Der Wasserbüffel

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s'écrire

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Ja, es war eine eigenartige Begegnung. Nein, eher eine Freundschaft.

Ein kleines Stück die Straße hinunter steht das Haus, das er niemals verlässt. Die kleinen vergilbten Bilder in schäbigen Rahmen aus einer großen Zeit, einer Kindheit die glücklich war. Bilder aus einer Zeit in der auch er noch ein Junge war und die Eltern noch zaubern konnten.

Ich besuche ihn. Freiwillig.

Die Wohnung ein Schlachtfeld wo schon der erste Blick runterzieht, nicht sehr einladend.

Und doch gibt es in diesem Grau einen wunderbaren Gegenstand, etwas aus besseren Tagen. Einen kleinen aus Holz geschnitzten Wasserbüffel der mich anschaut als würden wir uns kennen. Ich liebe ihn.

Ich hatte eigentlich gar keine Zeit zum Einkaufen aber dann war ich doch unterwegs und habe die vollen Taschen zu ihm geschleppt.

„Ich habe Hunger“ sagt Herr Wolbert.

Ich habe beim Einkaufen eine Landkarte entdeckt sage ich zu ihm und habe sie auf dem Tisch ausgebreitet. „Wozu ist DIE denn gut“ frägt er. So wissen wir wenigstens wo wir sind antworte ich.

Ich sag dir, hier wachsen keine Kokosnüsse, sagt er.

Herr Wolbert liebt Kokosnüsse.

Ich habe schon 15 Stück gegessen, sagt er und trinkt seinen Wodka direkt aus der Flasche.

Haben Sie dort auch die Wölfe gesehen?

Die meisten Wölfe sind stinknormale Hunde, sagt er.


Das Telefon klingelt und ich höre ihm zu wie er sagt „klar ich hab überall Freunde, auf der ganzen Welt“ und „ich will keine alten Wunden aufreißen“.

Eigentlich hat er boshafte Augen wenn er sagt „ach, hör auf mit deinen blöden Fragen“.

Dann legt er auf und verlässt das Zimmer.

Herr Wolbert hat eine Werkstatt im Keller. Also es war schon ein Schock, Herr Wolbert schnitzt sich einen Sarg. Das hat mit den anderen Sachen zu tun, sagt er. Mit anderen Sachen meint er die Briefe die ich ihm vor einigen Tagen gebracht habe auf denen Universitätsklinik steht. Ich muss bald auf Tauchstation sagt er zu mir.


Ich kam schon ins Grübeln aber Herr Wolbert sagt so eine Schnitzerei dauert und schließlich müssen wir alle den Löffel abgeben.

Mittlerweile ist Herr Wolbert abgetaucht in seinem geschnitzten Sarg mit den großen Scharnieren und seinen vergilbten Bildern.

Sein Wasserbüffel steht auf meinem Schreibtisch und erwartet mich jeden Tag mit seinem wissenden Blick wenn ich aus der Schule komme.
 
Zuletzt bearbeitet:

Hans Dotterich

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Hallo s'ecrire,

Das ist spannende Prosa! Ich habe sie gleich mehrmals hintereiander gelesen. Wasserbüffel, Kokosnüsse, Wodka, Wölfe, und der selbstgeschnitzte Sarg, der mich an eine Episode aus Moby Dick erinert. Dein Herr Wolbert scheint ganz schön herumgekommen und sieht der Entwicklung lakonisch entgegen. Alles Unwichtige hat er längst entsorgt.

Der Wasserbüffel: ist er nicht ein Symbol für Buddhas zehnfachen Weg zur Erleuchtung, im Zen-Buddhismus ? Oder hat vielleicht Herr Wolpert früher einmal Castaneda gelesen?

Dein Sprachstil, der dem Satzaufbau möglichst wenig Bremsklötze in den Weg zu legen versucht, deutet jedenfalls auf einen Kontinuitätsgedanken hin. Sehr gut gelungen!

Liebe Grüße

Hans
 

s'écrire

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Lieber Hans, ich danke dir! Deine Meinung über meinen Text ehrt und freut mich sehr, Ich liebe Texte die wie ein gutes Gespräch sind. Entweder mit sich selbst oder mit anderen. Wenn Gefühle und Eindrücke geteilt werden oder manchmal eben auch nur Fragmente davon. Eigentlich habe ich von der Kunst des Schreibens keine Ahnung. Ich habe spannende Bücher, wie du richtig erkannt hast, über Zen-Buddhismus gelesen, Reiseberichte über Tibet und Reportagen über Lima. Moby Dick habe ich als Kind geliebt. Irgendwann hatte ich Lust auch mal etwas zu schreiben und das kam eben dabei heraus. Gedanken, Erinnerungen, neu gelesenes :)

Liebe Grüße
Ruth
 
Auf mich macht der Text einen eigenartig schwebenden Eindruck. Ich habe ihn ein paar mal gelesen. Freiwillig. Und er ist dabei besser geworden.

Auch die Reihung von Hauptsätzen ohne Kommas, was Prinzipientreue schrecken mag, überzeugt mich durchaus. Dadurch wird der Lesefluss etwas gebremst, was dem Text aber gut bekommt.
Einzig der Satz: "Die Wohnung ein Schlachtfeld, nicht sehr einladend wo schon der erste Blick runterzieht." bringt mich ins Stolpern. So fände ich es besser: "Die Wohnung ein Schlachtfeld wo schon der erste Blick runterzieht, nicht sehr einladend." Gerne auch mit fehlendem Komma.
Auch diese nur sparsamen Informationen über den Protagonisten passen gut dazu. Ist er ein älterer Mensch, ein Lehrer, weil er aus der Schule kommt? - Nein, ein Junge, weil die Bilder "aus einer Zeit in der auch er noch ein Junge war" stammen und weil - ein wirklich zauberhafter Nebensatz - "die Eltern noch zaubern konnten."

MfG
Binsenbrecher
 

s'écrire

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Lieber Binsenbrecher,

ich danke dir sehr, dass du meinem Text freiwillig :)die Chance gegeben hast sich entwickeln zu dürfen.
Dass mein erster Text einen schwebenden Eindruck auf dich macht trotz prosaischer Nüchternheit beeindruckt mich. Das gefällt mir,
Deinen Verbesserungsvorschlag werde ich umsetzen, vielen Dank dafür! Er ist besser so zumal ich diesen Satz eigentlich insgesamt falsch finde. Denn wie könnte ein Schlachtfeld einladend sein? Das widerspricht sich, so empfinde ich es jetzt im Nachgang. Durch die Umstellung stimmt der Satz für mich. Aber ich glaube ich werde "nicht sehr einladend" ganz raus nehmen.
Ganz besonders freut mich, dass du meinen Lieblingssatz "zauberhaft" findest.

Liebe Grüße
Ruth
 



 
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