Hi Ekki,
Hier sind wir natürlich unter lauter Lyrikenthusiasten.
In einer beliebigen Fußgängerzone sähen die Mehrheitsverhältnisse zwischen Liebhabern und Verächtern von Gedichten womöglich etwas anders aus und es steht zu vermuten, dass ein gängiger Vorwurf von Lyrik-fernen Zeitgenossen an diese Art von Literatur die Unverständlichkeit von Gedichten thematisierte ("gerade bei dem ganzen modernen Zeugs... damit kann ich ja nix anfangen"). Handelt es sich also bei Gedichten überwiegend um raunige Nebelgesänge und um die wirren Schöpfungen von Menschen, die einfach nicht in der Lage sind, "alles, was gesagt werden kann, klar zu sagen"?
Diese Frage schwingt in Deinen verschmitzt-ironischen Zeilen mit. Und es stimmt wohl: Der Nebel ist ein Naturphänomen, welches auf Dichter ganz besonders anziehend wirkt, schon deshalb, weil man aus diesem "Sprachmaterial" so wunderbar palindromatisch das "Nebelleben" fügen kann.
Aber Du rufst ja hier mit Storm und Hesse zwei Kronzeugen auf, die so gar nicht zu den unverständlich daherdichtenden Poeten zu zählen sind, vielmehr zeichnen sich die Gedichte von Storm und Hesse doch im Allgemeinen durch relative Klarheit aus (zumindest sofern man mit dem kultivierten und heute auch schon ein bisschen altmodisch tönenden Vokabular der zwei Herren klarkommt). Und gerade von Hesse gibt es ja nun das paradigmatische Nebelgedicht, welches doch (von der altmodischen Sprachfärbung abgesehen) keine mordsmäßigen Verständnishürden aufbaut, oder?
Ich rede natürlich von Hesses Gedicht, das mit den Worten "Seltsam im Nebel zu wandern" beginnt (man muss wohl eher sagen: anhebt) und in der letzten Zeile, in guter bürgerlicher Lyriktradition, aus dem Naturphänomen der nebelbedingt eingeschränkten Sicht eine allgemeine Lebensweisheit ableitet: "Jeder ist allein". Das versteht ja wohl jeder, nicht wahr?
Naja... man versteht es so lange, bis jemand freundlich-hartnäckig nachfragt, was der alte Hesse denn damit jetzt genau ausdrücken wollte und vor allem, was man nun mit dieser Erkenntnis, so ganz praktisch betrachtet, eigentlich anfangen soll. Vermutlich hätte Hesse auf diese Fragen in wohlgesetzten Worten durchaus Erhellendes (?) zum Besten gegeben, doch wenn man mal ganz streng (und ein bisschen polemisch) ist, kann man schon sagen, dass der Hesse hier eine ziemlich banale Aussage in viel Wortgeklingel kleidet.
Die Lyrik also als die Kunst des schönen Scheins (aber mit nicht viel "dahinter")? So schlimm kann es ja wohl Deiner Ansicht nach um die Lyrik doch nicht bestellt sein, wenn Du die kritisch-hinterfragenden Untertöne gegenüber der Nebel-Affinität von Dichter*innen doch immerhin selbst wieder in ein schönes Gedicht packst.
Also worum geht es der Lyrik letztlich?
Da gibt es natürlich viele mögliche Antworten, aber eine, vielleicht die wichtigste, besteht darin, dass die Lyrik uns zu erfreuen vermag. Vielleicht gelingt ihr das mit klaren Messages, vielleicht mit schönen Worten, vielleicht mit der Verblüffung, die eine Konfrontation mit dem Unverständlichen beschert und die uns lehren mag, Dinge zu genießen, ohne sie allzusehr zu hinterfragen.
So darf man in der Lyrik also ganz unterschiedliche Angänge der Erfreunis suchen - manchmal vielleicht Hochgeistiges und manchmal einfach nur Herzensunterhaltung.
Ich muss an den leider zu vergessenen, wunderbaren Peter Gan denken, genauer an ein Antwortgedicht an seinen Freund Eugen, der ihm "Unverständlichkeit" vorwarf. Ich habs jetzt grad nicht vorliegen und zitiere den Anfang bestimmt nicht ganz richtig, aber ungefähr geht es so los:
"Glaubst Du wirklich, Eugen, dass die leichte Muse,
nur weil sie so leicht ist, meinem Herz missfällt
oder dass nur Sphinx, Sibylle und Empuse
schenken, was den Gotengeist in Atem hält?"
Wie immer es nun um Gotengeist und die leichte Muse stehen mag: Mir hat Dein Nebelgedicht sehr gut gefallen!
LG!
S.