Der Unterschied zwischen „mit“ und „für“

jon

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Der Unterschied zwischen „mit“ und „für“


Peter Maffay, Dresden, 1. 12. 1005: Es war die gleiche Show wie Leipzig, 11. 11. 2005. Aber es war nicht die selbe Show. Natürlich nicht. Es war nicht die selbe Halle. Es war nicht das selbe Publikum. Es waren genau genommen noch nicht mal die selbe Band und die selbe Ulrike – die Band hatte inzwischen 20 Konzerte in den Knochen und Köpfen und ich kannte die Show bereits. Was von all dem also lief schief?

Nein! Nein nein, es lief nicht aus dem Ruder, es war kein Fiasko, kein Flop, kein schlechtes Konzert. Es war nur nicht perfekt. Natürlich wusste ich, dass Leipzig kaum zu toppen sein würde, und ich hatte – so wenig Konzerte ich bisher auch besuchte – schon deutlich weniger Gutes erlebt. Ich bereue durchaus nicht, kurzentschlossen doch noch Dresden „gebucht“ zu haben. Und wenn Edmund Hartsch im Online-Tagebuch auf der Wernesgrüner-Homepage „den Osten“ lobt, dann ist das im Verhältnis der gesamten Tour wahrscheinlich auch berechtigt. Wer Leipzig nicht erlebt hat, hat Dresden bestimmt super gefunden. Nur: Ich hatte Leipzig erlebt.

Ich hatte erlebt, dass auch in den hintersten Rängen alle IN der Show waren statt nur dabei. Sprach- und ein bisschen ratlos vor ungewohnter Musik zu stehen, wie es anderswo gelaufen sein soll, ist die eine Sache, aber sich munter zu unterhalten, während vorn im wahrsten Sinne des Wortes die Musik spielt, finde ich ägerlich. Bei lauten Titeln vergaß ich es fast, doch mit jedem leiseren Ton hörte ich im Rücken – irgendwo von deutlich weiter hinten – Geplapper, wie es aus Kneipen dringt. Das stört, zerstört den Moment.

Und: Wenn man nicht zuhört, dann passiert auch, dass an Stellen geklatscht wird, wo es wirklich nicht passt. Nur weil der Name Herbert Dreilich fällt, muss man nicht jubeln. Besonders nicht, wenn gerade über den Tod des Karat-Sängers gesprochen wird. Sicher: Im Laufe des Dreilich-Songs „Mich zwingt keiner in die Knie“ wurde das Geplauder leiser. Peter Maffay „kriegte das Publikum“ – mit so einen Titel und mit so viel Charisma (mehr als in Leipzig, aber dazu später) kein Wunder. Er „kriegte sie“ auch noch zu vielen anderen Gelegenheiten, schließlich waren sie ja wegen ihm gekommen. Aber er behielt sie nicht und manchmal merkte man den „Trick“.

„Das Dresdener Publikum feiert bis zur letzten Note …“, schreibt Edmund Hartsch über das Konzert. Stimmt. Und es ist sicher toll, wenn die Fans zu Ehren Ihres Stars Party machen. Aber muss das während des Konzerts sein? Party ist immer auch die Forderung: „Mach, dass ich tanzen kann!“ Was aber, wenn der da vorn mehr als Abtanzen oder gar etwas so „Unspaßiges“ wie Beten, Nachdenken oder Träumen will?

Mir ist klar, dass diese Kritik nur wenige trifft – aber 10 % oder auch nur 5 % eines Publikums reichen, um die Stimmung einer Show zu färben. Auf die Leute da oben auf der Bühne abzufärben. Glaubt es oder nicht: Zu fühlen, dass man die Leute unterhält, dass sie einem zuhören – wie aufmerksam auch immer – , lässt einen die Sache anders machen, als wenn man fühlt, dass sie eintauchen, sich und das Rundrum und ihre Erwartungen, das Vorher und das Nachher, den Typen neben sich und alles außerhalb dieses Moments vergessen. Wenn man fühlt, wie sie Teil der Sache werden. Dann macht man die Sache nicht mehr, man ist sie. Gemeinsam.

An diesem Abend in Dresden hatten Peter und Band diesen Teppich des „gemeinsam die Sache sein“ nur ab und zu. So erschien es mir zumindest. Und so löchrig, wie der Teppich war, fing er auch die Abnutzungserscheinungen nicht auf, die wohl zwangsläufig gegen Ende einer Tour auftreten: Verschliffene Effekte, die zu sehr Routine sind, um noch volle Aufmerksamkeit zu bekommen, und zu wenig Routine sind, um „automatisch“ perfekt zu passen. Lasch gewordene Geschichten, weil man zum zigsten Mal dasselbe erzählt und einem im Stress des Moments nicht bewusst ist, dass man den „Knackpunkt“ zwar schon gebracht hat, nur eben nicht heute. Unkonzentriertheit, die zwar nicht zu Fehlern führt, die aber – um die Fehler grade noch zu umschiffen – Kraft aus der Show „abzieht“. Alles ganz normale Dinge und von Maffay und Band professionell im Griff behalten, so dass die Show nicht „rissig“ wurde. Kein Vorwurf, wirklich nicht, und man muss vielleicht Perfektion so sehr lieben wie ich, um es wahrzunehmen. Aber ich liebe Perfektion nun mal und ich habe es wahrgenommen.

Apropos Perfektion: Leipzig 11.11.2005 wäre wirklich kaum zu toppen gewesen. Außer von einem. Etwas, was ausgerechnet in Dresden passierte. Auch eine Art „die Sache sein“ – nur nicht gemeinsam. Am sichtbarsten, fühlbarsten geschah es bei „Der Weg“. War es in Leipzig eher eine gemeinsame Hymne mit dem Publikum, wirkte es in Dresden fast wie ein Gebet. Es hatte etwas beinahe Intimes. Dass Maffay auch ganze Konzerte so machen kann, bewies die Open-Air-Tour. Hier – in Dresden – wusste das Publikum nichts Rechtes damit anzufangen. Das war wohl oben auf der Bühne auch zu spüren, denn die Kraft dafür – und sich so zu präsentieren erfordert viel Kraft! – wollte oder konnte Peter dann wohl doch nicht mehr aufbringen. Also machten er und die Band in Dresden eine gute Show für das Publikum. Und ich werde mich immer an die (fast) perfekte Leipziger Show mit dem Publikum erinnern.

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Nachtrag:

Ich habe ein ungutes Gefühl.

Was ich von Dresden in erster Linie in Erinnerung behalten werde, ist Peters Abgang. Es war die letzte Show der Tour, richtig. Es war – in diesem Sinne – ein großer Abschied. Aber Peter war wie mit einem Gummiband an die Bühne, an den Applaus geheftet. Obwohl jemand ihn deutlich nach Schluss – Peter hatte sich am Bühnenrand niedergelassen, um Autogramme zu geben (?) – zur Eile mahnte, drehte er sich um und um und winkte und winkte. Als sei es die allerletzte Show gewesen, als würde er in Ruhestand gehen. Wie ein Süchtiger, der irgendwohin reist, wo er „trocken“ bleiben muss. Nun mag das – „süchtig nach Publikum“ sein, „das Publikum suchen“ – eines der wichtigsten Merkmale für Leute sein, die Erfolg haben. Nur: Ich habe – wider besseren Wissens – das unangenehme Gefühl, dass es hier auch in ganz und gar negativem Sinne zutrifft, im Sinne von „abhängig sein“, von „nichts Wichtigeres gibt es als das“. Es ist nicht so mit ihm, ich weiß es. Und fühle mich dabei, als redete ich mir nur ein, es zu wissen.

Obwohl Peter in dem Hartsch-Interview beteuert, zwar viel aber nicht zu viel zu machen, fühlt es sich für mich genau so an. Wie zu viel. Obwohl ich weiß, dass Peter (u.a.) mit Tania und Yaris etwas hat, was so kraftspendend ist, dass nichts unmöglich scheint, bin ich beunruhigt. Oder besser: Deshalb bin ich beunruhigt, denn es scheint nur so. Es ist wie Feuer unter einem Wasserkessel – heizt man zu sehr, ist das Wasser rasch verdampft und der Kessel glüht aus.

Ich weiß nicht, wie ich das ertragen sollte.
 

jon

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Peter Maffay, Dresden, 1. 12. 1005: Es war die gleiche Show wie Leipzig, 11. 11. 2005. Aber es war nicht die selbe Show. Natürlich nicht. Es war nicht die selbe Halle. Es war nicht das selbe Publikum. Es waren genau genommen noch nicht mal die selbe Band und die selbe Ulrike – die Band hatte inzwischen 20 Konzerte in den Knochen und Köpfen und ich kannte die Show bereits. Was von all dem also lief schief?

Nein! Nein nein, es lief nicht aus dem Ruder, es war kein Fiasko, kein Flop, kein schlechtes Konzert. Es war nur nicht perfekt. Natürlich wusste ich, dass Leipzig kaum zu toppen sein würde, und ich hatte – so wenig Konzerte ich bisher auch besuchte – schon deutlich weniger Gutes erlebt. Ich bereue durchaus nicht, kurzentschlossen doch noch Dresden „gebucht“ zu haben. Und wenn Edmund Hartsch im Online-Tagebuch auf der Wernesgrüner-Homepage „den Osten“ lobt, dann ist das im Verhältnis der gesamten Tour wahrscheinlich auch berechtigt. Wer Leipzig nicht erlebt hat, hat Dresden bestimmt super gefunden. Nur: Ich hatte Leipzig erlebt.

Ich hatte erlebt, dass auch in den hintersten Rängen alle IN der Show waren statt nur dabei. Sprach- und ein bisschen ratlos vor ungewohnter Musik zu stehen, wie es anderswo gelaufen sein soll, ist die eine Sache, aber sich munter zu unterhalten, während vorn im wahrsten Sinne des Wortes die Musik spielt, finde ich ägerlich. Bei lauten Titeln vergaß ich es fast, doch mit jedem leiseren Ton hörte ich im Rücken – irgendwo von deutlich weiter hinten – Geplapper, wie es aus Kneipen dringt. Das stört, zerstört den Moment.

Und: Wenn man nicht zuhört, dann passiert auch, dass an Stellen geklatscht wird, wo es wirklich nicht passt. Nur weil der Name Herbert Dreilich fällt, muss man nicht jubeln. Besonders nicht, wenn gerade über den Tod des Karat-Sängers gesprochen wird. Sicher: Im Laufe des Dreilich-Songs „Mich zwingt keiner in die Knie“ wurde das Geplauder leiser. Peter Maffay „kriegte das Publikum“ – mit so einen Titel und mit so viel Charisma (mehr als in Leipzig, aber dazu später) kein Wunder. Er „kriegte sie“ auch noch zu vielen anderen Gelegenheiten, schließlich waren sie ja wegen ihm gekommen. Aber er behielt sie nicht und manchmal merkte man den „Trick“.

„Das Dresdener Publikum feiert bis zur letzten Note …“, schreibt Edmund Hartsch über das Konzert. Stimmt. Und es ist sicher toll, wenn die Fans zu Ehren Ihres Stars Party machen. Aber muss das während des Konzerts sein? Party ist immer auch die Forderung: „Mach, dass ich tanzen kann!“ Was aber, wenn der da vorn mehr als Abtanzen oder gar etwas so „Unspaßiges“ wie Beten, Nachdenken oder Träumen will?

Mir ist klar, dass diese Kritik nur wenige trifft – aber 10 % oder auch nur 5 % eines Publikums reichen, um die Stimmung einer Show zu färben. Auf die Leute da oben auf der Bühne abzufärben. Glaubt es oder nicht: Zu fühlen, dass man die Leute unterhält, dass sie einem zuhören – wie aufmerksam auch immer – , lässt einen die Sache anders machen, als wenn man fühlt, dass sie eintauchen, sich und das Rundrum und ihre Erwartungen, das Vorher und das Nachher, den Typen neben sich und alles außerhalb dieses Moments vergessen. Wenn man fühlt, wie sie Teil der Sache werden. Dann macht man die Sache nicht mehr, man ist sie. Gemeinsam.

An diesem Abend in Dresden hatten Peter und Band diesen Teppich des „gemeinsam die Sache sein“ nur ab und zu. So erschien es mir zumindest. Und so löchrig, wie der Teppich war, fing er auch die Abnutzungserscheinungen nicht auf, die wohl zwangsläufig gegen Ende einer Tour auftreten: Verschliffene Effekte, die zu sehr Routine sind, um noch volle Aufmerksamkeit zu bekommen, und zu wenig Routine sind, um „automatisch“ perfekt zu passen. Lasch gewordene Geschichten, weil man zum zigsten Mal dasselbe erzählt und einem im Stress des Moments nicht bewusst ist, dass man den „Knackpunkt“ zwar schon gebracht hat, nur eben nicht heute. Unkonzentriertheit, die zwar nicht zu Fehlern führt, die aber – um die Fehler grade noch zu umschiffen – Kraft aus der Show „abzieht“. Alles ganz normale Dinge und von Maffay und Band professionell im Griff behalten, so dass die Show nicht „rissig“ wurde. Kein Vorwurf, wirklich nicht, und man muss vielleicht Perfektion so sehr lieben wie ich, um es wahrzunehmen. Aber ich liebe Perfektion nun mal und ich habe es wahrgenommen.

Apropos Perfektion: Leipzig 11.11.2005 wäre wirklich kaum zu toppen gewesen. Außer von einem. Etwas, was ausgerechnet in Dresden passierte. Auch eine Art „die Sache sein“ – nur nicht gemeinsam. Am sichtbarsten, fühlbarsten geschah es bei „Der Weg“. War es in Leipzig eher eine gemeinsame Hymne mit dem Publikum, wirkte es in Dresden fast wie ein Gebet. Es hatte etwas beinahe Intimes. Dass Maffay auch ganze Konzerte so machen kann, bewies die Open-Air-Tour. Hier – in Dresden – wusste das Publikum nichts Rechtes damit anzufangen. Das war wohl oben auf der Bühne auch zu spüren, denn die Kraft dafür – und sich so zu präsentieren erfordert viel Kraft! – wollte oder konnte Peter dann wohl doch nicht mehr aufbringen. Also machten er und die Band in Dresden eine gute Show für das Publikum. Und ich werde mich immer an die (fast) perfekte Leipziger Show mit dem Publikum erinnern.
 



 
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