Lord Nelson
Mitglied
Die Autopilotin
??Ich lehnte mich bequem zurück, sog die Luft ein und genoss den herben Duft des neuen Leders. Natürlich war das nicht mein erster Benz, doch dieses Luxusmodell war etwas ganz Besonderes. Als gut verdienender Vielfahrer hatte ich mich unbesehen für die volle Premiumausstattung entschieden und war schon gespannt, was dieses Geschoss elektronisch so draufhatte.
?Ich drückte auf den Startknopf. Der Wagen erwachte zum Leben. Das verhaltene und doch kraftvolle Bollern des 612-PS-Motors ließ mein Herz höher schlagen. Im gleißenden Licht der Scheinwerfer wirbelten erste Schneeflöckchen. Ein überbreites Display fuhr leise summend aus einem unauffälligen Schlitz oberhalb der Mittelkonsole. Das Naviprogramm war bereits aktiv und wartete auf Anweisungen. Meine Fahrziele hatte ich zuvor schon eingespielt, die Namen dazu erfasst und die Bedienung auf Spracheingabe umgestellt. “Kronmeier”, befahl ich lässig. Ich freute mich auf die lange Fahrt zu diesem Kunden.
“Bitte schnallen Sie sich an.” Diese Stimme, fast gehaucht und doch warm und melodisch, zog mich sofort in ihren Bann. Fasziniert lauschte ich ihrem Klang nach. “Bitte”, wiederholte sie mit Nachdruck, “Schnallen Sie sich an!” ?
“Aber mit Vergnügen doch”, entgegnete ich galant und folgte ihrer Anweisung. Auf der Autobahn übermannte mich die Ungeduld. Obwohl mir die Geschwindigkeitsbegrenzung bekannt war, senkte ich den Fuß aufs Gaspedal. Der Wagen ging ab wie eine Rakete. Die Beschleunigung presste mich ins Leder. Die kraftvolle Musik des Motors berauschte mich geradezu.?
“Bitte drosseln Sie die Geschwindigkeit auf 80 km/h”, forderte die Stimme da, durchdringend jetzt und sehr, sehr bestimmt. Ich linste auf das Display und stutzte. Die Anzeige der Straßenkarte war einem Augenpaar gewichen, welches mich streng fixierte.
?“Ja doch”, murmelte ich, richtete meinen Blick wieder auf die Autobahn und ging vom Gas. Schnell schaute ich noch einmal aufs Display. Die Augen waren noch da. Nun, da ich mich gefügt hatte, war der strenge Ausdruck aus ihnen gewichen. Ich konnte meinen Blick kaum lösen. Sie waren grün, von verwirrender Lebendigkeit und unergründlicher Tiefe. Als hätten sie meinen prüfenden Blick gespürt, wurden die Augen immer durchscheinender, so dass bald wieder die Straßenkarte zu sehen war. Bald hatte ich freie Fahrt und durfte endlich das Gaspedal bis zum Anschlag durchdrücken - was ich unbesorgt tun konnte, denn dieser Wagen war absolut sicher. Selbst wenn ich bei voller Fahrt gegen eine Betonwand knallen sollte, würde ich - so der Verkäufer - kaum einen Kratzer davontragen. ?
Wieder ertönte die wohlmodulierte Stimme. “Ein Stau befindet sich fünf Kilometer voraus. Bitte fahren Sie bei der nächsten Ausfahrt ab.”
?Ich war begeistert. Endlich mal ein System, das einen Stau rechtzeitig voraussagte, noch ehe man von zähem Verkehr behindert wurde und gar nicht mehr ausweichen konnte. ?
Die dünne Schneeschicht war stellenweise heimtückisch glatt. Die immer enger werdende Kurve der Ausfahrt brachte mich ein klein wenig in Bedrängnis, was vielleicht auch an meiner Geschwindigkeit liegen mochte. Schlingernd bog ich in die Landstraße ein. “Haben Sie getrunken?”, fragte die Navifee. ?
“Wie jetzt, getrunken?” Sie konnte doch wohl nicht die lächerlichen paar Bierchen meinen. “Ach so. Äh. Ja... schon.” Ich hatte mich durch die unerwartete Frage überrumpeln lassen, und das ärgerte mich. “Was gehts dich an, Tussi”, blaffte ich sie an. ?
Sie antwortete ungerührt und gar nicht unfreundlich: “Okay, wir können uns ruhig duzen. Mein Name ist Lena.”
?“Angenehm, David”, murmelte ich wider Willen.
?Lena ließ nicht locker. “Was hast du getrunken, David?”
?In mir kochte Zorn hoch. Ich musste klare Verhältnisse schaffen. “Sieh genau her, Lena”, sagte ich also mit gefährlicher Ruhe. Ich löste den Sicherheitsgurt, beugte mich vor und öffnete das Handschuhfach. Ohne den Blick von der Straße zu wenden, holte ich meinen Designer-Flachmann heraus, der mich auf jeder Fahrt begleitete. Routiniert schraubte ich das Deckelchen mit einer Hand ab und nahm einen tiefen Zug aus der Flasche. “Aaaaaaaah”, sagte ich, “auch einen?” ?
Was konnte Lena schon dagegen machen. Sie schwieg. Ich lachte erleichtert auf. Ich muss gestehen, für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich befürchtet, in meinem eigenen Auto von einer Kamera beobachtet zu werden. So ein Blödsinn. Natürlich gab es keine Kamera. Die gute Lena hatte ja nicht einmal bemerkt, dass ich mich aus Bequemlichkeit nicht wieder angeschnallt hatte. Doch da ertönte ihre Stimme, weich und scheinbar aufrichtig bedauernd: “Es tut mir leid, David. Die Analysen von Kameraaufzeichnungen und Raumluft ergaben, dass du hochprozentigen Alkohol getrunken hast. Während der Fahrt! Ich kann leider nicht umhin, dir die Kontrolle über das Fahrzeug zu entziehen.” ?
“Kann leider nicht umhin”, wiederholte ich belustigt. Wer sprach denn heute noch so? Während ich den Sinn ihrer Worte zu begreifen versuchte, merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Pedale und Lenkrad bewegten sich auf einmal wie von Geisterhand gesteuert. “Wie?”, fragte ich verdutzt, “Was?”
?“Tja”, sagte Lena. Selbst unter Aufbietung all meiner Kräfte vermochte ich den Wagen keinen Millimeter von der vorprogrammierten Route abzubringen.
“Erstaunlich”, sagte ich. Ich war so überrascht, dass ich überhaupt nicht dazu kam, mich zu ärgern. Ich hatte wirklich nicht die leiseste Ahnung gehabt, dass der volle Umfang des Premiumpakets auch eine Fahrautomatik beinhaltete. War das nicht eigentlich super? ?
“Nimm es nicht schwer”, tröstete mich Lena. “Bei Beginn der nächsten Fahrt hast du die Gelegenheit, deine Fahrtüchtigkeit durch eine Atemluftanalyse nachzuweisen.”
?“Nein, ist schon gut Lena”, brummte ich matt und lehnte mich zurück. ?
Unbeteiligt sah ich zu, wie Heerscharen dicker Schneeflocken gegen die Scheibe trieben, wo sie von den träge hin und her wedelnden Scheibenwischern lautlos beiseite gewischt wurden. Die weiter vorne vom Licht der Scheinwerfer erfassten Flocken bildeten zwei wirbelnde Strudel, die auf mich eine geradezu hypnotische Wirkung ausübten. Wir waren schnell. Schnelles Fahren im Schneegestöber erforderte meiner Erfahrung nach äußerste Konzentration, und so genoss ich es direkt, mich bei dieser Witterung chauffieren zu lassen. ?
“Du fährst gut”, zollte ich Lena wohlwollend Respekt. “Für eine Frau”, dachte ich, aber das sagte ich nicht. Plötzlich war ich ganz schön müde. Das alles war zu viel für mich. Ich sollte nicht andauernd trinken, sinnierte ich und beäugte den Flachmann. Ich nahm ihn vom Beifahrersitz und leerte ihn mit einigen kräftigen Zügen. Der Schnaps verursachte ein Gefühl prickelnder Wärme in meiner Kehle, und überhaupt war es behaglich warm im Wagen. Ich nickte allmählich weg und schreckte erst wieder hoch, als der Benz langsamer wurde.
Ein intensives Gefühl verdichtete sich noch. “Ich glaube, wir sind gleich da”, fasste ich es halblaut in Worte, während mein Blick das dichte Schneegestöber zu durchdringen versuchte. Der Wagen näherte sich einem selbst im Schneetreiben noch deutlich erkennbaren “Vorfahrt achten”-Schild und fuhr im Schritttempo auf die Vorfahrtstraße zu. ?
Ich erkannte die Kreuzung auf Anhieb. Seit dem Vorfall damals hatte ich es strikt vermieden, je wieder in die Nähe zu kommen. “Siehst du das Kreuz?”, fragte Lena. Ich nickte langsam. Ich sah es, ebenso wie die frischen Rosen, die im kalten Scheinwerferlicht blutrot unter einer dünnen Schneehaube herausleuchteten. “Hier ist es passiert”, sagte sie, und die tiefe Traurigkeit in ihrer Stimme griff mir ans Herz. Es dauerte ein wenig, bis sie weitersprach. “Er war mit dem Roller unterwegs. Er hatte Vorfahrt. Dann kam dieser betrunkene Idiot viel zu schnell um die Kurve ...” Sie stockte. Ihre Augen waren gerötet. “Verstehst du?” Ich nickte noch einmal. Ich verstand. Ich schwieg. Was hätte ich auch sagen sollen. Es tat mir unendlich leid, aber das machte es nicht ungeschehen. ?
Der Motor heulte böse auf. Etwas beschäftigte mich. “Warte noch”, sagte ich. ?
“Was?”, fragte sie.
?“Es gab gar keinen Stau, stimmt’s?” ?
“Stimmt”, sagte sie. In ihrer Stimme klang eine neue, eine schneidende Kälte mit. Das Display begann zu flackern und erlosch in einer eisigen Endgültigkeit, die mein Blut gefrieren ließ. Der Wagen gab ein furchterregendes Brüllen von sich und beschleunigte mit der geballten Kraft seiner 612 PS. Das letzte, was ich sah, war seltsamerweise nicht der graue Beton des Brückenpfeilers, der von ferne immer schneller auf mich zuraste. Nein, es war eine kleine, rot blinkende Schrift am unteren Rand der Armaturen, von der ich den Blick nicht mehr lösen konnte.
?“Ich sollte mich besser anschnallen”, überlegte ein nüchterner kleiner Rest von mir in heller Panik, während der winzige Schriftzug “Airbag außer Betrieb” bis zum Aufprall unbarmherzig weiterblinkte.
??Ich lehnte mich bequem zurück, sog die Luft ein und genoss den herben Duft des neuen Leders. Natürlich war das nicht mein erster Benz, doch dieses Luxusmodell war etwas ganz Besonderes. Als gut verdienender Vielfahrer hatte ich mich unbesehen für die volle Premiumausstattung entschieden und war schon gespannt, was dieses Geschoss elektronisch so draufhatte.
?Ich drückte auf den Startknopf. Der Wagen erwachte zum Leben. Das verhaltene und doch kraftvolle Bollern des 612-PS-Motors ließ mein Herz höher schlagen. Im gleißenden Licht der Scheinwerfer wirbelten erste Schneeflöckchen. Ein überbreites Display fuhr leise summend aus einem unauffälligen Schlitz oberhalb der Mittelkonsole. Das Naviprogramm war bereits aktiv und wartete auf Anweisungen. Meine Fahrziele hatte ich zuvor schon eingespielt, die Namen dazu erfasst und die Bedienung auf Spracheingabe umgestellt. “Kronmeier”, befahl ich lässig. Ich freute mich auf die lange Fahrt zu diesem Kunden.
“Bitte schnallen Sie sich an.” Diese Stimme, fast gehaucht und doch warm und melodisch, zog mich sofort in ihren Bann. Fasziniert lauschte ich ihrem Klang nach. “Bitte”, wiederholte sie mit Nachdruck, “Schnallen Sie sich an!” ?
“Aber mit Vergnügen doch”, entgegnete ich galant und folgte ihrer Anweisung. Auf der Autobahn übermannte mich die Ungeduld. Obwohl mir die Geschwindigkeitsbegrenzung bekannt war, senkte ich den Fuß aufs Gaspedal. Der Wagen ging ab wie eine Rakete. Die Beschleunigung presste mich ins Leder. Die kraftvolle Musik des Motors berauschte mich geradezu.?
“Bitte drosseln Sie die Geschwindigkeit auf 80 km/h”, forderte die Stimme da, durchdringend jetzt und sehr, sehr bestimmt. Ich linste auf das Display und stutzte. Die Anzeige der Straßenkarte war einem Augenpaar gewichen, welches mich streng fixierte.
?“Ja doch”, murmelte ich, richtete meinen Blick wieder auf die Autobahn und ging vom Gas. Schnell schaute ich noch einmal aufs Display. Die Augen waren noch da. Nun, da ich mich gefügt hatte, war der strenge Ausdruck aus ihnen gewichen. Ich konnte meinen Blick kaum lösen. Sie waren grün, von verwirrender Lebendigkeit und unergründlicher Tiefe. Als hätten sie meinen prüfenden Blick gespürt, wurden die Augen immer durchscheinender, so dass bald wieder die Straßenkarte zu sehen war. Bald hatte ich freie Fahrt und durfte endlich das Gaspedal bis zum Anschlag durchdrücken - was ich unbesorgt tun konnte, denn dieser Wagen war absolut sicher. Selbst wenn ich bei voller Fahrt gegen eine Betonwand knallen sollte, würde ich - so der Verkäufer - kaum einen Kratzer davontragen. ?
Wieder ertönte die wohlmodulierte Stimme. “Ein Stau befindet sich fünf Kilometer voraus. Bitte fahren Sie bei der nächsten Ausfahrt ab.”
?Ich war begeistert. Endlich mal ein System, das einen Stau rechtzeitig voraussagte, noch ehe man von zähem Verkehr behindert wurde und gar nicht mehr ausweichen konnte. ?
Die dünne Schneeschicht war stellenweise heimtückisch glatt. Die immer enger werdende Kurve der Ausfahrt brachte mich ein klein wenig in Bedrängnis, was vielleicht auch an meiner Geschwindigkeit liegen mochte. Schlingernd bog ich in die Landstraße ein. “Haben Sie getrunken?”, fragte die Navifee. ?
“Wie jetzt, getrunken?” Sie konnte doch wohl nicht die lächerlichen paar Bierchen meinen. “Ach so. Äh. Ja... schon.” Ich hatte mich durch die unerwartete Frage überrumpeln lassen, und das ärgerte mich. “Was gehts dich an, Tussi”, blaffte ich sie an. ?
Sie antwortete ungerührt und gar nicht unfreundlich: “Okay, wir können uns ruhig duzen. Mein Name ist Lena.”
?“Angenehm, David”, murmelte ich wider Willen.
?Lena ließ nicht locker. “Was hast du getrunken, David?”
?In mir kochte Zorn hoch. Ich musste klare Verhältnisse schaffen. “Sieh genau her, Lena”, sagte ich also mit gefährlicher Ruhe. Ich löste den Sicherheitsgurt, beugte mich vor und öffnete das Handschuhfach. Ohne den Blick von der Straße zu wenden, holte ich meinen Designer-Flachmann heraus, der mich auf jeder Fahrt begleitete. Routiniert schraubte ich das Deckelchen mit einer Hand ab und nahm einen tiefen Zug aus der Flasche. “Aaaaaaaah”, sagte ich, “auch einen?” ?
Was konnte Lena schon dagegen machen. Sie schwieg. Ich lachte erleichtert auf. Ich muss gestehen, für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich befürchtet, in meinem eigenen Auto von einer Kamera beobachtet zu werden. So ein Blödsinn. Natürlich gab es keine Kamera. Die gute Lena hatte ja nicht einmal bemerkt, dass ich mich aus Bequemlichkeit nicht wieder angeschnallt hatte. Doch da ertönte ihre Stimme, weich und scheinbar aufrichtig bedauernd: “Es tut mir leid, David. Die Analysen von Kameraaufzeichnungen und Raumluft ergaben, dass du hochprozentigen Alkohol getrunken hast. Während der Fahrt! Ich kann leider nicht umhin, dir die Kontrolle über das Fahrzeug zu entziehen.” ?
“Kann leider nicht umhin”, wiederholte ich belustigt. Wer sprach denn heute noch so? Während ich den Sinn ihrer Worte zu begreifen versuchte, merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Pedale und Lenkrad bewegten sich auf einmal wie von Geisterhand gesteuert. “Wie?”, fragte ich verdutzt, “Was?”
?“Tja”, sagte Lena. Selbst unter Aufbietung all meiner Kräfte vermochte ich den Wagen keinen Millimeter von der vorprogrammierten Route abzubringen.
“Erstaunlich”, sagte ich. Ich war so überrascht, dass ich überhaupt nicht dazu kam, mich zu ärgern. Ich hatte wirklich nicht die leiseste Ahnung gehabt, dass der volle Umfang des Premiumpakets auch eine Fahrautomatik beinhaltete. War das nicht eigentlich super? ?
“Nimm es nicht schwer”, tröstete mich Lena. “Bei Beginn der nächsten Fahrt hast du die Gelegenheit, deine Fahrtüchtigkeit durch eine Atemluftanalyse nachzuweisen.”
?“Nein, ist schon gut Lena”, brummte ich matt und lehnte mich zurück. ?
Unbeteiligt sah ich zu, wie Heerscharen dicker Schneeflocken gegen die Scheibe trieben, wo sie von den träge hin und her wedelnden Scheibenwischern lautlos beiseite gewischt wurden. Die weiter vorne vom Licht der Scheinwerfer erfassten Flocken bildeten zwei wirbelnde Strudel, die auf mich eine geradezu hypnotische Wirkung ausübten. Wir waren schnell. Schnelles Fahren im Schneegestöber erforderte meiner Erfahrung nach äußerste Konzentration, und so genoss ich es direkt, mich bei dieser Witterung chauffieren zu lassen. ?
“Du fährst gut”, zollte ich Lena wohlwollend Respekt. “Für eine Frau”, dachte ich, aber das sagte ich nicht. Plötzlich war ich ganz schön müde. Das alles war zu viel für mich. Ich sollte nicht andauernd trinken, sinnierte ich und beäugte den Flachmann. Ich nahm ihn vom Beifahrersitz und leerte ihn mit einigen kräftigen Zügen. Der Schnaps verursachte ein Gefühl prickelnder Wärme in meiner Kehle, und überhaupt war es behaglich warm im Wagen. Ich nickte allmählich weg und schreckte erst wieder hoch, als der Benz langsamer wurde.
Ein intensives Gefühl verdichtete sich noch. “Ich glaube, wir sind gleich da”, fasste ich es halblaut in Worte, während mein Blick das dichte Schneegestöber zu durchdringen versuchte. Der Wagen näherte sich einem selbst im Schneetreiben noch deutlich erkennbaren “Vorfahrt achten”-Schild und fuhr im Schritttempo auf die Vorfahrtstraße zu. ?
Ich erkannte die Kreuzung auf Anhieb. Seit dem Vorfall damals hatte ich es strikt vermieden, je wieder in die Nähe zu kommen. “Siehst du das Kreuz?”, fragte Lena. Ich nickte langsam. Ich sah es, ebenso wie die frischen Rosen, die im kalten Scheinwerferlicht blutrot unter einer dünnen Schneehaube herausleuchteten. “Hier ist es passiert”, sagte sie, und die tiefe Traurigkeit in ihrer Stimme griff mir ans Herz. Es dauerte ein wenig, bis sie weitersprach. “Er war mit dem Roller unterwegs. Er hatte Vorfahrt. Dann kam dieser betrunkene Idiot viel zu schnell um die Kurve ...” Sie stockte. Ihre Augen waren gerötet. “Verstehst du?” Ich nickte noch einmal. Ich verstand. Ich schwieg. Was hätte ich auch sagen sollen. Es tat mir unendlich leid, aber das machte es nicht ungeschehen. ?
Der Motor heulte böse auf. Etwas beschäftigte mich. “Warte noch”, sagte ich. ?
“Was?”, fragte sie.
?“Es gab gar keinen Stau, stimmt’s?” ?
“Stimmt”, sagte sie. In ihrer Stimme klang eine neue, eine schneidende Kälte mit. Das Display begann zu flackern und erlosch in einer eisigen Endgültigkeit, die mein Blut gefrieren ließ. Der Wagen gab ein furchterregendes Brüllen von sich und beschleunigte mit der geballten Kraft seiner 612 PS. Das letzte, was ich sah, war seltsamerweise nicht der graue Beton des Brückenpfeilers, der von ferne immer schneller auf mich zuraste. Nein, es war eine kleine, rot blinkende Schrift am unteren Rand der Armaturen, von der ich den Blick nicht mehr lösen konnte.
?“Ich sollte mich besser anschnallen”, überlegte ein nüchterner kleiner Rest von mir in heller Panik, während der winzige Schriftzug “Airbag außer Betrieb” bis zum Aufprall unbarmherzig weiterblinkte.