Füßchen auf zwei Wasserblasen.

So lausch‘ ich den sieben Lauten
dieses Fliegenparadieses.
Gestern erst, wie zwei sich hauten
an den Fliesen, aber wie es

scheint, hat jetzt mein werter Nachbar
seinen Atem jäh verloren.
Ich bin froh! Denn dieser Krach war
wie ein Fön an meinen Ohren.

Und so wartet er geduldig,
wieder unter sich zu sitzen.
Ich dagegen fühl‘ mich schuldig,
unnütz hier herumzuschwitzen.

Schließlich ist mein Werk vollbracht, sacht
schleiche ich hinaus, verspür‘ was
Sparsinn ist – und unbedacht macht
eine Hand kurz vor der Tür das
Licht aus ...
 

Tula

Mitglied
Hallo James und rogathe

erstmal vielen Dank für eure Kommentare und Gedanken zum Thema. Nun, ich könnte es nicht treffender ausdrücken, als es James getan hat (Diskrepanz zwischen erzwungener Nähe und erwünschter Isolation). Es geht um eine tägliche Situation auf Arbeit, die bei aller Banalität eine gewisse Komik aufweist und diese wollte ich im Gedicht festhalten, mit 'leichter' Übertreibung, wie es sich für einen humoristischen Versuch gehört, ohne dabei zu weit über die eigentliche Realität satirisch hinauszuschießen oder gar ein Ulk-Gedicht daraus zu machen.

So wie es dem stillen Nachbarn ebenso ergeht, ich fühle mich da nie 'behaglich' und man versucht von daher, möglichst leise sein Geschäft zu verrichten. Aber gerade die bedrückende Stille und Reglosigkeit, in welche manche Kollegen dort verfallen, macht die Sache eigentlich noch unbehaglicher; manchmal ist mir, als würde mich der andere 'belauschen'. Daher auch die (frei erfundene) „Rache“ am Ende des Gedichts.

Strophe 8 habe ich abgeändert, bei der 6. hatte ich noch keine bessere Idee. Die Füßchen dort erklären ja auch die Fliegen (zumindest war das die Idee).
Eine Rhythmusstörung in der zweiten Strophe, letzte Zeile, habe ich auch bereinigt.

LG
Tula
 



 
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