Der Straßenbahn-Mann

Ditschi

Mitglied
Der Straßenbahn-Mann

Es war ein seltsamer Dezemberabend. Draußen war es sehr mild. Den ganzen Tag über schon war es fast frühlingshaft, 12 Grad Celsius brachten sie im Wetterbericht. Das waren sicher die ersten Auswirkungen der Klimakatastrophe, die von den Meteorlogen vorausgesagt wurde. Das störte ihn eigentlich wenig. Er war sowieso nicht der Typ, der sich auf den Winter, auf die Kälte und auf den Schnee freute. Und dieses Jahr hatte er noch weniger weihnachtliche Gefühle als die Jahre davor, obwohl auf sämtlichen Radiosendern ständig Weihnachtslieder gespielt wurden. Er konnte es nicht mehr hören, „I´m dreaming of a white christmas . . Seine Freunde erzählten immerzu, was sie ihren Lieben dieses Jahr wieder schenken würden. Es war doch immer wieder das gleiche. Und das Weihnachtsfest, schön mit Kindern, Eltern, Großeltern, eben wie jedes Jahr wieder. Er hatte ganz andere Sorgen.
Sein Zug hatte dieses mal Verspätung. Er war nicht wie sonst jeden Dienstag schon 23.10Uhr am Hauptbahnhof in Dresden. Ja, sein Zug kam heute hier später an. Der Bahnhof war hell beleuchtet. Am Ausgang lag ein Betrunkener, dessen Hund lag friedlich daneben. Die Bahnhofsgeschäfte hatten mittlerweile schon geschlossen. Er wollte eigentlich noch ein Männerparfume kaufen, dann würde er das auf morgen verschieben. Kurz blieb er vor einem Werbeplakat stehen. „Weihnachten, das Fest der Liebe . . . “ und dann irgendwelche Werbung, die er nicht weiter beachtete. Er war fast am Bahnhofsausgang. Er blieb stehen und drehte sich noch einmal um. Es war nicht das letzte Mal, das er um diese Zeit an diesem Wochentag hier durchlief. Er ging weiter in Richtung Bahnhaltestelle. Klar, nun mußte er auch auf die nächste Bahn warten.
Diese H&M Poster an der Haltestelle, wie eine Puppe sah diese Claudia aus, nichts für ihn. Schon seit einer ganzen Weile gab es keine attraktiven männlichen Modelle auf diesen Postern.
So ein Pech auch, daß er doch noch eine Weile auf die Straßenbahn warten mußte. Aber eilig hatte er es ja nicht wirklich. In seiner kleinen Altbauwohnung wartete heute niemand auf ihn. Er kam gerade von seiner Freundin wieder. Er verbrachte oft den Sonntag bis zum Dienstag Abend bei ihr. Sie lebte in einem kleinem Ort in der Nähe von Bautzen. Endlich kam die Bahn und er stieg ein. Er setzte sich gleich in die Nähe der Tür auf einen Einzelplatz. Weit hatte er nicht zu fahren. Es waren vielleicht drei, vier Haltestellen. Gedankenversunken starrte er aus dem Fenster.
Auch dieses mal konnte er es ihr nicht sagen. Er hatte nicht den Mut. Was würde seine Familie sagen? Was würde ihre Familie sagen? Hatten Sie nicht alle schon seit fünf Jahren auf die Traumhochzeit gewartet? Was würde sie sagen?
Sie würde ihn sicherlich hassen. Aber auf eine ganz merkwürdige Art und Weise liebte er sie. Sie hatte ihm doch durch ihre sonderbare Art die Augen geöffnet.
Er war ein hagerer Typ mit einem markantem und nicht sehr schönem Gesicht. Seit einigen Monaten trug er seine Haare kurz, fast kurz geschoren. Eine kleine unauffällige Stupsnase hatte sich in seinem Gesicht versteckt. Er trug heute seine Lieblingsjacke, es war ein blauer Anorak, der nicht sonderlich modisch war, aber es war eben seine Lieblingsjacke. Mit seinen schwarzen weiten Hosen wirkte er dünn und mager. Seine schwarze Reisetasche stand achtlos im Mittelgang der Bahn.
„Nächste Haltestelle Rosenstraße“ tönte die automatische Stimme aus dem Lautsprecher der Straßenbahn.
Was starrt ihn denn diese komisch Frau an? Sie saß ihm gegenüber. Sie war ihm gar nicht aufgefallen. Wahrscheinlich hatte sie dort schon gesessen als er einstieg. Erst als sie irgend etwas aus ihrer riesigen Handtasche zog und ihn dabei versehentlich einen Tritt mit ihrem linken Fuß versetzte, nahm er Notiz von ihr. Eigentlich war sie recht hübsch, aber das interessierte ihn gerade sehr wenig. Er lächelte sie verzeihend an und sie lächelte zurück.
Dann stieg er aus.
 

rabi

Mitglied
Hallo Ditschi, ich war gerade beim Durchsehen von Kurzgeschichten auf den Straßenbahn-Mann gestoßen. Nur ist mir dabei einiges unklar geblieben:

Wer ist „er“? – Eine mysteriöse dunkle Gestalt, die in einer Dezembernacht mit der Straßenbahn durch Dresden fährt? –
Was hat „er“ für Sorgen. Warum kann er sich nicht auf Weihnachten freuen?
Was bedeutet der Satz: „Es war nicht das letzte Mal, das er um diese Zeit an diesem Wochentag hier durchlief“ ? – Also läuft er später da noch mal durch. Aber so weit geht die Geschichte gar nicht mehr.
Dann der Satz: „In seiner kleinen Altbauwohnung wartete heute niemand auf ihn. Er kam gerade von seiner Freundin wieder.“ – Wer sollte denn auf ihn warten? Eine Geliebte?
Was wollte er seiner sagen und konnte es nicht? Wollte er Schluss machen mit der Beziehung?
Mit welcher sonderbaren Art hatte sie ihm wofür die Augen geöffnet?
Auch das Ende mit der Frau in der Straßenbahn ist etwas verworren. Wann nahm „er“ denn Notiz von ihr, als sie ihn anstieß oder als sie ihn anstarrte? Oder als die Lautsprecherdurchsage kam. Ich kann mir den Ablauf nicht richtig vorstellen.

Außerdem wartet man immer darauf, dass im nächsten Augenblick irgend etwas passiert. Aber plötzlich ist die Geschichte zu Ende. Was ist mit dem Mann? Ist er verwirrt? Oder nur in Gedanken versunken?
 

Ditschi

Mitglied
Lieber Rabi,

ich freue mich sehr über deine kritischen Bemerkungen. All diese Fragen habe ich nämlich auch damit bezweckt.

Wer ist dieser Mann wirklich, der eigentlich von seiner Freundin kommt? Von dem anscheinend erwartet wurde, dass er seine endlich Freundin heiratet. Was können die Gründe sein, dass er das nicht tun kann? Ist er vielleicht gar nicht der, den alle zu kennen glauben? Ist das nicht vielleicht ein Grund, warum er sich nicht auf Weihnachten freuen kann? Weil er niemanden sagen kann, wer er wirklich tief innen drin ist.

Der Satz: „Es war nicht das letzte Mal, das er um diese Zeit an diesem Wochentag hier durchlief“ ?, lässt darauf schliesen, dass er noch einige Male diesen Weg zu dieser Zeit gehen wird, bis er sich endlich seiner Freundin offenbart und nie wieder zu ihr gehen und von ihr kommen wird.

Zu dem Satz: „In seiner kleinen Altbauwohnung wartete heute niemand auf ihn." Vielleicht wünscht sich der Mann, dass doch jemand in seiner Wohnung warten würde, vielleicht ein anderer Mann.

Mit welcher sonderbaren Art hatte sie ihm wofür die Augen geöffnet? Vielleicht hat sie ihm die Augen dafür geöffnet, dass sie ein liebenswerter Mensch ist, er sie aber niemals lieben kann.

Bei dem Ende mit der Frau in der Straßenbahn spielt es keine Rolle, wann er sie wahrgenommen hat, denn obwohl sie recht hübsch ist, kann er darauf nicht reagieren.

Ich glaube, dass wir alle lernen müssen mehr Fragen zu stellen in unserem Leben. Wer bin ich und wer ist mein Gegenüber. Denn nur durch viele Fragen ist es uns vielleicht möglich einen Blik hinter die Fassade zu werfen.
Nur wenige Dinge sind so wie sie nach aussen scheinen.

Vielen Dank für deine Bemerkungen, Ditschi
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ja,

ditschi, bei dieser geschichte muß der leser ganz schön zwischen die zeilen gucken. da finden sie allerlei. ich glaube, wenn man mehrere sachen von dir hintereinander liest, kann man deinen stil sehr lieb gewinnen. vor allem, wenn du die zwei oder drei tippfehler beseitigst. ganz lieb grüßt
 

Yossarian

Mitglied
Also ich fühle mich ein wenig von der Geschichte vor den Kopf gestoßen. Das ganze wirkt auf mich wie ein zusammenhangloses Notitzbuch und das diese Tatsache auch noch beabsichtigt war, macht die Sache nicht viel besser. Es stellt sich bei allen anderen Fragen vor allem eine, was das Ganze soll.
 

rabi

Mitglied
Ursprünglich veröffentlicht von Yossarian
Also ich fühle mich ein wenig von der Geschichte vor den Kopf gestoßen. Das ganze wirkt auf mich wie ein zusammenhangloses Notitzbuch .
So hatte ich das am Anfang auch aufgefaßt und deshalb meine Fragen gestellt, die Ditschi ja auch beantwortet hat. Aber bei "Literatur" und "Kunst" gehen die Meinungen ja bekanntlich immer auseinander. Das ist aber auch gut so.
 



 
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