Die blinde Kuh

Papiertiger

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Ich hatte mal eine Mitschülerin, die es genoss freudig leuchtende Kinderaugen zum Weinen zu bringen, in dem sie deren Seifenblasen mit einem alten, rostigen Nagel zum Platzen zu bringen. Ich meine das metaphorisch, würde der Frau das aber auch buchstäblich zutrauen. Nennen wir sie mal Person x, nicht um sie zu schützen, sondern schlicht deshalb, weil sie mir so unwichtig war, dass ich mir ihren Namen nicht gemerkt hatte. Es war die Art von Person, die sich immer etwas schlauer hält als andere. Eine Frau, die sich vermutlich mit Körpersprache auskennt, mit 10 schon die Bravo las und sich für eine Meisterin der subtilen Manipulation hielt. Immer so ums Eck, immer nur halb so klug wie sie selbst dachte. Ich erinnere mich tatsächlich nur in einem Zusammenhang an sie, einfach als Sinnbild für schäbiges Verhalten. Wir waren in einer Jugendherberge in der Oberstufe. In unserem Zimmer waren wir zu viert, alles eher die Art Jungs, die erst spät die erste Freundin abbekommen, weil sie zu schüchtern sind, sich rücksichtsvoll verhalten und nicht zu Alkohol und Zigaretten greifen. Madame fand das wohl interessant, vielleicht war es ein kleines Menschenexperiment für sie. Was sie dann genau sagte, weiß ich gar nicht mehr genau. Wirklich nicht. Aber es sollte einfach unser Selbstwertgefühl untergraben und sie wollte sich wohl auch einfach über und lustig machen. Einfach unsympathisches, schäbiges Verhalten. Ich ließ den Spuk vorbeiziehen. Später im Leben traf ich Varianten dieses Charakterzuges: verhärmte, unzufriedene und unglücklich wirkende Menschen, die es anscheinend genossen Zwietracht zu sähen. Warum? Vielleicht wollten sie sich erhöhen, indem sie andere klein zu machen versuchten.

Ich habe mal wieder begonnen abzunehmen. Meine größte Baustelle ist das emotionale Essen. Ein Tipp, um das zu überwinden lautet: negative Gefühle aushalten. Auslöser erkennen und vermeiden und positive Gespräche mit sich selbst sind andere Tipps. Und man soll Alternativen entwickeln. Also zum Beispiel statt Essen aus Frust, Langeweile, Nervosität, Angst und Traurigkeit mit einer Freundin telefonieren, Sport treiben oder etwas kreatives tun. Ich legte mich zwei Stunden auf mein gemütliches Bett, hörte mir ein 40-minütiges Hörspiel an und dachte dann selbst darüber nach, was für eine Geschichte ich heute schreiben könnte. Dabei fielen mir Ideen ein, Gags, Szenen, aber alles eher so Fragmente, die sich zu nichts Zufriedenstellendem zusammenfügten. Dann fiel mir diese negative Person ein. Und danach ging ich ins Bad, trug Rasiergel auf, grinste mich im Spiegel an, weil ich mich kindlich freute, dass ich wie der Weihnachtsmann aussehen und dachte zu mir: diese blinde Kuh hat mir überhaupt nichts weggenommen. Wenn ich so eine unwichtige Person unbeschadet überstanden habe, warum sollte ich dann nicht auch mit anderen negativen Gefühlen bestens klar kommen? Ich stelle mir jetzt einfach, wenn mich negative Gefühle in Richtung Kühlschrank treiben wollen diese unangenehme Mitschülerin vor und sage nun das laut, was ich mich als Schüler nicht getraut habe: „Zieh Leine und versuche Deine bescheuerte Masche woanders, Du bedauernswertes Geschöpf!“
 



 
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