Die Änderung

Markus Veith

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Die Änderung

Eines Tages beschloß ich, mich wirklich zu ändern. Immer wieder hatte ich es allen und jedem versprochen. Meiner Mutter und den Frauen, denen ich nach ihr hinterherlief. Meinem Chef und denen, für die ich wirklich arbeitete. Meinen Freunden und denen, die es gerne sein oder nicht mehr sein wollten. Sogar mir, oder zumindest dem, den ich nachts im dunklen Spiegel meines Fensters sehe.
Man verlangte von mir, mich ändern wollen zu müssen, damit ich anderen Mitmenschen wieder gefalle. Diese deckten meine Vorstellung makelloser Zeitgenossen noch weniger als das Bild, welches ich von mir hatte.
Der Gedanke tat schon ein bißchen weh. Denn im Grunde mochte ich mich ganz gut leiden. Jedoch war ich da anscheinend auch der einzige. Nein, nein, nein, sagten die Zeitgenossen mit gefletschten Zähnen, nein, also so geht das nun wirklich nicht weiter mit dir. Und sie schauten augenhernieden auf ihre Schuhspitzen und schüttelten mitleidig langsam ihr so sorgenvoll entgeistertes Haupt. Traurig, traurig, traurig.
Anfangs wirkte ich auf so etwas niederschlagend.
Bis mir mein Fernseher eines Tages die Neuigkeit verriet, daß Raider jetzt Twix hieße.
Und da dachte ich mir: Was ein Schokoriegel schafft, das dürfte doch auch für mich kein so großes Problem sein. Wo ich doch viel größer bin und, denke ich, auch irgendwie formvollendeter. Was dies betraf, hatte ich schon einen enormen Vorsprung.
Die Sache hatte nur einen Haken: Ich wußte gar nicht so recht, was ich eigentlich an mir ändern sollte. Wie ich mir anhören mußte, war ich im ganzen einfach nicht mehr zu ertragen. Aber was genau an mir machte mich unerträglich?
Ich entschied, mich strategisch zu ändern, klein anzufangen und erstmal nur langsam, Stück für Stück, den Hemdsärmel des Lebens auf links zu krempeln.
Ich begann damit, meine Fußnägel zu knipsen anstatt sie mit der Schere zu schneiden. Und was soll ich sagen: Ich bin begeistert. Ich habe es in dieser Tätigkeit bereits so weit gebracht, daß meine Zehen zwar gar nicht mehr zu heilen sind und rot durch meine Socken sickern, ich aber die Nagelsplitter auf einen Meter Entfernung zielsicher in eine Cola-Dose knipsen kann. Jawohl. Nur - bald ist nichts mehr zum Knipsen dran an den Füßen. Aber ich habe ja noch die Fingernägel. Schließlich muß ich auch in Übung bleiben.
Als nächstes ging ich dazu über, Sandseife statt Duschgel zu nehmen. Der Duft läßt zu wünschen übrig und die Schmerzen sind gering - auch an den empfindlichen Stellen. Da ich von Natur aus der sehr helle, blonde Hauttyp bin, fragt man mich nun des öfteren, ob ich im Urlaub gewesen sei.
Auch meine Ernährung habe ich umgestellt. Machen ja heute alle. Kennt man doch: Man ist, was man ißt. Ich nehme meinen Honig jetzt nur noch mit Tee zu mir. Und meinen Rum ebenfalls. Tee ist ja so gesund.
Ich lege auch keine mühsam abgehobelten Gouda-Späne mehr aufs Brot. Ich esse Schimmelkäse. Aus der Hand. Und Harzer. Dick mit Kräuterremoulade. Selbstverständlich ohne mir nachher die Finger abzuwaschen. Das ist kulturlos.
Ich gehe statt dessen in das feinste Kaufhaus am Platze. Der Snobismus darf ruhig über die Türschwelle wallen. Dritte Etage, Krawattenabteilung. Zweihundertsiebenundachtzig Mark und fünfundneunzig Pfennige. Die extravagantesten Stöffchen als Herren-Schlabberlätzchen. Man muß es genießen, feine Seide durch die Finger gleiten zu lassen. Mmmmmhhhhh. So lange, bis keine Fussel mehr an ihnen hängenbleiben. Nichts entfernt Harzer so feinfühlig und schonend wie Seide. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede. Die Entfernung aus jenen Kaufhäusern ist danach nicht mehr so feinfühlig. Darum genießen sie die schönen Augenblicke.
Ich schlafe nur noch in Stiefeln. Ich habe es vorher auch mit Birkenstocks versucht, aber in denen bekomme ich kalte Fersen. Außerdem trägt man die ja heute nicht mehr. Man sagte mir, man gehe in ihnen rechtslastig und davon bekäme man Haltungsschäden.
Fernsehen schaue ich auch nicht mehr. Ich setze mich jetzt viel lieber vor die Waschmaschine. Ich liebe es, ihr zuzusehen, wenn sie im Schleudergang vor wilder, rotierender Ekstase taumelt. Jeden Tag zehnmal Programm Vier für stark Verschmutztes.
Ich habe mir auch angewöhnt, kleine Kinder zu ärgern. Wenn sie da so unschuldig im Sandkasten spielen, - goldig - dann nehme ich mir einfach ein paar Minuten Zeit und nehme ihnen die Plastikschaufeln und Förmchen weg. Manchmal habe ich Pech und die größeren Kinder waren bereits vor mir da und mir bleibt nur, die eh schon plärrenden Kinder ein bißchen mit Sand zu bewerfen. Von den Größeren bleibe ich auch lieber weg. Die kennen schlimme Wörter und haben gar keine Ehrfurcht vor dem Alter.
Ich habe mir angewöhnt, stets einen Salzstreuer in der Tasche bei mir zu tragen. Falls ich auf meinem Weg mal eine Nacktschnecke treffe. Ich bepudere sie dann ein wenig; kleide sie ein in ein Gewand aus weißen Kristallen und schaue ihr zu, wie sie mir ihren Todestanz vorführt. Meistens bleibe ich aber nicht bis zum Schluß. Diese kleine, grüne Pfütze ist nicht mehr so schön anzusehen. Aber ich applaudiere ihr dann schon vorher.
Ich habe Gefallen daran gefunden, meinen Uhren die Zeit zu stehlen und ihnen dabei zuzusehen, wie sie stillstehen. Das gibt mir ein Gefühl von Schnelligkeit und Endlosigkeit. Ich habe sie einfach stehenlassen. - Zehn nach drei. Den ganzen Tag. Und zweimal am Tag treffe ich mich mit meiner Lieblingsuhr und feiere mit ihr die Sekunden, in denen sie hundertprozentig richtig geht.
Ich war noch nie ein großer Schreiber. Na ja, kaum. Aber jetzt schreibe ich die feurigsten Liebesbriefe. Die sind schön. Ich kann schöne Briefe schreiben. Hätte ich gar nicht gedacht. Am schönsten werden sie, wenn ich sie mit meinem eigenen Blut schreibe, das ich mir aus einem Löchlein drücke, welches ich mir mit einer Sicherheitsnadel - etwas anderes Spitzes hatte ich nicht da - in die Brust links neben dem Brustbein gepiekst habe.
Oh, der Onkel Doktor hat immer gesagt, ich hätte ein sehr gutes Heilfleisch. Das ist eine Tatsache, die ich leider nicht ändern kann. Aber so wächst es immer wieder zu. Immer wieder versiegt die rote Tintenquelle. Immer wieder. Und immer wieder steche ich die Stelle auf. Ich muß doch schreiben. Feurig sollen meine Briefe doch werden. Feurig rot. Blutrot. Blut aus meinem Innersten.
Wenn ich am nächsten Morgen erwache, sind meine Kerzenstummel heruntergebrannt. Ich nehme das gefüllte Kuvert, über dem ich eingeschlafen bin. Ich verschicke es. - An mich selbst. Dann bekomme ich ihn gleich am folgenden Tag.
Ich schaue dann auf ihn herab, wie er blutbeschmiert in meiner Hand liegt. Aber ich lese ihn nicht. O nein. Ich weiß doch, was drin steht. Ich werfe ihn an die Wand und lache. Doch wird es nie ein Frosch. Wie schade.
Nicht mal ein Prinz. Und dann trampel' ich auf ihm herum. Und ich zerreiße ihn zu kleinem, feinem, ganz, ganz niedlich zerfetztem, rot-weißem Geschnipsel.
Ich habe meine ganze Wohnung neu tapeziert. Weiße Rauhfaser. Überall. Und dann habe ich mir Wachsmalstifte gekauft und alles mit Weisheiten vollgekritzelt.
Ich rieche Pulverqualm! Ich höre es aus jedem Munde!
Mars regiert die Stunde!
Es gibt viel zu tun!
Da ist nix zu machen!
Avantgarde ist das französische Wort für Quatsch!
Einbauküchen sind spießig!
Nieder mit der Rechtschreib-Reform!
Anerkennung für Klotürenpoeten!
Sumsen ist Buper!
Schicken ist Fön!
MickyMouse for President!
Fadder Abraham alias William Shakespeare alias Charles Manson!
Kinder an die Macht!
Erdbeereis für alle!
Packt sie und zerhackt sie!
Alea iacta est!
Morituri te salutant!
Freiheit den Lemmingen!
Tod den Selbstmördern!
Banzai!!!!
Und heute? Was war das noch heute? Ich fühlte mich heute so fertig. Wie man sich halt fertig fühlt. Ich stellte mich in die Einkaufszone und fing inbrünstig an zu schreien und anzuschreien.
"Mein Teppich ist fertig gewebt! Ich warte auf nix und niemanden mehr! Meine Odyssee hat ein Happy-Ende! Nehmt mich so, wie ich jetzt bin. Ich bin der neue Prototyp! Ich bin der Homo sapiens sapiens Periode drei. Ich bin vollendet. Und jetzt fesselt den Barden! Schenkt Cola aus Karaffen! Und meine Feuertaufe mag beginnen!!!!!
Und dann kam so einer auf mich zu
zupfte mir am Ohrläppchen
zog meine Oberlippe über die Zähne
und murmelte anerkennend so etwas wie: "Prachtbürschlein."
und "Ich nehm' ihn."
 
P

pirx

Gast
Hallo Markus,
auch diese Geschichte gefällt mir ausgezeichnet. Daß der Raider heute Twix heißt, habe ich immer noch nicht verkraftet. Gute Idee, das als Aufhänger für die Story zu benutzen. Was ganz normal beginnt, wird immer irrer. Durch die vielen Absätze zum Schluß nimmt die Geschichte unheimlich an Tempo zu. Man liest immer schneller und schneller und schneller und alles beginnt sich wie ein Karussel zu drehen. Wirklich gut!
 

Markus Veith

Mitglied
Vielen Dank! Wenn dir der Stil wirklich gefällt, schau doch mal bei den Geschichten unter "Erzählungen" rein. Bin gespannt auf deine Kritik bei diesen Texten.
 



 
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