Die äußerst unvergessliche Feier

Hagen

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Die äußerst unvergessliche Feier

Ein knappes Jahr nachdem Fräulein Sieglinde Liebeneiner bei Rolf Röhricht, dem Klempnermeister zu Haselünne, eingezogen war, beschlossen die Beiden dieses Ereignis gebührend zu feiern. Es sollte eine Feier werden, welche man in Haselünne nicht so schnell vergessen sollte. Gar manchen Abend saßen Sieglinde und Rolf nach einem ordentlichen Tagewerk traulich bei einem Glas Wein zusammen, kraulten die Katze Klytaimnestra, die ihnen zugelaufen war und beschlossen hatte bei Sieglinde zu bleiben, und überlegten, wie sie ihren ersten Jahrestag zu einem unvergesslichen Ereignis machen könnten.
Den Grund, warum man sich dazu entschloss, eine Fischplatte zu servieren, ist ebenso ungeklärt wie die Umstände, die zum Tod von Jimmy Hendrix geführt hatten. Sei es, dass die Fischbrötchen auf dem einige Zeit zurückliegenden Kirmes den beiden gar wohl gemundet hatten, sei es, dass Klytaimnestra bisweilen an dem Dorfteich anzutreffen war, wo sie den Goldschleien, Rotfedern, Barben und Shubunkins begehrliche Blicke zuwarf, oder ob Sieglinde sich einiger Fischrezepte erinnerte, von denen ihre selige Großmutter bei besonderen Gelegenheiten Gebrauch zu machen pflegte, oder ob Klytaimnestra die zündende Idee für eine Fischplatte lieferte, weil sie am entscheidenden Abend überraschend aufsprang, das Haus verließ und kurz darauf mit einer kleinen Rotfeder heimkehrte, welche sie Sieglinde zu Füßen legte, liegt noch heute im Dunkel der Haselünner Geschichte.
Wie dem auch sei, man entschloss sich, die Feier am folgenden Wochenende zu begehen; - und zwar in Rolfs Werkstatt. In dieser stand zwar noch die von seinem Kumpel Hendrik Hobelsam gefertigten Schaukel für den Maria Montessori-Spielplatz zu Haselünne, aber egal, bis zum Wochenende würden das Gerät auftragsgemäß installiert sein; - so die Planung. Alsbald wurden die Einladungen verschickt und die Vorbereitungen für die Feier, die unvergesslich bleiben sollte, in Angriff genommen.
Hendrik Hobelsam jedoch konnte die Schaukel noch nicht auf dem Maria Montessori-Spielplatz installieren, weil ihn ein plötzlich einsetzender Regenguss davon abhielt. Litt er doch, da er zu vergangenen Zeiten des Öfteren in der unbeheizten Werkstatt gearbeitet hatte, unter mächtigem Rheuma.
Sieglinde indes trieb die Vorbereitungen voran, sie stellte aus Soja- und Oystersauce, gelber Currypaste, Ingwer und selbstgezogenem Zitronengras einen Sud her. Für die Morchel-Champagner-Soße zog sie die Zwiebeln ab, würfelte und dünste sie in Butter glasig. Des Abends, als Rolf von der Arbeit heimkehrte, gab sie die Morcheln dazu, füllte das Ganze mit Sahne auf und ließ es eindicken. Nach dem Geschmack Rolfs gab sie Champagner dazu; - und der wünschte es nicht zu knapp. Da man gerade dabei war, leerte man noch eine Flasche Champagner und ging schlafen.
Am nächsten Morgen suchte Rolf den Großmarkt in der Stadt auf und kaufte die Fische. Viele Fische. Aale, Makrelen, Forellen, Lachs, Butterfisch, Schillerlocken, Saiblingfilet sowie Garnelen und Krabben der mannigfaltigsten Art wanderten in die Einkaufskörbe und Rolf fuhr heiteren Gemütes heimwärts.
Am Morgen des Tages, an dem die Feier stattfinden sollte, tauchte Sieglinde die Garnelen in die vorbereitete Morchel-Champagner-Soße, wälzte sie in Kokosflocken und briet sie derart, dass Rolf bereits beim bloßen Anblick das Wasser Munde zusammen lief.
Die Fische wurden noch hübsch und ansehnlich auf einer Platte aus Delfter Porzellan mit selbstgezogener Petersilie, Tomaten und mancherlei Gemüse aus dem Gärtchen drapiert und im Wohnzimmer bereit gestellt.
Als Sieglinde noch dabei war, eine Cocktailsauce aus Mayonnaise, Tomatenmark, Ahornsirup, Tabasco und Cognac herzustellen, erschienen bereits die ersten Gäste: Des Klempnermeisters Exgattin Luise nebst ihrem Gesangslehrer Luciano Permanentsopran, die Sieglinde auch eingeladen hatte um sie mal kennenzulernen.
Rolf Röhricht schlug daraufhin ganz spontan vor, sein Piano Forte aus dem Wohnzimmer in die Werkstatt, in der die Feier absolviert werden sollte, zu verbringen, da seine Exgattin zur kulturellen Bereicherung der Festivität einige Chansons eingeübt hatte, welche Klavierbegleitung von Luciano Permanentsopran benötigten.
Der Vorschlag wurde mit Begeisterung aufgenommen und die Herren transportierten die Schaukel aus und das Piano Forte in die Werkstatt, begleitet von Frau Luise, die gute Ratschläge gab. Sieglinde indes füllte zwischenzeitlich die Cocktailsauce in mehrere kleine Schälchen und trug sie ins Wohnzimmer. Dort wurde sie Klytaimnestras ansichtig, die auf der Fischplatte saß und sich an den Makrelen, Forellen, Lachsen und Butterfischen gütlich tat.
Während Sieglinde die Katze raus schmiss, fällte sie die folgenschwere Entscheidung, den Kollateralschaden auf der Fischplatte sorgsam mit Garnitur zu kaschieren und das von ihr kreierte Arrangement aus Edelfischen mit stolzem Lächeln zu kredenzen.
Also geschah es während die anderen Gäste fröhlichen Gemütes eintrafen. Nach dem Aperitif, einem fruchtigen Tequila Sunrise, machte man sich über die Fischplatte her und des Klempners Exgattin brachte mit Begleitung von Luciano Permanentsopran aus dem Forellenquintett von Franz Schubert, passend zu dem Fischarrangement, ‘Die launische Forelle‘ zu Gehör. Da sie gerade dabei war, intonierte sie noch ‘Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da‘, was zur Folge hatte, dass die Gäste die Werkstatt fluchtartig verließen um sich erneut über die Fischplatte herzumachen. Für Luise verblieben nur noch einige Garnelen in Morchel-Champagner-Soße auf der Platte, die sie mit Genuss zu sich nahm, während Rolfs Kumpel Doktor Jodstein bereits mit der Gattin des Bürgermeisters Jitterbug tanzte.
Nachdem der Applaus verklungen war, eskalierte die Feier dahingehend, dass die Schaukel, die für den Maria Montessori-Spielplatz vorgesehen war, im Garten von Sieglinde und Rolf einer praxisgerechten Prüfung unterzogen wurde, während der Bürgermeister Haselünnes anschließend höchstpersönlich mit Klavierbegleitung Luciano Permanentsoprans ‘Komm auf die Schaukel Luise‘ intonierte. Rolfs Exfrau Luise kam dieser Aufforderung gerne nach und ließ ihren Gesangslehrer schnöde im Stich.
Ein weiterer kultureller Höhepunkt dieser Feier war ein klassischer Schleiertanz, dargeboten von Sieglindes Freundin, der Jogalehrerin Adele Abendschön, der Sieglinde vor jedem Jogaunterricht die Fußnägel geschnitten und frisch lackiert hatte.
Bevor man sich zum Csárdás aufstellte, traten einige der anwesenden Herren mit Cognacschwenkern in den Händen vor die Tür des Hauses um eine Zigarre zu rauchen und sich gegenseitig zu versichern, dass es sich bei dieser um eine äußerst gelungene Feier handelt.
Als diese Herren in ebenso heiterer wie behaglicher Gemütslage den Cognac im Schwenker kreisen ließen, wurden sie der toten Katze ansichtig, die vor den Haus lag.
Die tote Katze wurde als Leichnam Klytaimnestras identifiziert, und die Aufregung war groß, zumal Sieglinde ein umfassendes Geständnis darüber ablegte, dass Klytaimnestra kurz vor Eintreffen der Gäste von der Fischplatte genascht hatte.
Adele Abendschön vermutete, dass die Fischplatte vergiftet worden war und drohte an, in Ohnmacht oder Schlimmeres zu fallen, sollten nicht sofort umfangreiche Rettungsmaßnamen eingeleitet werden. Dieser Ansicht schlossen sich die übrigen Gäste an, man alarmierte das Haselünner Krankenhaus und der Rettungswagen sowie der örtliche Taxifahrer, Bertram Bleifuss, hatten gut zu fahren, um die ganze Gesellschaft zum Magenauspumpen ins Hospital zu bringen.
Sehr zur Freude von Bertram Bleifuss konnte die ganze Gesellschaft nach einigen Stunden blutdruckstabil und heiteren Gemütes wieder nach Hause geschickt werden. Wie der Kapitän das sinkende Schiff zuletzt verlässt, kehrten auch Sieglinde und Rolf als Letzte in etwas gedämpfter Gemütslage zu ihrer Behausung zurück, wo der Leichnam Klytaimnestras noch immer vor der Tür lag. Erst jetzt bemerkten sie den Zettel unter der Katze, welcher in der Aufregung übersehen worden war:
Tut mir leid. Ich hab Ihre Katze überfahren, als sie über die Straße gegangen ist!
stand dort geschrieben. Die Unterschrift war jedoch unleserlich.
Um dieser Geschichte doch noch etwas positives abzugewinnen, sei erwähnt, dass das Rheuma Hendrik Hobelsams nach eigener Formulierung ‘wie aus dem Fenster geschmissen ist‘, seit er das Fell Klytaimnestras um den Leib geschnallt trägt.
Zu Denken gibt indes, dass Luise Röhricht nach jener denkwürdigen Feier ein starker Damenbart wuchs, was sie auf den Verzehr der Garnelen in Morchel-Champagner-Soße zurückführte.
 



 
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