Der Todesbote - erster Teil (Kap. 1 und 2)

Billyboy

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1. Kapitel

Es war einer jener gar nicht so seltenen Tage, an denen die Themse unter den klaren Strahlen der spätherbstlichen Sonne wie eine edelsteinbesetzte Kette glitzerte und die Spaziergänger die frische Luft am Wasser von Herzen genossen. Die Silhouette von Westminster vor der in Bälde untergehenden Sonne war für den Mann, der eilenden Schrittes die Lambeth Bridge überquerte, nur als verschwommener Schatten erkennbar. Der Mann, er unterschied sich eigentlich kaum von zahlreichen anderen Herren mit dunklem Anzug in der nachmittäglichen City, hatte dafür allerdings keinen Blick. In der linken Hand hielt er eine abgewetzte Aktentasche, in der rechten einen Zettel, auf dem eine Wegbeschreibung vermerkt war. Einem Betrachter wäre vermutlich der dunkle Teint der Haut aufgefallen, was ein Indiz dafür sein konnte, dass der Mann erst kürzlich aus dem Süden in das feuchte und kühlere England gekommen war. Die Gestalt des Mannes wirkte trotz der Zielstrebigkeit seiner Schritte eher gebeugt, tiefe Falten hatten sich in sein ebenmäßiges, leicht kantiges Gesicht gegraben, die ihn älter erschienen lassen, als er tatsächlich war. Wenn er lachte, was er selten tat, umspielten seine klaren blauen Augen kleine lustige Fältchen, die das wahre Alter durchscheinen ließen, gerade fünfunddreißig Jahre war der Mann vor einigen Tagen geworden.

Inzwischen hatte der Fußgänger die Brücke verlassen und war nach Norden abgebogen, an Westminster Hall vorbei. Er ging nach einem kurzen Moment der Orientierung auf das imposante Backsteingebäude zu, welches seit 1890 als „New Scotland Yard“ die wohl erfolgreichste Polizeiorganisation der Welt beherbergte.
Die Uhr des nahen „Big Ben“ schlug gerade vier, als der Mann die schweren Eingangstüren durchschritt und sich beim Pförtner nach dem Büro von Kriminalchefinspektor Elk erkundigte.
Der Uniformierte blätterte in einem Hefter und wählte dann auf seinem monströsen Telefonapparat eine kurze Ziffernfolge. Nach wenigen Klingeltönen nahm jemand ab, der Pförtner fragte nach dem Inspektor, lauschte kurz und legte den Hörer auf die Gabel.
„Der Chefinspektor kommt sofort, Sir. Sie möchten bitte hier warten.“
Der Mann nickte und trat zur Seite. Mit wenigen Blicken erfasste er die Einrichtung, das Portrait der Queen, Abbildungen ehemaliger Polizeichefs, ein paar gerahmte Urkunden und so weiter.
Hinter ihm hüstelte es. Der Mann fuhr herum und starrte in das müde Gesicht eines vielleicht fünfzig jährigen untersetzten Mannes mit schütterem dunkelblondem, gescheiteltem Haar.
„Inspektor Beechum? Erfreut, Sie kennen zu lernen, Herr Kollege!“ Der Blonde streckte die Hand aus. Der mit Inspektor Beechum Betitelte ergriff die schlaffe Hand und schüttelte sie energisch.
„Ganz meinerseits, Chefinspektor Elk. Beeindruckendes Gebäude hier. Bei uns in Sydney ist alles ein wenig kleiner.“ Er wies um sich. Chefinspektor Elk nickte kurz. „Hm, aber nächstes Jahr ist Schluß, ein neues Gebäude wird gerade hergerichtet, so ein Betonklotz gar nicht weit von hier.“ Beechum nickte. Elk brummte etwas unverständliches und bedeutete dem Kollegen, ihm zu folgen.

Als sie kurz darauf in dem kleinen Büro des Scotland Yard Mannes saßen, Elk hinter dem abgenutzten Schreibtisch, Beechum auf einem Besucherstuhl schräg davor, sahen sich beide kurz an, dann fragte der Gastgeber: „Was kann ich für Sie tun, Herr Kollege? Sie sagten etwas von einem alten Mordfall? In den ein ehrenwertes Mitglied der hiesigen Gesellschaft verwickelt sei?“
„Es könnte sein“ hub Beechum an. „Es sind bei uns neue Hinweise zu einem Fall aufgetaucht, der über dreißig Jahre zurück reicht. Es geht um den Tod der Krankenschwester Mary Hyde, der seinerzeit unaufgeklärt blieb. Die junge, ledige Frau war 1931 unter mysteriösen Umständen ertrunken im Hafen von Sydney aufgefunden worden. Merkwürdig war, dass sie einige Wochen zuvor verschwunden war und erst wenige Tage vor ihrem Tod wieder in ihrer kleinen Wohnung auftauchte.“ Beechum räusperte sich. „Laut den alten Unterlagen“ er tippte auf seine Aktentasche, „befragte die Polizei zahlreiche Freunde und Bekannte der Frau, Verwandte hatte sie wohl keine mehr, ohne auf eine wirklich heiße Spur zu stoßen. Einer der Befragten hieß Albert Donovan und war einer der zahlreichen Verehrer der Toten, die offensichtlich...“, er zögerte kurz, „kein Kind von Traurigkeit gewesen sein soll.“
„Moment! Meinen Sie DEN Albert Donovan? Den, der morgen zum Lord Mayor der City of London ernannt werden soll?“ Elk wirkte angespannt.
„Genau den Albert Donovan“ bestätigte der Australier genüsslich. Er musterte seinen Londoner Kollegen. Doch Elk hatte sich wieder unter Kontrolle. „Das ist ja ein Ding“ meinte er schließlich.
Beechum erläuterte, dass vor einigen Wochen unter dem Nachlaß eines verstorbenen Kapitäns ein Brief aufgetaucht war, in dem von der verstorbenen Krankenschwester die Rede war. Er zitierte: „Denken Sie daran, wie es Mary ergangen ist. Wenn Sie nicht so enden wollen, tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe. Und lassen Sie das Paket verschwinden, am Besten auf Nimmer Wiedersehen!“. Unterschrieben war der Brief von Albert Donovan.
„Gab es denn irgendwelche Anhaltspunkte für ein Gewaltverbrechen?“ hakte Elk nach.
„Laut Obduktionsbericht gab es Kratzwunden und Abschürfungen, die nicht eindeutig von einem Sturz herrührten, aber auch Mord ließ sich nicht beweisen“ erwiderte Beechum. Er hatte eine Kopie des Briefes seiner Mappe entnommen und sie dem Scotland Yard Mann auf den Tisch gelegt. Dieser überflog das Schreiben.
„Hm, Donovan schreibt auch noch etwas von 200 Pfund, die er dem Kapitän dazu übergeben habe. Alles in allem belastend, aber sicher noch kein Beweis.“
„Leider nicht. Aber es ist ein Anhaltspunkt.“ Der Australier verstaute das Dokument in seiner Aktentasche.
Elk räusperte sich erneut: „Ich äh, ich muß Ihnen etwas sagen, Herr Kollege.“ Zwei Augenpaare sahen sich aufmerksam an. „Albert Donovan war vor einigen Tagen bei mir. Er bat um Rat. Seit einigen Wochen erhält er anonyme Briefe, die seinen baldigen Tod ankündigen. Donovan ist sicher kein leicht zu ängstigender Mensch, aber es gab wohl einige Vorfälle, die ihn dazu gebracht haben, sich an uns zu wenden.“
Und der Chefinspektor berichtete seinem australischen Kollegen von den toten Ratten vor Donovans Haus nahe Gerrards Cross sowie von der Puppe ohne Kopf, die Donovan anonym in sein Büro an der Fetter Lane geschickt worden war. Beide Male hatte ein anonymes Schreiben beigelegen, etwa mit den Worten „Denk an damals! Beichte Deine Sünden“
„Ich habe ihm geraten, vorsichtig zu sein und möglichst nicht allein irgendwo hin zu gehen. Ich musste ihm aber auch sagen, dass wir ohne weitere Anhaltspunkte nicht viel tun können.“ schloß der Chefinspektor seine Bemerkungen.
In diesem Moment schellte das Telefon. Elk nahm den Hörer von der Gabel und brummte etwas hinein. Dann knurrte er: „Schicken sie ihn rauf. Er kennt ja den Weg.“ Und zu Beechum gewandt: „Wenn man vom Teufel spricht. Albert Donovan gibt sich die Ehre. Er soll ganz aufgelöst sein.“


2. Kapitel

„Diese Todeanzeige stand heute in der „Times“!“ Der Industrielle und für das Amt des Lord Mayor der City of London nominierte Donovan wedelte mit einem aus der Zeitung herausgerissenen Stück Papier. Er war gut sechzig Jahre alt, mittelgroß und leicht übergewichtig. Listige Äuglein blitzten über der fleischigen Nase und dem kräftigen gespaltenen Kinn. Sein Anzug, von einem der führenden Schneider in Haymarket maßgefertigt, war etwas derangiert, das Einstecktuch drohte aus der Tasche zu rutschen, die Krawatte flatterte über dem Jackett. „Meine Herren, was gedenken Sie gegen diesen Unsinn zu unternehmen?“ Das Stück Zeitung landete krachend vor dem Chefinspektor. Dieser las die Anzeige laut vor: „Mit Trauer verkünden wir die Nachricht vom überraschenden und plötzlichen Ableben des Industriellen Albert Donovan, der in seinem Leben stets rücksichtslos gegen andere gehandelt hat, um selber Macht und Geld anzuhäufen. Er starb am 12. November während des Lord Mayor´s Day. Seine Seele möge in der Hölle schmoren für alles, was er getan hat! Er hat nicht gebeichtet!“ Elk gab das Blatt dann seinem australischen Kollegen. „Darf ich übrigens vorstellen? Inspektor Beechum von der Polizei Sydney, Albert Donovan.“ Donovan zuckte kurz zusammen, schaute den Polizisten kurz an und wandte sich wieder dem Chefinspektor zu. „Na und. Was gedenken sie zu unternehmen? Wie sieht das aus? Meine Todesanzeige mit Datum von übermorgen steht in der „Times“. Und diese böswilligen Verleumdungen! Was sollen meine Geschäftspartner denken, was die Queen und der Lord Chief Justice?“ Donovan stemmte sich auf den überfüllten Schreibtisch des Yard-Beamten.
„Das sollte Ihre geringste Sorge sein, Mr. Donovan.“ ertönte es hinter ihm. Der Industrielle fuhr herum und starrte den Australier mit wachsendem Interesse an. „Warum?“ bellte er.
„Weil ich glaube, dass es der Urheber dieser Drohungen ernst meint.“ Beechum beobachtete die Wirkung seiner Worte aus den Augenwinkeln heraus. Dann fuhr er fort: „Wenn sich jemand solche Mühe gibt, ist nicht von einem Scherz auszugehen. Immerhin muß er einiges an Aktivitäten aufbieten, um eine solche Anzeige anonym aufgeben zu können. Und auch die anderen Drohungen sind ja handfest unterfüttert. Sagen Sie“, er schaute den Industriellen aufmerksam an, „warum könnte Ihnen jemand nach dem Leben trachten wollen? Haben Sie Feinde?“
„Natürlich! Und wie. Ich bin erfolgreich, seit vielen Jahren wächst mein Geschäft. Das schafft Neider. Und natürlich auch die Konkurrenten, die aufgeben mussten, weil ich zu gut war. Jetzt auch noch die Wahl zum Lord Mayor. Was meinen Sie... Fragen Sie lieber, wen ich nicht zum Feind habe, ha.“ Albert Donovan hielt kurz inne. Er wandte sich wieder dem Chefinspektor zu, sein Gesicht nah am Gesicht seines Gegenüber: „Schützen Sie mich! Ich verlange als Bürger und Steuerzahler allen Schutz, den ich kriegen kann. Tag und Nacht, bis dieser Irre gefasst ist!“

Eine halbe Stunde später saß Chefinspektor Elk allein über seinen Schreibtisch gebeugt und ordnete die Unterlagen im Fall Donovan, wie er ihn schon nannte.
Sein australischer Kollege wollte sich von der anstrengenden Flugreise erholen und dann einige Erkundigungen über Donovan anstellen. Elk selber machte sich Gedanken zum Verlauf des Lord Mayor´s Day in zwei Tagen. Wenn die Drohungen ernst gemeint waren, war das Leben des künftigen Lord Mayors insbesondere während des Lord Mayor´s Day in Gefahr. Der Chefinspektor hatte sich eine Übersicht über den Ablauf der Zeremonie verschafft, die er jetzt durchging. Die Lord Mayor´s Show, die traditionelle Prozession am Samstag nach dem 9. November, diente seit dem 13. Jahrhundert der Amtseinführung des neuen Oberbürgermeisters der Londoner City mit viel Pomp und Gloria. Der Lord Mayor fuhr in der über zweihundert Jahre alten vergoldeten Kutsche von der Guildhall über eine festgelegte Strecke zu den Royal Courts of Justice, wo er vor dem Lord Chief Justice und anderen ausgewählten Richtern eine amtliche Erklärung abgab. Die Straßen waren traditionell von Schaulustigen gesäumt, die dem farbenfrohen Spektakel unter Mitwirkung hunderter Teilnehmer in historischen Kostümen, Kutschen, Fanfarenzügen etc. beiwohnen wollten. Albert Donovan unter diesen Bedingungen schützen zu wollen schien beinahe unmöglich, konnte der Täter doch unerkannt in der Menge auflauern und ebenso unentdeckt wieder verschwinden, ehe noch sein Opfer tödlich zusammengebrochen war. Elk schüttelte den Kopf. So würde man nicht weiter kommen.

Während dessen hatte sich der australische Ermittler in seine Pension nahe der Hercules Road begeben, geduscht, ein Sandwich zu sich genommen und starrte auf die Kopie einer alten Liste. Es handelte sich um eine Mannschaftsliste des Frachters „Golden Brigg“, jenes Schiffes, welches der kürzlich in Sydney verstorbene Seemann 1931 als Kapitän befehligte. Einige Namen waren bereits durchgestrichen, hinter einigen hatte jemand mit Bleistift ein Kreuz gemalt. Der letzte noch offene Name lautete Henry Black. Er hatte zur fraglichen Zeit als Koch auf der „Golden Brigg“ gedient und sollte laut der Meldebehörde in Poplar nahe den East India Docks ein Zimmer im Gasthaus „Three Oaks“ bewohnen. Beechum machte sich mittels seines Stadtplanes mit der Gegend vertraut, nahm seine prall gefüllte Aktentasche und verließ die ruhige Pension.
Nach wenigen hundert Metern erreichte er Waterloo Station.

Als er nahe den East India Docks wieder auf die Straße trat, war es bereits dunkel. Auch das Stadtbild hatte sich verändert. Graue und schmutzig rote Backsteinfassaden alter, teilweise auch verfallener Häuser prägten die Umgebung. Immer wieder reckten sich alte Hallen und Industriebauten über die kleineren Wohnhäuser. Er überquerte die Poplar High Street und bog in eine kleine Gasse ab. Erste Nebelschwaden zogen von den Docks auf. Die Geräuschkulisse des Hafens klang gedämpft herüber. Die wenigen Gaslaternen brachten kaum Helligkeit in die Straßen; die engen Gassen mit den zahlreichen Schatten und dunklen Ecken konnten auf eine ängstliche Seele schon furchteinflößend wirken. Auch schienen nicht viele Menschen unterwegs zu sein, obwohl es doch Feierabendzeit war.
Im Schatten einer alten, fast verfallen wirkenden Kirche stand die Spelunke mit dem angeberischen Namen „Three Oaks“, denn es war nicht eine einzige Eiche zu entdecken. Gedämpftes Licht fiel durch die verdreckten Scheiben auf den Gehsteig, Musikfetzen aus einem Automaten wehten aus der Tür, die sich kurz öffnete, um einen torkelnden Seemann auszuspeien. Beechum überquerte den kleinen Platz und trat ein.
Ein Schwall verbrauchter und rauchiger Luft wehte dem Inspektor entgegen. Wie von ihm getragen umwehte die Musik aus dem Automaten jetzt laut seine Ohren. Er benötigte einen Moment der Orientierung, bis er hinter einigen gut besetzten Tischen und Schwaden aus billigem Tabakrauch die Theke ausmachen konnte und hinter ihr eine dicke, heruntergekommene Frau mit fettigen, grauen Haaren und einer ehemals bunten, inzwischen aber verwaschenen Kittelschürze.
„Was gibt’s?“ fragte sie in breitem Cockney-Dialekt. Beechum wies sich aus und erkundigte sich nach Henry Black.
„Ach, die Bullen... Geh´n se hoch, erstes Zimmer, laut klopfen. Hört schlecht. Was woll´n se denn? Der tut keener Fliege nichts“
Beechum ignorierte die Frau und betrat den Flur. Er stieg die Stufen hinauf, ohne sich nach der grummelnden Wirtin umzudrehen. Mit kräftigem Klopfen verschaffte er sich Gehör. Kurz darauf saß er dem alten Seemann Henry Black gegenüber. Black war klein, dürr, ja fast schon ausgemergelt. Der unstete Blick wanderte von seinem Besucher hinüber zu dem Vertiko mit alten Fotografien, zum Tisch mit dem Portwein und wieder zu seinem Besucher.
„Ich habs gewusst“ sinnierte der Alte, griff zu seinem halbvollen Glas Port und kippte den Inhalt hinunter. „Irgendwann fragt einer, ich wusste es!“ Black schenkte sich nach. Sein Gegenüber wartete stumm.
„Es war 31 glaub ich, Herbst, ja, genau, so etwa um diese Zeit herum. Wir lagen vor Sydney und luden Wolle und so. Da kam Sam, Sam Whooley, unser Kap`tän, zu mir in die Kombüse. Wir kannten uns gut, fuhren seit Jahren auf demselben Schiff, er als Erster Offizier, dann als Kapt´än , ich als Koch. Kamen aus derselben Gegend in Wales... Nun ja, Sam bat mich, etwas für ihn zu verstecken. Es sei dringend, es ginge um Leben und Tod. Und er stecke in der Klemme, schulde jemandem einen Gefallen, und so.“ Erneut kippte Black den Port hinunter. Beechum meinte, das leise Pfeifen des Windes zu vernehmen, der durch die Ritzen der alten, morschen Fenster pfiff. Alles andere um ihn herum schien zu verstummen, kein anderer Laut drang an seine Ohren. „Er schimpfte auf diesen Bastard, und er flehte mich an, ihm zu helfen.“ Henry Black starrte dem Australier in die Augen und schwieg betroffen.


Die Gestalt hatte sich hinter den Bretterstapel zurück gezogen, bevor der Mann in den verwaschenen Lichtkreis der einsamen Gaslaterne getreten war. Der Mann, bekleidet mit dunklem Troyer und Pudelmütze, sah sich suchend um. Als er sich die billige Zigarre im Mundwinkel anzündete, konnte die Gestalt hinter dem Holzstapel einen Blick auf das Gesicht des Wartenden werfen. Es war Henry Black, der alte Schiffskoch, der sich erneut suchend umsah. Von der Themse her drang das vom Nebel gedämpfte Plätschern des Wassers herüber, ein Nebelhorn verkündete einsam die Anwesenheit eines größeren Schiffes. Black schwankte ein wenig, als er leicht fröstelnd im Schein der Laterne auf und ab ging.
Die Gestalt löste sich leise aus dem Schatten des Holzstapels. Etwas langes und dünnes wurde hochgehoben und auf den wartenden Seemann gerichtet. Beinahe lautlos schoß ein kleiner Pfeil aus dem Blasrohr und traf den alten Schiffskoch von hinten im Nacken. Überrascht griff sich der Sterbende an die Stelle, welche der Pfeil getroffen hatte, drehte sich langsam um und sah die Gestalt fragend an. Röchelnd stammelte er: „Warum? Warum? Ich habe doch... nie...“ Black krümmte sich, brach wie in Zeitlupe zusammen. Die Gestalt trat an das reglos liegende Opfer heran und entfernte den Pfeil, vorsichtig darauf bedacht, die Spitze nicht zu berühren. Mit wenigen geübten Handgriffen durchsuchte der Mörder die Sachen des Toten, ohne etwas von Belang zu finden. Er zerrte – leise fluchend - den leblosen Körper an das Themseufer heran und stieß die Leiche ins dunkle Wasser.
Ohne sich weiter umzusehen, entfernte sich die Gestalt vom Ort des Geschehens und verschwand nach wenigen Sekunden in der Dunkelheit. Lediglich zwei rivalisierende Katzen fauchten sich an, sprangen auf den Holzstapel flitzten lautlos davon.
 



 
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