Des Schornsteinfegers Kehrkugel an der ScheinBAR

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Hagen

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Des Schornsteinfegers Kehrkugel an der ScheinBAR

Obwohl die Wunderbare Ulrike normalerweise im ‘kleinen Schwarzen‘ an unserer ScheinBAR sitzt und genüsslich den einen oder anderen Cocktail zu sich nimmt, trug sie diesmal ihren Kimono mit tiefem V-Ausschnitt, gegurtete Taille und reicher Perlenverzierung. Es verschlug mir, wie üblich den Atem, zumal sie mich tief in den Ausschnitt ihres Kimonos sehen ließ und ich begann leicht erregt, bei der Musik von Nina Simone, ‘Feeling Good‘, einen ‘Amour fou‘ zu bereiten.
„Ah, der Sahnecocktail!“ Die Wunderbare Ulrike glitt wieder vom Hocker, schwebte wie eine Diva zur Küchenzeile „Geile Musik, das!“, hauchte sie, irgendwie erotisch“, und kam mit einem Karton Sahnetörtchen zurück.
„Ich weiß“, sagte sie während sie wieder auf den Hocker panterte, „dass richtige Männer wie du keine Sahnetörtchen essen. – Aber möchtest du auch eins?“
„Aber nur, wenn du es niemandem sagst“, meinte ich, stellte der Wunderbaren Ulrike ihren ‘Amour fou‘ hin und griff mir ein Schokoladen-Törtchen.
„Ich finde“, die Wunderbare Ulrike nahm einen Schluck ‘Amour fou‘, biss in ein Stracciatella-Kirsch-Törtchen und sagte: „Ich denke, wir sollten heute, anstatt des entspannenden Blödelns, ein Märchen ausdenken.“
Schluck ‘Amour fou‘.
„Von mir aus gerne. Richtige Märchen werden in der heutigen Zeit sowieso unterbewertet …“
„… und erotische Märchen ganz besonders!“
Schluck ‘Amour fou‘ und genüsslicher Verzehr des Sahnetörtchens.
„Na gut, fangen wir an!“, meinte ich nachdem beides erledigt war und ich hart über ein erotisches Märchen nachgedacht hatte, „ich hab‘ schon die Andeutung einer Idee für ein erotisches Märchen.“
„Natürlich ...“
Irgendetwas glomm in der Wunderbaren Ulrikes Augen auf. Sie nahm noch ein Sahnetörtchen, eine Erdbeer-Sahne-Rolle, ließ ihre Zunge ein Stück aus dem Mund gleiten, legte das Ende des langen, runden Sahnetörtchens darauf und nickte langsam und mit traumverlorenem Blick, „lass‘ hören, was dir eingefallen ist.“
„Nun ja“, fuhr Ich fort, „da erzählt eines Tages eine Fee, dass sie, sollte sie eines Tages einem rechtschaffendem, ehrlichen, guten Mann, der moralisch einwandfrei ist, begegnen und guten Sex mit ihm haben ...“
Die Wunderbare Ulrike schlürfte die Sahne des Sahnetörtchens heraus.
„… wird sich des Mannes Sperma in in pures Gold verwandeln ...“, fuhr ich erwartungsvoll fort.
Der Wunderbaren Ulrike Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Möglicherweise interpretierte ich dieses Mienenspiel ein wenig miss als ich, getrieben von meiner grandiosen Idee, erbarmungslos fort fuhr: „Dumm war nur, dass man die Fee eines Tages tot auffand ...“
„Warum ... tot ... ?“
„Erstickt. An einem Klumpen Gold.“
Der Wunderbare Ulrikes traumverlorener Blick löste sich auf. Ihre linke Hand raffte den Kimono dicht unter dem Kinn zusammen.
‘Don't Let Me Be Misunderstood’ sang Nina Simone.
„Orientiere dich bitte“, meinte die Wunderbare Ulrike, „an Deutschlands beliebtesten Märchen, zum Beispiel ‘Frau Holle‘! – Ein Mädchen gelangt in die Welt der Frau Holle, in deren Dienst sie fleißig arbeitet. Bei ihrer Heimkehr von Frau Holle wird sie zur Belohnung mit einem Goldregen überschüttet. – Die fleißige Goldmarie verkörpert Tugend und Rechtschaffenheit! Gute Eigenschaften, die in manchen Märchen – vielleicht auch aus erzieherischen Gründen – mit Gold, einem Symbol für den höchsten Wert, belohnt werden.
„Entschuldigung“, murmelte ich, „muss wohl am Cocktail liegen. Hab’ zu viel gearbeitet in der letzten Zeit und zu wenig geschlafen. Ich fang’ noch mal an.“
Schluck ‘Amour fou‘.
„Bitte.“
„Es war einmal ein wackerer Taxifahrer“, begann ich, „wie ich es einst war, der brachte nette Menschen nach Hause, Nacht für Nacht für Nacht ...“
„Taxifahrer geht nicht“, sagte die Wunderbare Ulrike, „nehmen wir doch einen normalen Menschen. Einen Handwerker, Bäcker, Schlachter, Friseur ...“
„Na klar! Einen ehrlichen Raubritter, Seeräuber, Kerkermeister, Minnesänger, Folterknecht ...“
„Warum müsst du eigentlich immer Quatsch machen? – Wir wollten heute doch mal nicht blödeln!“
„Entschuldigung, aber ich weiß ja noch gar nicht worauf du hinaus willst.“
Schluck ‘Amour fou‘.
„Nehmen wir doch mal einen Schornsteinfeger. Die gab es früher auch schon, es gibt wenige Märchen mit Schornsteinfegern, und der Schornsteinfeger hatte auch einen Scheißjob damals. Der musste nämlich manchmal in den heißen Kamin rein, weil die Leute meistens bis zuletzt geheizt haben. Er war immer dreckig, und niemand wollte was mit ihm zu tun haben. Das mit dem Glück und so kam erst in der letzten Zeit auf.“
Die Wunderbare Ulrike legte ihr Gesicht in arge Falten, nahm einen Schluck ‘Amour fou‘ und verzehrte gnädig ein Erdbeer-Joghurt-Sahnetörtchen.
„Nun ja. Schornsteinfeger sind in Märchen arg unterrepesentiert“, fuhr Ich fort. „Der Schornsteinfeger in unserem Märchen war stets guten Willens und moralisch einwandfrei. Er tat munter seine Arbeit, nahm keine überhöhten Preise, betrank sich nie, war seiner Frau stets treu, immer positiv motiviert und jederzeit heiteren Gemütes.“
„Und weiter?“ Die Wunderbare Ulrike leckte sich ein wenig Sahne von der Lippe und fingerte sich ein Erdbeer-Bourbon-Vanille-Törtchen aus dem Karton.
„Und so begab es sich“, fuhr ich fort und nahm einen Schluck ‘Amour fou‘, dass sich des Schornsteinfegers Kehrkugel an seinem Besen, den er unermüdlich in die Schornsteine der Häuser seiner Mitmenschen senkte und herauf zog, im Laufe der Zeit in pures Gold verwandelte.“
Die Kaubewegungen Die Wunderbare Ulrikes wurden langsamer und erstarben schließlich ganz.
„Das ist gut! Das ist gut! Gute Taten belohnt das Leben! – Bedenke aber, dass wenn sich eine 3 Kilo-Kehrkugel in Feingold verwandelt, diese um etliches schwerer wird!“ Schluck ‘Amour fou‘. „Feingold hat ein spezifischen Gewicht von 19,3“, fuhr die Wunderbare Ulrike fort und nahm auch einen Schluck ‘Amour fou‘. „Das spezifische. Gewicht von Stahl liegt bei nur 7,874 g/cm³ in seiner Reinform.“
Die Wunderbare Ulrike legte ihr Gesicht in arge Falten und nahm einen Schluck ‘Amour fou‘.
„Stimmt! Aber wenn die Kugel jeden Tag nur ein Bisschen schwerer wird, merkt der brave Schornsteinfeger das nicht.“
Schluck ‘Amour fou‘.
„Oder er meint“, fuhr ich fort, „er kriegt Knochenschwund und arbeitet trotzdem weiter, weil er stets guten Willens und moralisch einwandfrei war. Er tat trotzdem seine Arbeit, betrank sich nie, war seiner Frau stets treu, immer positiv motiviert, log nie und war jederzeit heiteren Gemütes.“
Schluck ‘Amour fou‘.
„Aber da das Leben“, ich griff mir ein Bienenstich-Sahnetörtchen, während Nina Simone ‘Ain't Got No, I Got Life‘ sang und fuhr fort: „möglicherweise andere Vorstellungen von ‘Guten Taten’ hat, als die Menschen! – So geschah es, dass er eines Tages müde und total abgeschlagen von seiner Arbeit nach Hause kam und seine Frau mit einem anderen Kerl im Bett vorfand!“
Schluck ‘Amour fou‘ und ein Marzipantörtchen.
„Er erschlägt den anderen Kerl mit seiner schweren Kehrkugel!“, meinte die Wunderbare Ulrike und raffte ihren Kimono zusammen. „Aber das ist kein Märchen, sondern bitterer Ernst!“
‘Isn't it a Pity’ sang Nina Simone während ich langsam mein Bienenstich-Sahnetörtchen aß.
„Na, gut“, meinte ich und nahm den letzten Schluck ‘Amour fou‘, „dann bittet er seine Frau ihre wichtigsten Sachen zu packen, derweil er mit dem Kerl, den er mit seiner Frau im Bett angetroffen hatte, einen Trinken geht. Denn er hatte es satt, stets guten Willens, sich niemals zu betrinken und moralisch einwandfrei zu sein!“
„Wir wollten doch ein Märchen und keinen Krimi erarbeiten!“, sagte die Wunderbare Ulrike und trank ihren ‘Amour fou‘ aus.
„Da du gerade einen Krimi erwähnst und dein Glas leer ist, was wir ändern sollten! - Wir sollten den Schluss dem geneigten Leser, je nach Gemütslage, überlassen, noch einen ‘Kriminaltango‘ trinken und dann ins Bett gehen.“

Amour fou
1 Tropfen Granatapfelsirup
4 cl Eierlikör mit Cappuccino
2 cl Genever
Deco Tupfer Sane obenauf

Kriminaltango
½ cl Angostura
2 cl Alte Liebe
2 cl Kirschliqueuer
2 cl Campari Bitter
Auffüllen mit Tonic
Eis
Deco Cocktailkirsche
 
Zuletzt bearbeitet:

Hagen

Mitglied
Hallo Hein,
danke für den Sternenregen!
Die Wunderbare Ulrike und ich hoffen Dich und Deine liebe Frau nach der Corona-Zeit mal an der ScheinBAR begrüßen zu dürfen.
Herzlichst
yours Hagen

Wir lesen uns!
... und immer schön fröhlich, gesund und munter bleiben!
 

Maribu

Mitglied
Hallo Hagen,

du hast ja einige Möglichkeiten für "moderne" Märchen aufgezeigt.
Die wunderbare Ulrike wird wohl nicht jedes Mal beim Treffen mit dem Protagonisten an der ScheinBar
so viele Törtchen genießen. Sonst könnte es mit dem Gleiten vom Hocker und dem Schweben wie eine Diva bald
vorbei sein!
Es wird gesagt: 'Dumm ... gut!' - Dass trifft auf sie wohl nicht zu, weil sie sich mit den spezifischen
Gewichten so gut auskennt.
Es ist ein gelungener, humorvoller Text, über den ich schmunzeln, an manchen Stellen sogar herzhaft
lachen konnte.
Ein Vorschlag vom geneigten Leser: Beim nächsten Treffen sollte der Pro sich selbst übertreffen und
so einen witzigen Märchenanfang erzählen, dass die wunderbare "Schlemmerin' an ihrem Törtchen
erstickt!
Über eine Einladung zur ScheinBar würde ich mich sehr freuen!

Freundliche Grüße
Maribu
 

Hagen

Mitglied
Hallo Maribu,
danke für die Beschäftigung mit meinem Text und den Sternenregen!
Die Wunderbare Ulrike ißt in der Tat sonst nicht soviele Sahnetörtchen, wie Du aus meinen vorigen ScheinBAR-Geschichten ersehen kannst, so Du dir die Mühe machst, mal in den Tiefen der Leselupe zu graben.

Es wird gesagt: 'Dumm ... gut!' - Dass trifft auf sie wohl nicht zu, weil sie sich mit den spezifischen Gewichten so gut auskennt.

Nun, die Wunderbare Ulrike kennt sich mit allem bestens aus; - sogar mit Okultismus und mit Exorzismus (siehe entsprechende Story).
Das Ding mit dem Ersticken an Sahnetörtchen halte ich aus ästetischen Gründen für etwas sehr kontrapoduktiv, denn ich möchte, der Sichselbsterfüllendenprophezeihung keinen Vorschub leisten!
Wir, die Wunderbare Ulrike und ich, würden uns natürlich freuen, Dich und Deine Frau Gemalin? Geliebte? Partnerin? nach diesem Corona-Mist an unserer ScheinBAR begrüßen zu dürfen, so Dir der Weg nach Haselünne nicht zu weit ist.
Wir können auch in unserem Billardsalon die eine oder andere Runde spielen.

Nun denn
bleib schön gesund, stets guten Willens, moralisch einwandfrei, immer positiv motiviert und jederzeit heiteren Gemütes.
Wir lesen uns!
Herzlichst
yours Hagen
 

Maribu

Mitglied
Hallo Hagen,

danke für Deine Zeilen!
Ich muss gestehen, dass ich die vorherigen Storys mit und von der wunderbaren Ulrike nicht kenne
und deshalb nicht wusste, dass Ihr 'ein Gespann' seid!
Von Hamburg nach Hasellüne - kein Problem - bloß zur Zeit!
Billard beherrsche ich leider nicht!
Ich spiele noch mit Legosteinen und Murmeln.

Bei dieser Gelegenheit:
Ich würde mich freuen, wenn Du meinen Text "Locke down" , im selben Forum,
mal unter die ( Lese)Lupe nehmen würdest!
Du hättest die Gelegenheit, mich richtig auseinander zu nehmen - oder auch nicht!

Kollegiale Grüße - wir werden noch voneinander
hören oder zumindest lesen!
Maribu aus Hamburg
 

Hagen

Mitglied
Hallo Maribu,
danke auch für Deine Zeilen!
Wir sind seit einer gefühlten Ewigkeit ein 'Gespann' (siehe: 'Endlich meine Herzensdame')
Billard ist im Prinzip nichts anderes, als mit großen Murmeln zu spielen; - allerdings in sechs Löcher mit einem Queue.
Bei dieser Gelegenheit:
Bei 'Locke down' fiel mir sofort der 'Lockerbie-Anschlag' (bitte selbst googeln) ein, aber der eigneet sich nicht für eine Satire.
Weiterhin fiel mir 'fastfood' ein, also 'fast Nahrung'; - und da sind wir auf dem Punkt: Du bist bei Locke down durch 2 Sprachen gegangen, m.E. ein Nogo bei Wortspielen.
< Du hättest die Gelegenheit, mich richtig auseinander zu nehmen - oder auch nicht! >
Sowas liegt mir nicht, nur bei schlechten oder guten Texten (wozu Deiner gehört) versuche ich den Texter möglichst freundlich darauf aufmerksam zu machen. Als Kritiker ist es unabdingbar den literarischen Gehalt zu erkennen und dann seine Meinung hinten anzuhängen.
(Der 'Literaturpapst' Marcel Reich-Ranicki hat seine Meinung immer als das 'Maß aller Dinge' dargestellt. Das finde ich widerlich.)
Ich eigne mich auch nicht zum Juror oder Richter oder gar Redakteur der Leselupe, (was mir schon angetragen wurde.)
Ich hoffe, das bst Du bei mir.
In diesem Sinne
Bleib' schön gesund und munter!
Kollegiale Grüße - wir werden noch voneinander
hören oder zumindest lesen!
_____________________________________________________________________
Achte auf Deine Gedanken,
denn sie werden Worte.
Achte auf Deine Gewohnheiten,
denn sie werden Dein Charakter.
Achte auf Deine Handlungen,
denn sie werden Gewohnheiten.
Achte auf Deine Worte,
denn sie werden Handlungen.
Achte auf Deinen Charakter,
denn er wird Dein Schicksal.


Asiatisches Sprichwort​
Herzlichst yours Hagen
 

Maribu

Mitglied
Hallo Hagen,

danke für Deine Worte! (Auch für " Achte auf... ist das von Dir?)

Es muss ja nicht jeder Text besprochen werden!
Man soll ja über Tote ' nichts Schlechtes' sagen'!,
aber ich meine, RR hat sogar Günter Grass´"Die Blechtrommel"
verrissen.
Also, auch Päpste irren sich! - Was sind denn einer oder fünf vergebene
"Leselupen-Sterne" von uns Schreibern wert?

Schönes Wochenende und bleib gesund!
Maribu
 



 
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