Gernot Jennerwein
Mitglied
Der Traumdeuter
Als gegen Mitternacht eine finstere Gestalt über die Brücke am Stadtrand schlich, vorbei an den zwei Türmen, die das Leben der Bürger bewachten, zwischen den Häusern durch die Gassen glitt, von einem Schatten in den nächsten springend, dabei mit größter Sorgfalt darauf bedacht, nicht offensichtlich zu sein, fiel der Mondschein nur spärlich durch den lichten Nebel herab.
Ein derbes Knirschen und Wetzen machte sich auf dem Trottoir unter den Schritten des Fremden breit, dessen Gehabe, dem eines diebischen Halunken glich. Im Vorwärtsdrängen zog er sein verkrüppeltes Bein hinterher sich her, jedoch schienen die vollführten Bewegungen mit einer gewissen Leichtigkeit vonstattenzugehen, obwohl es mehr ein Hüpfen als ein Laufen war. Sein zischendes, beinahe pfeifendes Atmen hing gedämpft in der Luft. Er konnte den Kopf nicht hoch genug halten, schaute prüfenden Blickes nach links und dann wieder nach rechts, von einem Haus zum nächsten, von den Fundamentmauern bis hinauf zu den Giebeln und allen Dächern.
Nach einem Weilchen, eine Glocke in der Ferne schlug soeben die volle Stunde ein, hatte der seltsame Kerl das Stadtviertel der Handwerker und des einfachen Gesindes erreicht. Ein lauerndes Kätzchen zuckte in seinen Gliedern zusammen, duckte sich und in schnellster Flucht sprang es an einem Stalltor in eine breite Ritze. Da blieb der eilende Mensch stehen. Mit beiden Händen den Überrock zur Glätte streichend, als wäre er zufrieden und als hätte er endlich gefunden, wonach sein Suchen strebte. Verstohlen, mit tückischen Blicken sah er sich um. Niemand beobachtete sein nächtliches Treiben. Eng hielt er eine Gesichtshälfte an das Mauerwerk, des vor ihm befindlichen Gebäudes und lauschte mit verzerrtem Munde. Nach nur kurzer Zeit schmatzte er genüsslich.
Wie ein Spinnentier stieg er an dem ausgewählten Haus empor, bis er an einem geöffneten Fenster angekommen war. Seine Augen begannen zu glänzen, als er das Kind friedlich in seinem Bettchen schlummern sah. Ohne Lärm stieg er über die Brüstung in das Zimmer hinein.
Die Backen des Jungen waren gerötet, der Mund ein wenig geöffnet, wobei über ihm, kaum zu erkennen, ein kleiner Traum unterhalb der Decke schwebte.
Entzückt begann der nächtliche Besucher mit seinen Augen zu rollen. Ein gequältes Stöhnen drang aus seiner Kehle, als er sah, dass der Knabe in seinem Schlafe lächelte.
Da holte der Mann einen Sack aus seinem Rock hervor und mit größter Behutsamkeit stülpte er ihn über den Traum. Mit ungeschickten Fingern knüpfte der nun vor Erregung zitternde Kerl den Sack mit einem dünnen Strick zusammen und verließ, ohne weitere Umstände zu machen mit seinem gestohlenen Gut auf gleichem Wege den Raum und suchte schleunigst das Weite.
Der Morgen graute bereits, als der düstere Geselle weit von allen Menschen entfernt auf einer Lichtung umgeben von einem dichten Wald zu Ruhe kam. Er setzte sich auf einen Stein und löste die Schnur von dem prallen Sack, der zu seinen Füßen auf dem Erdreich lag. Kaum wagte er zu schnaufen, in Erwartung der nun folgenden Geschehnisse.
Der Traum kam mit schwebenden Bewegungen aus der Öffnung hervor, hob ein wenig ab und verharrte im ersten Morgenlicht. Regungslos blickte der Dieb in den Traum hinein. Er sah die Luftballons in allen Farben, Schaukeln am Himmel, die zu fliegen schienen. Elfen und Könige in einem Märchenland, Prinzessinnen von Zwergen begleitet und ein kleines Mädchen mit einer Blume im Haar, Kinder auf einem Schiff, die glücklich spielten und fortwährend lachten.
Der Dieb jauchzte und jubelte bei den Ereignissen, dabei klatschte er unermüdlichen Beifall, strampelte mit den Füßen in wildester Manier.
Aber als die Sonne aufging, verschwamm der Traum, zerbrach auf einmal in lauter winzige Fetzen und war verloren, für immer, als sei er nie da gewesen. Stille kehrte ein. Regungslos saß der Traumdeuter eine Weile lang so da. Er fiel er auf seine Knie und warf das Gesicht in die aufgeschlagenen Hände. Ein grässliches Winseln drang aus seinem Leib.
Als gegen Mitternacht eine finstere Gestalt über die Brücke am Stadtrand schlich, vorbei an den zwei Türmen, die das Leben der Bürger bewachten, zwischen den Häusern durch die Gassen glitt, von einem Schatten in den nächsten springend, dabei mit größter Sorgfalt darauf bedacht, nicht offensichtlich zu sein, fiel der Mondschein nur spärlich durch den lichten Nebel herab.
Ein derbes Knirschen und Wetzen machte sich auf dem Trottoir unter den Schritten des Fremden breit, dessen Gehabe, dem eines diebischen Halunken glich. Im Vorwärtsdrängen zog er sein verkrüppeltes Bein hinterher sich her, jedoch schienen die vollführten Bewegungen mit einer gewissen Leichtigkeit vonstattenzugehen, obwohl es mehr ein Hüpfen als ein Laufen war. Sein zischendes, beinahe pfeifendes Atmen hing gedämpft in der Luft. Er konnte den Kopf nicht hoch genug halten, schaute prüfenden Blickes nach links und dann wieder nach rechts, von einem Haus zum nächsten, von den Fundamentmauern bis hinauf zu den Giebeln und allen Dächern.
Nach einem Weilchen, eine Glocke in der Ferne schlug soeben die volle Stunde ein, hatte der seltsame Kerl das Stadtviertel der Handwerker und des einfachen Gesindes erreicht. Ein lauerndes Kätzchen zuckte in seinen Gliedern zusammen, duckte sich und in schnellster Flucht sprang es an einem Stalltor in eine breite Ritze. Da blieb der eilende Mensch stehen. Mit beiden Händen den Überrock zur Glätte streichend, als wäre er zufrieden und als hätte er endlich gefunden, wonach sein Suchen strebte. Verstohlen, mit tückischen Blicken sah er sich um. Niemand beobachtete sein nächtliches Treiben. Eng hielt er eine Gesichtshälfte an das Mauerwerk, des vor ihm befindlichen Gebäudes und lauschte mit verzerrtem Munde. Nach nur kurzer Zeit schmatzte er genüsslich.
Wie ein Spinnentier stieg er an dem ausgewählten Haus empor, bis er an einem geöffneten Fenster angekommen war. Seine Augen begannen zu glänzen, als er das Kind friedlich in seinem Bettchen schlummern sah. Ohne Lärm stieg er über die Brüstung in das Zimmer hinein.
Die Backen des Jungen waren gerötet, der Mund ein wenig geöffnet, wobei über ihm, kaum zu erkennen, ein kleiner Traum unterhalb der Decke schwebte.
Entzückt begann der nächtliche Besucher mit seinen Augen zu rollen. Ein gequältes Stöhnen drang aus seiner Kehle, als er sah, dass der Knabe in seinem Schlafe lächelte.
Da holte der Mann einen Sack aus seinem Rock hervor und mit größter Behutsamkeit stülpte er ihn über den Traum. Mit ungeschickten Fingern knüpfte der nun vor Erregung zitternde Kerl den Sack mit einem dünnen Strick zusammen und verließ, ohne weitere Umstände zu machen mit seinem gestohlenen Gut auf gleichem Wege den Raum und suchte schleunigst das Weite.
Der Morgen graute bereits, als der düstere Geselle weit von allen Menschen entfernt auf einer Lichtung umgeben von einem dichten Wald zu Ruhe kam. Er setzte sich auf einen Stein und löste die Schnur von dem prallen Sack, der zu seinen Füßen auf dem Erdreich lag. Kaum wagte er zu schnaufen, in Erwartung der nun folgenden Geschehnisse.
Der Traum kam mit schwebenden Bewegungen aus der Öffnung hervor, hob ein wenig ab und verharrte im ersten Morgenlicht. Regungslos blickte der Dieb in den Traum hinein. Er sah die Luftballons in allen Farben, Schaukeln am Himmel, die zu fliegen schienen. Elfen und Könige in einem Märchenland, Prinzessinnen von Zwergen begleitet und ein kleines Mädchen mit einer Blume im Haar, Kinder auf einem Schiff, die glücklich spielten und fortwährend lachten.
Der Dieb jauchzte und jubelte bei den Ereignissen, dabei klatschte er unermüdlichen Beifall, strampelte mit den Füßen in wildester Manier.
Aber als die Sonne aufging, verschwamm der Traum, zerbrach auf einmal in lauter winzige Fetzen und war verloren, für immer, als sei er nie da gewesen. Stille kehrte ein. Regungslos saß der Traumdeuter eine Weile lang so da. Er fiel er auf seine Knie und warf das Gesicht in die aufgeschlagenen Hände. Ein grässliches Winseln drang aus seinem Leib.