Die bekiffte Waldfee

Hagen

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Die bekiffte Waldfee

Zu der Zeit als Jean-Claude Van Damme auf den Kinoleinwänden den "Universal Soldier", "Harte Ziele" und den "Street Fighter" gab, erwischte es mich auch; - ich wurde arbeitslos. Daraufhin nahm sich meine damalige Lebensgefährtin eine Auszeit, eine Unart, die damals gerade in Mode gekommen war, und trat die eigentlich gemeinsam geplante Tibetreise, um den Geist zu renovieren, alleine an.
Ich nutzte die Zeit, etliche Bewerbungen und mein fertiges Romanmanuskript auf den Weg zu bringen. Danach machte ich mich daran, unser Badezimmer und meinen Körper zu renovieren weil ich mir in einem Planungsbüro den Hintern breit gesessen hatte.
Ich verwendete viel Zeit damit, unser Badezimmer neu zu verfliesen und zu Joggen derweil meine Lebensgefährtin mit einem grinsenden Führer durch die Pfützen auf den Dach der Welt platschte, um auf diese Weise zu der einen oder anderen Erleuchtung zu gelangen.
Als ich dann eines Morgens mal so durch den Wald joggte und negative Gedanken dachte, weil mein Toaster während des Frühstücks kaputt gegangen und die von mir angebrachten Fliesen im Badezimmer des nachts wieder von der Wand gefallen waren, vernahm ich Hilferufe.
Ich folgte den Hilferufen und wurde bald darauf eines jungen, weißgewandeten Mädchens ansichtig, welches zwischen zwei Bäumen eingeklemmt war.
„Bitte hilf mir“, sprach die Weißgewandete, „ich bin eine Waldfee, vom nächtlichen Tanze auf der nahen Lichtung entkräftet, habe Fliegenpilze geraucht und bin wegen der psychoaktive Wirksamkeit leider in diese Lage geraten. Ich erfülle dir drei Wünsche, wenn du mich aus dieser misslichen Lage befreist.“
„Das hört sich gut an“, sprach ich und bog einen der Bäume zur Seite, damit die Waldfee frei kam, „wollte ich doch schon immer wissen, wo sich Feen tagsüber aufhalten. – Habt ihr hohle Bäume oder Blütenkelche, in denen ihr tagsüber schlaft?“
„Nein“, lächelte die Weißgewandete, „wir sind tagsüber im Büro.“
„Da schau her! – Wollen wir mal kultiviert essen gehen und die drei Wünsche bei einer Pizza Canzone besprechen?“
„Entweder die drei Wünsche, oder Pizza essen. Du hast die Wahl.“
„Wenn das so ist, ziehe ich die drei Wünsche vor. Da ich ja nun drei Wünsche frei habe, wünsche ich mir, dass du mir einen ruhigen, gutbezahlten Bürojob verschaffst, bei dem ich auch noch eine Waldfee kennenlernen werde, mit der ich Pizza essen gehen kann, einen neuen, funktionstüchtigen Toaster und Badezimmerfliesen, die an der Wand bleiben.“
„Nun“, die Waldfee legte ihr Gesicht in arge Falten, „neulich während meines Urlaubs in Bayern hatte ich einem Einheimischen drei Wünsche zu erfüllen. Der wünschte sich erstens recht viel Bier, zweitens so viel Bier wie er trinken kann und drittens noch ein Fass Bier dazu. Das war kein Problem. Bei dir gestaltet sich die Sache schon schwieriger, denn heutzutage ist es nicht mehr so wie damals im Märchen, in dem die Fee den Zauberstab schwang und Zack war die Sache durch! Was ich tun kann, ist, dir drei Ratschläge zu geben, wie du einen Job in einem Büro findest. Dann kannst du dir einen neuen Toaster leisten und einen Fachmann bezahlen, der dir die Fliesen dauerhaft an der Wand anbringt!“
„Okay, lass hören“, sagte ich voller Hoffnung.
„Nun“, sprach die Weißgewandete, „zuerst musst du positiv denken und optimistisch sein!
Zweitens gilt es die Einstellungstests zu überwinden. Da musst du selbstbewusst sein, und wenn es nötig ist, auch bluffen! – Aber“, und die Weißgewandete hob mahnend einen Finger, „niemals einfach so ins Blaue bluffen! Einige überprüfbare Fakten sollten schon dabei sein, das macht die Sache glaubhaft!
Drittens kann es nicht schaden, sich mit der Vorzimmerdame beziehungsweise der Assistentin des Personalchefs gut zu stellen!“
Und dann machte mich die Weißgewandete mit den ausgefeilten Testmechanismen vertraut, die bei den Firmen für die etwas besseren Positionen zur Anwendung kommen.
Ich lernte, dass man beim MPI-Test nicht mehr als zehn Fragen mit einem > ? < beantworten darf und dass der EPPS-Test davon ausgeht, dass ein Individuum von fünfzehn Bedürfnissen geprägt ist; - nämlich: Leistung, Anerkennung, Ordnung, Selbstdarstellung, Selbständigkeit, Geselligkeit, Distanz, Hilfsbereitschaft, Herrschaft, Selbsterniedrigung, Unterstützung, Abwechslung, Ausdauer, Sexualität und Angriffslust.
Die Reihenfolge, so fand ich, bedurfte einer geringfügigen Korrektur, zumindest was mich betraf.
Aber egal, ich nahm mir die guten Ratschläge zu Herzen und ruhte mich vor dem Bewerbungsgespräch, zu dem ich tatsächlich geladen wurde, nachhaltig aus, bügelte mein weißes Hemd, bürstete das letzte Stäubchen aus meinem guten Anzug und ließ mir von einer ebenfalls arbeitslosen Friseuse aus der Nachbarschaft die Haare im konventionellen Sinne ordentlich schneiden. Pizza wollte sie aber nicht mit mir essen, was sich sicherlich auf mein Selbstwertgefühl ausgewirkt hätte, so es denn beim EPPS-Test gefragt worden wäre.
Am nächsten Morgen dann trat ich – unbeeinflusst von dieser Abweisung jedoch angefüllt mit positiven Gedanken und grenzenlosem Optimismus – vor den Personalchef einer großen Firma.
Der Personalchef hockte auf einem Podest hinter einem klotzigen Schreibtisch, wollte meine Papiere sehen und forderte mich mit lässig-gebieterischer Pose auf, Platz zu nehmen; - und zwar auf einem Sesselchen mit abgesägten Beinen.
Ich hätte klein und mickerig unter dem Personalchef ausgesehen, erinnerte mich der Nummer mit der Selbständigkeit sowie der Selbstdarstellung und schloss daraus, dass dieses bereits der erste Test war. Aus den grimmig zusammengezogenen Augenbrauen des Personalchefs schloss ich, dass ihm meine Handlungsweise doch nicht so ganz recht war, als ich mich statt auf den amputierten Sessel auf eine Kante seines Schreibtisches setzte und mit aufmerksamem Blick verinnerlichte, dass ich mich in einer Firma bewerben würde, in der erstens rationell und zweitens noch wirklich gearbeitet wurde! Irgendwelche kraftlose, entscheidungsunfreundliche Typen hätten hier nichts zu suchen.
Nach diesen Informationen sank der Personalchef schlaff und kraftlos in seinem Sessel zusammen.
Ich zeigte ihm Zeugnisse sowie Lebenslauf und erwähnte ganz beiläufig, dass ich bei Rockwell an der B-1 mitgearbeitet hatte. Leider hatte Carter, sie wissen ja, der Präsident, mit dem man sich nur über Erdnüsse unterhalten konnte, das Projekt am 30. Juni ‘77 gecancelt, Mittags um 12, um genau zu sein. Um 12 Uhr 18 hatte ich dann meine Kündigung. Mein Teamchef war gerade dabei, mich für ein Stipendium am High – Tech – College in Sausalino vorzuschlagen, kennen sie doch sicher! Aber der wurde zwei Minuten später auch gefeuert – leider. Deswegen habe ich bedauerlicherweise keinen Nachweis über diese Zeit, bluffte ich.
Des Personalchefs Augenbrauen rückten noch eine Spur enger zusammen und er schickte mich zum Test, weil er sich so und auf die Schnelle nicht entscheiden konnte.
Das war mir natürlich sehr recht weil ich gut vorbereitet war, und dann sollte in Anwesenheit des etwas gelangweilt dreinblickenden Betriebspsychologen etwas zeichnen; - und zwar einen Menschen, einen Baum und ein Fenster.
Klar, dass ich das sofort durchblickte. Der Mensch stellt in den Augen der Psychofritzen stets das psychische Spiegelbild des Bewerbers dar, der Baum die Grundeinstellung desselben, und das Fenster braucht nur geöffnet gezeichnet zu werden, um klarzumachen, dass man der Welt stets aufgeschlossen und dynamisch gegenüber steht.
Kein Problem also. Ich zeichnete zunächst eine Eiche, eine gute, solide deutsche Eiche und hängte den Mann aus Rationalisierungsgründen gleich an den untersten Ast.
Ich lag gut in der Zeit, und weil ich gerade am Durchrationalisieren war, ließ ich den Betrachter diese Szene durch ein geöffnetes Fenster betrachten.
Ich glaube, so schnell war noch nie einer fertig, und der Betriebspsychologe meinte, ich hätte noch viel Zeit und sollte noch ein bisschen an den Details arbeiten. Nichts leichter als das, und ich zeichnete noch Gitterstäbe ein, damit der Betriebspsychologe auch gut was zu tun hatte und hoffentlich erkennen würde, dass ich geneigt war, viel Zeit für die Firma aufzubringen.
Aber der runzelte auch die Augenbrauen zusammen und gab mir einige Zettel, auf denen Satzanfänge standen, die ich zuende führen sollte, was ich dann auch mit Begeisterung und sauberer Handschrift tat:
Ich fürchte … weder Ritter, Tod noch Teufel.
So schrieb ich, weil ich bei dem Psychofritzen auch etwas künstlerische Allgemeinbildung voraussetzte.
Mein größter Fehler … dass ich von meiner Doktorarbeit die Sicherheitskopie im Auto gelassen habe, welches mir geklaut wurde.
„Hinzu kommt die Geschichte von meinem Doktorvater“ meinte ich mit leidender Mine, „der tödlich verunglückte! Sie erinnern sich doch noch an die Massenkarambolage bei Hämelerwald vor acht Jahren, ging ja tagelang durch die Presse! – Mein Doktorvater verbrannte zusammen mit meiner Doktorarbeit in seinem Wagen. Meine finanzielle Situation zwang mich daraufhin, die Stelle bei Rockwell anzunehmen.“
Das kam gut und fügte sich nahtlos in das, was ich dem Personalchef erzählt hatte.
Bei Mich ärgert … schrieb ich einfach ‘Unordnung‘, denn die knappe Form der Antwort bewies Entscheidungskraft und praktische Sachlichkeit.
Bei den anderen Fragen, besonders denen nach meinen früheren Chefs, reagierte ich mit liebenswürdigem Respekt, obwohl ich sie am liebsten mit den Kraftausdrücken belegt hätte, die eine mittlere Sozietät mindestens eine Woche mit der Formulierung irgendwelcher Klagen beschäftigt hätte. Weiterhin tat ich so, als würde ich vor Bescheidenheit und kreativer Dynamik förmlich bersten.
Der Psychomann brauchte zwei Stunden zum Auswerten, während derer ich in seinem Vorzimmer saß, Kaffee trank, die für gute Kunden reservierten Schokoladenkekse aß, mit der Vorzimmerdame rumalberte und sie von der Arbeit abhielt. Ob sie mal mit mir Pizza essen gehen wollte, hing davon ab, ob ich den Job kriegen würde; - allerdings werde sie niemals ein Verhältnis mit einem Kollegen anfangen, und mit einem Arbeitslosen schon gar nicht!
Als ich sie fragte, ob sie eine Fee sei, gab sie mir die Telefonnummer ihres Psychiaters und verlies vorsichtig den Raum; - sicher um bei dem Psychofritzen zu petzen.
Als dieser kurz darauf ernsten Gesichts reinkam und mir unterbreitete, dass ich zwar über ausgeprägte Führungsqualitäten verfüge, niemals bewusst lüge und mit ausgeprägten Selbstbewusstsein ausgestattet bin, schöpfte ich ein begrenztes Maß Hoffnung. Als er jedoch kurz anklingen ließ, dass ich ja wohl etwas untermotiviert sei, Leistung zu bringen, floss die Hoffnung wieder aus.
Na gut, Frustfähigkeit war nicht getestet worden, weil in der Firma sowieso nicht gefragt.
Bei Persönlichkeitstests sind … ‘hätte ich nicht lustig und machen Spaß‘ eintragen sollen, denn ich hatte mich ja um Arbeit beworben und sowas hat keinen Spaß zu machen!

Als ich dann am nächsten Tag völlig gefrustet durch den Wald joggte und negative Gedanken dachte, weil mein Romanmanuskript mit lästerlichen Bemerkungen des Verlags zurückgekommen war und meine Lebensgefährtin mir brieflich mitgeteilt hatte, dass sie zusammen mit einem Guru in Gummersbach ein Meditationszentrum eröffnen werde, wurde ich der Weißgewandeten erneut ansichtig. Sie saß auf einer Bank und rauchte irgendwas, welches wie Pilze roch.
„Hallo Waldfee“, sagte ich und stellte das joggen ein, „du hast gesagt, du gibst mir gute Ratschläge, wie ich zu einem gutbezahlten Bürojob komme. – Ich habe deine Ratschläge genau befolgt, aber die haben mich nicht eingestellt.“
„Wie alt bist du eigentlich?“ fragte die Weißgewandete.
„Ich bin fast fünfzig“, antwortete ich.
„Und da glaubst du“, lächelte die Weißgewandete, „noch an Waldfeen oder etwa, dass du noch Arbeit findest? – Ach, so, steht deine Einladung zum Pizzaessen noch?“
„Ja natürlich“, sagte ich, „aber momentan bin ich finanziell nicht so gut drauf. – Wenn ich trotzdem Arbeit gefunden haben werde, lade ich dich gerne auf eine Pizza ein.“
 



 
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