Diagnose

2,50 Stern(e) 4 Bewertungen

Tehdry

Mitglied
Der Arztbesuch

„Blut im Stuhl? Wann?“
„Letzte Woche.“ Kurzes Schweigen. „Kann sein, davor auch schon ein oder zwei Mal.“
„Kann sein?“
„Na ja, das eine Mal war ich ziemlich betrunken. Keine Brille auf, dann sehe ich sowieso alles nur verschwommen,“ Paul zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, davor ist es schon einmal passiert, bin mir nur nicht mehr sicher. Deswegen kann sein.“
„Von welchem Zeitraum reden wir da?“
„Weiß nicht genau, ist vielleicht drei oder vier Monate her.“
„Konnten Sie denn beim letzten Mal trotzdem erkennen, wie das Blut aussah? Mehr helles Rot oder dunkel gefärbt?“
„Mir kam es dunkel vor.“
„Haben Sie festen Stuhlgang?“
„Also meistens eher Durchfall, würde ich sagen.“
Der Internist nickte gedankenverloren. Seine Finger trommelten leise auf der Schreibtischunterlage, bevor sie den Rhythmus wechselten und die Tastatur bedienten. Die Zeit ging dahin mit der Beharrlichkeit eines tropfenden Wasserhahnes, und genauso beharrlich studierte Paul das Adergeflecht seiner verschränkten Hände.
„Folgendes.“ Der Arzt kramte kurz in seiner Schublade und hielt ihm eine Visitenkarte hin. „Wir checken Ihre Blutwerte, nehmen eine Stuhlprobe, und Sie lassen sich bei dem hier schon mal einen Termin für eine Darmspiegelung geben. Ich gebe Ihnen die Überweisung mit.“
Paul verzog das Gesicht.
„Ist halb so schlimm wie es sich anhört. Sie bekommen davon gar nichts mit. Aber nur so lässt sich feststellen, ob was im Busch ist. Können Hämorriden sein, Darmpolypen, mitunter ein leichtes Geschwür. In jedem Fall will Blut im Stuhl noch nicht viel heißen.“
Blut. Tumor. Blut. Tumor. Die Worte verschmolzen bedrohlich, sie stachen aus dem Klangteppich heraus, der zu Paul rüberschwappte, kleine Nadelstiche, die sich in seine schwammigen Gedanken bohrten. Blut. Tumor. Krebs. Erste Anzeichen von Demut, ein kurzes stummes Flehen zum Himmel, bitte, lieber Gott, lass es nicht wahr werden. Die quälende Frage, ob es bereits zu spät sein könnte. Und damit viel zu früh, doch nicht jetzt, mit Anfang vierzig, wo immer noch fast alles möglich schien, liegengelassene Träume, die er nur abzustauben bräuchte. Es konnte nicht sein. Ich doch nicht, dachte Paul, ich bin nicht gemeint, das Ganze musste ein Irrtum sein. Wie sollte das gehen, kleine gefräßigen Zellhaufen, die in ihm wucherten, und er merkte von all dem nichts? Das hier war ein Warnschuss, nichts weiter. Rauchen aufgeben, weniger Alkohol, einfach gesünder leben, das waren die Signale, die verstand er. Daran sollte es nicht scheitern. Wenn, ja wenn.

Warten, warten, warten. Die Tage schleppten sich unerträglich langsam dahin, vollgestopft mit zu viel Zeit und atemlosen Momenten, die Paul immer wieder die Brust zuschnürten. In den Nächten wachte er schweißnass auf, und in der Dunkelheit traf ihn zuweilen die Angst zu sterben mit der Wucht von Stromschlägen. Der Anruf beim Internisten, ja, irgendein Tumormarkerwert sei erhöht, kaum ausgesprochen hat Paul den Namen schon wieder vergessen, und auch beim Stuhltest hätten sie Blutbeimengungen entdeckt.
Nie zuvor hatte er ernsthaft über seinen eigenen Tod nachgedacht, viel zu weit weg, und jetzt war er auf einmal geradezu schmerzhaft besessen davon. Er malte sich aus, dass er nur noch ein paar Monate Leben vor sich hätte, versuchte sich vorzustellen, wie es das bisschen Leben verändern würde, das ihm noch blieb. Versuchte dieses launenhafte Schicksal zu begreifen, das sich so beklemmend einsam anfühlte.
Seine Erfahrungen mit dem Tod beschränkten sich auf die beiläufige Trauer bei Beerdigungen, mit Verstorbenen, die zum Sterben alt genug waren, wo es nichts gab, was er an sich heranlassen musste. Auch wenn der Tod im Menschen immer gegenwärtig ist, niemand will daran erinnert werden, dass jederzeit Schluss sein kann oder eine Krankheit ihr zerstörerisches Werk unbeirrbar bis zum letzten Atemzug vollendet. Noch schwieg er seinen Freunden gegenüber, als könnten alleine Worte schon das Unheil anziehen. Einen Satz aussprechen wie 'könnte sein, dass ich Krebs habe' machte für ihn bereits aus einer Möglichkeit eine unwiderrufliche Tatsache.

Ein verregneter Nachmittag, die Darmspiegelung lag hinter ihm und Paul saß dem Spezialisten gegenüber. Er fühlte sich ausgelaugt, alles schien in Watte gebettet, auch die Trauer, die ihn mit einem sanften Ziehen im Bauch begleitete. Eine, die einfach da war, ohne auf etwas Bestimmtes abzuzielen.
Die ernste Miene des Arztes sprach Bände, und bevor er überhaupt den Mund öffnete, spürte Paul schon den Schlag in die Magengrube. Ein kurzes Räuspern kündigte die unerbittliche Wahrheit an.
„Ich will gar nicht erst lange drumherum reden: Bei Ihnen gibt es einen Befund. Genauer gesagt sind in der Darmwand im Bereich des Dickdarms mehrere Wucherungen erkennbar. Was wiederum bedeutet, dass Sie um eine Operation nicht herumkommen werden.“ Der Arzt starrte bei seinen Worten auf den Monitor. Dann drehte er ihn Paul hin und wies auf die Bilder von der Darmspiegelung.
„Hier. Sehen Sie?“
Paul sah ohne wirklich zu erkennen, das Bild blieb abweisend abstrakt.
„Bei diesen Wülsten hier handelt es sich um Tumore, die sich an der Darmwand angesiedelt haben.“ Er sah Paul prüfend an. „Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, um welche Art von Tumor es sich hier handelt, wie aggressiv, wie tief er eingewachsen ist oder ob zum Beispiel Lymphknoten befallen sind. Das lässt sich erst über die OP genau feststellen, wenn das Tumorgewebe mikroskopisch untersucht worden ist. Sie werden sich auch zumindest vorübergehend mit einem künstlichen Darmausgang anfreunden müssen. Zusätzlich zur Operation ist in der Regel zur Sicherheit eine kombinierte Strahlen- und Chemotherapie angebracht. Bei einem guten Heilungsverlauf, in etwa nach drei bis sechs Monaten, je nachdem, kann der künstliche Ausgang wieder zurück verlegt werden. Wie auch immer, wir werden keine Zeit verlieren und Sie schnellstmöglich ins Krankenhaus einweisen.“
Der Arzt betrachtete für einen Moment nachdenklich die Aufnahme und wendete sich ihm erneut zu. Wie oft er wohl schon derartige Nachrichten verkündet hat, dachte Paul. Nüchterne Routine mit einem Schuss Mitgefühl.
„Ich serviere Ihnen hier schwer verdauliche Kost. Das ist mir durchaus bewusst. Doch Sie haben allen Anlass, das Beste zu hoffen. Okay?“
Paul hing an seinen Lippen, saugte die Wortmelodien auf, in denen die Nebensächlichkeit einer belanglosen Plauderei mitschwang, während ihm Bilder durch den Kopf geisterten, in denen er am Tropf hing, mit hohlen Wangen, dicken dunklen Ringen unter den Augen und kahlem Schädel. Und die Erkenntnis, wie sehr er am Leben hing.
„Das klingt alles ziemlich beängstigend.“
„Ja, vielleicht tut es das“, antwortete der Arzt leicht zögernd, „aber diese Maßnahmen sind einfach erforderlich. Ihnen dürfte doch auch an einer guten Prognose gelegen sein.“
Krebs, Krebs, Krebs hallte es unter der Glocke nach, die sich über Paul gesenkt hatte.
„Noch einmal“, die Stimme des Arztes drang durch die Ferne zu ihm durch, „Sie sind körperlich ansonsten in einer guten Verfassung, was auch nicht ganz unwichtig ist. Ich kann Ihnen nur den Rat geben, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Im Internet finden Sie entsprechende Selbsthilfegruppen von Menschen, die mit einem künstlichen Darmausgang leben. Sie werden schneller damit umgehen lernen, als Sie es sich jetzt noch vorstellen können. Okay soweit?“
Jetzt klebt mir die Scheiße am Bauch und nicht an den Hacken, dachte Paul, kurz davor hysterisch loszukichern.
„Okay soweit“, echote er und stand auf.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Realistische Schilderung eines Krankheitsverlaufs. Die Ohnmacht von Patient und Arzt hast Du gut dargestellt.

Bleibt die Frage, ob Paul niemanden hat, der ihm zur Seite steht.

LG Doc
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Tehdry,

in Deinem Profil erwähnst Du, dass Du „Kurzgeschichten veröffentlichen“ möchtest, ich weiß allerdings nicht, ob Du auch an Kommentaren interessiert bist. Bisher hast Du Dich selbst mit Kommentaren zu anderen Geschichten zurückgehalten und gehörst damit in die Reihe der Autoren, um die es hier http://www.leselupe.de/lw/titel-Keine-Reaktion---118503.htm geht.
Ich versuche trotzdem mal, Dir meinen Eindruck zu diesem Text zu schildern.

Beim ersten Lesen war ich mir nicht sicher, ob es sich hier um eine Satire oder eine ernstgemeinte Kurzgeschichte handelt. Der Anfang
„Na ja, das eine Mal war ich ziemlich betrunken. Keine Brille auf, dann sehe ich sowieso alles nur verschwommen,“
und das Ende
Jetzt klebt mir die Scheiße am Bauch und nicht an den Hacken
ließen zunächst auf Ersteres, der Text dazwischen auf eine ernstgemeinte, vielleicht sogar selbst erlebte Geschichte schließen. Dennoch kann ich nicht ganz erkennen, was Du hier eigentlich schildern willst.
Die anfängliche Angst des Prot, die ihn
mit der Wucht von Stromschlägen
trifft, kann ich in diesem Stadium nicht nachvollziehen. Soweit ich weiß, werden bei einer Darmspiegelung bei verdächtigen Wucherungen sofort Gewebsproben entnommen. Sogar Geschwülste bis zu einer gewissen Größe können dabei entfernt werden, so dass es nicht unbedingt gleich zu einer Operation kommen muss. Ein künstlicher Darmausgang ist dann wirklich die Ultima Ratio.

Alles in allem kommen die Befürchtungen Deines Prot deshalb nicht bei mir an. Die ganze Schilderung wirkt auf mich überzogen.

Zwei kleine Fehler habe ich noch gefunden:
kleine gefräßige[red][strike]n[/strike][/red] Zellhaufen
kaum ausgesprochen [red]hat[/red] [blue]hatte[/blue] Paul den Namen schon wieder vergessen
Vielleicht könntest Du auch noch einige Füllwörter wie "noch" und "auch" herausnehmen.

Gruß Ciconia
 

HajoBe

Mitglied
Hallo Thedry,
ich stimme Ciconia zu. Ein ernstes Thema, hier wäre Satirisches nicht angebracht. Und was du sagen möchtest, bedarf in manchem mehr Behutsamkeit und genauere Recherche. Auch eine gewisse Verdichtung. Aktuell genug ist das Thema zweifellos, es kann jeden treffen.
Übrigens: Hämorrhoiden schreibt man so…
LG HajoBe
 

Happy End

Mitglied
Hallo Tehdry,
meine beiden "Vorposter" haben schon recht, und sowas muss gut recherchiert sein, aber es ist ein interessantes Thema, an das du dich da rangewagt hast, und irgendwie gefällt mir das.
Wer hat sich wohl nicht schon einmal mit so eine Situation beschäftigt?
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es gibt durchaus Ärzte, die bei Blutspuren im Urin gleich von Nierentumoren sprechen und wer jemals einen unklaren Befund nach einer Mammographie hatte, kann die Angst des Prots nachvollziehen. Genau diese kommt hier im Text gut zum Ausdruck. Die Ungewissheit, die Angst vor dem nächsten Gespräch ist für mich die eigentliche Intention des Textes.
Vielleicht ist nicht alles genau recherchiert, das kann der Autor verbessern, aber satirische Elemente kann ich nun wirklich nicht entdecken.
Der Arzt kommt übrigens gut weg, das ist total realistisch geschildert. Macht und Ohnmacht seines Berufes.

Mir hat's gefallen.

Es wäre schön, wenn der Autor sich öffentlich äußern würde.

LG Doc (der keiner ist:)
 



 
Oben Unten