Letzte Woche saß ich am Schreibtisch und starrte aus dem Fenster. Mein Leben erschien mir bedeutungslos, ich selbst war es. Hatte ich doch jahrelang, ach, was schreibe ich, jahrzehntelang in irgendwelchen abgewrackten und inzwischen vergessenen Foren geschrieben, geschrieben und geschrieben. Doch wozu? Alles umsonst, natürlich nur für Gottes Lohn und letztendlich war das Ganze tatsächlich umsonst gewesen. Wen interessierten meine Texte? Niemanden. Wer las sie? Niemand. Wer erinnerte sich überhaupt jemals an das von mir Geschriebene? NIEMAND. Die Nachwelt würde mir keine Kränze flechten.
Tieftraurig blickte ich auf meine mittlerweile mit Gichtknoten überzogenen Finger. Alt, dick und weißhaarig war ich geworden, sollte ich jemals wieder etwas schreiben, müsste ich auf jeden Fall ein neues Autorenbild haben, einer meiner hundert Enkel würde sicher eines machen. Ich klappte meinen Laptop auf und blickte ebenso düster wie es der Bildschirm war. Ich hatte ja nicht mal mehr eine Idee, was ich schreiben könnte. Mein Gehirn, sollte ich jemals eines besessen haben, war vermutlich nicht größer als das einer Fliege. Mir fiel nichts mehr ein. Selbst als ich mein einsames Bett zum Tatort machte, in dem ich dort jeden Abend Krimis schrieb, interessierte diese niemanden. Wer wollte schon Geschichten lesen, in denen die Mörder die Augen ihrer Opfer lutschten, in denen fleißige Hausfrauen ihre Männer für die Truhe verarbeiteten oder ein Professor seine Studenten mörderischen Tests unterzog? Ganz recht, niemand wollte das lesen. Der Alltag der meisten Menschen war schon grausam genug, all die zu ertragenden kleinen Bosheiten, da brauchte niemand (noch) mehr davon.
Plötzlich erhielt ich eine Nachricht in meinem Posteingang. Ein Mail der Tageszeitung, die ich aus nostalgischen Gründen noch immer abonnierte, auch wenn sie grottenschlecht geworden war. Sie lud zu einem Casting ein. "Deutschland sucht den Superautor" lautete das Thema.
Ich war wie elektrisiert. Das war meine Chance. Meine letzte vermutlich. Angst vor irgendetwas oder irgendwem hatte ich schon lange nicht mehr, also meldete ich mich umgehend an. Ich erinnerte mich an die alten Zeiten und die ungekrönten Könige, die es in den Foren gegeben hatte. Was die damals konnten, konnte ich auch. Also notierte ich den Termin und machte mich am Samstag sehr zeitig auf die Socken, sattelte meinen Rollator und fuhr los.
Ich war sehr enttäuscht, als ich das Redaktionsgebäude betrat. Das Casting fand in einem fensterlosen, von einer flackernden Neonröhre erleuchteten Raum statt. Dort standen zahlreiche fleckige Resopaltische und auf jedem ein Laptop. Zwei Alternativlinge mit grauen Locken, lila Latzhosen, Birkenstocks und Mundgeruch dirigierten die Teilnehmer an die Tische. Sie sahen aus wie Urenkel der Kommune 1. Einer pulte sich ungeniert die Essensreste der letzten vierzehn Tage aus den Zähnen, der andere säuberte sich die Fingernägel mit einem Schraubenzieher. Erst beim dritten Hinsehen war er als Frau zu erkennen.
Mir schwante Schreckliches. Ich hatte eigentlich geplant, einfach ein paar alte Texte einzureichen, aber jetzt forderten die Altkommunarden jeden unmissverständlich auf: "Los, schreiben! Schreibt, als ging es um euer Leben! Eine Stunde, danach Abgabe der PCs! Anfangen! Meint ihr, wir sind zu unserem Vergnügen hier?!" Alle beugten sich beklommen über die Tastaturen und hämmerten drauflos.
Ich bewegte vorsichtig meine Finger. Und über was sollte ich jetzt schreiben? Hallo? Ich ließ mein gesamtes Leben vorüberziehen. Hm. Da, diese eine Sache. Unerträglich! Genau, jetzt war der Zeitpunkt gekommen, sich endlich alles von der Seele zu schreiben. Bundesjugendspiele, die moderne Folter der Sportlehrer. Generationen von Schülern hatten darunter gelitten, ich auch. Wie bescheuert die gewesen waren! Diese Wettkämpfe! Keiner hatte Bock darauf, weder Lehrer noch Schüler und trotzdem wurden unerbittlich jedes Jahr diese Bundesjugendspiele abgehalten. Ha! Schlagballweitwurf! Inzwischen gehörten diese Spiele sogar zum Weltkulturerbe! Unfassbar.
Ich schrieb mit glühenden Wangen, vergaß mein Alter, meine schmerzenden Finger und war ganz erstaunt, dass die Stunde plötzlich zu Ende war und die stinkenden Erben von Rainer Langhans mit Gewalt die Laptops zuklappten. Bestimmt war ich die Beste von allen. Auf ein solches Thema waren die anderen nicht gekommen. Endlich würde ich meine Anerkennung als deutscher Superautor bekommen. Die anderen Teilnehmer schienen doch alles verkappte Existenzen gewesen zu sein, ohne jede Fantasie.
In den nächsten Tagen wartete ich sehnsüchtig auf eine Nachricht. Jeden Tag überfiel ich den Postboten schon auf der Straße, ständig kontrollierte ich den Maileingang. Nichts. Irgendwann musste doch wenigstens eine Absage kommen!
Am 23. Tag endete mein Martyrium. Mit zitternden Händen öffnete ich den Brief. Ich holte eine verstaubte Lupe, um ja alles genau zu lesen zu können. Was stand da?
"Werte Frau X! Sie sind so dumm, dass es nur gerecht ist, dass Ihre Dummheit bestraft wird. Sie haben erfolglos am Casting 'Deutschland sucht den Superautor' teilgenommen. Sie haben nicht begriffen, dass Ihnen die Leselupe bereits vor Jahrzehnten diese Möglichkeit geboten hatte. Dort konnten Sie ein Superautor werden. Aber nein, Sie und viele andere verschwendeten Ihr Talent in Alltagsschmonzetten und in Lebensbeichten, mühsam als Kurz- und Erotikgeschichten getarnt. Von den andere Foren ganz zu schweigen.
Ihr Text zeigt, dass Sie sich in keinster Weise weiterentwickelt haben. Also vergessen Sie Ihre Ambitionen.
Sieger ist Herr YV mit dem Text „Das Leiden am Sein“.
Mfg ...
Tief erschüttert beendete ich jegliches Schreiben. Nur diesen einen Text noch, um alles loszuwerden.
Tieftraurig blickte ich auf meine mittlerweile mit Gichtknoten überzogenen Finger. Alt, dick und weißhaarig war ich geworden, sollte ich jemals wieder etwas schreiben, müsste ich auf jeden Fall ein neues Autorenbild haben, einer meiner hundert Enkel würde sicher eines machen. Ich klappte meinen Laptop auf und blickte ebenso düster wie es der Bildschirm war. Ich hatte ja nicht mal mehr eine Idee, was ich schreiben könnte. Mein Gehirn, sollte ich jemals eines besessen haben, war vermutlich nicht größer als das einer Fliege. Mir fiel nichts mehr ein. Selbst als ich mein einsames Bett zum Tatort machte, in dem ich dort jeden Abend Krimis schrieb, interessierte diese niemanden. Wer wollte schon Geschichten lesen, in denen die Mörder die Augen ihrer Opfer lutschten, in denen fleißige Hausfrauen ihre Männer für die Truhe verarbeiteten oder ein Professor seine Studenten mörderischen Tests unterzog? Ganz recht, niemand wollte das lesen. Der Alltag der meisten Menschen war schon grausam genug, all die zu ertragenden kleinen Bosheiten, da brauchte niemand (noch) mehr davon.
Plötzlich erhielt ich eine Nachricht in meinem Posteingang. Ein Mail der Tageszeitung, die ich aus nostalgischen Gründen noch immer abonnierte, auch wenn sie grottenschlecht geworden war. Sie lud zu einem Casting ein. "Deutschland sucht den Superautor" lautete das Thema.
Ich war wie elektrisiert. Das war meine Chance. Meine letzte vermutlich. Angst vor irgendetwas oder irgendwem hatte ich schon lange nicht mehr, also meldete ich mich umgehend an. Ich erinnerte mich an die alten Zeiten und die ungekrönten Könige, die es in den Foren gegeben hatte. Was die damals konnten, konnte ich auch. Also notierte ich den Termin und machte mich am Samstag sehr zeitig auf die Socken, sattelte meinen Rollator und fuhr los.
Ich war sehr enttäuscht, als ich das Redaktionsgebäude betrat. Das Casting fand in einem fensterlosen, von einer flackernden Neonröhre erleuchteten Raum statt. Dort standen zahlreiche fleckige Resopaltische und auf jedem ein Laptop. Zwei Alternativlinge mit grauen Locken, lila Latzhosen, Birkenstocks und Mundgeruch dirigierten die Teilnehmer an die Tische. Sie sahen aus wie Urenkel der Kommune 1. Einer pulte sich ungeniert die Essensreste der letzten vierzehn Tage aus den Zähnen, der andere säuberte sich die Fingernägel mit einem Schraubenzieher. Erst beim dritten Hinsehen war er als Frau zu erkennen.
Mir schwante Schreckliches. Ich hatte eigentlich geplant, einfach ein paar alte Texte einzureichen, aber jetzt forderten die Altkommunarden jeden unmissverständlich auf: "Los, schreiben! Schreibt, als ging es um euer Leben! Eine Stunde, danach Abgabe der PCs! Anfangen! Meint ihr, wir sind zu unserem Vergnügen hier?!" Alle beugten sich beklommen über die Tastaturen und hämmerten drauflos.
Ich bewegte vorsichtig meine Finger. Und über was sollte ich jetzt schreiben? Hallo? Ich ließ mein gesamtes Leben vorüberziehen. Hm. Da, diese eine Sache. Unerträglich! Genau, jetzt war der Zeitpunkt gekommen, sich endlich alles von der Seele zu schreiben. Bundesjugendspiele, die moderne Folter der Sportlehrer. Generationen von Schülern hatten darunter gelitten, ich auch. Wie bescheuert die gewesen waren! Diese Wettkämpfe! Keiner hatte Bock darauf, weder Lehrer noch Schüler und trotzdem wurden unerbittlich jedes Jahr diese Bundesjugendspiele abgehalten. Ha! Schlagballweitwurf! Inzwischen gehörten diese Spiele sogar zum Weltkulturerbe! Unfassbar.
Ich schrieb mit glühenden Wangen, vergaß mein Alter, meine schmerzenden Finger und war ganz erstaunt, dass die Stunde plötzlich zu Ende war und die stinkenden Erben von Rainer Langhans mit Gewalt die Laptops zuklappten. Bestimmt war ich die Beste von allen. Auf ein solches Thema waren die anderen nicht gekommen. Endlich würde ich meine Anerkennung als deutscher Superautor bekommen. Die anderen Teilnehmer schienen doch alles verkappte Existenzen gewesen zu sein, ohne jede Fantasie.
In den nächsten Tagen wartete ich sehnsüchtig auf eine Nachricht. Jeden Tag überfiel ich den Postboten schon auf der Straße, ständig kontrollierte ich den Maileingang. Nichts. Irgendwann musste doch wenigstens eine Absage kommen!
Am 23. Tag endete mein Martyrium. Mit zitternden Händen öffnete ich den Brief. Ich holte eine verstaubte Lupe, um ja alles genau zu lesen zu können. Was stand da?
"Werte Frau X! Sie sind so dumm, dass es nur gerecht ist, dass Ihre Dummheit bestraft wird. Sie haben erfolglos am Casting 'Deutschland sucht den Superautor' teilgenommen. Sie haben nicht begriffen, dass Ihnen die Leselupe bereits vor Jahrzehnten diese Möglichkeit geboten hatte. Dort konnten Sie ein Superautor werden. Aber nein, Sie und viele andere verschwendeten Ihr Talent in Alltagsschmonzetten und in Lebensbeichten, mühsam als Kurz- und Erotikgeschichten getarnt. Von den andere Foren ganz zu schweigen.
Ihr Text zeigt, dass Sie sich in keinster Weise weiterentwickelt haben. Also vergessen Sie Ihre Ambitionen.
Sieger ist Herr YV mit dem Text „Das Leiden am Sein“.
Mfg ...
Tief erschüttert beendete ich jegliches Schreiben. Nur diesen einen Text noch, um alles loszuwerden.