Der weinende Clown

L.emma

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Der weinende Clown

Meine Hände umklammern den roten Wachsmalstift, mit dem ich die Sonne auf meinem Bild umrande, denn ich höre schon wieder ein anderes Kind vor Schmerzen weinen. Ich stelle mir- wie so oft- die Frage, was ich hier eigentlich soll. Ich habe keine Schmerzen und bin dennoch krank.
Langsam sehe ich von meinem Bild auf und blicke auf den Verband meiner linken Hand, unter dem sich die Nadel befindet, die unentwegt Flüssigkeit von einem Tropf in meinen Körper fließen lässt. Ich weiß nicht was es ist, ich lasse es einfach geschehen, die Ärzte wissen was sie tun. Was soll ich auch sagen? Ich schließe meine Augen und atme tief die mittlerweile vertrauten Gerüche ein. Es riecht nach Wachsmalstiften, aber vor allem nach Desinfektionsmittel. Als ich meine Augen wieder öffne, betrachte ich die mir bekannte Umgebung.
Der kleine Tisch, an dem ich sitze, steht in einer Ecke des Warteraums. Ich kann mich also gut umsehen. Ich beobachte die anderen zwei Kinder, die ebenfalls auf ihre nächsten Untersuchungen warten. Es sind Mädchen, wie ich. Auch sie blicken immer wieder in meine Richtung. Doch ich weiß, sie werden nicht zu mir kommen, hier spielen wir nicht miteinander. Hier beschäftigt sich jeder nur mit sich selbst, denn wir spüren sie hier nur zu eindeutig, die Nervosität. Nein, eher die Angst unserer Eltern.
Ich reiße meinen Blick von dem Mädchen mit den langen kastanienbraunen Haaren, welches gerade ihrem eher grauen, als weißen Stoffhasen die Ohren verknotet, los und lasse ihn durch den Raum schweifen. Die Wände sind weiß, doch verziert mit lustigen kleinen Figuren. An die Wand mir gegenüber ist ein großäugiges, freundlich wirkendes Reh mit seinem Kitz gemalt. Die Linke zieren ein Hase und ein Igel, die -wie in dem Märchen- um die Wette laufen. Auf der Rechten ist eine fröhlich lächelnde Prinzessin in einem rosa Kleid abgebildet. Quietschend schiebe ich meinen Stuhl ein Stückchen zurück. Gerade so viel, dass ich mich umdrehen kann und schaue auf mein Lieblingsbild. Denn auf der Wand hinter mir prangt der riesige Kopf eines Clowns. Die Konturen seiner rotgelockten Haare und die Umrisse des Gesichts sind nahezu perfekt. Er zeigt ein breites Grinsen, mit zwei Reihen makellos weißer Zähne. Doch darüber ist etwas schief gegangen, denn seine Augen sind verschwommen, sodass es aussieht, als würde er weinen. Deshalb mag ich es so. Ein kleiner Fehler, der ein aufgesetzt fröhliches Wandbild zu einem ehrlichen, der Situation der Kinder entsprechenden macht.

Kaum, dass mir dieser Gedanke kommt, wache ich aus meinem Traum vergangener Tage auf. Ich versuche die Müdigkeit aus meinen Augen zu blinzeln, was mir nur teilweise gelingt und schaue auf den Tagesplan, der an der Magnetwand über meinem Bett hängt. Fuck, ich sollte schon seit zwei Minuten in Ergotherapie sein. Ich springe aus meinem Bett, streiche lediglich meine Haare ein wenig glatt, bevor ich in meinen Hausschlappen durch den Flur hetze.
Als ich endlich vor der richtigen Tür ankomme, klopfe ich schnell an und warte auf das , hyperfreundliche "Herein" der Therapeutin. Aber ich höre es nicht. Ich klopfe noch einmal, bevor ich vorsichtig die Klinke herunterdrücke. Verschlossen. Großartig, der ganze Stress umsonst. Genervt ausatmend lehne ich mich an die Wand und fixiere aggressiv die abgeschlossene Tür vor meiner Nase. Nachdem ich mich ein wenig beruhigt habe, sehe ich mich nervös um. Die braucht ganz schön lange. Ich will aber nicht im Stationszimmer nachfragen, ich hasse das. Ich rede im Allgemeinen nicht gerne mit Menschen und sie um etwas zu bitten oder zu fragen, geht mir am Meisten gegen den Strich. Denn in solchen Momenten bohrt sich mir immer der Gedanke ins Gehirn, auf sie wie ein hilfloses, dummes, naives Mädchen zu wirken. Schon alleine aufgrund meiner zitternden Hände und des gebrochenen Piepsen, das eigentlich meine Stimme sein sollte. Ich verschränke also meine Arme vor der Brust und beschließe nichts zu machen.
Ich sehe den Flur mit den unzähligen, von Patienten gemalten Bilder entlang und komme nicht umhin an meine Kindheit zurück zu denken. Krankenhäuser sind wirklich alle gleich. Immer wird versucht, der klinischen weißen Wand ihre sterile Ausstrahlung zu nehmen. Doch freundlicher wirkt der Ort trotzdem nicht. Auch diese, teilweise furchtbar hässlichen Bilder, täuschen nicht darüber weg, was für ein trauriger Platz das hier ist.
"Frau Stahl, tut mir Leid, dass ich zu spät bin. Ich wurde leider von einem anderen Patienten aufgehalten!" , schrillt auf einmal, mindestens eine Oktave zu hoch und zehn Dezibel zu laut zu mir herüber. Da ist sie ja, Frau Winter, Die Ergotherapeutin. Ich versuche mir meinen Unmut nicht anmerken zu lassen, lächle sie also so freundlich wie möglich an. "Kein Problem" , ist aber trotz allem das Einzige, was meine Lippen verlässt. Sie fängt auch gleich mit ihrem üblichen Monolog, ihres bisherigen Tages an, der mich jedes Mal aufs Neue an ihrer Fachkompetenz zweifeln lässt. Immerhin sollte eine Therapeutin sich nicht bei ihren Patienten ausheulen.

Als wir uns endlich an dem üblichen Holztisch, in dem üblichen Raum gegenübersitzen, beginnt die Ergotherapie mit der immer gleichen Frage: "So, Frau Stahl, was wollen Sie denn heute machen?" Ich muss nicht lange überlegen, bis ich antworte: " Ich möchte malen. Am liebsten mit Ölkreide", Frau Winter lächelt mich mit ihrem, von pinken Lippenstift verschmierten Mund an. " Schon wieder? Wollen Sie sich nicht lieber auf was neues einlassen? Vielleicht macht Ihnen etwas anderes ja noch mehr Spaß?"
Ich habe keine sonderlich große Lust, die Diskussion schon wieder zu führen, also vertröste ich sie auf das nächste Mal und setzte meinen Willen für diese Therapiestunde durch. Ich mein ja nur, warum sollte ich etwas, das ich mag, durch etwas von anderen aufgezwungenes ersetzen?
Ich hole mir meine Kreide und ein leeres Blatt, während ich aus dem Hintergrund höre, wie die Therapeutin mit ihren pinken Gelnägeln auf dem Tisch herumtrommelt. Wieder so etwas, das ich für unprofessionell halte. Als ich alles zusammen habe, setzte ich mich zurück an den Tisch und beginne mit dem Malen.
Natürlich quasselt Frau Winter einfach weiter, immerhin konnte sie vorhin nicht ihren gesamten Tagesablauf darlegen. Ich höre ihr nicht zu, sondern widme mich meinem Blatt. Irgendwann verstummt sie. Das tut sie immer.

Plötzlich reißt mich ihre unangenehme Stimme aus meiner Konzentration: " Ich lasse Sie kurz allein, ich habe vorhin leider Ihre Tabletten vergessen. Ich hol sie jetzt. Bin gleich wieder da", Sie steht auf, doch bevor sie durch die Tür tritt, dreht sie sich noch einmal um und quietscht: "Nicht weglaufen!" Dann lacht sie schrill auf und geht. Schon wieder unprofessionell. Aber egal, eigentlich bin ich froh, dass sie weg ist. Ich vertiefe mich wieder in mein Kunstwerk. Bald höre ich die Tür viel zu schwungvoll und laut aufgehen. Großartig. Sie ist zurück. Die Ergotherapeutin stellt mit den Worten " So, Tablettenzeit. Schön runterschlucken", ein Becherchen mit Tabletten und ein Glas Wasser neben mich. Ich schaue von der roten Ölkreide, die ich gerade zu Seite lege, auf die Tabletten, die ich brav nehme. Während ich sie runterschlucke, fällt mir auf, dass ich absolut keine Ahnung mehr habe, was genau das Zeug eigentlich ist. Ja, irgendwann hat mich jemand darüber aufgeklärt, nur war ich in einem Zustand, an den ich mich kaum erinnere. Naja, die Ärzte wissen was sie tun. Ich stocke bei dem Gedanken, irgendwie kommt er mir bekannt vor.
Ehe ich realisiere, dass ich nicht die Einzige im Raum bin, beginne ich lauthals zu lachen. Es hat sich nichts geändert. Seit meiner Kindheit hat sich im großen und Ganzen nichts geändert. Irritiert sieht mich Frau Winter an und fragt: "Was haben Sie? was ist denn so lustig?" Mein Lachen verstummt, doch ich grinse die Therapeutin an. " Nichts. Ich bin nur gerade eben mit meinem Bild fertig geworden" , antworte ich und schiebe ihr mein Kunstwerk zu. Sie nimmt es in ihre nach Desinfektionsmittel riechenden Hände und betrachtet es. Während sie darüber schaut, ziehen sich ihre Augenbrauen zusammen. Dann fragt sie mich: " Ein weinender Clown? Woran haben Sie gedacht, als Sie ihn malten?" Ich grinse sie weiter an, auch als die Worte meinen Mund verlassen:
" Er steht einfach nur für Ehrlichkeit"
 
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