Die Bestimmung der Kastanie

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raineru

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Wie eine idyllische Oase der Stille lag der kleine Biergarten mit seinen mächtigen, alten Kastanienbäumen in den hässlichen Häuserschluchten der Großstadt. Es war Ende Oktober. Die welken Blätter hatten die Herbststürme fortgerissen. Die Kastanien waren alle, braun und glänzend, aus ihren gelbgrünen Stachelhüllen, auf den Kiesboden gefallen. Ihr Schicksal war es, in Plastiktüten gesammelt und von Kinderhänden in Streichholzmännchen oder Igelchen verwandelt zu werden. Alle hatten den großen Augenblick des Fallens schon hinter sich, bis auf eine. Hoch oben hing sie einsam an ihrem Ästchen über einem, von den Kellnern stehen gelassenen, angerosteten Blechtisch. Schön und besonders groß war sie.
Heute sollte IHR Tag sein.

Ein herrlicher klarer, frischer Herbstnachmittag. Doch es regte sich kein Lüftchen das hilfreich hätte sein können. Sie wusste auch, dass die wunderschöne Zeit ihrer Reife umsonst war.
Ohne Bestimmung.
Ohne Sinn.
Niemals würde aus ihr, ein großer, prächtiger Baum der im Mai mit seiner Blütenfülle die Poeten inspiriert. Gut... wenn es der Sinn ihrer Existenz war, ein Streichholz-Igelchen zu werden. Na ja...Doch selbst dafür war die Zeit im Jahr zu weit fortgeschritten. Unten, zwischen den zusammengeklappten Holzstühlen, waren keine Kinder mehr, die nach Kastanien suchten.

Jetzt war da plötzlich ein Mann mit Hut und schwarzem Mantel. Etwas stimmte nicht mit ihm. Geduckt und ängstlich suchend, schlich er in Richtung des alten Blechtisches. Er schien sehr nervös zu sein. Er zitterte. Und da zitterte und hüpfte noch etwas. Ein kleiner roter Lichtpunkt, der immer wieder auf seiner verschwitzten Stirn auftauchte, dann wieder verschwand.

Harry Paulson hatte Angst. Todesangst. Am nächsten Morgen sollte er als Kronzeuge, gegen einen der ganz großen Bosse des Syndikats aussagen. Der Beamte in Zivil, der ihn beschützen sollte, war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Exakt in dem Augenblick, als er das Foto, das Hauptbeweisstück, das mit dem Picknick, aus dem Schließfach geholt hatte. Harry wusste, dass sie hinter ihm her waren. Er wusste auch, dass er sehr schnell, sehr tot sein würde, wenn sie ihn schnappten. Für ihn gab es im Augenblick verdammt viel Bestimmung und Sinn des Daseins. Morgen gegen diesen Verbrecher aussagen.
Das war es, was er wollte.
Das war es, was er tun würde.
„Hast du ihn endlich?“, fragte der glatzköpfige Schlägertyp im eleganten Anzug, ohne die Kippe aus dem Mund zu nehmen.
„Ja, verdammt!“.
Der Mann mit dem Gewehr drückte das Auge erneut auf das Zielfernrohr.
„Diese beschissenen Zweige. Da ist zu viel Kleinkram im Weg. Wenn er wenigsten stillhalten würde“.
„Du hast einen Schuss. Einen einzigen... Herr Superscharfschütze“.
Glatzeman drückte mit Daumen und Zeigefinger das Grübchen an seinem Kinn zusammen.
„Wenn du das hier wieder vermasselst, hast du das letzte Mal warm geschissen. Du weißt wie der Chef denkt“.
„Halt einfach die Fresse O.K.?“.
Der Lasersuchpunkt tanzte einen Augenblick auf Harry´s Stirn. Die Fingerspitze am Abzug bewegte sich langsam, zögernd nach hinten. Harry ahnte nicht, dass sich der Tod über seinen Augenbrauen ein Plätzchen suchte.

Hoch über dem Blechtisch, genau auf dem Ästchen, an dem unsere Kastanie auf ihre Erlösung wartete, suchte sich ein Sperlingspärchen ebenfalls ein Plätzchen, ...um zu streiten. Der große Augenblick war gekommen. Die Frucht löste sich und fiel, schwebte fast erhaben, ja genussvoll und doch sehr schnell, ihrer Bestimmung entgegen.

Harry´s Nerven lagen blank. Mit zusammen gekniffenen Augen suchte er in den Fenstern ringsum nach irgendetwas Verdächtigem. Alles war still. Nur ganz weit oben, das ferne Geschrei der Spatzen. Ruckartig ging der Finger am Abzug nach hinten. Fast lautlos, schallgedämpft verließ das Geschoss den Gewehrlauf.

Der laute Knall, mit dem die Kastanie auf den blechernen Biergartentisch aufgekracht war, ließ Harry zusammenzucken und instinktiv den Kopf einziehen. Das Geschoss zischte ihm am Ohr vorbei und bohrte sich in einen der Stühle.
 

raineru

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Wie eine idyllische Oase der Stille lag der kleine Biergarten mit seinen mächtigen, alten Kastanienbäumen in den hässlichen Häuserschluchten der Großstadt. Es war Ende Oktober. Die welken Blätter hatten die Herbststürme fortgerissen. Die Kastanien waren alle, braun und glänzend, aus ihren gelbgrünen Stachelhüllen, auf den Kiesboden gefallen. Ihr Schicksal war es, in Plastiktüten gesammelt und von Kinderhänden in Streichholzmännchen oder Igelchen verwandelt zu werden. Alle hatten den großen Augenblick des Fallens schon hinter sich, bis auf eine. Hoch oben hing sie einsam an ihrem Ästchen über einem, von den Kellnern stehen gelassenen, angerosteten Blechtisch. Schön und besonders groß war sie.
Heute sollte IHR Tag sein.

Ein herrlicher klarer, frischer Herbstnachmittag. Doch es regte sich kein Lüftchen das hilfreich hätte sein können. Sie wusste auch, dass die wunderschöne Zeit ihrer Reife umsonst war.
Ohne Bestimmung.
Ohne Sinn.
Niemals würde aus ihr, ein großer, prächtiger Baum der im Mai mit seiner Blütenfülle die Poeten inspiriert. Gut... wenn es der Sinn ihrer Existenz war, ein Streichholz-Igelchen zu werden. Na ja...Doch selbst dafür war die Zeit im Jahr zu weit fortgeschritten. Unten, zwischen den zusammengeklappten Holzstühlen, waren keine Kinder mehr, die nach Kastanien suchten.

Jetzt war da plötzlich ein Mann mit Hut und schwarzem Mantel. Etwas stimmte nicht mit ihm. Geduckt und ängstlich suchend, schlich er in Richtung des alten Blechtisches. Er schien sehr nervös zu sein. Er zitterte. Und da zitterte und hüpfte noch etwas. Ein kleiner roter Lichtpunkt, der immer wieder auf seiner verschwitzten Stirn auftauchte, dann wieder verschwand.

Harry Paulson hatte Angst. Todesangst. Am nächsten Morgen sollte er als Kronzeuge, gegen einen der ganz großen Bosse des Syndikats aussagen. Der Beamte in Zivil, der ihn beschützen sollte, war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Exakt in dem Augenblick, als er das Foto, das Hauptbeweisstück, das mit dem Picknick, aus dem Schließfach geholt hatte. Harry wusste, dass sie hinter ihm her waren. Er wusste auch, dass er sehr schnell, sehr tot sein würde, wenn sie ihn schnappten. Für ihn gab es im Augenblick verdammt viel Bestimmung und Sinn des Daseins. Morgen gegen diesen Verbrecher aussagen.
Das war es, was er wollte.
Das war es, was er tun würde.
„Hast du ihn endlich?“, fragte der glatzköpfige Schlägertyp im eleganten Anzug, ohne die Kippe aus dem Mund zu nehmen.
„Ja, verdammt!“.
Der Mann mit dem Gewehr drückte das Auge erneut auf das Zielfernrohr.
„Diese beschissenen Zweige. Da ist zu viel Kleinkram im Weg. Wenn er wenigstens stillhalten würde“.
„Du hast einen Schuss. Einen einzigen... Herr Superscharfschütze“.
Glatzeman drückte mit Daumen und Zeigefinger das Grübchen an seinem Kinn zusammen.
„Wenn du das hier wieder vermasselst, hast du das letzte Mal warm geschissen. Du weißt wie der Chef denkt“.
„Halt einfach die Fresse O.K.?“.
Der Lasersuchpunkt tanzte einen Augenblick auf Harry´s Stirn.
Die Fingerspitze am Abzug bewegte sich langsam, zögernd nach hinten. Harry ahnte nicht, dass sich der Tod über seinen Augenbrauen ein Plätzchen suchte.

Hoch über dem Blechtisch, genau auf dem Ästchen, an dem unsere Kastanie auf ihre Erlösung wartete, suchte sich in diesem Moment, ein Sperlingspärchen ein Plätzchen, ...um flatternd zu streiten.
Der große Augenblick war gekommen. Das Ästchen wackelte. Die Frucht löste sich und fiel, schwebte fast erhaben, ja genussvoll und doch sehr schnell, ihrer Bestimmung entgegen.

Harry´s Nerven lagen blank. Mit zusammen gekniffenen Augen suchte er in den Fenstern ringsum nach irgendetwas Verdächtigem. Es war still. Nur weit oben, das ferne Geschrei der Spatzen. Ruckartig ging der Finger am Abzug nach hinten. Fast lautlos, schallgedämpft flutschte das Geschoss mit einem "Plopp" aus der Mündung des Gewehrlaufs.

Der Knall, mit dem die Kastanie auf den blechernen Biergartentisch aufgekracht war, ließ Harry zusammenzucken und instinktiv den Kopf einziehen. Das Geschoss zischte ihm am Ohr vorbei, bohrte sich in einen der Stühle.
 

raineru

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Wie eine idyllische Oase der Stille lag der kleine Biergarten mit seinen mächtigen, alten Kastanienbäumen in den hässlichen Häuserschluchten der Großstadt. Es war Ende Oktober. Die welken Blätter hatten die Herbststürme fortgerissen. Die Kastanien waren alle, braun und glänzend, aus ihren gelbgrünen Stachelhüllen, auf den Kiesboden gefallen. Ihr Schicksal war es, in Plastiktüten gesammelt und von Kinderhänden in Streichholzmännchen oder Igelchen verwandelt zu werden. Alle hatten den großen Augenblick des Fallens schon hinter sich, bis auf eine. Hoch oben hing sie einsam an ihrem Ästchen über einem, von den Kellnern stehen gelassenen, angerosteten Blechtisch. Schön und besonders groß war sie.
Heute sollte IHR Tag sein.

Ein herrlicher klarer, frischer Herbstnachmittag. Doch es regte sich kein Lüftchen das hilfreich hätte sein können. Sie wusste auch, dass die wunderschöne Zeit ihrer Reife umsonst war.
Ohne Bestimmung.
Ohne Sinn.
Niemals würde aus ihr, ein großer, prächtiger Baum der im Mai mit seiner Blütenfülle die Poeten inspiriert. Gut... wenn es der Sinn ihrer Existenz war, ein Streichholz-Igelchen zu werden. Na ja...Doch selbst dafür war die Zeit im Jahr zu weit fortgeschritten. Unten, zwischen den zusammengeklappten Holzstühlen, waren keine Kinder mehr, die nach Kastanien suchten.

Jetzt war da plötzlich ein Mann mit Hut und schwarzem Mantel. Etwas stimmte nicht mit ihm. Geduckt und ängstlich suchend, schlich er in Richtung des alten Blechtisches. Er schien sehr nervös zu sein. Er zitterte. Und da zitterte und hüpfte noch etwas. Ein kleiner roter Lichtpunkt, der immer wieder auf seiner verschwitzten Stirn auftauchte, dann wieder verschwand.

Harry Paulson hatte Angst. Todesangst. Am nächsten Morgen sollte er als Kronzeuge, gegen einen der ganz großen Bosse des Syndikats aussagen. Der Beamte in Zivil, der ihn beschützen sollte, war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Exakt in dem Augenblick, als er das Foto, das Hauptbeweisstück, das mit dem Picknick, aus dem Schließfach geholt hatte. Harry wusste, dass sie hinter ihm her waren. Er wusste auch, dass er sehr schnell, sehr tot sein würde, wenn sie ihn schnappten. Für ihn gab es im Augenblick verdammt viel Bestimmung und Sinn des Daseins. Morgen gegen diesen Verbrecher aussagen.
Das war es, was er wollte.
Das war es, was er tun würde.
„Hast du ihn endlich?“, fragte der glatzköpfige Schlägertyp im eleganten Anzug, ohne die Kippe aus dem Mund zu nehmen.
„Ja, verdammt!“.
Der Mann mit dem Gewehr drückte das Auge erneut auf das Zielfernrohr.
„Diese beschissenen Zweige. Da ist zu viel Kleinkram im Weg. Wenn er wenigstens stillhalten würde“.
„Du hast einen Schuss. Einen einzigen... Herr Superscharfschütze“.
Glatzeman drückte mit Daumen und Zeigefinger das Grübchen an seinem Kinn zusammen.
„Wenn du das hier wieder vermasselst, hast du das letzte Mal warm geschissen. Du weißt wie der Chef denkt“.
„Halt einfach die Fresse O.K.?“.
Der Lasersuchpunkt tanzte einen Augenblick auf Harry´s Stirn.
Die Fingerspitze am Abzug bewegte sich langsam, zögernd nach hinten. Harry ahnte nicht, dass sich der Tod über seinen Augenbrauen ein Plätzchen suchte.

Hoch über dem Blechtisch, genau auf dem Ästchen, an dem unsere Kastanie auf ihre Erlösung wartete, suchte sich in diesem Moment, ein Sperlingspärchen ein Plätzchen, ...um flatternd zu streiten.
Der große Augenblick war gekommen. Das Ästchen wackelte. Die Frucht löste sich und fiel, schwebte fast erhaben, ja genussvoll und doch sehr schnell, ihrer Bestimmung entgegen.

Harry´s Nerven lagen blank. Mit zusammen gekniffenen Augen suchte er in den Fenstern ringsum nach irgendetwas Verdächtigem. Es war still. Nur weit oben, das ferne Geschrei der Spatzen. Ruckartig ging der Finger am Abzug nach hinten. Fast lautlos, schallgedämpft flutschte das Geschoss mit einem "Plopp" aus der Mündung des Gewehrlaufs.

Der Knall, mit dem die Kastanie auf den blechernen Biergartentisch aufgekracht war, ließ Harry zusammenzucken und instinktiv den Kopf einziehen. Das Geschoss zischte ihm am Ohr vorbei, bohrte sich in einen der Stühle.
 

raineru

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Wie eine idyllische Oase der Stille lag der kleine Biergarten mit seinen mächtigen, alten Kastanienbäumen in den hässlichen Häuserschluchten der Großstadt. Es war Ende Oktober. Die welken Blätter hatten die Herbststürme fortgerissen. Die Kastanien waren alle, braun und glänzend, aus ihren gelbgrünen Stachelhüllen, auf den Kiesboden gefallen. Ihr Schicksal war es, in Plastiktüten gesammelt und von Kinderhänden in Streichholzmännchen oder Igelchen verwandelt zu werden. Alle hatten den großen Augenblick des Fallens schon hinter sich, bis auf eine. Hoch oben hing sie einsam an ihrem Ästchen über einem, von den Kellnern stehen gelassenen, angerosteten Blechtisch. Schön und besonders groß war sie.
Heute sollte IHR Tag sein.

Ein herrlicher klarer, frischer Herbstnachmittag. Doch es regte sich kein Lüftchen das hilfreich hätte sein können. Sie wusste auch, dass die wunderschöne Zeit ihrer Reife umsonst war.
Ohne Bestimmung.
Ohne Sinn.
Niemals würde aus ihr, ein großer, prächtiger Baum der im Mai mit seiner Blütenfülle die Poeten inspiriert. Gut... wenn es der Sinn ihrer Existenz war, ein Streichholz-Igelchen zu werden. Na ja...Doch selbst dafür war die Zeit im Jahr zu weit fortgeschritten. Unten, zwischen den zusammengeklappten Holzstühlen, waren keine Kinder mehr, die nach Kastanien suchten.

Jetzt war da plötzlich ein Mann mit Hut und schwarzem Mantel. Etwas stimmte nicht mit ihm. Geduckt und ängstlich suchend, schlich er in Richtung des alten Blechtisches. Er schien sehr nervös zu sein. Er zitterte. Und da zitterte und hüpfte noch etwas. Ein kleiner roter Lichtpunkt, der immer wieder auf seiner verschwitzten Stirn auftauchte, dann wieder verschwand.

Harry Paulson hatte Angst. Todesangst. Am nächsten Morgen sollte er als Kronzeuge, gegen einen der ganz großen Bosse des Syndikats aussagen. Der Beamte in Zivil, der ihn beschützen sollte, war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Exakt in dem Augenblick, als er das Foto, das Hauptbeweisstück, das mit dem Picknick, aus dem Schließfach geholt hatte. Harry wusste, dass sie hinter ihm her waren. Er wusste auch, dass er sehr schnell, sehr tot sein würde, wenn sie ihn schnappten. Für ihn gab es im Augenblick verdammt viel Bestimmung und Sinn des Daseins. Morgen gegen diesen Verbrecher aussagen.
Das war es, was er wollte.
Das war es, was er tun würde.
„Hast du ihn endlich?“, fragte der glatzköpfige Schlägertyp im eleganten Anzug, ohne die Kippe aus dem Mund zu nehmen.
„Ja, verdammt!“.
Der Mann mit dem Gewehr drückte das Auge erneut auf das Zielfernrohr.
„Diese beschissenen Zweige. Da ist zu viel Kleinkram im Weg. Wenn er wenigstens stillhalten würde“.
„Du hast einen Schuss. Einen einzigen... Herr Superscharfschütze“.
Glatzeman drückte mit Daumen und Zeigefinger das Grübchen an seinem Kinn zusammen.
„Wenn du das hier wieder vermasselst, hast du das letzte Mal warm geschissen. Du weißt wie der Chef denkt“.
„Halt einfach die Fresse O.K.?“.
Der Lasersuchpunkt tanzte einen Augenblick auf Harry´s Stirn.
Die Fingerspitze am Abzug bewegte sich langsam, zögernd nach hinten. Harry ahnte nicht, dass sich der Tod über seinen Augenbrauen ein Plätzchen suchte.

Hoch über dem Blechtisch, genau auf dem Ästchen, an dem unsere Kastanie auf ihre Erlösung wartete, suchte sich in diesem Moment, ein Sperlingspärchen ein Plätzchen, ...um flatternd zu streiten.
Der große Augenblick war gekommen. Das Ästchen wackelte. Die Frucht löste sich und fiel, schwebte fast erhaben, ja genussvoll und doch sehr schnell, ihrer Bestimmung entgegen.

Harry´s Nerven lagen blank. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er in den Fenstern ringsum nach irgendetwas Verdächtigem. Es war still. Nur weit oben, das ferne Geschrei der Spatzen. Ruckartig ging der Finger am Abzug nach hinten. Fast lautlos, schallgedämpft flutschte das Geschoss mit einem "Plopp" aus der Mündung des Gewehrlaufs.

Der Knall, mit dem die Kastanie auf den blechernen Biergartentisch aufgekracht war, ließ Harry zusammenzucken und instinktiv den Kopf einziehen. Das Geschoss zischte ihm am Ohr vorbei, bohrte sich in einen der Stühle.
 

raineru

Mitglied
Wie eine idyllische Oase der Stille lag der kleine Biergarten mit seinen mächtigen, alten Kastanienbäumen in den hässlichen Häuserschluchten der Großstadt. Es war Ende Oktober. Die welken Blätter hatten die Herbststürme fortgerissen. Die Kastanien waren alle, braun und glänzend, aus ihren gelbgrünen Stachelhüllen, auf den Kiesboden gefallen. Ihr Schicksal war es, in Plastiktüten gesammelt und von Kinderhänden in Streichholzmännchen oder Igelchen verwandelt zu werden. Alle hatten den großen Augenblick des Fallens schon hinter sich, bis auf eine. Hoch oben hing sie einsam an ihrem Ästchen über einem, von den Kellnern stehen gelassenen, angerosteten Blechtisch. Schön und besonders groß war sie.
Heute sollte IHR Tag sein.

Ein herrlicher klarer, frischer Herbstnachmittag. Doch es regte sich kein Lüftchen das hilfreich hätte sein können. Sie wusste auch, dass die wunderschöne Zeit ihrer Reife umsonst war.
Ohne Bestimmung.
Ohne Sinn.
Niemals würde aus ihr, ein großer, prächtiger Baum der im Mai mit seiner Blütenfülle die Poeten inspiriert. Gut... wenn es der Sinn ihrer Existenz war, ein Streichholz-Igelchen zu werden. Na ja...Doch selbst dafür war die Zeit im Jahr zu weit fortgeschritten. Unten, zwischen den zusammengeklappten Holzstühlen, waren keine Kinder mehr, die nach Kastanien suchten.

Jetzt war da plötzlich ein Mann mit Hut und schwarzem Mantel. Etwas stimmte nicht mit ihm. Geduckt und ängstlich suchend, schlich er in Richtung des alten Blechtisches. Er schien sehr nervös zu sein. Er zitterte. Und da zitterte und hüpfte noch etwas. Ein kleiner roter Lichtpunkt, der immer wieder auf seiner verschwitzten Stirn auftauchte, dann wieder verschwand.

Harry Paulson hatte Angst. Todesangst. Am nächsten Morgen sollte er als Kronzeuge, gegen einen der ganz großen Bosse des Syndikats aussagen. Der Beamte in Zivil, der ihn beschützen sollte, war plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Exakt in dem Augenblick, als er das Foto, das Hauptbeweisstück, das mit dem Picknick, aus dem Schließfach geholt hatte. Harry wusste, dass sie hinter ihm her waren. Er wusste auch, dass er sehr schnell, sehr tot sein würde, wenn sie ihn schnappten. Für ihn gab es im Augenblick verdammt viel Bestimmung und Sinn des Daseins. Morgen gegen diesen Verbrecher aussagen.
Das war es, was er wollte.
Das war es, was er tun würde.

„Hast du ihn endlich?“, fragte der glatzköpfige Schlägertyp im eleganten Anzug, ohne die Kippe aus dem Mund zu nehmen.
„Ja, verdammt!“.
Der Mann mit dem Gewehr drückte das Auge erneut auf das Zielfernrohr.
„Diese beschissenen Zweige. Da ist zu viel Kleinkram im Weg. Wenn er wenigstens stillhalten würde“.
„Du hast einen Schuss. Einen einzigen... Herr Superscharfschütze“.
Glatzeman drückte mit Daumen und Zeigefinger das Grübchen an seinem Kinn zusammen.
„Wenn du das hier wieder vermasselst, hast du das letzte Mal warm geschissen. Du weißt wie der Chef denkt“.
„Halt einfach die Fresse O.K.?“.
Der Lasersuchpunkt tanzte einen Augenblick auf Harry´s Stirn.
Die Fingerspitze am Abzug bewegte sich langsam, zögernd nach hinten. Harry ahnte nicht, dass sich der Tod über seinen Augenbrauen ein Plätzchen suchte.

Hoch über dem Blechtisch, genau auf dem Ästchen, an dem unsere Kastanie auf ihre Erlösung wartete, suchte sich in diesem Moment, ein Sperlingspärchen ein Plätzchen, ...um flatternd zu streiten.
Der große Augenblick war gekommen. Das Ästchen wackelte. Die Frucht löste sich und fiel, schwebte fast erhaben, ja genussvoll und doch sehr schnell, ihrer Bestimmung entgegen.

Harry´s Nerven lagen blank. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er in den Fenstern ringsum nach irgendetwas Verdächtigem. Es war still. Nur weit oben, das ferne Geschrei der Spatzen. Ruckartig ging der Finger am Abzug nach hinten. Fast lautlos, schallgedämpft flutschte das Geschoss mit einem "Plopp" aus der Mündung des Gewehrlaufs.

Der Knall, mit dem die Kastanie auf den blechernen Biergartentisch aufgekracht war, ließ Harry zusammenzucken und instinktiv den Kopf einziehen. Das Geschoss zischte ihm am Ohr vorbei, bohrte sich in einen der Stühle.
 
U

USch

Gast
Hallo raineru,
nette kleine Geschichte. Gern gelesen. Man will wissen wie es endet und ahnt es schon vorher.
LG USch
 



 
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