Die abgelegte Geliebte

Breimann

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Die abgelegte Geliebte
Sie gingen schweigend aufeinander zu; die Füße raschelten im trockenen Laub, das der Wind zu verspielten Haufen auf den Ascheweg gekehrt hatte. Ansonsten war es still im Riehler Nordpark; die Zeit für flanierende Müßiggänger war längst vorbei; die kahlen Bäume und Sträucher boten keinen Schutz mehr gegen den eisigen Ostwind.
Der Mann und die Frau waren noch ein gutes Stück voneinander entfernt, aber man konnte sehen, dass sie sich treffen, verabredet begegnen wollten.
Sie kam wohl von der Straßenbahnhaltestelle; die Bahn fuhr soeben mit einem schrillen Klingelton ab. Sie blickte, ohne ein Lächeln, starr geradeaus, ging steif und verkrampft. Ihre Hände waren tief in den Manteltaschen vergraben, die Schultern fröstelnd verkrampft. Ihr hübsches Gesicht, von langen, bei jedem Schritt wippenden blonden Haaren eingerahmt, war ungeschminkt; unter den Augen lagen bläuliche Schatten und die Lippen wirkten seltsam weiß.
Er ging etwas schneller als die Frau, wirkte dynamisch, sein Schritt war federnd. Seine schwarzen, welligen, bis in den Nacken reichenden Haare, waren vom kalten Novemberwind verstrubbelt.
Das schmale, markante Gesicht mit dem kantigen Kinn, strahlte Selbstsicherheit, innere Gelassenheit aus. Man wusste einfach, dass er nach gutem, teuren Rasierwasser duften musste. Dunkle Augenbrauen, die er gerne zur Unterstützung zweifelnder Fragen hoch zog, hoben sich auffällig von seinen hellen Augen ab, die nicht so recht zu seinem südländischen Typus passen wollten.
Der Mann verzog die Lippen, entblößte ein makelloses Gebiss und lächelte die junge Frau verlockend an. Er streckte beim Näherkommen in einer großartigen Geste die Hände weit aus.
„Nadine! – Schön, dich zu sehen! Du hast dich nicht verändert! Gut siehst du aus!“
„Guten Tag, Wolfgang“, antwortete sie tonlos, ließ die Hände in den Taschen stecken.
„Wie lange ist es her, Nadine?“
„Warum? Was fragst du mich? Was willst du von mir?“
„Dich sehen, dich sprechen, - dich endlich wieder einmal küssen!“
„Träumst du? Oder ist dir was auf deinen verdammten Schädel gefallen? Sonst möchtest du wohl nichts von mir?“
„Oh doch! Kannst du dir ja wohl denken!“, rief er lachend. „Aber ich wollte langsam vorgehen – du kennst mich doch!“
„Oh mein Gott! Wie konnte ich nur vergessen, wie eingebildet du bist!“
„Na, na! Sei nicht so kratzbürstig! Komm! Lass uns erst einmal Platz nehmen, Nadine“, sagte der Mann und zeigte auf die Bank.
Sie musterte mit einem schnellen Blick die verwitterten Latten, den leichten Grünschimmer an den Holzkanten und die steile Rücklehne.
„Warum nicht! Das passt zu allem anderen.“
Mit einer schnellen Wischbewegung fuhr sie über die Sitzfläche und betrachtete geringschätzig lächelnd ihre verschmutzte Handfläche. Dann setzte sie sich vorsichtig auf die äußerste linken Seite der Bank, hockte nur auf der Kante; sie wirkte fluchtbereit.
Er beobachtete ihre Bemühungen, eine möglichst große Distanz aufzubauen, mit einem überheblichen Lächeln, setzte sich in die Mitte der Bank, lehnte die Arme weit auseinander auf die kalte Rücklehne; seine Fingerspitzen berührten fast ihre Schulter.
Sie war merkwürdig erregt; ihre Wut wuchs und machte sie kribbelig.
„Nun? Was willst du wirklich?“
„Dich!“
„Spinner! Also! Was willst du?“
„Ich hab´s doch gesagt: Dich! Ich habe dich nie - wirklich nie - vergessen, Nadine. Glaub mir!“
„Ich und dir glauben? Dass ich nicht lache! Du hast es nicht einmal für nötig gehalten, vorher dein Kommen anzukündigen! Aber wieso solltest du auch? Dann hättest du dich ja total ändern müssen.“
„Du bist ungerecht! Ich wusste vorher nicht, dass ich Zeit habe für ein Treffen mit dir, Nadine. Das kam überraschend - auch für mich. Freu dich doch, dass es geklappt hat!“
„Ach ja? Ich soll mich freuen? Worüber denn, Wolfgang? Dass mein ehemaliger Geliebter, nachdem er sich vor einem Jahr sang- und klanglos aus dem Staub gemacht hat, plötzlich anruft und um ein Treffen bittet, als wär das alles nicht passiert? Was bildest du dir eigentlich ein?“
„Und warum bist du dann gekommen?“
„Weil -, weil ich die Gelegenheit nutzen und dir die Meinung sagen wollte! Findest du nicht, dass du unverschämt warst? Meinst du nicht auch, dass du dich wie ein Drecksack benommen hast? Am letzten Abend ein „Tschüß, mein Schatz! Bis morgen!“ und dann nichts mehr?“
„Dafür gab´s gute Gründe!“
„Na so was! Wenn ich, nach einer Woche verzweifeltem Warten, nicht den Mut gehabt hätte, dein Büro anzurufen, dann hätte ich die Polizei eingeschaltet und eine Vermisstenanzeige aufgegeben.“
„Du siehst, ich hatte vorgesorgt; ich bin nicht spurlos verschwunden!“
„Das darf ja wohl nicht wahr sein! Und dann musste ich mir von deiner Sekretärin, dieser eingebildeten Schnepfe, sagen lassen, dass du nach Italien versetzt wurdest – auf eigenen Wunsch! Auf eigenen Wunsch! Ich konnte es nicht fassen! Die hättest du mal hören sollen! Ach, wer sind Sie denn? Sind Sie eine von seinen Abgelegten? Ich weiß gar nicht, ob ich Ihnen das sagen darf!“ Ihr Versuch, die Stimme der Sekretärin nachzuahmen, misslang kläglich.
„Auch dafür gab´s Gründe!“
„Und dass die Italiener auch eine Postbeförderung und eine Telefonverbindung haben, das hast du nicht gewusst? Was wäre das für ein Aufwand gewesen, wenn du mich angerufen, oder wenigsten mit einer Postkarte verabschiedet hättest?“
„Ich hatte wenig Zeit, liebe Nadine. Versteh mich doch!“
„Oh ja! Ich verstehe dich sogar besser, als du glaubst. Ich war wirklich abgelegt und vergessen. Um mir das allerdings direkt zu sagen, dazu warst du einfach zu feige. Du bist ein elender Feigling, Wolfgang – und das warst du schon immer!“, sagte sie heftig und fühlte sich besser.
Sie knetete die Hände und sah ihn an; sein überlegenes Lächeln machte sie fast wild.
„Er hat sich nicht verändert; so habe ich ihn während der ganzen Zeit in Erinnerung gehabt.“

In den ersten Tagen hatte sie krank im Bett gelegen, nichts gegessen und kaum was getrunken. Sie hatte abwechselnd geheult, den Mann verflucht, und manchmal, wenn ihr nichts anderes mehr eingefallen war, hatte sie den lieben Gott angefleht, dass er ihn ihr zurück bringen solle.
Dafür hasste sie sich; wenn sie an diese Zeit dachte, wurde sie schamrot. Sie verstand sich selber nicht, wusste einfach nicht, wie sie wieder zu ihrer Selbstachtung finden konnte. Sie hatte niemanden, dem sie ihre Verzweifelung schildern konnte.
Während der zwei Jahre mit Wolfgang hatte sie alle Beziehungen abgebrochen, oder sie einschlafen lassen. Wolfgang hatte es so gewollt, hatte immer Sorge gehabt, jemand könne ihn erkennen und tratschen.
„Außerdem will ich in der knappen Zeit, die wir haben, nur dich, deinen Körper - und das ganz!“, hatte er ihr ins Ohr geflüstert.
Irgendwann hatte sie ihre Mutter eingeweiht; sie musste einfach jemandem von ihrem Glück erzählen. Und außerdem wollte sie eine Vertraute haben, mit der sie sich über Wolfgang unterhalten konnte.
Aber das war wohl ihr größter Fehler gewesen; hinterher hatte sie sich gefragt, wie sie das verbocken konnte. Sie hatte einfach vergessen! Es war ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen!
Über ihre wortreiche Schilderung des netten, wunderbaren Mannes, den sie liebte, mit dem sie schlief, der sie verwöhnte und verhätschelte, hatte ihre Mutter verständnisvoll gelächelt.
„Wann heiratet Ihr? Oder ist sogar schon was unterwegs?“, hatte sie verschwörerisch lächelnd gefragt.
Sie hatte laut aufgelacht. „Mama! Er ist verheiratet! Es gibt keine Hochzeit – und gegen das Andere nehme ich die Pille!“
Das löste eine Reaktion aus, die sie entsetzte. Schlagartig, begriff sie, was diese Liebschaft für ihre Mutter bedeutete.
Dass ihre Mutter seit fast fünf Jahren alleine lebte, weil ihr Mann Walter sie wegen einer Kollegin verlassen hatte, das hatte sie völlig verdrängt. Sie selber hatte ihren Vater damals sehr schnell vergessen; sie war wütend auf ihn gewesen, hatte ihn nicht mehr sehen wollen. Das fiel um so leichter, als ihr Vater nach Amerika gegangen war – mit seiner Neuen.
„Raus! Raus!“, hatte ihre Mutter kalt, bestimmt und bedingungslos gesagt. „Meine eigene Tochter begeht Ehebruch!“
„Ich breche keine Ehe, Mama!“
„Du bist wie dein Vater! Betrug ist Betrug; gleich wer ihn begeht! Das liegt dann wohl in deinem Erbgut! Verschwinde aus meinem Leben, du, du...“
Dabei hatte sie überhaupt keine Schuldgefühle gehabt, damals, als sie es ihrer Mutter erzählte. Heute schämte sie sich, weil sie sich so leicht hatte einfangen lassen, bedauerte den Betrug an Wolfgangs Frau, den sie sich zuschrieb; sie verstand das Entsetzen ihrer Mutter – und sie hasste sich dafür, dass sie sich alle Schuld gab.
Rache? Ach ja, daran hatte sie oft gedacht. Sie hatte in den Nächten traumlos, schlaflos gelegen und sich wüste Szenarien ausgemalt. Aber sie hatte nichts getan; sie fühlte sich feige und schwach, weich und ängstlich. Ihre Freundschaften hatte sie nicht mehr aufleben lassen; sie wollte keine Fragen hören, keine Ausflüchte erfinden.
Irgendwann hatte sie sich abgefunden, hing fatalistisch, gefühllos in der Luft; sie ging nie aus.
Erst nach gut einem Monat war sie zu ihrer Mutter nach Wesseling gefahren. „Ich bin wieder allein!“, sagte sie statt einer Begrüßung.
„Komme herein.“
Sie erzählte in dürren Worten, dass sie sich getrennt hatten, ihr Ex jetzt in Italien arbeite.
„Es ist also alles wieder in schönster Ordnung, Mama.“
„Du hast dich besonnen? Hast du ihm klar gemacht, dass er zu seiner Frau gehört?“
„Nein, Mama. Nicht ich habe ihn, er hat mich verlassen. Einfach so.“
„Du hast es noch immer nicht begriffen! Für mich ist der Verlust des Vertrauens die schmerzlichste Erfahrung. Gerade das Vertrauen, der blinde Glaube an den Anderen, das ist es doch, was wir bei der Liebe, und wenn sie langsam aufhört - gerade dann – so dringend brauchen.“
„Verzeih mir Mama. Ich hab dabei nie an dich und Papa gedacht.“
„Da ist nichts zu verzeihen, Nadine. Du bist einfach gedankenlos, leichtsinnig. Was verstehst du schon? Ich könnte dir erzählen, Nadine, was man fühlt, wie man leidet, wenn man betrogen wird. Hast du nie Mitleid mit seiner Frau gehabt? Dieser Mann bricht doch nicht nur seine Ehe, er zerbricht auch ein Leben! Ich weiß wie das ist. Ich hasse diesen, diesen - und alle Männer, die das tun!“
„Ich hatte doch keine Wahl, Mama. Es kam einfach so über mich; ich war gefangen und konnte nicht mehr raus.“
Ihre Mutter hatte den Kopf geschüttelt. Ihr Verhältnis blieb angespannt, verkrampft. Nur einmal im Monat sahen sie sich. Jeweils am ersten Sonntag aß sie Mittags bei ihrer Mutter. Sie schwiegen sich an, oder sprachen nur das Notwendigste. Sie quälten sich damit, hielten trotzdem Distanz; beide waren froh, wenn der Abschied kam.
Und dann, vor einer Stunde, war dieser Anruf gekommen: „Hallo! Hier ist dein Wolfgang! Da staunst du, was? Kannst du kommen, Nadine? Kann ich dich sehen? Du kennst doch unseren ersten Treffpunkt noch? Die Bank! Du weißt es noch! Ja, richtig?“
Sie hatte kaum geantwortet, war völlig erschlagen ins Bad getaumelt. Wie in Trance hatte sie sich angezogen, flüchtig gekämmt und die nächste Straßenbahn genommen. An jeder Haltestelle hatte sie aussteigen wollen, hatte mit sich gerungen und war dann doch sitzen geblieben.
Sie wollte ihm endlich ihre aufgestaute Wut, ihre Demütigung ins Gesicht schleudern; sie formulierte ihre bösen Sätze; wie Speerspitzen sollten sie ihn treffen, zu Boden stoßen. Aber dann resignierte sie, ließ die Schultern hängen; sie wusste, dass sie es doch nicht konnte.
Wie ein Stück Holz in einem Fluss war sie sich vorgekommen; gefühllos und ohne eigenen Antrieb; der Fluss nahm sie mit, wohin er wollte.

„Wo ist deine Frau?“
„Im Maritim. Ich hatte dort eigentlich eine Konferenz, aber die ist wegen der Amerikaner geplatzt; die haben einfach abgesagt. Dann bist du mir eingefallen! Ich hatte plötzlich das Gefühl, wir hätten uns erst gestern getrennt. Geht dir das nicht auch so, Nadine? Wie geht es dir? Los! Erzähl!“
„Wie es mir geht? Soll ich dir das wirklich sagen? Es ist nichts Erfreuliches dabei, mein Lieber! Ich bin nicht mehr ich! Ich habe meine Selbstachtung verloren – völlig verloren. So verloren, dass ich mich restlos gehen lasse. Ich mache meinen Job ohne Lust, ich gehe nicht aus. Ich hasse mich, kannst du dir das vorstellen? – Mehr als dich!“
Sie sah ihn lange an, dachte nach. „Ich hasse dich eigentlich gar nicht; du bist mir so gleichgültig geworden, so unwichtig. Nun, das alles – und noch einiges mehr – hast du erreicht. Ich fühle mich so elend, so dreckig, weggeworfen und verlacht.“
„Du übertreibst, mein Liebling...“
„Ich bin nicht dein Liebling! Hör mit dem Scheiß auf! Das ist vorbei!“
„Ich wollte dich doch nur trösten. Unsere Trennung war wirklich etwas spontan, was? Aber - na ja! Das kam damals alles so plötzlich, weißt du.“
„Immer, wenn einer sagt, „Weißt du?“, denn klingeln bei mir alle Alarmglocken!"
„Lass mich doch erst mal erzählen! Meine Frau hat damals Wind gekriegt.“
„Wovon? Von welcher deiner Freundinnen? Von mir wohl nicht. Ich war so gut versteckt, dass ich manchmal selber nicht mehr wusste, wer und wo ich war.“
„Ach, das waren alles nur Gerüchte. Also, ich musste was tun, um meine Ehe zu retten. Deshalb habe ich mich in unsere Mailänder Filiale versetzen lassen. Übrigens, eine Topentscheidung! Als wenn ich´s geahnt hätte. Nach einem Monat starb der Filialleiter und ich, - stell dir vor - ich wurde sein Nachfolger! Was sagst du dazu?“
„Scheiße, sage ich dazu. Was hat das mit mir zu tun? Nichts! Du bist ein gefühlloser Karrieremensch, ein elender armseliger Typ, ohne einen Funken Gefühl. Du nutzt die Frauen aus!“, schrie sie so laut, dass er sich hektisch umsah; der winterkalte Park war immer noch leer. Aber sie fühlte sich nach diesem Ausbruch deutlich besser.
„Bitte, Nadine, sei doch nicht so bitter! Wie heißt es so schön? Wahre Liebe stirbt nie! Warte mal ab, die Zeit heilt alle Wunden! Versteh doch! Ich konnte nicht anders! Ich bin eben so! Ich bin wie ich bin! Ich hab dir nie Versprechungen gemacht. Wir hatten beide unseren Spaß am Sex. Was Besseres als ich, konnte dir doch gar nicht passieren!“
Später erst erkannte sie, dass dieser letzte Satz der Auslöser war, durch den sie sich wiederfand. Das war der Moment, in dem sie sich neu entdeckte, sich wieder selbst fühlte, unendliche Abneigung gegen ihn und keinen Hass mehr auf sich empfand - und endlich, endlich mit ihm, mit sich und mit dieser Episode abrechnen konnte.
Es kam ihr komisch vor, dass erst dieser idiotische Satz ihr seine ganze Erbärmlichkeit klar machen konnte.
Sie atmete tief durch, schloss die Augen und lehnte sich entspannt zurück. Sie fühlte sich frei! So unglaublich es ihr im Augenblick erschien, aber alle Beklemmung war schlagartig weg. Plötzlich war sie froh, dass sie zu dem Treffen gefahren war, dass sie nicht die Rollos runtergelassen und sich aufs Bett geschmissen hatte, wie es ihr erster Gedanke gewesen war. Sie war frei!
Sie saßen still, bewegten sich nicht, lauschten dem entfernten Dröhnen der Stadt. Er wartete völlig gelassen auf ihre Zustimmung; er hatte keinen Zweifel.
Dann straffte Nadine ihren Oberkörper, strich sich mit einer lockeren Geste die Haare aus der Stirn und sah ihn mit einem leichten, sehr feinen Lächeln an.
„Du gibst nie auf, was? Das war es auch, was ich damals an dir liebte.“
„Und ich mochte diese Handbewegung, mit der du dein Haar bändigtest, wenn wir miteinander geschlafen haben. Ich liebte dein Lächeln, mit dem du so zaghaft deine Freude zeigtest – so wie gerade.“
„Ich weiß.“
„Können wir nicht noch einmal neu - von vorn - anfangen? Bitte, Nadine.“
„Du in Mailand und ich hier in Köln?“
„Nein, nein! Ich habe Karriere gemacht. Ich werde zum stellvertretenden Europachef meiner Firma, Sitz Mailand, befördert! Na? Was sagst du? Dafür bin ich doch nach Köln gerufen worden! Leider verzögert sich die offizielle Ernennung durch die blöden Amis. Nächste Woche, Nadine, trinken wir auf meine Beförderung! Und das heißt, dass ich dann jede Woche ein bis drei Tage in Köln sein werde!“
„Und da hast du dir gedacht, dass es schön wäre, wieder ein Bett zu haben, in dem eine willige, allezeit bereite Geliebte liegt?“
Wie du das sagst! Nein, ich habe richtige Sehnsucht nach dir gehabt, alle Zeit. Komm, sag ja!“
Sie zierte sich, sah unschlüssig den Weg herauf und herunter. Dann schien sie sich entschlossen zu haben.
„Auf Probe, ja? Wenn ich nicht mehr will, denn sage ich: Schluss, Wolfgang! Und dann ist ein für allemal Schluss; dann trennen sich unsere Wege für immer. Einverstanden?“
„Ja, ja!“, sagte er aufatmend und ungeduldig. Er rückte näher an sie heran, legte einen Arm um sie und küsste sie leicht, fast hastig. Dann stand er ruckhaft auf, blickte stirnrunzelnd auf seine Armbanduhr, reichte ihr die Hand und zog sie hoch.
„Komm! Ich muss los; ich bin verabredet. Hast du nächste Woche Montag Zeit? Ich komme am Morgen und fliege erst am Dienstag gegen Mittag wieder ab. Die Amis haben diesmal fest zugesagt.“
„Wenn sie dir Zeit lassen, deine Amis!“
„Das sind Puritaner, sag ich dir! Die wollen weder das Kölner Nachtleben kennen lernen, noch einen Kneipenbesuch mit mir machen. Ich habe also Zeit – für dich! Ich schlage das „Alte Forsthaus“ in Rodenkirchen vor. Da könnten wir uns überhaupt regelmäßig treffen. Ich buche das Zimmer für uns; du brauchst dich um nichts zu kümmern. Wir treffen uns also in einer Woche um sieben dort zum Essen, und dann...“
„Gut. Ich komme.“
Sie gaben sich zum Abschied nochmals einen leichten Kuss, wobei sein sichernder Rundumblick sie amüsierte. Mit großen, elastischen Schritten ging er in Richtung Amsterdamer Straße, wo die Taxen warteten.
„Schönen Gruß an deine Frau!“, rief sie ihm nach. Er zuckte nur die Achseln, drehte sich nicht einmal mehr um.

Das Essen war vorzüglich. Sie hatte Scholle bestellt und zerlegte den knusprig gebratenen Fisch so perfekt, dass es ein Genuss war ihr zuzuschauen. Er aß ein riesiges Steak, fast roh, stark ausblutend. Sie schüttelte sich, als sie ihn mit Genuss essen sah.
„Du ekelst dich? Warum? Das gibt uns Männern Kraft - an allen Stellen des Körpers! Haben schon die Indios gewusst! Du verstehst?“ Und dann lachte er anzüglich, schallend laut.
Sie trank Weißwein, einen trockenen Riesling aus der Pfalz; er passte ausgezeichnet zu ihrem Fisch und lockerte sie auf. Wolfgang hatte sich einen duftigen Merlot bestellt, den er genussvoll schlürfte.
Sie scherzten viel - fast so wie früher. Sie konnte über seine spritzigen Bemerkungen, seine kleinen Witze immer wieder lachen.
„Er ist wirklich amüsant; er ist gut – zu gut!“, dachte sie. Alles war wie früher.
„Die Amis sind noch schlimmer, als ich dachte. Das sind Baptisten, wenn dir das was sagt. Meine Güte! Ob ich ordentlich verheiratet wäre, wie viel Kinder ich hätte, ob ich regelmäßig in die Kirche ginge und so weiter. Ich habe gedacht, ich hätte mich für die Stelle eines Pastors in der Barbarakirche beworben – und nicht für den Posten des Topmanagers.“
„Aber du hast, wie ich dich kenne, die Leute um den kleinen Finger gewickelt?“
„Das kannst du glauben! Es war alles perfekt! Ich war ihr Mann – ich habe die Stelle! Prost, mein Schatz! Auf meine – auf unsere Zukunft! Wollen wir uns noch an die Bar setzen, oder gehen wir gleich rauf, Liebling?“
„Lieber gleich nach oben. Ich kann nicht mehr warten.“
Seine Augen blickten sie mit Feuer und Verlangen an, seine Hände umfassten ihre Handgelenke.
„Komm!“, sagte er heiser.

Nadine sang im Bad, wie sie es immer tat, wenn er nackt im Bett lag und ungeduldig auf sie wartete. Sie sang zwei Mal nacheinander ihr Lieblingslied „The old gumble cat“. Es war immer das gleiche Spiel; er wartete ungeduldig, und sie ließ sich Zeit, trieb ihn fast zur Weißglut. - Er liebte dieses Spiel!
Sie blickte auf die Armbanduhr und hing dann noch „Memory“ dran. Dann lächelte sie ihr Spiegelbild an, strich sich die Haare aus dem Gesicht und nickte sich zu.
„Na, dann mal los, du abgelegte Nadine!“
Sie trug nur ein hauchdünnes, fast durchsichtiges Negligee; ihre Figur war immer noch toll, knabenhaft schlank – gerade richtig, dachte sie zufrieden.
Ihr Gesicht war glatt, ebenmäßig, schön - und ohne Regung; nur ihre Augen hatten einen Glanz, als hätte sie geweint.
„Wann kommst du?“
„Gleich! Sei nicht so ungeduldig.“
„Ich hab so lange auf dich gewartet. Jetzt kann ich nicht mehr. Komm! - Ich will dich jetzt!“
Sie stand in der Badezimmertür und sah ihn lächelnd an. Ja, so hatte sie ihn in Erinnerung, so hatte sie ihn erwartet. Das Bettzeug hatte er unter dem Fenster abgelegt.
„Mein Spielfeld!“, sagte er immer. „Da brauche ich jeden Zentimeter!“
Völlig nackt lag er auf dem Bett, die Arme ausgebreitet, als wäre er gekreuzigt; er war bereit für sie.
„Komm! – Komm, mein Kleines; komm und lass mich nicht länger warten!“
Das leise, fragende Klopfen hätte er fast überhört, so angespannt war er, hatte nur Augen und Ohren für die Frau, die so aufreizend vor ihm stand.
„Was ist? Ist da wer an der Tür, Nadine? Mach nicht auf! Hörst du?“, knurrte er ärgerlich und richtete sich etwas auf.
„Reg dich nicht auf! Ich habe eine Flasche Champagner für nachher bestellt!“
„Wunderbar!“, rief er und ließ sich lächelnd zurückfallen.
„Sie ist schon eine klasse Frau! – Eine der besten überhaupt!“, dachte er vergnügt.
Nadine drehte sich zur Tür, bemühte sich ihr Negligee zu verschließen. Sie öffnete und machte eine einladende Handbewegung.
„Kommen Sie herein - bitte. Ich warte schon auf Sie.“
„Wer ist da, Liebling? Soll ich die Rechnung für den Champus unterschreiben?“
„Nein, da ist nichts zu unterschreiben.“
Sie ging voran, stellte sich vor das Bett und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Hör genau zu, Wolfgang! - Es ist Schluss! Es ist Schluss, Wolfgang!“
Sie stand da und genoss seinen entsetzten Blick, die hervorquellenden Augen, seine seifige Blässe, die Schweißperlen auf seiner Stirn und die plötzliche Erschlaffung, die er selber wohl nicht einmal bemerkte.
Er versuchte hektisch das Bettlaken unter sich weg zu ziehen; er riss heftig, stöhnte auf, aber es klemmte, gab nicht nach. Dann warf er die Hände nach vorne, hielt sie zwischen seine Beine, versuchte krampfhaft die Blöße zu bedecken.
„Was... Wer... Verdammte Scheiße!“, röchelte er und stierte auf die Besucher, die neben seinem Bett standen und ihn kalt musterten.
„Die Herren Scully und Hover brauche ich dir nicht vorstellen; ihr hattet ja heute ein nettes Meeting. - Deine Frau ist dir ja auch bestens bekannt. Die Herrschaften haben sich inzwischen sicher an der Bar selber bekannt gemacht. - Nur diese Dame...“
Sie winkte in Richtung Tür und wartete einen Augenblick, Dann lächelte sie leicht, fegte mit einer huschenden Bewegung die widerspenstigen Haare aus dem Gesicht.
„Das ist meine Mutter, Wolfgang. Ich war ihr noch was schuldig – weißt du. Entschuldige, dass ich euch nicht früher bekannt gemacht habe. Mama, - dies ist mein ehemaliger Geliebter. Wie du siehst, hat er im Augenblick keine Hand frei, um dich formvollendet zu begrüßen.“
„Ich sehe es, mein Kleines. Ist ja eh nur eine flüchtige Bekanntschaft.“
„Natürlich, du hast recht, Mama! Nimmst du mich gleich mit? Ich bin mit dem Taxi hier. Warte, ich geh schnell ins Bad und zieh mich an.“
Ihre Mutter lächelte seltsam; das Gesicht war wie erleuchtet; fast träumerisch blickte sie auf die Szene.
Die beiden Amerikaner und die kleine, schmale Frau standen steif und still vor dem Bett, auf dem sich Wolfgang mühsam zur Seite wälzte, ständig bemüht, die Hände nicht verrutschen zu lassen.
Seine Frau hüstelte und sah ihre Begleiter forschend an. Sie wirkte keineswegs schockiert, eher amüsiert. Nadine hatte tiefes Mitleid mit dieser Frau gehabt, als sie sich zum ersten Mal trafen. Aber Karin, so sollte Nadine sie nennen, hatte abgewunken und säuerlich gelächelt.
„Nein, nein! Keine Bange! Er betrügt sie doch alle. Sie brauchen keine Hemmung zu haben. Sagen Sie mir alles, was sie wissen. Ich bin sicher, es wird nicht viel mehr sein, als das, was ich längst weiß. Aber – und dafür bin ich Ihnen dankbar – man braucht manchmal einen Anstoß, einen Schubser. Machen wir doch am Montag gemeinsam unsere Abrechnung, ja? Es ist noch so viel offen aus der Vergangenheit!“
Wolfgangs Blick irrte durch das Zimmer, blieb an seinen Kleidern hängen, die, unendlich weit entfernt, ordentlich auf einem Stuhl vor dem Schreibtisch hingen.
„Verflucht! Verflucht!“, stöhnte er und wagte nicht, den Blick zu heben. „Gib mir sofort die Sachen da, Karin! Los, Karin!“ Er stierte seine Frau an, die weiter lächelte und sich nicht rührte.
Die beiden Amerikaner sahen ihn kopfschüttelnd an, dann gingen sie wie verabredet zur Tür.
„Morgen! Morgen um zehn! Verstanden?“ Aber sie warteten keine Antwort ab, warfen die Tür hinter sich zu.
Seine Frau lächelte plötzlich und atmete tief durch. „Ich bin froh, Wolfgang, dass es so zwischen uns endet. Es ist so herrlich, was ich hier erlebe; das hätte ich mir in den kühnsten Träumen – und ich hatte verflucht kühne Träume – nicht einfallen lassen. Wie auf einer Theaterbühne, findest du nicht? Irgendwie gefällt mir dein endgültiger Abgang.“
„Ja, Walter, du Schuft. Sie hat recht, diese Frau! So habe ich mir das immer gewünscht!“
„Der hier heißt Wolfgang, Mama! - Nicht Walter! Aber das ist nicht wichtig, sie sind alle gleich!“, sagte Nadine, die angezogen aus dem Bad kam.
„Ich weiß durchaus, wie der hier heißt, mein Kind!“
„Ach übrigens, Wolfgang. Solltest du morgen ins Büro kommen, dann bedanke dich doch in meinem Namen bei deiner Sekretärin. Sie ist übrigens keine Schnepfe, sie war nur eifersüchtig. Sie hat mir sehr geholfen, die Amerikaner und deine Frau ausfindig zu machen. Sie hat alles bestens erledigt. Du hattest deine Vorzimmerdame wohl auch schon abgelegt; kann das sein?“
„Ach mein Kleines! Es gefällt mir, was ich hier sehe. Ich denke, wir können jetzt gehen, nicht wahr? Oder musst du noch etwas erledigen? Nein? Gut, - dann gehen wir.“
„Ich komme mit! Hier ist ja alles klar“, sagte Karin und hakte sich bei Nadine ein. Dann gingen die drei mit erhobenen Häuptern aus dem Zimmer. Nadine warf einen Blick zurück, sah das Häufchen Elend fast mitleidig an, pustete ihre Haare aus dem Gesicht und warf die Zimmertür krachend zu.
„Punkt!“, sagte ihre Mutter.
 

klara

Mitglied
Rache?

Du wirst merken, dass ich mit dem Begriff "Kritik" Schwierigkeiten habe. Das heißt, ich werde wenig über Schreibstil und Ausdrucksweise schreiben.
"Die Helden" der Geschichte, Verhaltensweise, Gedankengut...sind Dinge, die mich beschäftigen.

Was meinst du;
warum müssen erst drei Schmerzen von drei verschiedenen Frauen zusammen kommen, um diesem Mann "die Meinung" gebührend "erteilen" zu können?
Ich dachte an eine Aussage, die ich oft gehört habe: "Frauen gehen immer zu zweit für kleine Mädchen."
Grüße.
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Eduard,

ich hatte beim Lesen der Geschichte zwiespältige Gefühle.
Da ist ein Mann, wie man ihn in seiner dümmlichen Selbstgefälligkeit kaum noch überzogener darstellen kann. Daß ein solcher Blender auch noch in der Lage ist, Karriere zu machen, spricht obendrein für die Dämlichkeit seiner Vorgesetzten. Der Mann ist so sehr von sich überzeugt, daß er sich ganz sicher ist, mit solch einem Spruch, wie: "Bitte, Nadine, sei doch nicht so bitter! Wie heißt es so schön? Wahre Liebe stirbt nie! Warte mal ab, die Zeit heilt alle Wunden! Versteh doch! Ich konnte nicht anders! Ich bin eben so! Ich bin wie ich bin! Ich hab dir nie Versprechungen gemacht. Wir hatten beide unseren Spaß am Sex. Was Besseres als ich, konnte dir doch gar nicht passieren!" seine "abgelegte" Geliebte zurück gewinnen zu können.
Bei ihr, die einen sehr vernünftigen Eindruck macht, ist gerade dieser Spruch der Punkt auf's i, der ihr noch gefehlt zu haben scheint, um sich ganz von ihm zu befreien. Ich frage mich nur, war das überhaupt nötig? Wie kann eine halbwegs normal denkende und empfindende Frau überhaupt erst in die Fänge - ja, in den Bann eines solchen Mannes geraten, wenn ihr mehr an einer Beziehung liegt, als das bloße Ausleben von Sex.
"Außerdem will ich in der knappen Zeit, die wir haben, nur dich, deinen Körper - und das ganz!"
Solche Worte schrecken eine Frau, die zu l i e b e n bereit ist eher ab, als daß sie der Bindung förderlich wären.
Wie gesagt, der im Mittelteil beschriebene Schmerz um diesen Knaben war für mich schwer nachzuvollziehen.
Die Reaktion der Mutter: Nachvollziehbar ja. Wenn die ganze Geschichte ein wenig satirischer angelegt wäre, hätte sie in ihrer unnachgiebigen Art und der unfreiwilligen Komik ("Das liegt dann wohl in deinem Erbgut!") einen wirklich wesentlichen Part übernehmen können. Aber so halte ich sie fast schon für überflüssig.

Der Schluß ist grotesk, fast ein wenig unglaubwürdig, aber amüsant. Er paßt nur nicht so ganz zu der so bierernst ablaufenden Szene im Park. Ich glaube, der Stoff würde sich recht gut dazu eignen, ihn vom Anfang bis zum Ende mit einer gehörigen Portion Ironie bzw. mit satirischen Elementen zu würzen. Das Finale würde dann nicht nur Genugtuung, sondern auch ein Riesenvergnügen bereiten.

Gruß Ralph
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ach klara,

deinen in die Worte "Frauen gehen immer zu zweit für kleine Mädchen." gekleideten Vergleich fand ich zum Schießen. Völlig neu war mir jedoch, daß sie i m m e r auch gemeinsam zu großen Jungs gehen. :))

Gruß Ralph
 

Breimann

Mitglied
Ja,

lieber Ralph,
so sehe ich´s imzwischen auch. Ich wollte sie von Ironie nur so tropfen lassen, diese Geschichte, und habe es wohl nicht ganz hinbekommen. Die Anmerkungen und Hinweise sind sicher richtig.
Nur in einem Punkt muss ich widersprechen. Nadines gibt es tatsächlich so. Warum lassen sich Frauen in solche Abhängigkeit ziehen? Warum lassen sie sich prügeln, verspotten und geistig misshandeln? Warum kommen sie immer wieder zurück? Und manchmal genügt ein völlig unwichtiges Ereignis, um sie wach zu rütteln.
In Gesprächen mit manchen Frauen kommt eine eigentümliche, oft unverständliche Bindung zutage, die sie an einen Mann fesselt und nicht mehr rational reagieren lässt.
Aber ansonsten? Ja, es wird eine andere Version geben -später.
Liebe Grüße
eduard
 



 
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