Fabian Hengge
Mitglied
Die Glocken schlugen Mitternacht. Pfarrer Laurent stand alleine vorne am Altar. Mit geneigtem Kopf und gefalteten Händen flüsterte er leise: „Herr, bitte beschütze die Bürger dieser Stadt für heute Nacht. Lass sie sorglos in ihren Betten liegen und schenke Ihnen einen erholsamen Schlaf.“ Nachdem er diesen Satz mehrmals wiederholte, sah er hinauf zum Kreuz. Die feinen Züge der Jesus-Statue wirkten in dieser Dunkelheit schon fast beängstigend. Der Mond schien leuchtend durch die kachelförmigen Fenster und legten finstere Schatten auf die Bilder an der Wand.
Pfarrer Laurents Blick flog über die Liste, die ein Stück weiter vorne auf dem Pult lag. Seit den die ersten Vorfälle auftauchten, hatte er die Namen aufgeschrieben, um in seiner Predigt an sie zu gedenken. Hunderte Opfer umfasste sie bereits und jede Nacht vergrößerte sich die Zahl. Hauptsächlich Frauen und Kinder und ein Ende schien nicht in Sicht. Anfangs hielt man es für einen Irren, der infolge des verlorenen Krieges, herumstolzierte und seinen Frust in den Leibern seiner Mitmenschen auslässt. Sie alle stellten sich die Frage, welcher Mensch in der Lage wäre, solch Grauenhaftes zu vollbringen. Welche gottlose, verdammte Kreatur vermag es ein Säugling zu töten, dass diese Welt kurz zuvor betreten hatte und deren Mutter gleich dazu.
Wie auch er, hielten die Bewohner der Stadt Gévaudan es für Gottes Strafe. Er strafte sie für ihren schroffen Umgangston, ihren Drang zu Begierden und ihren unerbittlichen Geiz. Die Nachwirkungen des Krieges. Banden übernahmen die Überhand, die sich unterdessen gegenseitig bekämpften. Die Prostitution wurde allgegenwärtig und verschaffte dem unsittlichen Verhalten ihren Siegeszug durch die Straßen. Diebstahl stand an der Tagesordnung. Die Polizei ist längst überfordert und kümmert sich nur um die dringendsten Angelegenheiten und die betreffen meist diese schrecklichen Morde.
Er kannte die Kirchengänger aus seiner Gemeinde. Treue, gläubige Menschen, die jeden Sonntag in die Kirche kamen und immer ein paar Münzen übrig hatten. Die letzten Jahre hatten ihre Spuren auf ihnen hinterlassen, die nicht alle so leicht verbergen konnte. Aufgrund seiner Menschenkenntnis war es seine Aufgabe, die Toten zu identifizieren. Selbst während der Kriege hatte er nicht so viele zerfetzte Leichen gesehen. Tiefe Wunde durchzogen ihre Körper, die kaum von einem harmlosen Messer stammten. Erst gaben die Schneider und Schmieden ihre Werkzeuge ab, anschließend die Kürschner und Fleischer. Das Morden hörte trotzdem nicht auf. Vor einigen Wochen kam dann die Schlagzeile. Alle Zeitungen berichteten davon. Ein weibliches Opfer war dem Killer entkommen. Was sie ihren Mitbürgern mitteilte, war für die meisten unbegreiflich. „Kein Mensch, ein Monster! “, lautete die Überschrift auf der Titelseite. Sie beschrieb ihren Angreifer als „einen Wolf und doch keinen Wolf“. Die Bestie des Gévaudan, hieß es im ganzen Land. Welche Plage wurde ihnen von Gott gesandt, fragte sich Pfarrer Laurent jeden Tag. Welche Sünde rechtfertigt eine solche Strafe?
Es kam noch Schlimmer, denn die Jäger waren dem Biest kurz danach auf der Spur. Sie jagten es tagelang und beschossen es mit Hunderten Musketenschüssen. Doch als es fiel, erhob es sich und floh. Seine Verfolger waren so überrascht, dass sie es wieder aus den Augen verloren. Keines von Gottes Kindern hätte einen solchen Angriff überstehen können. Von diesem Moment an war es ihnen allen klar. Die Bestie stammte nicht aus dem Himmel. Dieses Monster war vom Satan selbst besessen.
Pfarrer Laurent hörte draußen ein paar Krähen krächzen. Sie flogen wilddurcheinander. Ein Kratzen an der schweren Kirchentür ließ ihn erschrocken herumfahren. „Zu dieser späten Stunde?“, fragte er sich in Gedanken. Der Krähenschwarm erhob sich in die Luft und verdunkelte für einen Moment die Kirchen, bis sie in den Gassen verschwanden. Ihr Krächzen hallte durch die stilliegende Stadt. Mit den Händen weiterhin vor der Brust gefaltet, schlich er mit leisen Schritten zwischen den Bänken hindurch. Das Kratzen an der Tür wurde energischer und verstummte plötzlich. Die Klinke quietschte, als man sie von außen hinunter drückte. Augenblicklich blieb Pfarrer Laurent stehen und starrte gebahnt auf die Kirchentür. Welcher „Wolf oder noch nicht Wolf“ war fähig, eine Tür zu öffnen? Mit einem lauten Knarren flog ein Flügel auf und hallte in der Halle wieder. Draußen erkannte er einen dunklen Schatten. Ein schwarzer Wolkenfetzen verdunkelte dem Mond und legte die Kirche in Schatten. Pfarrer Laurents gefalteten Hände vor der Brust verkrampften. „Ist da jemand?“, stöhnte er gebannt. Die Gestalt zwängte sich durch den engen Türrahmen. „Etwas spät für einen Besuch?“, presste er heraus und wartete angespannt auf eine Antwort. Sein Atmen stockte, als ein Knurren ertönte. In katzenhafter Gewandtheit schritt es über den Marmorboden. Nach jeder Bewegung war ein leises klirren zu hören. Die Wolken zogen vorüber und der Mond setz sein Licht wieder frei. Der Lichtschein trat erneut durch die kachelförmigen Fenster und offenbarte die wahre Gestalt des Schattens. Die Anspannung in Pfarrer Laurents Körper machte ihn steif wie ein Brett. Die Kriegsnarbe auf seiner Schulter pulsierte heftig. Seine Hände zitterten und sein Mund verlor augenblicklich alles an Flüssigkeit. Ein Wolf und doch kein Wolf, eine passende Beschreibung. Die Bestie war ungefähr so groß wie ein Pferd, mit rotgrauem, kurzem Fell und dürrem Schwanz. Im Schein des Mondes konnte er auf seinem Rücken einen schwarzen Streifen erkennen. Zwischen seinen Tatzen blitzten seine langen Krallen hervor. Pfarrer Laurent wimmerte und wandte sich um. Panisch fixierte er das Kreuz am Altar. „Gott steh‘ uns bei“, schluchzte er und sah mit diesem letzten Gebet dem bittern Tod entgegen.
*Basiert auf wahren Begebenheiten*
Pfarrer Laurents Blick flog über die Liste, die ein Stück weiter vorne auf dem Pult lag. Seit den die ersten Vorfälle auftauchten, hatte er die Namen aufgeschrieben, um in seiner Predigt an sie zu gedenken. Hunderte Opfer umfasste sie bereits und jede Nacht vergrößerte sich die Zahl. Hauptsächlich Frauen und Kinder und ein Ende schien nicht in Sicht. Anfangs hielt man es für einen Irren, der infolge des verlorenen Krieges, herumstolzierte und seinen Frust in den Leibern seiner Mitmenschen auslässt. Sie alle stellten sich die Frage, welcher Mensch in der Lage wäre, solch Grauenhaftes zu vollbringen. Welche gottlose, verdammte Kreatur vermag es ein Säugling zu töten, dass diese Welt kurz zuvor betreten hatte und deren Mutter gleich dazu.
Wie auch er, hielten die Bewohner der Stadt Gévaudan es für Gottes Strafe. Er strafte sie für ihren schroffen Umgangston, ihren Drang zu Begierden und ihren unerbittlichen Geiz. Die Nachwirkungen des Krieges. Banden übernahmen die Überhand, die sich unterdessen gegenseitig bekämpften. Die Prostitution wurde allgegenwärtig und verschaffte dem unsittlichen Verhalten ihren Siegeszug durch die Straßen. Diebstahl stand an der Tagesordnung. Die Polizei ist längst überfordert und kümmert sich nur um die dringendsten Angelegenheiten und die betreffen meist diese schrecklichen Morde.
Er kannte die Kirchengänger aus seiner Gemeinde. Treue, gläubige Menschen, die jeden Sonntag in die Kirche kamen und immer ein paar Münzen übrig hatten. Die letzten Jahre hatten ihre Spuren auf ihnen hinterlassen, die nicht alle so leicht verbergen konnte. Aufgrund seiner Menschenkenntnis war es seine Aufgabe, die Toten zu identifizieren. Selbst während der Kriege hatte er nicht so viele zerfetzte Leichen gesehen. Tiefe Wunde durchzogen ihre Körper, die kaum von einem harmlosen Messer stammten. Erst gaben die Schneider und Schmieden ihre Werkzeuge ab, anschließend die Kürschner und Fleischer. Das Morden hörte trotzdem nicht auf. Vor einigen Wochen kam dann die Schlagzeile. Alle Zeitungen berichteten davon. Ein weibliches Opfer war dem Killer entkommen. Was sie ihren Mitbürgern mitteilte, war für die meisten unbegreiflich. „Kein Mensch, ein Monster! “, lautete die Überschrift auf der Titelseite. Sie beschrieb ihren Angreifer als „einen Wolf und doch keinen Wolf“. Die Bestie des Gévaudan, hieß es im ganzen Land. Welche Plage wurde ihnen von Gott gesandt, fragte sich Pfarrer Laurent jeden Tag. Welche Sünde rechtfertigt eine solche Strafe?
Es kam noch Schlimmer, denn die Jäger waren dem Biest kurz danach auf der Spur. Sie jagten es tagelang und beschossen es mit Hunderten Musketenschüssen. Doch als es fiel, erhob es sich und floh. Seine Verfolger waren so überrascht, dass sie es wieder aus den Augen verloren. Keines von Gottes Kindern hätte einen solchen Angriff überstehen können. Von diesem Moment an war es ihnen allen klar. Die Bestie stammte nicht aus dem Himmel. Dieses Monster war vom Satan selbst besessen.
Pfarrer Laurent hörte draußen ein paar Krähen krächzen. Sie flogen wilddurcheinander. Ein Kratzen an der schweren Kirchentür ließ ihn erschrocken herumfahren. „Zu dieser späten Stunde?“, fragte er sich in Gedanken. Der Krähenschwarm erhob sich in die Luft und verdunkelte für einen Moment die Kirchen, bis sie in den Gassen verschwanden. Ihr Krächzen hallte durch die stilliegende Stadt. Mit den Händen weiterhin vor der Brust gefaltet, schlich er mit leisen Schritten zwischen den Bänken hindurch. Das Kratzen an der Tür wurde energischer und verstummte plötzlich. Die Klinke quietschte, als man sie von außen hinunter drückte. Augenblicklich blieb Pfarrer Laurent stehen und starrte gebahnt auf die Kirchentür. Welcher „Wolf oder noch nicht Wolf“ war fähig, eine Tür zu öffnen? Mit einem lauten Knarren flog ein Flügel auf und hallte in der Halle wieder. Draußen erkannte er einen dunklen Schatten. Ein schwarzer Wolkenfetzen verdunkelte dem Mond und legte die Kirche in Schatten. Pfarrer Laurents gefalteten Hände vor der Brust verkrampften. „Ist da jemand?“, stöhnte er gebannt. Die Gestalt zwängte sich durch den engen Türrahmen. „Etwas spät für einen Besuch?“, presste er heraus und wartete angespannt auf eine Antwort. Sein Atmen stockte, als ein Knurren ertönte. In katzenhafter Gewandtheit schritt es über den Marmorboden. Nach jeder Bewegung war ein leises klirren zu hören. Die Wolken zogen vorüber und der Mond setz sein Licht wieder frei. Der Lichtschein trat erneut durch die kachelförmigen Fenster und offenbarte die wahre Gestalt des Schattens. Die Anspannung in Pfarrer Laurents Körper machte ihn steif wie ein Brett. Die Kriegsnarbe auf seiner Schulter pulsierte heftig. Seine Hände zitterten und sein Mund verlor augenblicklich alles an Flüssigkeit. Ein Wolf und doch kein Wolf, eine passende Beschreibung. Die Bestie war ungefähr so groß wie ein Pferd, mit rotgrauem, kurzem Fell und dürrem Schwanz. Im Schein des Mondes konnte er auf seinem Rücken einen schwarzen Streifen erkennen. Zwischen seinen Tatzen blitzten seine langen Krallen hervor. Pfarrer Laurent wimmerte und wandte sich um. Panisch fixierte er das Kreuz am Altar. „Gott steh‘ uns bei“, schluchzte er und sah mit diesem letzten Gebet dem bittern Tod entgegen.
*Basiert auf wahren Begebenheiten*
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