Der Vorlauf

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Manche laufen dabei groß auf …

Wenn Frau Merkel im Fernsehen zu uns spricht, ist sie immer schon an ihrem Platz, auf der Rednertribüne, in einem Studiosessel oder an einem Messestand. Die Minister und Ministerpräsidenten halten es genauso. Doch achten Sie mal auf die mittleren und unteren Würdenträger oder Amtspersonen. Wie setzt man dieses weniger bekannte Personal in Szene, z.B. den Landrat von Steuerhinterziehhausen oder den Vizemuseumsdirektor der Alten Schinkengalerie in Troglodytenheim oder den Polizeisprecheranwärter in Schlagetotbach? Das machen die im Fernsehen so: Sie lassen den wichtigen Mann oder die wichtige Frau ein Stück durchs Bild laufen. Besser warm laufen als warm reden …

Das Fernsehteam holt den Interviewpartner am liebsten vor dessen Bürogebäude ab. Die Filmsequenz beginnt mit bedeutsamem Schweigen. Keine Begrüßungsfloskel lenkt von der Betrachtung der edlen Piazza ab. Von einem Glas-und-Marmor-Hintergrund löst sich langsam eine uns noch unbekannte Gestalt, kommt mit vielsagend verschwiegenem Blick näher. Allmählich dämmert es: Da muss einer was zu sagen haben.

Kamera und Persönlichkeit passieren einen Eingang, der immer offen steht. In dem anschließenden breiten Gang ist nie ein anderer Mensch zu sehen. (Wahrscheinlich für den Dreh abgesperrt.) Unser Auge gleitet die edlen Wandmaterialien entlang. Die wichtige Person hält beim Gehen genau die Mitte zwischen Eilen und Bedachtsamkeit. Vermutlich hat er (sie) diesen Auftritt zu Hause vor einer Spiegelglasschrankwand so lange geprobt, bis er saß. Dann huschen wir mit ihm (ihr) in einen auffallend individuell eingerichteten Büroraum mittlerer Größe. Wir sehen jetzt gewöhnlich: frische Blumen, Bücherreihen auf Regalen, ein, zwei geschmackvolle Bilder an der Wand, besonders oft Expressionisten. Dass die wichtige Person hier nicht wohnt, sondern auf Arbeit ist, wird durch einen mittelhohen Aktenstoß neben einem Monitor angedeutet.

Bis jetzt sind schon ein bis zwei kostbare Sendeminuten unwiderruflich im Orkus verschwunden. Schnitt: Nun ist auf einmal nur noch der Kopf zu sehen. Eine Leiste mit Namen und Funktion wird eingeblendet. Und dann macht sie (er) den Mund auf und sagt: „Die stark verweste Leiche wurde heute Morgen in der Kanalisation gefunden …“ Oder: „Vor Eingang weiterer Gutachten ist definitiv keine Aussage darüber möglich, ob der Kostenrahmen um mehr als fünfhundert Prozent überschritten wird …“

Bei Böll sammelt Dr. Murke Schweigen. Ich würde gern Laufsequenzen sammeln - wie sie schreiten, gleiten, tänzeln. Fünf Dutzend ergeben ein Schock, das genügt für einen anderthalbstündigen Dokumentarfilm: Deutschlands Entscheidungsträger gehen zur Sache. Unwichtig, was sie danach zu sagen haben. Ihre Markenkleidung, ihre Frisuren, ihre Choreographie, das ist es doch, was uns in Wahrheit anspricht und überzeugt.
 
A

aligaga

Gast
Natürlich kann man's so auch sehen wollen, @Arno - wenn man voller Hass auf Kommunalpolitiker ist und keine Ahnung von der Struktur der Lokalredaktionen der öffentlich-rechtlichen Bedürfnisanstalten hat. Aber:

Im Zeitalter der Digitalitis gibt es keine Kameraleute mehr, die ihr Handwerk verstünden und für das Bild sorgten, während ein gewiefter Redaktör das Interview am Leben hielte. Heute ist Kameramann, wer einen Camcorder ein- und ausschalten kann, und er muss gleichzeitig der Regissör und sein eigener Cutter sein. Und das alles als so genannter "Freier Mitarbeiter".

Die Folge: Die Bilder sind an Einfallslosigkeit, schlechter Belichtung, grässlichem Hintergrund, Unschärfe und Gewackel kaum zu überbieten - es sei denn, man vergleicht sie mit der Einfallslosigkeit der gestellten Fragen und den lieblos zusammengepappten Dialogen.

Ursache für diesen Niedergang der Berichterstattungen ist nicht etwa Armut der Sender, sondern der Umstand, dass die Festangestellten in den Redaktionen Einträglicheres zu tun haben als sorgfältige Reportagen fertigen zu lassen: Sie produzieren sündteure eigene Soaps und verplempern die Gebühren für Verunstaltungen wie "Nordisch Walken mit Hessen III", eine "Bayern III Radltour" oder "Nordwestdeutsch kochen mit LaferLinsterSchuhbeck".

Da bleibt für aktuelle Berichterstattungen nur mehr die vagabundierende Leichtlohntruppe. Und die kanns nun mal nicht besser. Einen Sammelwert haben deren erbärmliche Fließband-Stereotypen nicht, und lustig ist das schon gar nicht. Sondern todtraurig.

Müllsammeln ist kein Hobby, @Arno. Tipp: Immer genau hingucken, bevor man karikiert. Sonst trifft's die Falschen, so wie hier. Dem Böll Heini selig würde sich der Magen umdrehen.

Gruß

aligaga
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber Arno,

was von einem vergnüglichen Abend bei Werner Schneyder hängenblieb: ... einfach zuviel Sendezeit!!! Das erklärt die wachsenden Müllformate.
Wenn aber die kostbare Lebenszeit damit gefüllt wird, solche Sachen zu beobachten, da kann ich nur staunen! Das nenn' ich Leidensfähigkeit. Schick' Dich mal raus zum Lüften, damit Du auf andere Gedanken kommst :D
Liebe Grüße
Petra
 
Danke, aligaga, für die wohl zutreffende Ausleuchtung des Hintergrunds. Die (leicht schwachsinnigen) Ergebnisse dieser Art zu produzieren finde ich persönlich dennoch erheiternd.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 
Aber Petra, ich leide ja gar nicht ... So wenig wie ich "einen Hass auf Kommunalpolitiker" hätte (mir von aligaga gerade unterstellt, dabei könnte ich sogleich acht bis zehn von mir geschätzte Vertreter der Spezies in Berlin aus dem Stegreif aufzählen ...). Ich sehe dergleichen nur selten und en passant, dann aber mit Vergnügen und zu meiner Entspannung.

Wirklich komisch ist jedoch das: mit vollem Bierernst aufschäumende Kommentare in der Abteilung "Humor und Satire". Allerdings nützt sich der Effekt auch schon ab, wie alles, das zu oft abgespult wird.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 
A

aligaga

Gast
dabei könnte ich sogleich acht bis zehn von mir geschätzte Vertreter der Spezies in Berlin aus dem Stegreif aufzählen
Hast du aber nicht, @Arno. Sondern du schriebst:
z.B. den Landrat von Steuerhinterziehhausen oder den Vizemuseumsdirektor der Alten Schinkengalerie in Troglodytenheim oder den Polizeisprecheranwärter in Schlagetotbach? Das machen die im Fernsehen so: Sie lassen den wichtigen Mann oder die wichtige Frau ein Stück durchs Bild laufen. Besser warm laufen als warm reden …

Das Fernsehteam holt den Interviewpartner am liebsten vor dessen Bürogebäude ab. Die Filmsequenz beginnt mit bedeutsamem Schweigen. Keine Begrüßungsfloskel lenkt von der Betrachtung der edlen Piazza ab. Von einem Glas-und-Marmor-Hintergrund löst sich langsam eine uns noch unbekannte Gestalt, kommt mit vielsagend verschwiegenem Blick näher. Allmählich dämmert es: Da muss einer was zu sagen haben.
Ein normal veranlagter Leser entnimmt solcher Diktion keinesfalls die von dir jetzt nachträglich reklamierte Wertschätzung der Dorfgrößen, sondern das glatte Gegenteil.

Von "bierernst" kann bei meiner Zuschrift keine Rede sein, mein Lieber. Ich glaube, du solltest sie nochmal lesen. Ich hab überlegt, ob ich zu dem, was du hier eingestellt hast, wirklich "Karikatur" sagen soll. Eigentlich wollte ich "Kikeriki" schreiben, hab's mir dann aber verbissen.

Wie schon mal an anderer Stelle bemerkt: Satire funzt nur, wenn sie den Punkt trifft. Der Schuss hier ging, obwohl du dir Böll als Gewehrstütze geholt hast, leider ziemlich weit daneben. Du hast auf die Falschen gezielt ...

Gruß

aligaga
 
aligaga, ich werde mit dir jetzt nicht über satirische Methoden streiten. Nur so viel: Der Text richtet sich offenkundig nicht gegen Amtspersonen, sondern gegen ihre mediale Präsentation.

Ich halte dich für zu intelligent, als dass du nicht wüsstest, was du hier treibst. Deine Tendenz, etwas in Texte hineinzulegen, was diese nicht hergeben, ist auch anderen Autoren schon gelegentlich unangenehm aufgefallen. Den Ausdruck "Hass auf Kommunalpolitiker" solltest du zurücknehmen. Anderenfalls kann ich dich nicht mehr ernst nehmen und mir dann in Zukunft die Lektüre deiner Ausführungen gleich sparen.

Arno Abendschön
 
A

aligaga

Gast
Das tragische Schicksal mancher Autoren ist, dass sie ihre Texte ganz anders verstanden haben wollen, wie sie geschrieben sind. Insbesondere auf dem Gebiet der "Satire" wandert man da stets auf vermintem Gebiet, @Arno - weil man damit rechnen muss, an Kritiker zu kommen, die nicht nur sehr genau lesen, sondern sich über das Gelesene sogar noch Gedanken machen.

Bei Texten wie dem vorliegenden sind die Schwächen offenkundig. Es macht wenig Sinn, auf ähnlich missglückte Versuche und ebengleich kritisierte Versuche Dritter zu verweisen - die Mängel des eigenen Stücks werden davon nicht behoben. Ob du in Hinkunft nur noch dir genehme Kritik lesen möchtest, darfst du allein entscheiden. Verhindern kannst du dir unangenehme aber nicht.

Sei tapfer und denk über das nach, was dir der Kritiker sagt, bevor du beginnst, dich persönlich an ihm zu reiben. Denk immer daran: Eine Satire kann nur sein, wo gleichzeitig sozialer Dialog möglich ist. Wo nicht, ist's und wird's keine.

Gruß

aligaga
 
Nur noch für die, die hier mitlesen:

Es ging hier zuletzt ganz konkret um aligagas Behauptung, ich wäre "voller Hass auf Kommunalpolitiker". Als Beleg werden drei Figuren aus meinem Text angeführt, ein Landrat, ein Museumsdirektor und ein Polizeisprecher. Das ist natürlich absurd. Zwei der Genannten (Polizeisprecher und Museumsdirektor) sind überhaupt keine Kommunalpolitiker, und der Landrat ist im Zusammenhang mit Steuerhinterziehung selbst nicht Täter, sondern in seiner amtlichen Funktion Opfer. Keine der drei Gestalten kann für meinen angeblichen Hass angeführt werden.

Ich habe aligaga gebeten, seine offenkundig unsinnige Behauptung zurückzunehmen. Darauf ist er bezeichnenderweise gar nicht mehr eingegangen, sondern hat sich ganz allgemein auf sein Recht auf Kritik berufen. Das hat er selbstverständlich - aber was ist ein Kritiker wert, der zu Kritisierendes erst erfindet und, darauf angesprochen, nicht souverän genug ist, auch mal einen Rückzieher zu machen? Einem, dem es vielleicht doch nur ums Runtermachen geht - aus welchen Gründen auch immer - , den meidet man in Zukunft lieber.

Für mich ist die Diskussion über diesen Aspekt damit beendet.

Arno Abendschön
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Arno, der Text wirkt auf mich eher sehr realitätsnah als humoristisch oder satirisch. Wir leben nun mal in einer Bilderwelt, die uns tagtäglich hunderttausende liefert - und Bilder sagen manchmal mehr als jedes Wort.

Das kommt schon ganz gut raus durch Deinen Text. Es stimmt, dass erstmal "gelaufen" wird. Ich werde jetzt noch mehr darauf achten. :)

Die Kommentare sind eher erheiternd.

LG DS
 
Danke, Doc, für deine Meinung. Das ist richtig, der Stoff an sich ist nicht sonderlich lustig, bloß Medienrealität von heute. Da mir dieses Vorausgelaufe auf die Nerven ging, habe ich eben mit meinen geringen Mitteln versucht, mich darüber ein wenig lustig zu machen.

Verständnis habe ich noch dafür, dass das Zimmer des Interviewten gezeigt wird, aber warum der Flur davor und oft auch noch die Plaza am Fuß des Bürogebäudes? Da dies so oft geschieht, vermute ich, es wird heute bei der Journalistenausbildung so gelehrt.

Bei Gedrucktem gibt es etwas Ähnliches, das ich die Trio-Form nenne. Geht es um irgendein abstraktes Thema (z.B. Mindestlohn) wird bei ihr anfangs personalisiert, d.h. ein Mensch in eben dieser Situation vorgestellt. Nicht schlecht, aber gemäß Trio-Form taucht eben dieser Mensch dann am Schluss des Textes, nach der eigentlichen Abhandlung des Themas, noch einmal auf. Das wirkt oft sehr bemüht.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 



 
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