Der verlorene Sieg
„Amüsant, Eure penetrant übertriebene Melodramatik rührt mich zu Tränen.“
Cumberland, seinerseits grösster Bewunderer als auch erbittertser Jäger dieses Monsters, wandte sich angewidert vom Zeugenstuhl ab und blickte in die von Trauer und Wut gezeichneten Gesichter der Zuschauer. Ihren Schmerz könnte er niemals nachfühlen. Zu schwer lasteten die vorher geschilderten Gräueltaten – fünf Tötungen, die unmenschlicher nicht sein könnten – auf den Herzen der anwesenden Mütter, Brüder und Freunden der Opfer.
„Jedoch bleiben nur zwielichtige Anschuldigungen einer achtklassigen Hure und die Schilderung dieses Balges … Etwas löchrig, nicht?“
Unglücklicherweise konnte dem niemand widersprechen. Cumberlands Beweiskette gründete auf Indizien. Der Empörtheit und Angst der Bevölkerung war es zu verdanken, dass der Prozess nur vier Tage nach einer ebenso befriedigenden wie spektakulären Inhaftierung zustande gekommen war.
„Ansonsten pflichte ich Euch bei, auch ich bezeichne mich als lustvolle Persönlichkeit. Gilt dies jedoch als Motiv, biete ich an, meinen Platz mit dem Richter zu tauschen.
Cumberland versuchte sich durch die verbalen Breitseiten und das sadistische Wesen nicht beeindrucken zu lassen, musste aber anerkennen, dass er einem überaus intelligenten Ausnahmeverbrecher gegenüber stand, der anscheinend von Mitleid und jeglichen anderen Gefühlen befreit agierte.
„Ich, rechtschaffener Bürger dieser prächtigen Stadt, werde in aller Öffentlichkeit gedemütigt und bloss gestellt. Nur gut, verbietet es der britische Anstand, mich ohne Prozess ans Kreuz zu schlagen.“
Viele im Saal erachteten selbst diese Strafe als zu mild, nachdem sie atemberaubend schreckliche Karikaturen der misshandelten Opfer gesehen hatten.
„Und passend zu diesem Spass, reiht sich hier Witzfigur an Witzfigur.“
Lautes, mit Hass durchtränktes Gebrüll erklang aus den hinteren Sitzreihen. Nicht wenige der Anwesenden sprangen aus ihren Stühlen und hätten die Verhandlung zu gern auf ihre Weise – blutig und qualvoll - beendet.
„Es scheint Verzweiflung macht selbst Mäuse mutig.“
Erst zehn der bulligen Gerichtsdiener vermochten die Menge zu zähmen. Cumberland selbst, hatte sich auf seinen Stuhl zurück gezogen und blätterte mit zitternden Händen in seinen Akten.
„Wie langweilig.“
Drei Hammerschläge ertönten, bevor der zunehmend überforderte Oberrichter zur Ordnung aufrief. Mehr aus Angst den Prozess durch ihr Verhalten zu gefährden, als aus Respekt der Judikative gegenüber, kehrten die Aufgebrachten zu ihren Stühlen zurück. Daraufhin nahmen auch die Gerichtsdiener ihre Position am Randes des Raums wieder ein.
„Noch immer warten fünf Tote auf Gerechtigkeit. Aus Respekt solltet Ihr wenigstens den Anschein erwecken, keine vollkommene Schande für Euren Berufsstand zu sein.“
Zwei Jahre hatte Cumberland gebraucht, um seine Nemesis zu fassen. Nun vor Gericht stehend, musste er zusehen, wie seine Anklageschrift systematisch in Stücke gerissen wurde.
„Ich gedenke pünktlich zum Tee freigesprochen zu werden, könnten sich die Damen und Herren ein wenig beeilen?“
Statt des allseits erwarteten Blickes der Resignation, schmunzelte Cumberland nur kurz, worauf der Angeklagte misstrauisch Richtung Richterstuhl blickte.
„Es scheint Ihr habt noch ein Ass im Ärmel, was zwar bei weitem weniger interessant ist, als die anschliessende Wahl meines Tees, aber nur zu.“
Tatsächlich besass Cumberland einen letzten Trumpf. Gestern, spät abends, betrat ein unscheinbarer Mann sein Büro. Die ihm anschliessend vorgetragene Geschichte, sollte sich als rettende Kavallerie erweisen und den Wendepunkt dieses Prozesses markieren.
„Lasst Euch ruhig Zeit. Weglaufen fällt mir mit den Eisenketten ein wenig schwer.“
Die hölzernen Doppeltüren öffneten sich, worauf der kleinwüchsige Zeuge den Raum betrat. Schwermütig hinkte er einige Schritte in Richtung Saalmitte, wo er den Angeklagten erblickte, kurz zusammenzuckte und versteinert stehen blieb.
„Vorhersehbar und doch unerfreulich, mein nichtsnutziger Vater.“
Ein Raunen ging durch die Reihen und die Mehrheit der Zuschauer blickte fragend zu Cumberland, dem die Anspannung ins Gesicht geschrieben war.
„Denkt Ihr, der Auftritt dieses Individuums beunruhigt mich?“
Die Geissel Londons – so taufte die Tageszeitung den Angeklagten – war so darauf bedacht, seine souveräne Fassade aufrecht zu erhalten, dass er nicht merkte, dass sich ein Schweisstropfen seinen Weg quer durch sein Gesicht bahnte.
„Nur zu, lasst meinen Erzeuger im Mülleimer der Vergangenheit wühlen. “
Das tat er. Dreissig Minuten stand der Greis zwischen den Sitzreihen und berichtete über Kindheit, Schicksal und Charakter seines Sohnes. Schilderte die ersten Folterversuche an Mäusen, die Selbstverstümmelung mit seines Vaters Rasierklinge und das ewige Hungern in den Ghettos Londons. Nur selten traute er sich, in die Augen seines Sohnes zu blicken.
„Welch interessantes Kind ich war.“
Der Vater ignorierte die Worte seines Sohnes und erzählte mehr. Jedem im Raum, auch dem Richter kam fast die Galle hoch, als er sich anhören musste, wie dieses Ungeheuer in mittleren Jahren seinem Bruder mit einer glühenden Eisenstange die Augen ausstach und danach untertauchte.
„Oh ja, das war witzig!“
Der Vater schilderte nun, wie er über die Morde in der Zeitung erfuhr und sofort an seinen verschwundenen Sohn gedacht hatte. Nachdem das Wort Sohn über seine Lippen geglitten war, blickte er noch reumütiger als zuvor zu Boden. Als solchen betrachtete er ihn seit langer Zeit nicht mehr, eher als Seuche oder Krankheit.
„Lieber die Krankheit, als der Kranke sein. Ist die Geschichtsstunde jetzt vorbei? Der alten Mann kann gehen, ich langweile mich.“
Der Richter wies darauf hin, dass das Entlassen von Zeugen, in der Kompetenz des Gerichts liege. Daraufhin hallte ein kurzer Szenenapplaus durch den Saal.
„Wie Ihr meint, Euer Ehren. Hier habt Ihr das Sagen, draussen ja offensichtlich nicht.“
Der Angeklagte liess sich vermehrt zu ungewohnt unüberlegten Äusserungen hinreissen. Cumberland fragte, was er damit meine, draussen das Sagen zu haben.
„Nichts...“
Morgenluft witternd, ermutigte Cumberland den immer noch zwischen den Sitzreihen stehenden Vater seine Ausführungen fortzusetzen. Und als er die Mutter des Beschuldigten erwähnte, erhob sich dieser, inzwischen feuerrot angelaufen, um seinem Erzeuger die Worte an den Kopf zu werfen, die Cumberland so sehnlichst erwartet hatte.
„Du willst es wirklich wissen, alter Mann? Es ist alles deinetwegen! Bei jedem der Stiche habe ich an dich gedacht, jeden ihrer Schreie widme ich dir. Du nennst mich Monster? Ich wurde zum Monster erzogen!“
Totenstille herrschte im Raum. Nicht einmal das zuvor ständig knirschende Fenster erdreistete sich diesen Augenblick zu stören. Dem Geständigen wurde bewusst, das er sich gerade selbst zum Galgen geführt hatte. Eine Minute ging seine soziophatische Maske der Selbstbeherrschung verloren, das genügte und brach ihm fast buchstäblich das Genick. Einige Sekunden später hfing er sich wieder und wischte mit einer ruhigen Handbewegung den Schweisstropfen weg, der sich inzwischen bis zu seinem Hals vorgekämpft hatte.
„Herausragend gespielt, Cumberland. Ein Geniestreich, der meiner würdig ist!“
Etliche Zuschauer fielen sich in die Arme. Danach setzten Sprechchöre ein, die eine sofortige Bestrafung, namentlich die Exekution des Schuldigen, forderten.
Dieser setze ein hämisches Grinsen auf, rief Cumberland zu sich an den Stuhl und flüsterte ihm folgende Worte ins Ohr:
„Gerechtigkeit eins. Bestie fünf- … undzwanzig!“
„Amüsant, Eure penetrant übertriebene Melodramatik rührt mich zu Tränen.“
Cumberland, seinerseits grösster Bewunderer als auch erbittertser Jäger dieses Monsters, wandte sich angewidert vom Zeugenstuhl ab und blickte in die von Trauer und Wut gezeichneten Gesichter der Zuschauer. Ihren Schmerz könnte er niemals nachfühlen. Zu schwer lasteten die vorher geschilderten Gräueltaten – fünf Tötungen, die unmenschlicher nicht sein könnten – auf den Herzen der anwesenden Mütter, Brüder und Freunden der Opfer.
„Jedoch bleiben nur zwielichtige Anschuldigungen einer achtklassigen Hure und die Schilderung dieses Balges … Etwas löchrig, nicht?“
Unglücklicherweise konnte dem niemand widersprechen. Cumberlands Beweiskette gründete auf Indizien. Der Empörtheit und Angst der Bevölkerung war es zu verdanken, dass der Prozess nur vier Tage nach einer ebenso befriedigenden wie spektakulären Inhaftierung zustande gekommen war.
„Ansonsten pflichte ich Euch bei, auch ich bezeichne mich als lustvolle Persönlichkeit. Gilt dies jedoch als Motiv, biete ich an, meinen Platz mit dem Richter zu tauschen.
Cumberland versuchte sich durch die verbalen Breitseiten und das sadistische Wesen nicht beeindrucken zu lassen, musste aber anerkennen, dass er einem überaus intelligenten Ausnahmeverbrecher gegenüber stand, der anscheinend von Mitleid und jeglichen anderen Gefühlen befreit agierte.
„Ich, rechtschaffener Bürger dieser prächtigen Stadt, werde in aller Öffentlichkeit gedemütigt und bloss gestellt. Nur gut, verbietet es der britische Anstand, mich ohne Prozess ans Kreuz zu schlagen.“
Viele im Saal erachteten selbst diese Strafe als zu mild, nachdem sie atemberaubend schreckliche Karikaturen der misshandelten Opfer gesehen hatten.
„Und passend zu diesem Spass, reiht sich hier Witzfigur an Witzfigur.“
Lautes, mit Hass durchtränktes Gebrüll erklang aus den hinteren Sitzreihen. Nicht wenige der Anwesenden sprangen aus ihren Stühlen und hätten die Verhandlung zu gern auf ihre Weise – blutig und qualvoll - beendet.
„Es scheint Verzweiflung macht selbst Mäuse mutig.“
Erst zehn der bulligen Gerichtsdiener vermochten die Menge zu zähmen. Cumberland selbst, hatte sich auf seinen Stuhl zurück gezogen und blätterte mit zitternden Händen in seinen Akten.
„Wie langweilig.“
Drei Hammerschläge ertönten, bevor der zunehmend überforderte Oberrichter zur Ordnung aufrief. Mehr aus Angst den Prozess durch ihr Verhalten zu gefährden, als aus Respekt der Judikative gegenüber, kehrten die Aufgebrachten zu ihren Stühlen zurück. Daraufhin nahmen auch die Gerichtsdiener ihre Position am Randes des Raums wieder ein.
„Noch immer warten fünf Tote auf Gerechtigkeit. Aus Respekt solltet Ihr wenigstens den Anschein erwecken, keine vollkommene Schande für Euren Berufsstand zu sein.“
Zwei Jahre hatte Cumberland gebraucht, um seine Nemesis zu fassen. Nun vor Gericht stehend, musste er zusehen, wie seine Anklageschrift systematisch in Stücke gerissen wurde.
„Ich gedenke pünktlich zum Tee freigesprochen zu werden, könnten sich die Damen und Herren ein wenig beeilen?“
Statt des allseits erwarteten Blickes der Resignation, schmunzelte Cumberland nur kurz, worauf der Angeklagte misstrauisch Richtung Richterstuhl blickte.
„Es scheint Ihr habt noch ein Ass im Ärmel, was zwar bei weitem weniger interessant ist, als die anschliessende Wahl meines Tees, aber nur zu.“
Tatsächlich besass Cumberland einen letzten Trumpf. Gestern, spät abends, betrat ein unscheinbarer Mann sein Büro. Die ihm anschliessend vorgetragene Geschichte, sollte sich als rettende Kavallerie erweisen und den Wendepunkt dieses Prozesses markieren.
„Lasst Euch ruhig Zeit. Weglaufen fällt mir mit den Eisenketten ein wenig schwer.“
Die hölzernen Doppeltüren öffneten sich, worauf der kleinwüchsige Zeuge den Raum betrat. Schwermütig hinkte er einige Schritte in Richtung Saalmitte, wo er den Angeklagten erblickte, kurz zusammenzuckte und versteinert stehen blieb.
„Vorhersehbar und doch unerfreulich, mein nichtsnutziger Vater.“
Ein Raunen ging durch die Reihen und die Mehrheit der Zuschauer blickte fragend zu Cumberland, dem die Anspannung ins Gesicht geschrieben war.
„Denkt Ihr, der Auftritt dieses Individuums beunruhigt mich?“
Die Geissel Londons – so taufte die Tageszeitung den Angeklagten – war so darauf bedacht, seine souveräne Fassade aufrecht zu erhalten, dass er nicht merkte, dass sich ein Schweisstropfen seinen Weg quer durch sein Gesicht bahnte.
„Nur zu, lasst meinen Erzeuger im Mülleimer der Vergangenheit wühlen. “
Das tat er. Dreissig Minuten stand der Greis zwischen den Sitzreihen und berichtete über Kindheit, Schicksal und Charakter seines Sohnes. Schilderte die ersten Folterversuche an Mäusen, die Selbstverstümmelung mit seines Vaters Rasierklinge und das ewige Hungern in den Ghettos Londons. Nur selten traute er sich, in die Augen seines Sohnes zu blicken.
„Welch interessantes Kind ich war.“
Der Vater ignorierte die Worte seines Sohnes und erzählte mehr. Jedem im Raum, auch dem Richter kam fast die Galle hoch, als er sich anhören musste, wie dieses Ungeheuer in mittleren Jahren seinem Bruder mit einer glühenden Eisenstange die Augen ausstach und danach untertauchte.
„Oh ja, das war witzig!“
Der Vater schilderte nun, wie er über die Morde in der Zeitung erfuhr und sofort an seinen verschwundenen Sohn gedacht hatte. Nachdem das Wort Sohn über seine Lippen geglitten war, blickte er noch reumütiger als zuvor zu Boden. Als solchen betrachtete er ihn seit langer Zeit nicht mehr, eher als Seuche oder Krankheit.
„Lieber die Krankheit, als der Kranke sein. Ist die Geschichtsstunde jetzt vorbei? Der alten Mann kann gehen, ich langweile mich.“
Der Richter wies darauf hin, dass das Entlassen von Zeugen, in der Kompetenz des Gerichts liege. Daraufhin hallte ein kurzer Szenenapplaus durch den Saal.
„Wie Ihr meint, Euer Ehren. Hier habt Ihr das Sagen, draussen ja offensichtlich nicht.“
Der Angeklagte liess sich vermehrt zu ungewohnt unüberlegten Äusserungen hinreissen. Cumberland fragte, was er damit meine, draussen das Sagen zu haben.
„Nichts...“
Morgenluft witternd, ermutigte Cumberland den immer noch zwischen den Sitzreihen stehenden Vater seine Ausführungen fortzusetzen. Und als er die Mutter des Beschuldigten erwähnte, erhob sich dieser, inzwischen feuerrot angelaufen, um seinem Erzeuger die Worte an den Kopf zu werfen, die Cumberland so sehnlichst erwartet hatte.
„Du willst es wirklich wissen, alter Mann? Es ist alles deinetwegen! Bei jedem der Stiche habe ich an dich gedacht, jeden ihrer Schreie widme ich dir. Du nennst mich Monster? Ich wurde zum Monster erzogen!“
Totenstille herrschte im Raum. Nicht einmal das zuvor ständig knirschende Fenster erdreistete sich diesen Augenblick zu stören. Dem Geständigen wurde bewusst, das er sich gerade selbst zum Galgen geführt hatte. Eine Minute ging seine soziophatische Maske der Selbstbeherrschung verloren, das genügte und brach ihm fast buchstäblich das Genick. Einige Sekunden später hfing er sich wieder und wischte mit einer ruhigen Handbewegung den Schweisstropfen weg, der sich inzwischen bis zu seinem Hals vorgekämpft hatte.
„Herausragend gespielt, Cumberland. Ein Geniestreich, der meiner würdig ist!“
Etliche Zuschauer fielen sich in die Arme. Danach setzten Sprechchöre ein, die eine sofortige Bestrafung, namentlich die Exekution des Schuldigen, forderten.
Dieser setze ein hämisches Grinsen auf, rief Cumberland zu sich an den Stuhl und flüsterte ihm folgende Worte ins Ohr:
„Gerechtigkeit eins. Bestie fünf- … undzwanzig!“