Es war schon meine zweite Flasche Wodka heute Morgen. Zu betrunken um sie noch schamvoll zu verstecken, prostete ich demonstrativ den Passanten zu, die einen weiten Bogen um mein Bänkchen im Park vor dem Krankenhaus machten und mich mit entsetzten Gesichtern anstarrten.
Früh war ich aufgebrochen. Die Tankstellenangestellte, die ab 6:00 morgens wieder Alkohol verkaufte, kannte mich ja schon, kassierte mit mitleidigem Blick und warf mir ein obligatorisches „Schönen Tag auch“ hinterher.
Nach dem ersten tiefen Schluck ging es mir besser. Das Zittern hörte auf und die Feinmotorik von Hände und Füßen kehrte soweit zurück, dass ich mich wieder einigermaßen unauffällig fortbewegen konnte.
Fünf Kilometer waren es zu Fuß bis zu meiner Wohnung. Natürlich zu Fuß! Mein Führerschein war schon lange in der Obhut von Behörden, das Auto stand abgemeldet in der Garage, das Fahrrad hatte mir jemand im Suff geklaut und eine Fahrkarte für den Nahverkehr hätte ja so viel wie eine Flasche Schnaps gekostet. Dann doch lieber zu Fuß auf den Rückmarsch machen und in stillen Winkeln heimlich an der Flasche ziehen. Das Laufen ging anfangs noch recht gut und ich kam zügig voran. Mit leerer werdender Flasche allerdings ließ auch meine Kondition nach. Öfters mal musste ich mich auf ein Mäuerchen oder eine Parkbank setzen.
Das Krankenhaus war etwa einen Kilometer von meiner Wohnung entfernt und immer mein letzter Rastplatz vor dem Endspurt in die eigenen vier Wände. Ich kannte den gepflegten Garten von früheren Abstürzen her recht gut und wusste, dass es dort ein sonniges und dennoch einigermaßen verstecktes Plätzchen auf einer Bank gab.
Da saß ich nun also und kämpfte gegen die aufkommende Müdigkeit. „Nur nicht hinlegen“ sagte ich mir immer wieder. Schon einmal hatten mich die Stadtpolizisten dort beim Schlafen erwischt und mich in eine Ausnüchterungszelle gesperrt. Gut, dort kann man auch schlafen, hat aber am nächsten Morgen bis zur Entlassung immer mit schrecklichen Entzugserscheinungen zu kämpfen.
Es kam aber, wie es kommen musste: Mein Kopf sackte zur Seite und alsbald träumte ich von vergangenen guten Zeiten, ohne Sucht und Probleme, in geistiger und körperlicher Stärke und stets erfolgsverwöhnt.
Jemand rüttelte mich an der Schulter. „Jetzt ist es wieder so weit“, dachte ich bei mir. „Wieder erwischt und ab in die Zelle“. Langsam schlug ich die Augen auf und überlegte mir schon, was ich den freundlichen Beamten diesmal für ein Märchen erzählen könnte.
„Junger Mann, sind sie müde?“ Neben mir saß eine alte Dame. Klapperdürr und mit Sonnenhut. Ihre gütigen Augen, die mich anlächelten, lagen in einem faltigen Gesicht und ihre knöchernen Hände schlossen sich um meinen Arm, der immer noch die Wodkaflasche hielt.
„Oh, ich muss wohl etwas eingenickt sein. Ich bin auf dem Weg nach Hause und habe hier ein kleines Päuschen gemacht“, antwortete ich und gab mir Mühe aufrecht sitzen zu bleiben. „Kein Wunder, bei diesem Schlaftrunk!“
Sie nahm mir mit einem gütigen Lächeln den Schnaps aus der Hand und entleerte ihn neben der Bank. Dann warf sie die leere Flasche in den Müllcontainer und setzte sich wieder zu mir. Unter anderen Umständen hätte ich jetzt rebelliert und um mein Lebenselexier gerungen. Irgendetwas ließ mich jedoch nur paralysiert dabei zuschauen und eine Gegenwehr im Keim ersticken. Auf eine Standpauke, auf Vorwürfe und guten Ratschläge wartend, hörte ich der alten Dame zu. Nichts dergleichen. Sie erzählte mir, wie sie oftmals hier als kleines Mädchen und später als Frau und Mutter auf diesem Bänkchen gesessen und die Sonnenstrahlen genießend, die Enten auf der Wiese beobachtet hatte. Sie erzählte, wie sie hier ihren Ehemann kennengelernt und später den Kinderwagen neben der Bank geparkt hatte, während sie sich ausruhte.
Nach einer Weile stand sie auf, zog mich hoch, hakte sich bei mir unter und führte mich die paar Schritte hin zur Rezeption des Krankenhauses.
„Der junge Mann, mein Neffe, ist arg müde“, teilte sie der Dame hinter dem Tresen mit einem verschmitzten Lächeln mit. „Ich heiße Käthe Bögel und wohne hier in der Beethovenstraße 5. Nehmen sie ihn doch in ihre Obhut bis er wieder fit ist“.
Es kam, wie es kommen musste: Zuerst ein Arzt, dann drei Tage Entgiftung und danach noch ein stationärer zweiwöchentlicher Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung. Als geheilt und wieder vorzeigbar wurde ich auf eigenen Wunsch vorzeitig entlassen und kehrte in meine Heimatstadt zurück.
„Das war jetzt aber das letzte mal“, dachte ich bei mir. „Noch so einen Trip und es ist endgültig aus mit dir! Der alten Dame solltest du dankbar sein – nein besser: Bedank dich persönlich bei ihr“
Ich kaufte einen Blumenstrauß und machte mich auf den Weg zu der Adresse, die ich mir an der Rezeption merkwürdigerweise klar und deutlich gemerkt hatte.
„Guten Tag, mein Name ist Stefan – ich würde gern mit Frau Käthe Bögel sprechen“, stellte ich mich an der Eingangstür vor. Der Mann mittleren Alters, der geöffnet hatte, musterte mich verständnislos: „Käthe Bögel ist meine Großmutter, sie ist aber schon vor zehn Jahren verschieden und liegt jetzt auf dem Waldfriedhof. Woher kennen Sie sie denn?“
„Um Himmels willen! Vor zehn Jahren! Woran ist sie den gestorben?“ „Nun sie hatte in ihren letzten Jahren ein kleines Alkoholproblem. Die Ärzte im Krankenhaus konnten am Ende leider nichts mehr für sie tun“.
Er reichte mir ein Bild von ihr aus dem Flur. Ich brach zusammen.
Früh war ich aufgebrochen. Die Tankstellenangestellte, die ab 6:00 morgens wieder Alkohol verkaufte, kannte mich ja schon, kassierte mit mitleidigem Blick und warf mir ein obligatorisches „Schönen Tag auch“ hinterher.
Nach dem ersten tiefen Schluck ging es mir besser. Das Zittern hörte auf und die Feinmotorik von Hände und Füßen kehrte soweit zurück, dass ich mich wieder einigermaßen unauffällig fortbewegen konnte.
Fünf Kilometer waren es zu Fuß bis zu meiner Wohnung. Natürlich zu Fuß! Mein Führerschein war schon lange in der Obhut von Behörden, das Auto stand abgemeldet in der Garage, das Fahrrad hatte mir jemand im Suff geklaut und eine Fahrkarte für den Nahverkehr hätte ja so viel wie eine Flasche Schnaps gekostet. Dann doch lieber zu Fuß auf den Rückmarsch machen und in stillen Winkeln heimlich an der Flasche ziehen. Das Laufen ging anfangs noch recht gut und ich kam zügig voran. Mit leerer werdender Flasche allerdings ließ auch meine Kondition nach. Öfters mal musste ich mich auf ein Mäuerchen oder eine Parkbank setzen.
Das Krankenhaus war etwa einen Kilometer von meiner Wohnung entfernt und immer mein letzter Rastplatz vor dem Endspurt in die eigenen vier Wände. Ich kannte den gepflegten Garten von früheren Abstürzen her recht gut und wusste, dass es dort ein sonniges und dennoch einigermaßen verstecktes Plätzchen auf einer Bank gab.
Da saß ich nun also und kämpfte gegen die aufkommende Müdigkeit. „Nur nicht hinlegen“ sagte ich mir immer wieder. Schon einmal hatten mich die Stadtpolizisten dort beim Schlafen erwischt und mich in eine Ausnüchterungszelle gesperrt. Gut, dort kann man auch schlafen, hat aber am nächsten Morgen bis zur Entlassung immer mit schrecklichen Entzugserscheinungen zu kämpfen.
Es kam aber, wie es kommen musste: Mein Kopf sackte zur Seite und alsbald träumte ich von vergangenen guten Zeiten, ohne Sucht und Probleme, in geistiger und körperlicher Stärke und stets erfolgsverwöhnt.
Jemand rüttelte mich an der Schulter. „Jetzt ist es wieder so weit“, dachte ich bei mir. „Wieder erwischt und ab in die Zelle“. Langsam schlug ich die Augen auf und überlegte mir schon, was ich den freundlichen Beamten diesmal für ein Märchen erzählen könnte.
„Junger Mann, sind sie müde?“ Neben mir saß eine alte Dame. Klapperdürr und mit Sonnenhut. Ihre gütigen Augen, die mich anlächelten, lagen in einem faltigen Gesicht und ihre knöchernen Hände schlossen sich um meinen Arm, der immer noch die Wodkaflasche hielt.
„Oh, ich muss wohl etwas eingenickt sein. Ich bin auf dem Weg nach Hause und habe hier ein kleines Päuschen gemacht“, antwortete ich und gab mir Mühe aufrecht sitzen zu bleiben. „Kein Wunder, bei diesem Schlaftrunk!“
Sie nahm mir mit einem gütigen Lächeln den Schnaps aus der Hand und entleerte ihn neben der Bank. Dann warf sie die leere Flasche in den Müllcontainer und setzte sich wieder zu mir. Unter anderen Umständen hätte ich jetzt rebelliert und um mein Lebenselexier gerungen. Irgendetwas ließ mich jedoch nur paralysiert dabei zuschauen und eine Gegenwehr im Keim ersticken. Auf eine Standpauke, auf Vorwürfe und guten Ratschläge wartend, hörte ich der alten Dame zu. Nichts dergleichen. Sie erzählte mir, wie sie oftmals hier als kleines Mädchen und später als Frau und Mutter auf diesem Bänkchen gesessen und die Sonnenstrahlen genießend, die Enten auf der Wiese beobachtet hatte. Sie erzählte, wie sie hier ihren Ehemann kennengelernt und später den Kinderwagen neben der Bank geparkt hatte, während sie sich ausruhte.
Nach einer Weile stand sie auf, zog mich hoch, hakte sich bei mir unter und führte mich die paar Schritte hin zur Rezeption des Krankenhauses.
„Der junge Mann, mein Neffe, ist arg müde“, teilte sie der Dame hinter dem Tresen mit einem verschmitzten Lächeln mit. „Ich heiße Käthe Bögel und wohne hier in der Beethovenstraße 5. Nehmen sie ihn doch in ihre Obhut bis er wieder fit ist“.
Es kam, wie es kommen musste: Zuerst ein Arzt, dann drei Tage Entgiftung und danach noch ein stationärer zweiwöchentlicher Aufenthalt in einer psychiatrischen Einrichtung. Als geheilt und wieder vorzeigbar wurde ich auf eigenen Wunsch vorzeitig entlassen und kehrte in meine Heimatstadt zurück.
„Das war jetzt aber das letzte mal“, dachte ich bei mir. „Noch so einen Trip und es ist endgültig aus mit dir! Der alten Dame solltest du dankbar sein – nein besser: Bedank dich persönlich bei ihr“
Ich kaufte einen Blumenstrauß und machte mich auf den Weg zu der Adresse, die ich mir an der Rezeption merkwürdigerweise klar und deutlich gemerkt hatte.
„Guten Tag, mein Name ist Stefan – ich würde gern mit Frau Käthe Bögel sprechen“, stellte ich mich an der Eingangstür vor. Der Mann mittleren Alters, der geöffnet hatte, musterte mich verständnislos: „Käthe Bögel ist meine Großmutter, sie ist aber schon vor zehn Jahren verschieden und liegt jetzt auf dem Waldfriedhof. Woher kennen Sie sie denn?“
„Um Himmels willen! Vor zehn Jahren! Woran ist sie den gestorben?“ „Nun sie hatte in ihren letzten Jahren ein kleines Alkoholproblem. Die Ärzte im Krankenhaus konnten am Ende leider nichts mehr für sie tun“.
Er reichte mir ein Bild von ihr aus dem Flur. Ich brach zusammen.