Der Verstorbene war bereits im Auto. Sie mussten nur noch den Rest seines Kopfes aufsammeln, das Zimmer aufräumen und dann wäre Feierabend gewesen.
“Nimm gleich die ganze Flasche mit, wir ziehen es in der Bude raus, hier gibt es genug Sauerei,” antwortete Albert dem Neuen mit den seidenglatten, schwarzen Haaren, Junichiro, dessen blasse Lippen leicht offen standen (er arbeitete erst seit einem Monat im Bestattungsinstitut). Junichiro schätzte sich glücklich, dass er nach langem Bitten doch noch den alten Albert mit seinen Aknenarben als “Lehrmeister” abgekriegt hatte und mit ihm diesen Auftrag durchführen durfte. Der andere soll mit den Verstorbenen so umgehen, als wären sie alte Möbelstücke, die entsorgt werden müssen und das vor der Trauerfamilie!
Junichiro nahm also die Flasche Champagner mit dem Knochensplitter darin und steckte sie in den Sack. Wie konnte der Splitter bloss da rein geraten? Die Unordnung wurde auf jeden Fall durch die panische Flucht aller Anwesenden vorgestern Nacht erklärt. Seit Stunden wühlten sie in deren Kleidern, Konfetti, Flaschen, Ballone und Hüten rum (ganz zu Schweigen von den Resten des Kopfes). Hier und da lagen Tüten von Koks, Gras und ein braunes Pulver, dass Junichiro mit einem “kenn’ ich nich’” an Albert gab, der es brummend in seinen Sack warf.
Sie hätten beide “nie damit gerechnet, dass wir mit der Abholung beauftragt würden, als wir es in den Nachrichten gehört hatten.”
Erst einen Tag vorher war es überall in den Medien zu lesen und zu hören. “Gabriel Wagner, berühmter Investor und Philanthrop, hat sich mit 29 Jahren an einer seiner legendären Partys eine Schrotflinte gepackt, sie sich an sein Kinn gelegt und abgedrückt. Was würde jetzt aus dem prallen Safe, wo doch niemand seinen Aufenthaltsort kennt?” So ähnlich jedenfalls. Vielleicht hat sich Junichiro den Teil mit dem Safe selber gefragt. Was er nicht alles hätte tun können, wenn er doch nur einen Bruchteil dieses Vermögens gehabt hätte. Wie konnte Wagner sich bloss das Leben nehmen? Er hatte alles, konnte alles tun, hat sich sogar für ein Jahr nach Tibet zurückgezogen und jahrelang den Armen geholfen. Es war fast so, als hätte ihn jemand dazu getrieben, eine Tragödie! Wo genau das Ganze geschah, erkannte man an dem schwarzen Fleck voller kleiner Löcher dort an der Decke über dem Podest. Er musste jetzt aufhören, darüber nachzudenken und weiter nach diesem Ding suchen.
“Weisst du, Juni, ich verstehe immer noch nicht, wie du von deinem Wirtschaftsstudium zur Bestattung gefunden hast. Welcher Teufel hat dich geritten?” Fragte Alberts rauchige Stimme. Er versuchte wohl, ihn von dem grausigen Anblick heute abzulenken.
“Der routinierte Alltag im Büro hat mir einfach nicht gefallen. Ich wollte etwas wirklich Nützliches und Spannendes tun und dieser Job hat es mir, wie es aussieht, angetan.” Antwortete dieser.
“Naja, vielleicht bin ich auch einfach zu alt geworden. Aber zu meiner Zeit war es wichtig, dass …” Junichiro hörte ihm gar nicht mehr zu, er kannte die nächsten Worte von besseren Möglichkeiten, der Zukunft und was die Leute sagen, bereits von seinen Eltern. Viel spannender für ihn war es, durch diesen “Müll” zu wühlen. Abgesehen von den Tüten hatte er schon eine teure Uhr gefunden. Von Ersterem hatte er einen Teil für sich behalten. Das nächste Wochenende mit seiner Freundin würde ein Fest, mindestens so gross wie dieses hier!
Und da fand er es. Das in braunem Leder gebundene Buch. Aber war es auch das, was er suchte? Etwa ein Drittel davon war mit einer schwungvollen Schrift versehen. “Hej Albert, ich glaube, ich habe hier sein Tagebuch, hör dir das mal an:
‘… Kaum erfüllen wir die Sehnsucht nach etwas, wollen wir auch schon das nächstbessere Ziel … Sieh dir all die unglaublichen Dinge an, die wir als Menschheit erreicht … Ergebnisse unserer ewigen Sehnsucht und somit unserer ewigen Unzufriedenheit. Ohne sie hätten wir nie den heutigen Fortschritt erreicht.’ Hm. Der hat schon einige gute Punkte.” Junichiro sah angestrengt auf das Buch, suchte nach etwas.
“Welche guten Punkte? Ich dachte, du bist ein Student!” Entgegnete Albert wütend. “Was gibt es denn Schlechtes in unserem Fortschritt? Da sieht doch jeder sofort den Vorteil unserer Sehnsucht.”
“Genau dieses Argument spricht er hier auch an. ‘… was nützt uns der Fortschritt, wenn wir unglücklich sind?’”
“Der hätte lieber mal dankbar sein sollen für das, was er hatte.” Albert unterbrach seine Arbeit und sah Junichiro an. Dieser wiederum sah nur auf das Buch.
“Auch daran hat er gedacht:‘… dankbar für das, was ich habe … können wir nicht hauptsächlich zufrieden und ein bisschen unzufrieden sein? Wieso muss es umgekehrt sein?’”
“Juni, lass diesen Quatsch. Sogar wenn er Recht hatte und das Leben scheisse ist, gibt es Lösungen dafür. Finden wir es nicht heute, so finden es die zukünftigen Generationen. Das Leben ist kurz genug, bald ist es auf ewig vorbei, egal was danach kommt, es ist jedenfalls nicht mehr dieses Leben als dieser Mensch. So sollten wir es leben, solange wir noch können. Bald ist es vorbei. Bald, für jeden von uns, sogar für einen Säugling. Der Junge hat einfach zu viele Drogen konsumiert, war einsam und überfordert.” Schnaubte Albert, während Junichiro ihm mit halber Aufmerksamkeit zuhörte.
“Vielleicht hast du Recht. Soll ich das Buch auch an seine Freundin abgeben?”
“Ja, wir müssen alle seine persönlichen Dinge abgeben.” Antwortete Albert und wendete sich wieder seiner Arbeit zu.
Bevor Junichiro endgültig aufgab, das Ding zu suchen, sah er sich das Buch noch einmal genau an und erkannte es endlich. Das Buch war ganz genau zu einem Drittel beschriftet, 30 von 90 Seiten und … bei jedem zweiten “Sehnsucht” fehlt der Schwung im T! Das ist das ersehnte Ding! Hierin muss die Verschlüsselung für den Aufenthaltsort des Safes liegen! Zu Albert schielend klemmte er das Buch in seine Hose und legte sein Hemd darüber.
“Welches Buch?” Junichiro setzte ein verdutztes Gesicht auf, während die Freundin von Wagner ihre Lippen enger zusammenpresste und zischte:
“Ein braunes Buch, es war etwa zur Hälfte beschriftet.” Sie konnte sich kaum beherrschen. “Zwei Tage zuvor hat er mir gesagt, dass er unbedingt möchte, dass ich mal darin lese.”
Nachdem sie aufgeräumt hatten, den Verstorbenen und allen Müll verbrannt und den Rest sortiert hatten, war sie gekommen, die Freundin. All die Uhren und Portemonnaies interessierten sie nicht, nur das Buch wollte sie unbedingt haben. Schade, dass Junichiro einfallen wird, “ach dieses Buch! Tut mir sehr leid, Frau Meier, aber ich habe es leider mit den anderen Dingen verbrannt … Es tut mir aufrichtig leid!”
“Nimm gleich die ganze Flasche mit, wir ziehen es in der Bude raus, hier gibt es genug Sauerei,” antwortete Albert dem Neuen mit den seidenglatten, schwarzen Haaren, Junichiro, dessen blasse Lippen leicht offen standen (er arbeitete erst seit einem Monat im Bestattungsinstitut). Junichiro schätzte sich glücklich, dass er nach langem Bitten doch noch den alten Albert mit seinen Aknenarben als “Lehrmeister” abgekriegt hatte und mit ihm diesen Auftrag durchführen durfte. Der andere soll mit den Verstorbenen so umgehen, als wären sie alte Möbelstücke, die entsorgt werden müssen und das vor der Trauerfamilie!
Junichiro nahm also die Flasche Champagner mit dem Knochensplitter darin und steckte sie in den Sack. Wie konnte der Splitter bloss da rein geraten? Die Unordnung wurde auf jeden Fall durch die panische Flucht aller Anwesenden vorgestern Nacht erklärt. Seit Stunden wühlten sie in deren Kleidern, Konfetti, Flaschen, Ballone und Hüten rum (ganz zu Schweigen von den Resten des Kopfes). Hier und da lagen Tüten von Koks, Gras und ein braunes Pulver, dass Junichiro mit einem “kenn’ ich nich’” an Albert gab, der es brummend in seinen Sack warf.
Sie hätten beide “nie damit gerechnet, dass wir mit der Abholung beauftragt würden, als wir es in den Nachrichten gehört hatten.”
Erst einen Tag vorher war es überall in den Medien zu lesen und zu hören. “Gabriel Wagner, berühmter Investor und Philanthrop, hat sich mit 29 Jahren an einer seiner legendären Partys eine Schrotflinte gepackt, sie sich an sein Kinn gelegt und abgedrückt. Was würde jetzt aus dem prallen Safe, wo doch niemand seinen Aufenthaltsort kennt?” So ähnlich jedenfalls. Vielleicht hat sich Junichiro den Teil mit dem Safe selber gefragt. Was er nicht alles hätte tun können, wenn er doch nur einen Bruchteil dieses Vermögens gehabt hätte. Wie konnte Wagner sich bloss das Leben nehmen? Er hatte alles, konnte alles tun, hat sich sogar für ein Jahr nach Tibet zurückgezogen und jahrelang den Armen geholfen. Es war fast so, als hätte ihn jemand dazu getrieben, eine Tragödie! Wo genau das Ganze geschah, erkannte man an dem schwarzen Fleck voller kleiner Löcher dort an der Decke über dem Podest. Er musste jetzt aufhören, darüber nachzudenken und weiter nach diesem Ding suchen.
“Weisst du, Juni, ich verstehe immer noch nicht, wie du von deinem Wirtschaftsstudium zur Bestattung gefunden hast. Welcher Teufel hat dich geritten?” Fragte Alberts rauchige Stimme. Er versuchte wohl, ihn von dem grausigen Anblick heute abzulenken.
“Der routinierte Alltag im Büro hat mir einfach nicht gefallen. Ich wollte etwas wirklich Nützliches und Spannendes tun und dieser Job hat es mir, wie es aussieht, angetan.” Antwortete dieser.
“Naja, vielleicht bin ich auch einfach zu alt geworden. Aber zu meiner Zeit war es wichtig, dass …” Junichiro hörte ihm gar nicht mehr zu, er kannte die nächsten Worte von besseren Möglichkeiten, der Zukunft und was die Leute sagen, bereits von seinen Eltern. Viel spannender für ihn war es, durch diesen “Müll” zu wühlen. Abgesehen von den Tüten hatte er schon eine teure Uhr gefunden. Von Ersterem hatte er einen Teil für sich behalten. Das nächste Wochenende mit seiner Freundin würde ein Fest, mindestens so gross wie dieses hier!
Und da fand er es. Das in braunem Leder gebundene Buch. Aber war es auch das, was er suchte? Etwa ein Drittel davon war mit einer schwungvollen Schrift versehen. “Hej Albert, ich glaube, ich habe hier sein Tagebuch, hör dir das mal an:
‘… Kaum erfüllen wir die Sehnsucht nach etwas, wollen wir auch schon das nächstbessere Ziel … Sieh dir all die unglaublichen Dinge an, die wir als Menschheit erreicht … Ergebnisse unserer ewigen Sehnsucht und somit unserer ewigen Unzufriedenheit. Ohne sie hätten wir nie den heutigen Fortschritt erreicht.’ Hm. Der hat schon einige gute Punkte.” Junichiro sah angestrengt auf das Buch, suchte nach etwas.
“Welche guten Punkte? Ich dachte, du bist ein Student!” Entgegnete Albert wütend. “Was gibt es denn Schlechtes in unserem Fortschritt? Da sieht doch jeder sofort den Vorteil unserer Sehnsucht.”
“Genau dieses Argument spricht er hier auch an. ‘… was nützt uns der Fortschritt, wenn wir unglücklich sind?’”
“Der hätte lieber mal dankbar sein sollen für das, was er hatte.” Albert unterbrach seine Arbeit und sah Junichiro an. Dieser wiederum sah nur auf das Buch.
“Auch daran hat er gedacht:‘… dankbar für das, was ich habe … können wir nicht hauptsächlich zufrieden und ein bisschen unzufrieden sein? Wieso muss es umgekehrt sein?’”
“Juni, lass diesen Quatsch. Sogar wenn er Recht hatte und das Leben scheisse ist, gibt es Lösungen dafür. Finden wir es nicht heute, so finden es die zukünftigen Generationen. Das Leben ist kurz genug, bald ist es auf ewig vorbei, egal was danach kommt, es ist jedenfalls nicht mehr dieses Leben als dieser Mensch. So sollten wir es leben, solange wir noch können. Bald ist es vorbei. Bald, für jeden von uns, sogar für einen Säugling. Der Junge hat einfach zu viele Drogen konsumiert, war einsam und überfordert.” Schnaubte Albert, während Junichiro ihm mit halber Aufmerksamkeit zuhörte.
“Vielleicht hast du Recht. Soll ich das Buch auch an seine Freundin abgeben?”
“Ja, wir müssen alle seine persönlichen Dinge abgeben.” Antwortete Albert und wendete sich wieder seiner Arbeit zu.
Bevor Junichiro endgültig aufgab, das Ding zu suchen, sah er sich das Buch noch einmal genau an und erkannte es endlich. Das Buch war ganz genau zu einem Drittel beschriftet, 30 von 90 Seiten und … bei jedem zweiten “Sehnsucht” fehlt der Schwung im T! Das ist das ersehnte Ding! Hierin muss die Verschlüsselung für den Aufenthaltsort des Safes liegen! Zu Albert schielend klemmte er das Buch in seine Hose und legte sein Hemd darüber.
“Welches Buch?” Junichiro setzte ein verdutztes Gesicht auf, während die Freundin von Wagner ihre Lippen enger zusammenpresste und zischte:
“Ein braunes Buch, es war etwa zur Hälfte beschriftet.” Sie konnte sich kaum beherrschen. “Zwei Tage zuvor hat er mir gesagt, dass er unbedingt möchte, dass ich mal darin lese.”
Nachdem sie aufgeräumt hatten, den Verstorbenen und allen Müll verbrannt und den Rest sortiert hatten, war sie gekommen, die Freundin. All die Uhren und Portemonnaies interessierten sie nicht, nur das Buch wollte sie unbedingt haben. Schade, dass Junichiro einfallen wird, “ach dieses Buch! Tut mir sehr leid, Frau Meier, aber ich habe es leider mit den anderen Dingen verbrannt … Es tut mir aufrichtig leid!”
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