Der wandelnde See

Sinelenis

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Die Bäume mit ihrem rosa schimmernden Stamm und dem funkelnden dunkelblau leuchtenden Blattwerk gaben den Blick auf eine kleine Lichtung frei. In der Mitte lag ein kristallklarer See. So klar das Wasser, das man bis auf den Grund sehen vermochte, auf welchem kleine besondere Schätze lagen. So, als könnte man sie direkt berühren und heben. Der Boden dieses glasklaren Sees, war bedeckt von Kristallen, Diamanten und purem Gold. Mitten im See lag ein Felsbrocken, der kleine Gravuren zeigte, die Menschen nicht zu deuten verstanden.
Nahe des Wassers wuchsen Sträucher mit ballartigen Früchten und Beeren. Manche der Knollen schienen oval gewachsen zu sein. Einige der Beeren waren gelb, andere waren orange und weitere blau oder violett. Die Farbe variierte von Busch zu Buschwerk, von Frucht zu Beere, von Statur zu Form. Nicht wenige so klein wie Murmeln, manche so groß wie Äpfel. Doch keine der Früchte war für die Augen der Menschen zu verstehen. Hin und wieder schimmerte und flimmerten sie in den Blattwerken.
Am Ufer lagen Steine, überwachsen von blutrotem Efeu, welches in das Gewässer wuchs und dort, wo der Eppich das Nass berührte, wirkte es, als würde es ausbluten und das glasklare Wasser mit Blut vermischen. Immer wieder schwammen kleine bunte Fische zu dem rot getränkten Nass, rund um den Efeu, um dieses zu säubern. Kaum waren die Tiere da, war es, als würde die Pflanze leben und frisches Blut in den See pumpen. Jedes Mal dann verscheuchte der sich bewegende Organismus die Fische, ehe die Schwärme erneut hintrieben und das Trinken von Blut von vorne einsetzte. Auf der Wiese beim See wuchsen die verschiedensten bunten Blumen, die es zu sehen gab. Ein Meer aus Pflanzen, standen mit ihren Blüten offen, zur hell scheinenden Sonne gerichtet, welche über der Lichtung weilte und das Wasser im See stärker zu glänzen begann. Die Sonne ließ die Gewächse ihre Hälse zu sich recken.

Manche der Blumen wechselten die Farbe der Blätter, andere Blüten leuchteten oder glänzten im Schein der Sonne. Wenn der Wind, einige Partikel vom See in die Luft hob und über sie sträubte, so reckten die Pflanzen ihre Hälse zum Wasser, dürsteten nach mehr.
Man musste genau hinsehen, sobald man die kleinen Feen sehen wollte, die zwischen Bäumen und Blüten hin und her schwebten und ihre Flügel schnell schwangen. Einige tanzten auf den bunten Blättern, wieder andere sonnten sich in der Wärme der hochstehenden Sonne. Ein paar von ihnen saßen auf den Steinen.
Die meisten Feen waren zusammen in kleinen Grüppchen auf der Lichtung. Sie erzählten sich Geschichten, die sie erlebt hatten, witzige, erschütternde, lustige oder aufregende. Für die Feen war es ein friedlicher Tag. Sie waren bunt und einmalig gekleidet. Einige kleideten sich mit Kleidern, andere mit Hosen. Hin und wieder hatten sie goldenen oder silbernen Schmuck, nicht wenige von ihnen trugen jenes, was die Natur gegeben hatte.
Wie im Traum, leicht, fedrig und unbeschwert verbrachten die Feen ihren Tag. Die Sonne stand dabei permanent hoch am Himmelszelt, bis mit einem Wimpernschlag die Sonne den Horizont küsste. Wie an diesem Ort üblich und dennoch ungewöhnlich.
Der Himmel war in gleißendes Rot getaucht.
Erschrocken setzten die Feen sich auf. Erstarrten in ihrem Handeln. Einige hielten sich aneinander fest. Langsam drehten sich die kleinen Wesen Richtung Wald, wo nach und nach Augenpaare gelb leuchteten. Der Gestank von Fäulnis überkam die Lichtung, welche vor wenigen Augenblicken noch einem Paradies gleich kam. In vollkommener Hektik versuchten die Feen zu verschwinden. Einige von ihnen stürzten in den dunklen Wald. Die Bäume, die einst rosa geschimmert hatten, waren unterdessen fahl und grau geworden. Das eben klare Wasser war jetzt blutrot. Die Feen an den Steinen probierten sich in die Luft zu heben. Doch blieben sie an den Felsen, der nun überzogen mit stinkendem Efeu war, kleben.
Der Himmel war wie von Feuer durchzogen. Die Schritte, zu den gelb leuchtenden Augenpaaren donnerten über den Boden. Kleine Kieselsteine hüpften auf und ab, bei jedem Schritt, den die vermeintlichen Riesen taten. Einige der Feen zückten ihre Schwerter, um eine ihnen bekannte Gefahr anzugreifen.

Vor ein paar Augenblicken hatte eine Fee ihr breites Langschwert beschworen, da zog eine andere an ihren Arm. Deutlich zeigte sie ihrer Schwester, dass sie zu fliehen hatte. Sie mussten sich beeilen.
Doch jene mit dem Schwert würde gewillt sein zu kämpfen. Würde ihr Leben, ihre Heimat, ihre Familie verteidigen, selbst vor einer Gefahr, die weitaus größer wäre, als sie.
Und dann war es soweit.
Riesenhaft und von kräftiger Statur, breit und bullig kam ein Riese aus dem Wald. Eine Keule, versetzt mit Ranken, an welcher eine dickflüssige Masse herunter lief und auf den Boden tropfte, in der Hand. Der Hüne zog seine Waffe hinter sich her, trat auf die Lichtung. Brüllte, dass das triste verwelkte Blattwerk zu zittern ansetzte. Mit seinem Brüllen spie er den Speichel mit raus, grölte energisch und lehnte sich, um seine Macht zu demonstrieren, weiter nach vorne. Dort wo sein Geifer auftraf, ätzte der Boden sogleich weg. Entlegen im Waldesinneren stiegen, aufgrund des Lärms, Krähen in den Himmel hinauf. Flohen vor der Gefahr, die so fern schien. Hinter dem Ersten, der ausgetreten war, kamen zwei weitere Kreaturen, die der führenden ähnelten.

Am Waldrand zur Lichtung standen sie, mit ihren wulstigen Körpern, der ergrauten und steinigen Haut. Den hervorgetretenen, blutunterlaufenen Augen. Der Blick war finster. Immer wieder sahen sich die Ungetüme um. Umgriffen ihre Keule, sodass dunkle lila Adern an der Hand bis zu den Armen hinauf krochen und hervortraten. Der Körper übersäht von Narben und Wunden. Jener der brüllte, hatte über der Stelle des Herzens eine Verletzung. Wie bei einem Spinnennetz fächerten schwarz-lila Striemen auf, welche sich über die Brust und Arme immer weiter ausbreitete.
Pulsierend.
Die Kreaturen ähnelten großen dreckigen Riesen. Die Feen tuschelten, dass es Oger wären, doch in dem verwunschenen Wald zu Ungeheuer der Nacht wurden. Was die Geschöpfe waren, störte diese selber nicht.
Einen Moment sahen sie sich nach hinten um. Dorthin, wo die Vögel in den Himmel stiegen. Gleich darauf richteten sie ihren Blick zurück auf die Lichtung. Dass der Wald vor ihnen floh, dass er zitterte, schienen die Ungetüme nicht einmal zu bemerken. Die Kreaturen störten sich nicht am Verstecken der Tiere. Die drei Oger ähnlichen Wesen bewegten sich immer weiter auf die Waldwiese zu. Keiner von ihnen hob die Keule, die sie als Waffe bei sich trugen. Hinterließen mit jedem Schritt tiefe Kerben in das einst so gesättigte dunkelgrüne Gras. Sie stapften unsanft auf dem Boden, dass Fußspuren mit ihren zwei dicken und ungleichen Zehen zurückblieben. Sie sahen sich um und wussten, dass Feen so oft an dieser Stätte ihren Tag verbrachten und ausharrten. Doch jetzt, zur Abendstunde war der Platz, die so anziehende Lichtung, tot und leblos.

Die Oger waren über dieses Geschehen wenig begeistert. Erneut brüllte jener in der Mitte laut. Nur knapp nahe den Feen, auf einen Stein stehend, bewaffnet mit Schwert und Schild, landete der Speichel der Kreatur auf den Boden. Neben den kleinen Wesen ertönte ein leises zischendes Geräusch. Schwer schluckend blieben die Feen stehen. Hoben zitternd die Waffen, bereit um jederzeit einen Angriff durchzuführen. Ihr Blick war weiter auf die Feinde, die Oger, vor sich gerichtet, die sie nicht bemerkt hatten.
Die Fee mit den prächtigsten und prunkvollsten verzierten Bogen zog einen Pfeil aus ihren Köcher. Langsam und mit Bedacht legte sie diesen in die Sehne des Bogens. Zog den Pfeil, mit der metallischen Spitze zurück. Selbst wenn die Situation aussichtslos erschien, so würden sie kämpfen. Die Feen benötigten kaum Absprachen oder Kommandos, was sie auszuführen hatten. Sie hatten so oft zusammen trainiert und in verschiedenen Gefechten Seite an Seite ihren Feinden gegenüber gestanden. Gemeinsam haben sie den Gefallenden die letzte Ehre erwiesen und diese dann zu Grabe getragen. Die Bogenschützin ließ den Pfeil, den sie gespannt hatte, los. Leise und schnell sauste dieser durch die Luft, direkt auf sein Ziel zu.
Der Oger auf der trüben Lichtung sah das Geschoss nicht auf sich zu kommen. Merkte nichts anderes als einen kleinen Stich, nachdem ihn der Pfeil traf. Gleich darauf nahm er hingegen wahr wie sich scheinbar etwas anfühlend wie Feuer in seinem Körper ausbreitete. Erst nur langsam, alleinig in dem Bereich, wo der Pfeil ihn getroffen hatte.
Durch die Luft sauste ein zweiter Pfeil, an die fast gleiche Stelle, wo schon der vorherige Pfeil das Ziel erreicht hatte. Der Schmerz des Feuers verstärkte sich. Schneller und heißer rauschte der Schmerz jetzt durch die Venen des Ogers. Weiterhin irritiert, woher der Schmerz käme, sah er sich erneut um. Er konnte trotzdem nicht ausmachen, wovon der Schuss kam. Für die drei Oger ähnlichen Kreaturen wirkte die Lichtung leer.

Eine der Feen, eine Priesterin, hatte die Hände für einen Zauber verschränkt. Immer und immerzu sprach sie dieselbe Formel, dass die Kreaturen sie nicht sahen.
Es dauerte einen Moment, ehe die Oger sich umdrehten und in den Wald zurückkehrten, da ihr Abendessen nicht wie erhofft auf der Lichtung wartete. Es verging eine Weile. Erleichtert hörte die Priesterin mit beten auf.
Der Wald war still, wie dieser nur sein konnte, von dem Lärm der Oger war nichts mehr zu hören. Die Feen sahen sich zufrieden an, als hätten sie schwer gekämpft für ihr Fleckchen Land. Die Bogenschützin legte ihren Bogen weg. Streckte sich ausgiebig. Jetzt hatte sie neue Pfeile zu erstellen, jenes konnte sie hingegen am nächsten Morgen erledigen. Die Nacht würden die Feen mit ihren Schwestern feiern. Die Priesterin strich sich die Falten in ihrem Kleid glatt.

Mit einem Mal stürmten die dunklen Geschöpfe aus dem Wald heraus. Tosender Lärm ließ die Feen wieder aufschrecken. So schnell war es der Bogenschützen nicht möglich, erneut ihren Bogen zu schnappen. Um sich so gegen die Kreaturen zur Wehr zu setzen. Die Feen sahen erschrocken und bestürzt zu ihrer Priesterin, doch der Ort, wo sie gestanden hatte, war leer. Nur ein Schuh, welchen sie getragen hatte, lag auf der Seite auf dem Stein. Der Blick der kleinen Kriegerin mit dem Schwert folgte einem der Oger. Kauend sah dieser zu denkleinen Wesen hinab. Das Lächeln gab einen Ausblick auf gelbe, von Fäulnis durchzogene, Zähne frei. Die Feen mussten den Drang sich zu übergeben unterdrücken. Es knackte einmal, als die Kreatur erneut zubiss. Die Feen schluckten schwer und wie von Sinnen sprang eine von ihnen, mit ihrer Waffe in der Hand, auf den Oger zu. Bereit diese gefallende Schwester zu rächen.
Ihr Blick war eiskalt, eine Träne aus Trauer und Wut glänzte in hell leuchtenden Mondschein. Die Fee war über den Schein des Mondes nicht verwundert, hier im Wald war es stets so. Hier änderte sich immer die Zeit mit einem Wimpernschlag. Jetzt aber hatten sie zu kämpfen. Während die Fee durch die Luft hastete, um einen Angriff mit dem Schwert auszuüben, flog eine Kugel aus Feuer an ihr vorbei. Die Kriegerin musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass eine der anderen Feen, eine ihrer Schwestern, den Energieball zur Unterstützung geworfen hatte.
Der Oger sah zu den beiden, wollte die Hand heben, um die Fee abzuwehren, indessen sie mit dem Schwert auf ihn zukam. Doch in der Handbewegung erstarrte er. Irritiert guckte er selbst auf seinen Arm, den er nicht mehr bewegen konnte. Gab einen knurrenden Laut von sich. Die Fee, welche zuvor einen Energieball auf ihn geworfen hatte, bannte die Kreatur. Hielt seine Arme mit Magie fest. Die Fee mit der Waffe, zog dieses über sich und griff an. Schnitt dem Oger in den Arm, der kleine Schnitt blutete schnell kräftiger. Ehe aus der Wunde immer stärker Blut austrat. Im Flug drehte sich die Fee um. Versuchte den nächsten Angriff mit dem mystischen Schwert.

Der Kampf schien eindeutig, die Feen waren im Vorteil. Während die Magierin die Oger immer wieder mit Bannzauber in Schach hielt, griffen die übergebliebenen Feen an. Es war nicht einfach. Einer Fee lief das Blut den Arm hinab, die Bogenschützin war am Auge verletzt.
Sie keuchten.
Sie waren müde.
Sie waren verletzt.
Sie wollten schlafen.
Der volle runde Mond aber stand hämisch grinsend über ihnen. Die Magierin lugte einen Moment den Himmel hinauf. Zum hell blendenden Mond, der die Lichtung in ein gleißend silbrigen Licht tauchte.
Erschrocken jauchzte die Magierin auf, als eine der Kreaturen auf sie zugestürmt kam. Der strahlende leuchtende Mond hatte sie abgelenkt. Welch ein törichter Fehler. Er würde ihr das Leben kosten. Schnell richtete sie die Hände auf ihn, probierte den Bannzauber auf die Füße zu bringen.
So rasch schaffte sie es nicht, den Zauber zu vollenden und der Oger taumelte auf die Feen zu. Sie erhoben sich schleunig, versuchten wegzukommen. Er konnte sein eigenes Gewicht nicht halten, während er zu Boden fiel. Die Feen waren in der Luft und beäugten das Scheusal, welches ungebremst in den See preschte.

Totenstille.

Der ganze Wald war still. Keine Vögel, keine Tiere, machten Geräusche. Der Wind hatte abgenommen. Kein Blatt der Bäume schien sich in diesem Augenblick zu bewegen. Ein Jeder war gespannt auf das, was der See jetzt mit dem Oger vorhatte. Die Feen stockten, der verletzte Oger rührte sich nicht mehr. Nur der Oger, der einst in der Mitte stand, betrachtete neben den Feen das Treiben.
Sie hielten den Atem an, aber es passierte nichts.
Einen Moment dauerte es, ehe der Oger im See kleiner und immer kleiner wurde. So winzig wie die restlichen Fische waren, bis er selber zu einem Fisch wurde.
Der Fisch-Oger passte sich unmittelbar dem Schwarm im See an. Zusammen drehten sie ihre Runden. Der See für sich blubberte einmal, fast schon zufrieden, eher er wieder still und friedlich auf der Waldwiese lag.
Der unverletzte Oger hatte sich in den Wald gerettet. Ließ jenen mit den Wunden zurück.
Ehe der Mond, der hell leuchtend am Himmel stand und die Lichtung in silbernes Licht getaucht hatte, abrupt hinter dem Horizont verschwunden war und den Platz mit der Sonne getauscht hatte.
Die Sonne, die mit Wärme die Lichtung flutete, im Verlauf dessen der verletzte Oger still und leblos immer mehr und mehr zu einem Fels, mit bedeckten Moos wurde, der die Lichtung zierte. Auf welchen die Feen während des Tages Platz suchten, um zu lesen, um zu musizieren, als wären die Geschehnisse auf der Lichtung niemals passiert.
Am Tage blutete der Efeu in den See und wieder schwammen die Fische, zusammen mit dem Fisch-Oger hin und tranken das Blut gierig weg.

Ehe der See erneut zufrieden blubberte. Erfüllt und glücklich, wie die Lichtung klar und unberührt da lag und im Schein der Sonne glänzte. In der Ferne hörte man zwei junge Menschen, die einen schönen Ort für ihr Picknick suchten. Und der See wartete geduldig.
 



 
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