Der Zwilling

Ein Theaterstück in einem Akt


aus der geschlossenen Anstalt Albrechtshausen-Ost.
Abt. Seltene inzest-libidinöse Randphänomene
Leitung: Wolfgang Watzl
(Aus den verschollen geglaubten Annalen "Familienidyll" von Ansgar L.)
Hrsg/Red: Jonas-Benedikt



Der Zwilling

Eine interfamiliäre Liebelei


Bühnenbild: Ein trostlos abgewirtschaftetes Mansardenzimmer. Auf einer schäbigen Couch liegt mit gespreizten Beinen ein ausgestopfter bereits modrig-schimmelnder weiblicher Körper.
Die lederartig wirkende an vielen Stellen aufgerissene fleckig-braune Haut zeugt von einem beträchtlichen Alter der Mumie. Auf dem bereits fast haarlosen knochig verdorrten Schädel thront ein schmutzig-grauer, von Motten zerfressener Brautschleier. Das linke Bein ist am Knie halb abgerissen und lieblos in einer bizarr verrenkten Stellung mit einen Stück rostigen Draht fixiert. Der Intimbereich wurde notdürftig durch zweckentfremdete Gegenstände des täglichen Gebrauches ersetzt und wirkt pappig verklebt.
Ein etwas verwirrt wirkender älterer Mann in muffig-lieblos abgewetzter Alltagskleidung sitzt mit dem Rücken halb zum Publikum auf einem wackeligen Küchenstuhl.


Der Mann, sich langsam und umständlich zum Leichnam drehend:

Alt sind wir geworden, Schwesterchen, alt geworden sind wir. Alt. Aber auch freche Früchtchen werden Fallobst irgendwann. Werden sie irgendwann, werden sie.

Auch unwillige freche Früchtchen wie du fallen. Fallen wie auch du die unwilligen. Aber gefallene Mädchen gefallen mir, gefallen. Nur ich habe dir nicht gefallen, nie gefallen – nie! Du wolltest von mir weg, weg wolltest auch du, weg! Weil dir das alles nicht gefallen hat, nie gefallen.
Und das hat mich verletzt. Verletzt hat mich das. Sehr verletzt.
Schlussendlich hast du aber doch alles gemocht, später dann. Hat dir alles gefallen, alles dann. Alles. In deinen langen Schlaf, deinen gaaaanz gaaaanz langen.
Schlaf nur mein Täubchen, ich bin immer bei dir. Schlaf tief und träume schöööön...


Der Mann (streichelt den dünnsträhnig-grauen Kopf des Leichnams):

Mami und Papi hat das auch nicht gefallen. Dass du mir so gefallen hast, so gefallen. Viel zu sehr gefallen, haben sie gesagt, viel zu sehr. Du darfst mir nicht so gefallen haben sie gemeint, niemals so sehr gefallen. Mami und Papi wollten uns trennen, dich mir wegnehmen wollten sie. Wegnehmen wollten sie dich.


Der Mann (kommt langsam in Fahrt):

Und das hat mich aufgeregt hat mich das, aufgeregt. Ich habe Kopfschmerzen bekommen vor Aufregung, starke schwere Kopfschmerzen da im Kopf. Kopfschmerzen. Dann sind wieder die Krämpfe gekommen, die Krämpfe. Immer nach den Kopfschmerzen kommen die Krämpfe, immer kommen sie danach. Kopfschmerzen und Krämpfe.

Dann sind sie dagelegen in ihrem Bettchen. Mami und Papi. In ihrem blutigen Bettchen sind sie gelegen plötzlich alle beide. Friedlich neben einem Hammer. Auch der war ganz rot der Hammer. Ganz blutig, nass und prächtig war der. Ein famoser blutigroter nasser Hammer.


Der Mann (versonnen zärtlich):

Ich habe sie wirklich sehr gern gehabt, Mami und Papi, immer gern gehabt. Sie auch gern gekocht und gern gegessen. Sie ganz brav aufgegessen.
Nur du warst heikel wie immer, heikel. Hast dich gewehrt und geweint: Nein, ich mag die Mami-Papi-Suppe nicht, nein, die Mami-Papi-Suppe mag ich nicht!
Mit der Zeit hat sie dir dann doch geschmeckt. Auch die knusprigen Milzschnittchen, der feine, würzige Lungenstrudel und sogar der urige Hüftspeck. Besonders der zartmürbe von Mami. Den hast du so heiß geliebt, weisst du noch? Alles hast du fein abgenagt du Brave du, alles fein abgenagt. Hunger ist eben der beste Koch!

Einmal – an einem milden Frühsommerabend - habe ich dir behutsam dein flauschiges Liebling- Kissen über dein zartes Gesicht gelegt und dich damit in den Schlaf gewiegt, hab ich. Dich in den Schlaf gewiegt. So hast du dich in mich verliebt. Wolltest nur noch bei mir sein, nur bei mir. Immer.

Kurz darauf haben wir dann geheiratet. Du als perfekte, makellose Braut. So artig, gehorsam und still. Wir haben uns geliebt. Als Mann und Frau geliebt haben wir uns. Wie schön und blass du warst, so arglos und sanft.


Der Mann (deutet auf ein milchig abgegriffenes Gurkenglas auf einem verrotteten Fenstersims):

Aber zuvor habe ich Mamis und Papis gütige Augen in dieses Glas gegeben. Damit sie sehen können, wie lieb wir zueinander sind. Immer sollen sie das sehen können, ihre Augen. Dort in dem Glas. Und wir sind immer lieb zueinander gewesen, immer lieb, du weisst, immer lieb, immer!
Mami und Papi haben uns dabei zugesehen und gelächelt mit ihren gütigen Augen. Gelächelt haben sie, die Augen. Immer gelächelt, uns zugesehen und sich mit uns gefreut. Erfreut zugesehen. Und dabei gelächelt. Mami und auch Papi.

Der Mann sackt schluchzend in sich zusammen und kauert reglos wimmernd am Boden. Nach einer Weile erhebt er sich stumm, bricht plötzlich in ein verstörtes, entmenschlichtes Gelächter aus.
Dabei entblösst er epileptisch zuckend sein traniges Gemächt und uriniert triebhaft erregt auf den elendiglich zerschundenen Leichnam.

Kehlig röchelnd dringt er damit tief in die selbst mit bestem Willen nicht als Vagina erkennbare selbstgebastelte Stelle ein und ergötzt sich wohlig grunzend an den Schmerzen, die ihm spitze und scharfkantige Teile seines monströsen Gebildes dabei zufügen.

Stöhnen, weiteres tiefes, wohliges, nahezu animalisches Grunzen...


Vorhang
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Wolfgang,

das ist ein sehr verstörendes Bild, das du hier schaffst.

Ich habe eine Anmerkung:

aus der geschlossenen Anstalt Albrechtshausen-Ost.
Abt. Seltene inzest-libidinöse Randphänomene
Kann es wirklich sein, dass die Szene in einer geschlossenen Anstalt spielt?
Hier würde man den Mann doch überwachen!

Liebe Grüße
Manfred
 
Hallo Manfred,

nein, die Basis stammt aus losen, fragmentiert rudimentären tagebuchartigen Notizen, die alle aus der Zeit lange vor der dauerhaften Einweisung in Albrechtshausen-Ost stammen.
Unter der fachlichen Leitung Jonas-Benedikts wurde dieses Material teils aus künstlerischen, teils (vermutlich auch) aus therapeutischen Gründen in eine praktikable und sinnvolle Form gegossen. Ob diese Einakter dort auch in der Realität inszeniert und (vor welchem Publikum auch immer) aufgeführt wurden, entzieht sich leider meiner Kenntnis.

mlg

W.
 



 
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