Alte Frau, liebe alte Frau,
ich sitze hier an deinem Sterbebett und halte deine Hand.
Deine blauen Augen sind weit aufgerissen. Sie blicken weit, unendlich weit, in eine andere Dimension.
Du atmest heftig, kurz, mit geöffnetem Mund, und deine Nägel werden schon blau.
Manchmal spürst du, dass ich deine Hand streichle. Du suchst mich ... mit den Augen.
Die Brücke, zwischen dort und hier, ist lang ... so lang …
Nun ist es halb drei in der Nacht. Die Nachtwache war da. Sie erzählte – mit Begeisterung – von ihrem Enkelkind. Wir lachten leise …
Dein Puls wird immer schwächer. Die Atmung kürzer. Deine Augen schauen nur noch zur Decke hin. Sie sind weit geöffnet – ohne zu blinzeln - schon seit Stunden.
Wohin schaust du nur? Was siehst du?
Der Motor deiner Matratze brummt, pumpt Luft hinein - gegen Dekubitus.
Dein Atmen wird sehr flach und ich singe leise:
„Bewahre uns Gott - behüte uns Gott“
Dieses Lied liebst du doch so, hast du mir gestern noch erzählt.
Ich singe es gern für dich.
Mir scheint, als gehen wir jetzt zusammen über die Brücke.
Du hältst meine Hand fest und ich - bin ein kleines Schrittchen hinter dir.
Wir gehen zusammen, aber Du gibst das Tempo an, und dann … lässt du meine Hand los und gehst alleine weiter - auf deine letzte Reise.
Und ich ... ich gehe wieder zurück.
Zurück ins Leben.