Die Bierflüsterer

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Raniero

Textablader
Die Bierflüsterer

Sie trafen sich nicht täglich in der Konditorei, wie es einst ein niemals ergrauender Pianobarde sang, nein, sie trafen sich in der Regel nur einmal in der Woche, am Freitag in den Abendstunden, und es war der gemeinsame Gedanke, das gemeinsame Schicksal und die gemeinsame Leidenschaft, die sie zu diesen Zusammenkünften trieb.
Alle drei im besten Mannesalter, wie man zu sagen pflegt, hatten sie alle drei seinerzeit sehr früh, zu früh? geheiratet und hierbei hatte ein jeder von ihnen die ‚Richtige‘ getroffen.
Wohlmeinende Zungen interpretierten es so aus, dass ihnen nichts Besseres passieren konnte, während übeldenkende Zyniker behaupteten, dass sie nichts Besseres verdient hätten.
In der Tat waren alle drei, Otto ,Karl und Robert ein wenig ‚brutal verheiratet‘, um es vorsichtig zu formulieren, oder eher geheiratet worden und hierbei in die Hände von Xanthippeähnlichen Wesen, herrschsüchtigen Weibsbildern, geraten, die ihnen das Leben daheim von Anbeginn zur Hölle machten.
Doch was tut ein Mann in einem solch bemitleidenswerten Fall; er macht Karriere, außer Haus, da wo sein Wort noch etwas gilt, im Beruf, und so hatten Otto, Karl und Robert begonnen, die Karriereleiter aufzusteigen, Treppchen für Treppchen, Jahr für Jahr, und ein jeder von ihnen nannte sich nun schon Abteilungsleiter, was immer das für sie auch bedeutete.
Sie nahmen diesen Weg des Aufstiegs nicht, wie man hätte meinen können, in rüder lautstarker Ellenbogenmanier, so wie man es von zahlreichen beruflichen Aufsteigern her gewohnt war, sondern zuvorkommend, sachlich, und eher im Flüsterton, einem Ton, die sie sich im Laufe ihrer langjährigen Ehegemeinschaften angewöhnt hatten.
In dieser leisen Tonart dirigierte ein jeder auf seine Weise die ihm unterstellten Mitarbeiter, und niemals fiel hierbei ein lautes Wort, denn ein solches waren sie zur Genüge gewöhnt, von Haus aus.

Am meisten aber freuten sie sich auf den Freitagabend, auf das gemeinsame Treffen in ihrer Stammkneipe, die einzige Freiheit, die sie sich ausbedungen hatten, daheim, wenn auch unter Tränen.
In der Kneipe hatten sie einen kleinen Raum für sich, und bei diesen wöchentlichen Begegnungen wurde es ebenfalls niemals laut; hier tauschten sie leise ihre Erfahrungen aus, positive wie auch leidvolle, wobei es zuweilen auch geschehen konnte, dass der eine oder andere von ihnen eine Zeitlang schweigend vor seinem Bierglas saß und still in sein Lieblingsgetränk hineinweinte.
Beim Wirt und bei den anderen Gästen waren sie aufgrund dieser fast lautlosen Zusammenkünfte bekannt und wurden von allen ‚die Bierflüsterer‘ genannt, aber wenn auch manch einer der Thekenmachos sich manchmal geringschätzig über die Drei äußerte, so wurden sie doch im Allgemeinen von den männlichen Zeitgenossen eher wegen ihres harten Loses bedauert und ob der Standhaftigkeit, mit der sie dieses ertrugen, wiederum bewundert.
Die Bierflüsterer jedoch machten sich nichts aus den Meinungen ihrer Geschlechtsgenossen; sie ertrugen diese mit Gleichmut, und im Verlaufe des Abends gelang es ihnen immer wieder, durch steigenden Alkoholgenuss ihr bitteres Schicksal in das Gegenteil umzuwandeln und darüber hinaus ihre Gemahlinnen zu Engeln mutieren zu lassen; eine Sichtweise, die ein jeder von ihnen
allerdings spätestens auf dem Heimweg an der Haustür wieder korrigieren musste.
An einem dieser Abende, nach einer für alle drei gleichermaßen stressig verbrachten Woche, sowohl am Arbeitsplatz wie auch daheim, hatte einer von ihnen die Idee, das gemeinsame Beisammensein durch eine außergewöhnliche Maßnahme zu bereichern.
Er schlug vor, eine Kontaktaufnahme mit dem Jenseits zu versuchen, mit Hilfe eines Verfahrens, welches besonders bei leichtgläubigen Menschen und Politikern aller Couleur sehr verbreitet ist, durch gemeinsames Tischrücken.
Dieser Vorschlag fand sofort Anklang bei den gebeutelten Flüsterern, und obwohl ein jeder von ihnen betonte, dass er keinesfalls an diesen Humbug glaubte, waren alle drei doch insgeheim bereit, auf eine jenseitige Stimme zu setzen, die ihnen eventuell einen Ausweg aus der häuslichen Knechtschaft weisen könnte.
Gesagt, getan.
Die Tür zum angrenzenden Schankraum wurde geschlossen, der Wirt zuvor verständigt, dass er sie nicht bei der spiritistischen Sitzung stören möge und der kleine Raum selbst verdunkelt.
Sodann schritten sie zur Tat, rüttelten zu dritt am Tisch und versuchten flüsternd mit dem Jenseits, dem Unbekannten, in Verbindung zu treten.
Dieses ließ in der Tat nicht lange auf sich warten; es meldete sich mit einer grauenhaften weiblichen Stimme und stellte sich als Xanthippe, der Ehefrau und Peinigerin des großen Philosophen Sokrates vor.
Danach richtete sich das Weib des Atheners unmittelbar an die Teilnehmer der Runde:
„Ich kenne euer Schicksal, Männer, und einem jeden von euch wiederum ist das harte Los meines Gemahls bekannt, welches dem euren nicht unähnlich war.
Allerdings muss ich euch von einem großen Irrtum befreien, einem Irrtum, dem bis zum heutigen Tage die gesamte Menschheit verfallen ist. Nicht ich war es seinerzeit, die Sokrates zu seinem Schicksal zwang, sondern er selbst, er ganz allein, freiwillig und ohne Klage, weil er hoffte, auf diesem Wege und nur auf diesem Wege, einem Leben an meiner Seite, den Schlüssel zur absoluten Weisheit zu finden, was ihm ja auch weitgehend gelungen ist“.
Den drei Bierflüsterern verschlug es glatt die Sprache.
Eine solche Definition, eine derartige Glorifizierung der Ehe des Sokrates hatten sie noch nie vernommen, und sie begannen, die Begleitumstände ihrer eigenen häuslichen Gemeinschaften in einem völlig neuen Licht zu sehen.
Xanthippe aber setzte ihre Ansprache fort:
„Wie ihr also seht, Männer, ist Sokrates nur auf diesem alleinigen Weg zu dem geworden, was er war und auch heute noch ist; der größte Philosoph aller Zeiten. Ich aber frage euch nun, wollt ihr den gleichen Weg gehen, wie einst mein Sokrates, einen Weg, den ihr ja bereits eingeschlagen habt und auf dem ihr bereits ein gutes Stück vorangeschritten seid, oder wollt ihr beschämt umkehren, zurück in die Finsternis?“

Das wollten sie keineswegs, Otto, Karl und Robert; sie bedankten sich überschwänglich bei der Frau des Sokrates, nannten sie die große Xanthippe und priesen sich glücklich über eine Fügung, die es ihnen erlaubte, den gleichen Weg zu beschreiten wie einst vor ihnen der große Athener Philosoph es getan hatte.
 

F Fuller

Mitglied
Hm...

es fällt mir schwer, diesen Text zu bewerten.

Zum einen gefällt mir die Grundidee, das Thema und seine Umsetzung sehr gut. Der Stil an sich passt zum Inhalt, auch wenn er sprachlich doch überarbeitet werden müsste. so würde ich dem Text mindestens eine "6" geben.

Doch wie bei einem anderen Text auch, fehlt mir hier das "engelhafte". Es erscheint zwar ein mystisches Wesen, und die Ehefrauen werden an einer Stelle als "Engel" tituliert, trotzdem finde ich den Text noch zu weit entfernt von dem gestellten Thema.

Ich werde ihn mir in einigen Tagen nochmal durchlesen, vielleicht sehe ich die Sache dann anders (manchmal hat man halt ein Brett vorm Kopf).

Gruss

F.
 

Raniero

Textablader
Hallo F

freut mich,dass Dir die Story gefallen hat. Bezüglich der Engel habe ich mich ein wenig an die Kernfrage, die alle Texte durchziehen sollten,gehalten: Wann werden Menschen zu Engeln?
Bei meinen Bierflüsterern werden deren Ehehälften zu Engeln, wenn ihre Männer genügend Bier konsumiert haben. :cool:

Gruß Raniero
 

F Fuller

Mitglied
Raniero:

die "Kernfrage" ist wohl bei eingen etwas untergegangen (mich eingeschlossen). So dachte ich zuerst, es wären Geschichten mit "echten" Engeln gemeint - wohl ein Fehlschluß der auf das zu oberflächliche Lesen der Aufgabenstellung zurückzuführen ist. Dann gab's wohl eine Änderung in dem Aufgabentext und da habe ich erst bemerkt, worum es wirklich gehen sollte.

Tja, und nun werde ich dir mal meine Bewertung geben - ausgehend vom Inhaltlichen, nicht vom Sprachlichen - , meistens verleitet das andere dazu, es ebenfalls zu tun ;)

F.
 



 
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