Der Weihnachtsgast

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Inge Anna

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Der Weihnachtsgast

Dreizehn Tage vor Weihnachten kam dieser Brief -
Papa nahm nen Kognak, Mama seufzte tief:
Tante Herta, es konnte nicht schlimmer kommen,
allein schon ihr Name machte beklommen.
Wir lasen die allseits gefürchteten Zeilen -
die Freude aufs Fest tat sich schwer, zu verweilen.

Unsre Tante ging schnurstracks die Dinge an,
ihr bewährtes Rezept wider jeden Verspann;
aller Herzlichkeit fern, ihrer Art angemessen -
was da stand, hätten nur zu gern wir vergessen;
doch andererseits mochten wir sie nicht kränken,
vielleicht würde sie uns ja diesmal beschenken.

Sie nehme den Frühzug und komme laut Plan
Heilig Abend um zehn auf Gleis sieben an;
fünf Koffer, vier Taschen, drei größere Kisten -
gedachte sie etwa sich einzunisten?
"Seid pünktlich am Bahnhof, ich hass' kalte Füße -
bis bald also, Leute, verbindliche Grüße".

Das Gästezimmer, nur selten benutzt,
ward murrenden Mundes gründlich geputzt;
denn die Tante äuge in jedes Eckchen
und wehe, sie orte ein Restschmutzfleckchen.
Drum gaben wir fleißig zur Tat unser Bestes,
auf friedvolles Haus und zu Ehren des Festes.

Schließlich kam das Gepäck, wir verstauten die Fracht -
drinnen perlte der Schweiß, draußen schneite es sacht.
Immer näher rückte der Ankunftstermin,
da ließ sich nichts dehnen, nichts strecken, nichts ziehn;
noch war kein Geschenk für die Tante im Haus,
das wuchs sich zum Gipfel des Unmuts aus.

Der Vorschläge gab es indessen genug -
was man da an Ideen zusammentrug,
ging vom Abfallkorb bis zum Zahnputzglas -
das meiste jedoch sie vermutlich besaß.
Dann ward uns Erleuchtung, dem Himmel sei Dank;
wir besorgten ein Kochbuch: In vier Wochen schlank.

Es kam Heilig Abend, die Tante traf ein -
wir staunten nicht schlecht - sie kam nicht allein;
ein stattlicher Herr, Jahre jünger als sie,
der strahlte sie an - sie genoss es - und wie.
Mit sichtlichem Stolz stellte sie ihn uns vor,
als ihren Prinz Eugen, der nahm's mit Humor.

Sie verlobten sich unter dem Lichterbaum -
dessen Linksneigung störte die Feier kaum.
Der Großkisten Inhalt erwies sich als Segen,
wir nahmen in Fülle Geschenke entgegen.
Das Kochbuch für Tantchen war spurlos verschwunden;
als sie abgereist, hat man's im Müllsack gefunden.
 



 
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