Der zürnende Dichter

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G. Neville

Mitglied
Der zürnende Dichter,
weckt allerlei Gelichter.
Den Alltag und den Frieden,
war so schön hienieden.

Da kam der zürnende Buchstab'
riss entzwei die Myrtensträuche,
ein dampfend Tier ihn nun beäugte,
sich aus ganzer Seele sträubte.

Die vorgefasste Meinung wild
hielt er ihm hin, auf ehernen Schild.
Drohte gar mit dem Gericht,
spuckte ihm ins Angesicht.

Doch der Buchstab ward nicht traurig
und wurde auch nicht zotig.
Lag auf dem Papier ganz mild,
worauf das Gelichter schrie wie wild.

Der Alleserheiternde aber war zufrieden.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Eigenartig, G. Neville.

Da kam der zürnende Buchstab'
riss entzwei die Myrtensträuche,
ein dampfend Tier ihn nun beäugte,
sich aus ganzer Seele sträubte.
1. Was reimt sich hier auf was? oder war das als eine Art Waisen-Strophe gedacht, wo kein Vers eine Reimentsprechung hat?
2. Was ist ein zürnender Buchstab'?

grusz, hansz
 

G. Neville

Mitglied
2. Was ist ein zürnender Buchstab'?
Ganz einfach: So wie ein Photon die kleinste Energieeinheit des Lichts darstellt, ist ein Buchstabe, noch dazu ein zürnender Buchstabe die kleinste Einheit eines Buches oder Textes. Das ist jedenfalls meine Sicht der Dinge. Zu Frage Eins, da möchte ich gerne die künstlerische Freiheit in Anspruch nehmen.

Gruß
Georg

PS.: Hatte auch schon überlegt ob ich das "Gedicht" unter Ungereimtes einstellen soll?
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ich sehe, G.Neville,
keine Antwort auf meine Frage, wie ein Buchstabe zürnen kann.
Vielleicht so: Ein Text, der nur aus einem einzigen Buchstaben besteht, kann ein solcher Buchstabe sein, der etwas Zorniges an sich hat. Für manche etwa das K, oder ein i.

Ja doch, das wäre möglich.

Aber ich verstehe die Story in dem Gedicht nicht. Das macht nichts, denn es kann ja das Gegeneinander der Bilder und Szenen innerhalb einer surrealistisch disparaten Collage sein.

grusz, hansz
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
ja, trifft,
ist dann aber nicht so konzentriert wie die sparsamen Explosivlaute
oder so ein grelles i.
 

G. Neville

Mitglied
Hallo Hans,
habe in einem Reclam Büchlein folgende Entdeckung gemacht:


Der zürnende Dichter

Fürchtet den Dichter nicht, wenn er edel zürnet, sein Buchstab
Tötet, aber es macht Geister lebendig der Geist.

Friedrich Hölderlin


PS.:
Warum kann ich nichts posten? Kein Eingabefeld vorhanden. Bin ich gesperrt? Oder ist die Anzahl der Posts beschränkt? Kommentare funktionieren, wie man sieht.

Gruß
G.Neville
 
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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ich kann Deine Post und Posts lesen. Kein Problem. Alle anderen auch.

Zum Hölderlin-Zitat fehlt die Quellenangabe: Welches Gedicht von Hölderlin wurde zitiert?
 

G. Neville

Mitglied
Wegen Quelle?

Ich denke dieser Zweizeiler ist ein einzelnes Gedicht. Als Nichtfachmann weiß ich nicht, ob das Gedicht innerhalb eines Zyklus zu sehen ist, dessen Quelle man korrekterweise angeben muss. So kann ich nur besagtes Reclam Büchlein bestenfalls noch die ISBN Nummer nennen. Aber das ist wohl nicht der Weisheit letzter Schluss.

Im Netz findet man den "Zürnenden" aber auch sofort. Aber das weißt Du doch alles?

 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Na, geht doch.
Es ist also ein Distichon mit eigener Überschrift.
Der Hexameter endet mit dem besagten "Buchstab".
"sein Buchstab / Tötet", aber der Geist macht, gemäß dem Pauluszitat, lebendig.

Es ist dort, eben gemäß dem Pauluszitat, kein einzelner Buchstabe gemeint, sondern der poetische Singular, das ist ein Singular, der ein generelles Pluralganzes als Einzelnes formuliert, also dieser poetische Singular "Buchstab" stellt eine These allgemeiner Art auf: Die Verschriftlichung eines Gedankens killt den Gedanken; der Geist des Gedankens weckt den getöteten Gedanken aber wieder aus dem Schriftgrab auf. Ostern.

Fürchtet den Dichter nicht, wenn er edel zürnet, sein Buchstab
Tötet, aber es macht Geister lebendig der Geist.

Nicht der Buchstabe wird geboren, arbeitet und stirbt, sondern der Gedanke stirbt durch die Verschriftlichung ins materielle Symbol, unabhängig vom Schreiber wie von sonstwem. Und wird wieder erweckt im Leser.

grusz, hansz
 

G. Neville

Mitglied
Das muss ich jetzt alles erst mal verarbeiten. Im Moment ist meine Hirnmaschine nicht in der Lage dazu.

Aber ich mach mal den Versuch einer laienhaften Analyse bezüglich des Hexameter (griechisch ἑξάμετρον, hexámetron, wörtlich „Sechs-Maß“)

Fürchtet den Dichter nicht, wenn er edel zürnet, sein Buchstab
X x x X x x X x X x X x x X x

Tötet, aber es macht Geister lebendig der Geist.
X x X x x X X x x X x x X

Ist das richtig?


Diese Definition finde ich sehr schön:
"Die metrische Form des Hexameters kommt seiner Hauptaufgabe, dem Erzählen, sehr entgegen. Jakob Minor stellt dazu fest: „Der Hexameter verbindet mit der reichsten Mannigfaltigkeit und Abwechslung einen gleichmäßig ruhigen und würdevollen Gang, der ihn besonders für die epische Erzählung geeignet macht."

Gruß,
Georg
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
ja, schon richtig,
aber nur der obere der beiden Verse ist ein Hexameter; der untere ist ein Pentameter. Der untere Vers hat in der Mitte eine Lücke, zwischen den beiden Betonten. Und ist endbetont im Unterschied zum Hexameter davor. Die Kombination der beiden ist ein Distichon.
 

G. Neville

Mitglied
Also ich halte fest: Ein Hexameter und ein Pentameter bilden ein Distichon.

Die Lücke, zwischen den beiden Betonten sehe ich allerdings nicht.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Tötet, aber es macht | Geister lebendig der Geist.
X x X x x X | X x x X x x X

Im Distichon ist der Hexameter nicht erzählend. Das ist er bei etwa der Hälfte aller hexametrischen Dichtungen auch nicht, das sind vor allem Lehrgedichte wie Vergils Georgica und Hesiods Theogonie, und dann eben auch die obere Hälfte aller Distichen, die außer den sprichwortartigen Zeizeilern auch längere durchgängige Texte bilden können, wie in den "elegischen Distichen" von Tibull und Properz oder in mehreren Werken von Ovid.

grusz, hansz
 
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