Der zarte Dichter (Sonett)

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Im Traum des nachts besucht ihn ein Gedicht,
ein göttliches. Er schreibt's und weinet zart.
Sofort darauf erscheint mit einem Bart
ein strenger alter Herr in grellem Licht.

"Was suchst du?" fragt der Dichter noch in Tränen.
"Mein Träumlein", spricht der Herr mit Zornesblick,
"verirrte sich in deines. Gib's zurück!
Sonst frisst der Teufel dich mit scharfen Zähnen!"

Der Dichter zittert: "Göttliches Gericht,
ich beuge mich der himmlischen Gewalt!
Nur hören möcht ich's einmal, ...mein Gedicht."

Der hohe Gast, erhabener Gestalt,
er rezitiert's mit herrlichem Gesicht.
Der Dichter lispelt zart: "...ich geb's dir nicht."
 
G

Gelöschtes Mitglied 26106

Gast
Der Rahmen wirkt etwas übertrieben und/oder Schutzschild - Ausgezeichnet.
 

petrasmiles

Mitglied
Wer hätte gedacht, dass es auf der Ebene Urheberrechtsstreitigkeiten geben könnte :)
Ganz zauberhaft!
Nun kommt es darauf an, ob es der Gott des Alten oder des Neuen Testaments ist.
Im ersten Fall freut sich sonst der sprichwörtliche Dritte - ob wir das göttliche Gedicht je lesen werden?

Liebe Grüße
Petra
 

petrasmiles

Mitglied
Das wird wohl nicht das einzige Meisterwerk sein, das mir entgeht ... besser als die Zähne des Teufels zu spüren ... kann ich verstehen :)
 

Mimi

Mitglied
Lieber Rolf-Peter,
ich finde die Idee sehr schön, sprachlich liest sich Dein Sonett locker und flott.
Nur diesen Rahmen um das Sonett verstehe ich nicht wirklich ... ist das absichtlich so von Dir übertragen ...?

Gruß
Mimi
 
Liebe Mimi,

vielen Dank fuer den Kommentar!

"Rahmen um das Sonett": Also nicht der "formale" Rahmen? Der "Inhalt"? Hm..., das ist natuerlich kein "ernstes" Gedicht. Aber Petra hat schon recht: Es geht um einen "Urheberrechtsstreit". ;) Der "Dichter" und "Gott" (als parodierte Prototypen in meinem Sonett) haben ein aehnliches Problem: Der "zarte" Dichter hat etwas "Goettliches" geschrieben. Glaubt er. Ist er der "Autor"? "Gott" will es ihm wieder wegnehmen. (Der wird ja wohl der "wahre" Autor sein, wenn's ein "goettliches" Gedicht ist. Glaubt Er.) Der Dichter kriegt's mit der Angst und will es sofort aushaendigen. Hm..., aber vielleicht koennte er es ja doch noch einmal hoeren. Wie klingt das, wenn Gott Selbst ihm das Gedicht vorliest? Gott, in Seiner Einfaeltigkeit, rezitiert's. Es klingt..., goettlich. Der Dichter will "sein" Gedicht nun doch lieber behalten. Warum? Ist seine dichterische Eitelkeit tiefer als die Hoellenfurcht? Oder ist er gar ein heldischer Widersacher, ein Satan aus dem verlorenen Paradies, ein Doktor Faustus, ein Jakob, der mit Gott ringt, oder ein Prometheus? Frage an beide, "Dichter" und "Gott": Sollten wir nicht ein perfektes Sandbild sofort wieder zerstoeren, nachdem wir es geschaffen (...aber dann koennen wir's leider nicht mehr in der Lupe veroeffentlichen... :)).

LG,
Rolf-Peter
 

Mimi

Mitglied
Lieber Rolf-Peter,
ich ahnte es ja schon, in meinem Kommentar stand ich offenbar auf dem berühmten Schlauch ...

Danke für Deine Rückmeldung!

Gruß
Mimi
 



 
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