Dialog-Training

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jon

Mitglied
Teammitglied
Wie transportiert ein Dialog Inhalt, der NICHT im Wortlauft des Gesagten liegt…

Vorgegeben ist eine Situation und die Worte, die gewechselt werden, in der Reihenfolge, wie sie gewechselt werden. Es darf gezeigt werden, was während des Dialoges passiert – es darf nicht erklärt werden, was vorher passierte oder hinterher geschehen wird.

Ziel ist, aus der Vorgabe zwei oder mehr unterschiedliche Inhalte zu konstruieren: Wie stehen die beiden (im Moment) zueinander? Wie geht es den beiden oder einem der beiden gerade? Ist es ein Gespräch, bei dem eine Wendung in der Geschichte passiert, oder ist es nur ein Handlungs-Fortführer?

Vorgabe:
Ein Hafen, Bahhof, Bussteig, Taxistand (irgendwas, wo man ankommt und/oder abreist)
Zwei Leute: Peter und Ines
Ines: "Ich weiß nicht, ob ich mich bei dir melden kann."
Peter: "Mach dir darum keine Gedanken. Du hast Wichtigeres zu tun."
Ines: "Ja, es wird vermutlich ziemlich hektisch werden."
Peter: "Das meinte ich nicht."
Ines: "Ich weiß."
Peter: "Es wird Zeit, du musst jetzt gehen."
Ines: "Ja. Also mach's gut!"

Lösungs-Beispiele:
A:
Das Schiff lag reglos im Dock. Die Luftschleuse war geöffnet, einer der Offiziere wartete. Ines dreht sich zu Peter um und sah zu ihm auf. "Ich weiß nicht, ob ich mich bei dir melden kann."
Er lächelte aufmunternd. "Mach dir darum keine Gedanken. Du hast Wichtigeres zu tun."
Sie nickte und blickte zum Schiff. "Ja, es wird vermutlich ziemlich hektisch werden."
Er berührte ihr Haar. "Das meinte ich nicht."
Ines schmiegte ihre Wange in seine Hand und schloss die Augen. "Ich weiß." Sie spürte eine Träne, wischte sie fort, bevor Peter sie sehen konnte. Er sah sie dennoch. Er zog die Frau an sich, hielt sie, hielt sie so fest, als wollte er sie nie wieder hergeben. Sie barg ihr Gesicht an seiner Schulter, atmete den vertrauten Duft, verlor sich darin. Sekundenlang standen sie so. Bis eine Schmerzattacke die Frau in die Wirklichkeit zurückholte. Ines suchte eine Haltung, die dem Schmerz nicht noch Vorschub leistete. Peter entließ sie aus seiner Umarmung, blickte sie besorgt an. Sie lächelte beruhigend und sah, dass er ihr nicht glaubte. Sie wandte sich von seinem Blick ab, schaute zur Luftschleuse.
Peter atmete tief durch. "Es wird Zeit, du musst jetzt gehen."
"Ja", nickte Ines. Sie drehte sich zu ihm, strich flüchtig über seine Wange und kam seinem Kuss zuvor, indem sie sagte: "Also mach's gut!"
Er schluckte an einer Erwiderung, sie sah es nicht mehr. Sie ging.

B:
Das Schiff lag reglos im Dock. Die Luftschleuse war geöffnet, einer der Offiziere wartete. Ines dreht sich zu Peter um. "Ich weiß nicht, ob ich mich bei dir melden kann."
"Mach dir darum keine Gedanken", winkte er ab. „Du hast Wichtigeres zu tun."
Ines bemerkte den Offizier ungeduldig werden. "Ja, es wird vermutlich ziemlich hektisch werden", sagte sie und wollte gehen.
Peter hielt sie am Arm zurück: "Das meinte ich nicht." Er zwang ihr seinen Blick auf. Sie wollte auffahren, hatte schon eine heftige Entgegnung auf der Zunge, sagte dann aber nur: "Ich weiß."
Peter wartete auf mehr, auf ein Wort, eine Geste vielleicht, Ines gab es ihm nicht. Er sank in sich zusammen und gab Ines frei. Er schaute zur Luftschleuse. Der Offizier hatte sein Kommgerät in der Hand und sprach offenbar mit jemandem. „Es wird Zeit", sagte Peter, „du musst jetzt gehen."
"Ja", nickte Ines, sah zu ihm auf und hatte plötzlich das Bedürfnis, ihn zu trösten. Sie war versucht, ihm über die Wange zu streichen. Er ahnte es wohl, denn ein Lächeln stahl sich in seine Augen. Das ernüchterte sie. Sie sagte: „Also mach's gut!" und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen.
 

soleil

Mitglied
Ein Versuch

Hallo jon,

ich finde Deine Übung sehr reizvoll und hier ist meine Umsetzung:

Es war ruhig um die Mittagszeit am Flughafen. Peter und seine Schwester Ines saßen vor der großen Abflug-Tafel und warteten auf das Check-In für ihren Flug, den Flug, den sie ganz allein antreten würde.
Ines: "Ich weiß nicht, ob ich mich bei dir melden kann."
Sie lächelte ihn traurig an, denn Peter, der einzige aus der Familie, der ihr noch geblieben war, kämpfte tapfer mit seinen Tränen. Sie drückte seine Hand, obwohl sie wußte, dass es ihn nicht wirklich trösten würde.
Peter: "Mach dir darum keine Gedanken. Du hast Wichtigeres zu tun."
Verlegen begann sie in ihrer großen Tasche den Inhalt zu überprüfen: Flugticket, Geldbörse mit einer, ihr neuen Währung, Pass, Notizblock, Strifte, Taschentücher, Lippenstift, Handcreme. Alles war neu und leicht erschrocken sah sie Peter an: "Ja, es wird vermutlich ziemlich hektisch werden."
Die neuen Informationen auf der Abfluganzeige zogen Peters Blicke auf sich. Er stand auf und mit einer Kopfbewegung in Richtung Anzeige lenkte er auch ihre Aufmerksamkeit darauf. Sie stand ebenfalls auf und mit Tränen in den Augen umarmte Peter sie. "Das meinte ich nicht." Er drückte sie an sich und sie begann zu weinen. Tränenerstickt murmelte sie: "Ich weiß."
Langsam bildetete sich eine kleine Schlange vor den Sicherheitskontrollen und Peter ließ sie los, küsste ihre Stirn und strich ihr über die Haare, die früher so schön lang gewesen waren. "Es wird Zeit, du musst jetzt gehen." sagte er bestimmt und sah auf die Menschen, die ruhig darauf warteten abgefertigt zu werden. Ines wischte sich die Tränen weg und drückte nochmal seine Hand. "Ja. Also mach's gut!"


Viele Grüße
Soleil
 
T

Truetext

Gast
Endlich

Endlich, Ines hörte das Taxi in die Sackgasse einbiegen.
“Ich weiß nicht, ob ich mich bei dir melden kann”, sagte sie gereizt, “ich kann deine krankhafte Eifersucht einfach nicht mehr aushalten. Außerdem haben wir uns in letzter Zeit sowieso nur gestritten. Es ist Schluß zwischen uns.” Sie entwand sich aus seiner Umklammerung und lief auf das Taxi zu. Der Fahrer hielt ihr die Türe auf. Lasziv ließ sie sich auf den schwarzen Ledersitz gleiten.
“Melden, pah, mach dir darum keine Gedanken. Du hast Wichtigeres zu tun”, rief er ihr im gehässigsten Ton, zu dem er fähig war, hinterher. Innerlich zu tode verletzt, spürte er, wie der Schmerz ihn überwältigte. Mechanisch, in einer Art Trance stolperte er ebenfalls auf das Taxi zu. Er streckte beide Hände aus und im letzten Augenblick konnte er die zuschlagende Wagentüre aufhalten. Er sah wie ihr Minirock hochgerutsch war. Er umklammerte die Tür.
Ines blickte hilfesuchend zum Fahrer. Er kämpfte mit den Tränen.
Ja, es wird vermutlich ziemlich hektisch werden, sagte sie und lächelte den Taxifahrer verführerisch an.
Das meinte ich nicht, stammelte er, aber es kam leise und verzweifelt.
Ich weiß, sagte sie cool. Von irgendwoher kehrte ein letzter Rest seines Stolzes zurück.
Es ist Zeit, du mußt jetzt gehen, sagte er, als schicke er ein unliebsames Kind zur Schule.
Genervt zerrte sie an der Autotür. Ja also. Machs gut, preßte sie hervor, während die Wut ihr die Kraft gab, ihm die Türe zu entreißen. Krachend schlug sie zu. Verdattert sah er dem davonrasenden Taxi nach. Plötzlich ehellte sich sein Gesichtsausdruck. Zeit für ein Bier, Peter, endlich.
 

maskeso

Mitglied
Mein Versuch

Das Taxi wartete mittlerweile schon an der Straße, als Ines sich langsam umdrehte und leise sagte: "Ich weiß nicht, ob ich mich bei dir melden kann." Doch Peter reagierte nicht auf ihren traurigen Blick sondern schaute statt dessen an ihr vorbei, in Richtung des Taxis, als er antwortete: "Mach dir darum keine Gedanken. Du hast Wichtigeres zu tun." Das stimmte. Stress, der war ihr sicher in London. "Ja, es wird vermutlich ziemlich hektisch werden." Kurzes Schweigen. Dann schaute Peter sie plötzlich böse an und er erwiderte mit fester Stimme: "Das meinte ich nicht." Betreten schaute Ines auf den Boden. "Ich weiß." Sie hatte Tränen in den Augen. Tränen der Reue... Der Taxifahrer hupte. Peter schaute sie wieder an. Ausdruckslos. "Es wird Zeit, du musst jetzt gehen." Zu ihrer Enttäuschung musste Ines feststellen, dass in Peters Stimme nichts lag als Entschlossenheit, vielleicht noch verletzter Stolz. Keine Reue, keine Zweifel.. War's das nun wirklich? Das durfte doch nicht sein. Er konnte sie doch nicht einfach so jetzt gehen lassen! Auf dem Weg zum Taxi drehte sie sich ein letztes Mal um und sagte mit weinerlicher Stimme und fast schon flehendem Blick: "Ja. Also mach's gut!". Sie bekam keine Antwort.
 

Damon Hawke

Mitglied
Hallo jon!
Hm, ich versuch's mal mit der "Action"-Variante:

Die Neonlampe flackerte unruhig im hinteren Teil des Raums. Ines sah sich ein letztes Mal kurz um, drehte den Schlüssel im Schloß und öffnete das Schließfach. Im Inneren fand sie den vertrauten silberfarbenen Koffer. Sie öffnete ihn und überprüfte den Inhalt. Der Grundrißplan, Glasschneider, Kabel, Codeliste und das Replika des Gemäldes - alles da.
Sie drehte sich zu Peter, der nervös auf einer Bank saß und sich an einer Zigarette festhielt. Ines ging zu ihm. Sie wollte irgend etwas sagen, dass ihn tröstete, etwas, dass ihm die Angst nahm, doch alles, was sie herausbekam, war:
"Ich weiß nicht, ob ich mich bei dir melden kann."
Peter sah sie an. Er zwang sich zu einem Lächeln. "Mach dir darum keine Gedanken." Er blickte auf die Uhr und stand hastig auf. "Du hast Wichtigeres zu tun." Ines folgte seinem Blick und sah durch den Durchgang die große Bahnhofsuhr in der Ferne. Schon fast 23.00 Uhr!! Sie durfte keine Zeit mehr verlieren. Wer weiß, was dieses Schwein von Boris sonst mit Mira anstellen würde.
"Ja, es wird vermutlich ziemlich hektisch werden."
Sie schloß den Koffer. Dann zog sie aus ihrer Jackentasche eine Pistole, überprüfte das Magazin, steckte die Waffe wieder ein und wollte ohne ein weiteres Wort los. Doch sie spürte, wie er sie am Arm fasste, sie zurückhielt. In seinen Armen standen Tränen. Seine Lippen zitterten, er wollte etwas sagen, doch er konnte nicht. Sie umarmte ihn. In ihrem Hals bildete sich ein Kloß und sie spürte, wie auch sie schwach wurde, wie auch bei ihr Tränen fließen wollte, doch sie hielt sie zurück, sie konnte nicht, sie durfte nicht schwach werden, für Mira, nicht jetzt. Sie musste durchhalten, bis sie Boris gegenüberstand, und dann würde sie...
Peter sah sie an, seine Augen waren noch immer gerötet. Er schien ihre Gedanken lesen zu können, jedenfalls streckte er fordernd die Hand aus. Zögernd legte Ines ihre Hand in seine.
"Das meinte ich nicht." Sein Blick war intensiv, fast beschwörend. Ines ließ ihre Schultern absacken. Langsam zog sie die Waffe aus ihrer Jackentasche, entnahm ihr das Magazin und reichte es Peter. Peter steckte das Magazin ein, doch dann streckte er die Hand erneut aus.
Ines senkte den Blick. "Ich weiß." Sie schob die Kammer der Pistole zurück, nahm die Kugel aus dem Lauf, legte sie in seine Hand und schloß seine Finger darum.
Peter küsste sie auf die Stirn und flüsterte: "Es wird Zeit, du musst jetzt gehen."
"Ja", murmelte Ines. Als wäre sie plötzlich aus einem Traum erwacht, rief sie "Also mach's gut!", steckte die Waffe weg, nahm den Koffer und rannte in die Halle in Richtung Museum.
Das Ersatzmagazin drückte ihr in die Seite.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Hallo Freunde!

Ich bin begeistert, was ihr aus einem so winzigen Dialog-Gerüst gemacht habt! Die schwierigste Stelle war das "Das meinte ich nicht." (war mir beim Stellen der Aufgabe gar nicht so klar, erst, als ich selbst noch ein bisschen mit den Worten experimentierte): Ich war erstaunt, dass das gar nicht – wie ich eigentlich annahm – unbedingt der Umschwungs-Punkt im Dialog sein muss. Interessant!
 
B

britsch

Gast
Ines stellte den kleinen schwarzen Reisekoffer ab. Er war nicht schwer, die meisten ihrer Sachen hatte sie schon mit dem Umzugswagen nach London bringen lassen. Ihr Blick ging ins Leere, ihre Stimme klang belegt, als sie sich zu Peter umdrehte: "Ich weiß nicht, ob ich mich bei dir melden kann." Peter sah sie an, als ob er nicht begriffe. Unglücklich die Hände in den Manteltaschen vergraben entgegnete er mit bissiger Ironie: "Mach dir darum keine Gedanken. Du hast Wichtigeres zu tun."
Nie hatte er die Bedeutung verstanden, die ihre Arbeit als Galeristin für sie hatte. Dieser Umgang mit Künstlern verschiedenster Couleur, dieses Gespür für einen neu aufkeimenden Trend, dies Fingerspitzengefühl für ein junges Talent – für sie war es Lebenselixier, er nannte es Selbstverwirklichungsversuch.
Doch Ines war die langen Auseinandersetzungen der letzten Monate müde und antwortete nur knapp: "Ja, es wird vermutlich ziemlich hektisch werden." "Das meinte ich nicht", versuchte Peter noch ein weiteres Mal Ines Entscheidung in Frage zu stellen. Sie sah ihn nur traurig an. "Ich weiß", und Enttäuschung schwang in ihrer Stimme.
Sie nahm ihren Koffer auf, trat einen Schritt näher an die Gleise. Wann endlich würde der verdammte Zug kommen und sie erlösen? Der ICE fuhr ein und der Lärm der quietschenden Bremsen übertönte Peters Hilflosigkeit: "Es wird Zeit. Du musst jetzt gehen."
War es Traurigkeit oder war es nur noch Resignation, was sie beim Abschied empfand?
"Ja. Also mach's gut." Ein letzter Blick über die Schulter und sie stieg ein.
 

Zefira

Mitglied
Hallo ihr Schreibmeister,

ich weiß nicht, ob dieses letzte Beispiel eine Lösung im Sinne jons ist, da zwischen den Dialogbrocken viel Exposition verstaut ist. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist es doch gerade die Aufgabe, das zu vermeiden.

Und es ist gar nicht so einfach.

Am besten gefällt mir die Umsetzung von Damon Hawke, weil hier der Dialog durch dazwischenliegende Gesten einen z.T. ganz neuen Sinn bekommt.

Ich habe die Aufgabe letzten Montag meiner Schreibgruppe mitgebracht und rauchende Köpfe ausgelöst. Hier mal meine Lösung, wobei ich vielleicht auch nicht ganz korrekt war, der Schauplatz ist kein Bahnhof, Taxistand o.ä., sondern eine Gärtnerei.


Erde

„Ich weiß nicht, ob ich mich bei dir melden kann“, sagte Ines entschuldigend und schaute dabei auf Peters erdverschmierte Hände. Die Hände schlugen Salatpflänzchen in Zeitungspapier ein und legten die Päckchen in einen Karton, immer fünf Stück auf einmal. Zehn, fünfzehn, zwanzig... Er wischte sich flüchtig die Hände an den Jeans ab, die an den Oberschenkeln schon völlig verdreckt waren, dann nahm er den Karton hoch und trug ihn zum nächsten Tisch. Auch hier standen Jungpflanzen in Plastikkisten bereit: Zucchini, Kohlrabi, Tomaten.
„Mach dir darum keine Gedanken“, erwiderte er kurz.
Ines war ihm gefolgt. Zwischen ihren Händen drehte sie einen dicken Hefter, der zwei Dutzend Farbfotos von Brautsträußen enthielt. Peter machte eine schroffe Kopfbewegung zu dem Hefter hin und bemerkte grimmig: „Du hast Wichtigeres zu tun.“
„Ja, es wird vermutlich ziemlich hektisch werden.“ Sie lachte kurz und verlegen.
Unaufhörlich gingen seine Hände mit den schmutzigen, abgebrochenen Fingernägeln hin und her, zupften welke Blättchen ab und packten die jungen Gemüsepflanzen in Zeitungspapier. Die tiefen Falten in seinen Handinnenflächen waren wie tätowiert vom Schmutz. Ines’ Augen folgten seinen Bewegungen, als könne sie sich nicht losreißen.
Der Katalog mit den Brautsträußen rutschte aus ihren Händen und klatschte auf den Ziegelfußboden. Instinktiv bückten sich beide danach. Sie griff nach dem Heft, bevor seine Hände es erreichen konnten, und riß es mit einer schnellen Bewegung aus seiner Reichweite.
Ein bitteres Lächeln legte sich auf sein Gesicht.
„Das meinte ich nicht“, sagte er kurz.
Sie nickte langsam. „Ich weiß“, und sie rollte den Katalog zusammen und steckte ihn in die Tasche ihres weiten Mantels.
„Es wird Zeit, du mußt jetzt gehen.“ Er wandte sich wieder seinen Pflänzchen zu. Erneut gingen die schmutzigen Hände hin und her. Ines beobachtete ihn. „Ja. Also mach’s gut“, sagte sie endlich und kehrte ihm den Rücken.
Erst als sie sich ein paar Schritte entfernt hatte, schaute Peter auf, die Hände voll welker Blätter. Langsam und schwerfällig strebte sie dem Ausgang zu, als habe sie statt des kleinen Hefters einen Sack voll Erde zu tragen.
 

chrissieanne

Mitglied
Hallo jon!

Hier mein Versuch:

Der Schmerz ist total. Wie Salzsäure durchfließt er seinen Körper, alles Lebendige und Warme zerfressend.
Die Muskelstränge wie Stahl angespannt um ihn am Ausbruch zu hindern.
Die flirrende Atmosphäre von Aufbruch und Bewegung, mit ihrer aufreibenden Geräuschkulisse der ein- und ausfahrenden Züge, blechernen Lautsprecheransagen, dem Stimmengewirr tausender Menschen dringt nicht zu ihm. So wie nichts hinaus darf, kann nichts hinein. Nur die Kälte korrespondiert mit seinen Sinnen. Gefrorenen Atem überall. „Ich weiß nicht, ob ich mich bei dir melden kann". Ihre Stimme wie aus weiter Ferne. Es rauscht in seinen Ohren. Sie darf nichts merken!
Peter dreht sich zu ihr. Ines steht da, der zierliche Körper in dem viel zu großen Anorak, die riesige Kapuze über dem Kopf, widerspenstige, schwarze Locken im Gesicht Ihre Wangen sind gerötet vor Kälte und Aufregung. Sie tritt von einem Bein aufs andere, wohl um sich aufzuwärmen aber auch voller Ungeduld den Zug erwartend. Doch in ihren Augen sieht er Angst. Um ihn? Er zwingt sich zu lächeln, und zieht sie an sich. Die Umarmung warm, vertraut - unerträglich. Der Schmerz wallt auf, will hinaus um auch sie zu zerstören. Etwas zu heftig schiebt er sie von sich, schaut sie liebevoll an und sagt im (hoffentlich) aufrichtigem Ton: "Mach dir darum keine Gedanken. Du hast Wichtigeres zu tun." Sie lacht erleichtert auf. „Ja, es wird vermutlich ziemlich hektisch werden." Er streicht ihr zärtlich eine Locke aus der Stirn: „Das meinte ich nicht."
Ihr Blick in seine Augen.
Der Zug fährt ein.
Es gibt nur sie und ihn. Nichts sonst. Einen letzten, ewigen Augenblick.
Ihre Lippen bewegen sich: "Ich weiß."

„Du mußt jetzt gehen."
„Ja. Also machs gut!"

Die Stille platzt.
 



 
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