Der Talleyrand

Marc Hecht1

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»Entschuldigung, der Kapitän möchte Sie sprechen.«
»Mich?«, ich blickte erstaunt auf den Offizier; braun gebrannt und stramm stand er da, in seiner weißen Uniform.
Ich hatte an der Reling gelehnt, auf die Küste von Yucatán geblickt, geraucht, sah auf, als er mich ansprach.
»Sind Sie sicher? Sie meinen doch bestimmt meine Frau?«
Doch der Offizier wandte sich bereits zum Gehen. Ich sollte ihm offenbar folgen. Also marschierten wir die Treppen zur Brücke hinauf, ins Heiligste.
Der Kapitän stand an einem Pult; vor ihm leuchteten eine Menge Knöpfe, blinkten Anzeigen, flimmerten Monitore. Hinten im Raum standen drei weitere Herren, schweigend, alle in weißer Uniform, einer machte sich am Kartentisch zu schaffen, die anderen blickten aus dem Fenster, mit einem Fernglas um den Hals.
Der Kapitän sah auf, als wir eintraten. Er ließ sein blinkendes Ensemble aus Knöpfen und Anzeigen sofort im Stich. Einer der Männer löste ihn schweigend ab und der Kapitän zog mich mit sich, zur Treppe und einen halben Stock tiefer.
»Große Sache, anscheinend«, erklärte er knapp. Er hatte die Mütze abgenommen, sie hatte den kahlen Teil seines Kopfes bedeckt, nur die weißen Schläfen leuchteten darunter hervor. Mit Mütze sah der Kapitän aus, wie ein weißhaariger Seebär, jetzt dagegen sah er wie ein Glatzkopf aus.
Ich stand im Raum, sah ihn an.
Er bedeutete mir, dass ich mich setzen solle, in einen der Ledersessel; dann blickte er auf seine Armbanduhr,zeigte auf sein fulminantes Telefon: »Es soll gleich ein Anruf kommen, auf meiner Leitung.« Der Kapitän zuckte die Schultern; mehr könne er auch nicht sagen, aber es wäre wohl sehr eilig gewesen; und man hätte ihn gebeten, dieses Telefon zur Verfügung zu stellen.
Das Telefon klingelte, der Kapitän stand sofort auf, griff nach seiner Mütze und verließ die Kabine. Ich nahm den Hörer ab. Eine Frauenstimme sagte »Moment« und ich wurde durchgestellt; und dann hörte ich die Stimme des Talleyrand.
Ob ich denn auch schön Sonne tanke, hatte der Talleyrand gefragt, offensichtlich prächtig gelaunt, und ob es mir gut gehe?
Ich bejahte beides, erleichtert, und er entschuldigte sich für die Störung; doch jetzt müsse es schnell gehen; aber ich solle mich vorher ordentlich erholen, denn es kämen Aufgaben auf mich zu. Wenn ich denn wolle.
»So?«, fragte ich – und ärgerte mich sofort, denn beim Talleyrand durfte keine Verwirrung gezeigt werden.
Ja, es ginge also darum, sich »neu aufzustellen«, hatte der Talleyrand erklärt, »für die kommenden Jahre.« Mit einem neuen Team; in der Opposition. Man wolle sofort wieder angreifen – und es wäre ein Platz für mich reserviert. Im Planungsstab.
Ich schwieg, perplex, dankte, wollte es mir überlegen und legte auf. Himmel, das war ein Ding! Ein Platz im Planungsstab …, Planungsstab …, ich sagte das Wort ein paar Mal vor mich hin …, das klang gut; ich war ganz aufgewühlt und verließ die Kabine des Kapitäns+, schlenderte das Deck entlang. Ja. Ein hübsches Angebot war das.

Aber ich wollte es nicht annehmen.
Der Golf von Mexico lag vor mir, viel Wasser, und mein eigener Weg schien glasklar vor mir zu liegen. Ich wollte weiterschreiben. An meinem Roman. Ohne weitere Unterbrechungen. Aber konnte ich so ein Angebot ablehnen? Und was würde Lisi dazu sagen?
Sie hatte sich dann geweigert, das Angebot des Talleyrands überhaupt nur zur Kenntnis zu nehmen. Sie war eine Künstlerin. Ich kam gar nicht dazu, ihr zu sagen, dass ich es selbst nicht wollte, sofort war sie aufgebracht umhergegangen: Nein, ich solle schreiben! Und als sie mich mit diesen Leuten bekannt gemacht hatte, da hätte sie an einen vorübergehenden Job gedacht, an einen gut bezahlten Job; aber keinesfalls an eine Dauerstellung. Du großer Gott! Eine Dauerstellung. Im Planungsdings! Nein, das käme überhaupt nicht in Frage, sie wäre nicht interessiert, ganz und gar nicht.
Ich war glücklich, dachte genauso. Aber ich rechnete ihr pflichtschuldig vor, was ich verdienen könnte, jeden Monat.
Aber nein, sie wäre nicht interessiert. Ich solle jetzt weiter schreiben, wie es von Anfang an geplant war, einfach nur schreiben, ohne nach rechts oder links zu sehen.
»Es ist jedenfalls ziemlich viel Geld«, hatte ich noch einmal erklärt.
Lisi hatte genickt, ungerührt, höflich: Ja, und sie könne es gern wiederholen, doch eigentlich hätte sie sich ja schon umfassend und ausführlich zu dieser Frage geäußert. Und sie hätte dem beim besten Willen nichts hinzuzufügen.
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Marc,
der erste Teil der Geschichte begeistert mich, der Zweite lässt mich unbefriedigt zurück. Sicher verstehe ich hier eine Anspielung nicht. Ich habe keine Ahnung, wer oder was der Talleyrand ist. Vielleicht entgeht mir dadurch die Pointe.

Im ersten Teil baust du die Spannung sehr gekonnt auf. Die Szenerie ist unwirklich. (Wie kann so ein altertümliches Telefon auf einem Schiff funktionieren?) Das ließt sich geschmeidig wie Sahnekuchen.
Nach der Leerzeile geht dann die Spannung plötzlich verloren. Man wohnt quasi einem häuslichen Streit zwischen Lisi und dem Erzähler bei. Da ich nicht weiß, wie das Angebot zu verstehen ist und auch Lisi nicht kenne, lässt dieser Streit mich kalt. Du untergräbst die Spannung schon dadurch, dass du das Ergebnis des Streits gleich am Anfang mitteilst:
Sie hatte sich dann geweigert, das Angebot des Talleyrands überhaupt nur zur Kenntnis zu nehmen.
Wobei "Zur Kenntnis nehmen" mir hier auch nicht ganz passende formuliert scheint. Sie nimmt das Angebot ja zur Kenntnis. Sie lehnt es nur nachdrücklich ab.

Lange Schreibe kurzer Sinn, den zweiten Teil würde ich umarbeiten.

Viele Grüße
lietzensee
 

Klaus K.

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Marc,

hier soll offensichtlich der Leser überfordert werden. Glücklicherweise sagt mir "Talleyrand" etwas, und es genügt bereits die Biografie von Johannes Willms, wenn man seine Geschichtskenntnisse erweitern will. Falls nicht, beim "Wiener Kongress" sollte es dann aber spätestens auch ohne diese literarische Unterstützung klingeln.
Was Talleyrand mit dieser Geschichte hier aber dann zu tun haben soll, erschließt sich mir überhaupt nicht. Es ist dermaßen weit hergeholt, dass der Namensmissbrauch sofort auffällt. Künstliche "Spannung" , versehen mit Irritation pur.
Da passt weder der historische noch der zeitliche Bezug, noch das "Angebot". Talleyrand war Einzelkämpfer und Außenminister unter Napoleon. Der Talleyrand in dieser Geschichte hier hat zwar den gleichen Namen, aber weder die Bedeutung und auch keinerlei Bezug zur Leistung der historischen Figur.
Die ganze Geschichte ist - vorsichtig formuliert - dadurch ganz einfach überzogen, ein Versuchsballon mit lediglich einem interessanten, lockenden Titel.

Sorry, aber der Text hat mich deshalb überhaupt nicht überzeugt. Ansonsten schließe ich mich meinem Vorgänger oben an.

Mit bestem Gruß, Klaus
 

Marc Hecht1

Mitglied
Hallo lietzensee,

vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar. Und Du hast recht, einiges bleibt wohl zu unklar in dieser Geschichte. Es ist ein Kapitel aus einem geplanten Roman, das ich herausgenommen habe, um es zu einer kurzen Story zu komprimieren. Dabei habe ich aber offensichtlich zu stark komprimiert.
Zum Beispiel habe ich geglaubt, dass allein der Name Talleyrand auf einen recht opportunistischen und mit allen Wassern gewaschenen Politiker deutet, auf einen Strippenzieher im Hintergrund. Aber es ist wohl zu wenig erklärt.
Der Spitzname Talleyrand und der Begriff Planungsstab reichen nicht aus, um Einzelheiten zu diesem neuen Job zu erfahren. Es geht um den Job im Planungsstab einer großen Partei, der Prota ist Journalist, gerade abgeworben von einer politischen Partei, seine Frau Lisi ist Sängerin. Das alles kam in dieser Story aber nicht richtig rüber. Vielen Dank also für Deine Worte, sie bestätigen meine Befürchtung, dass ich die Story zu stark verdichtet habe und wichtige Infos außen vor bleiben,

mit herzlichen Grüßen

Marc
 

Marc Hecht1

Mitglied
Hallo Klaus,

vielen Dank für Deinen Kommentar. Aber um Gottes Willen: Warum soll ich versuchen, die Leser zu überfordern? Das ist doch eine Todsünde für einen Autor! Nein, ich habe das nicht versucht, aber es ist am Ende wohl dabei herausgekommen. Talleyrand ist ein Spitzname. Für einen Politiker, der im Hintergrund Fäden knüpft und schon mehreren Herren gedient hat. Der Job im Planungsstab ist ein politischer Job, für den Planungsstab in einer Parteizentrale. Dies alles kommt in der Story aber offenbar nicht ansatzweise richtig rüber, deshalb vielen herzlichen Dank für Deine Worte, die mich bestätigen, diese Geschichte nochmal zu überarbeiten.

Mit freundlichen Grüßen

Marc
 



 
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