Die dunkle Zeit

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Kitty-Blue

Mitglied
Die dunkle Zeit

Das Jahr geht bald zu Ende nun,
der Winter hat den Herbst verdrängt.
Nun ist es Zeit mal auszuruhn,
der Alltag hat uns eingeengt.

In Wald und Feld tobt kalt der Wind,
der Mensch bleibt lieber jetzt zu Haus.
Die Leute sind vor Sorgen blind,
die Welt sieht trist und traurig aus.

So gehen viele Wochen hin,
stets folgt ein Tag auf eine Nacht.
Man sucht ganz still des Lebens Sinn,
und tausend Zweifel sind erwacht.

Im Winter macht sich Wehmut breit,
ein jeder sehnt sich nach dem Mai.
Das ist die kalte dunkle Zeit,
doch jedes Jahr ist mal vorbei.

Silvester geht’s noch einmal rund,
doch Angst steht mir schon im Gesicht.
Das Jahr kennt seine letzte Stund‘,
ich kenne meine Stunde nicht.


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G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Hallo Kitty-blue,

ich bin ja schon froh, wenn ich ein korrekt geschriebenes Reimgedicht finde, sauber formuliert, wenn auch nicht mit überwältigenden Bildern oder Metaphern.
Das wäre natürlich Spitze. Eine Frage zur letzten Strophe: Warum Angst? Wegen der Böllerei? Nach dem Willen der Grünen soll sie ausfallen, aber die Leute lassen sich ihren Spaß nicht verbieten. Nun erst recht, sagen sie sich. Und wenn du das nicht magst, weil es z. B. zu sehr an Krieg erinnert, ist das natürlich von Übel.

Was mir eigentlich wirklich nicht gefällt, ist die "Stund'". Es gibt doch eine ganze Menge Reimwörter auf ...und.

Betroffen macht mich der letzte Vers. Wer kennt schon seine letzte Stunde?

Ansonsten habe ich absolut nichts zu meckern.

Lieben Gruß, Hanna
 

Kitty-Blue

Mitglied
Nein, die Angst hat nichts mit der Böllerei zu tun.
Angst, weil man selbst seine letzte Stunde nicht kennt, und an Silvester, wenn wieder ein Jahr zu Ende geht,
daran erinnert wird. Man weiß, es ist wieder ein Jahr um, und die letzte Stunde rückt mit jedem Jahr näher.
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Kitty-Blue, willst du gegen die Zeit anrennen? Das Sterben des Menschen beginnt mit seiner Geburt. Sicher, jeder Mensch hat instinktiv Angst vor dem Sterben, dass er nicht mehr "dazugehört" und bestimmte Projekte seines Lebens nicht mehr ausführen kann. Aber falls du dich erkundigt haben solltest, was mit der Menschheit von den Davoser Verbrechern geplant ist - meinst du, dass du DAS erleben willst? Du wirst vielleicht schon gehört haben, dass ihrer Ansicht nach zu viele Menschen die Erde bevölkern und dass sie deshalb Anstrengungen unternehmen, die Erde zu entvölkern. Willst du das noch erleben? Nein, der Tod schließt das Leben ab. So einfach ist das. Und Angst vor dem Sterben muss man nicht haben. Schließlich hatte man auch keine Angst vor der Geburt.

Ich weiß, das alles wird dich nicht beruhigen, wenn du dich da hineinverbiestert hast. Was kommen muss, wird kommen. Finde dich damit ab und lebe bis dahin so gut und so viel wie dir möglich ist. Mehr kann ich dir nicht sagen. Wir Menschen sind eben sterblich, und daran ändert auch die Angst nichts oder das Nichtwissen, wann es sein wird.

Lieben Gruß, Hanna
 

Kitty-Blue

Mitglied
Liebe Hanna,
ich denke, dass du da zu viel hinein interpretierst.
Es handelt sich lediglich um ein Gedicht.
Ich habe die melancholische Stimmung beschrieben, die man in der dunklen Jahreszeit oft hat,
wenn man viel zu Hause sitzt und es draußen kalt und ungemütlich ist.
Viele Menschen haben dann so etwas wie eine Herbstdepression, das Lebensgefühl ist ein anderes
als im Sommer, wo das Leben leicht und unbeschwert ist.
Diese melancholische Stimmung wollte ich mit dem Gedicht ausdrücken.
Liebe Grüße, Kerstin
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Liebe Kerstin,

dann darfst aber doch nicht in der Ich-Form schreiben, dann musst du in der 3. oder 2. Person schreiben, also Du kennst deine Stunde nicht. Merkst du den Unterschied? Der Leser denkt doch, der Dichter denkt schon mal ans Ende. Das kann man beim Leser, der mit Lyrik nicht so sehr vertraut ist, nicht voraussetzen, dass er Fiction und Wirklichkeit des Dichter-Ichs unterscheiden kann.

Lieben Gruß, Hanna
 

Kitty-Blue

Mitglied
Nein, das stimmt so nicht.
In der Lyrik gibt es das "Lyrische Ich".
Es ist eine ganz übliche Form in der Ich-Form mit dem "Lyrischen Ich" zu schreiben.
Das findet man in ganz vielen Gedichten.

Ein Dichter schreibt nun mal ein Gedicht und kein Tagebuch.
Man sollte als Leser nie den Fehler machen zu glauben, dass jeder Dichter nur
autobiographische Texte schreibt. Sonst könnte kein Autor mehr frei schreiben.

Es hat ja einen Grund, warum viele Autoren die Ich-Form wählen.
Indem man in der Ich-Form schreibt, kann auch der Leser den Text auf sich selbst beziehen,
was ihn dann wiederum zum nachdenken bringt. Und das will ja ein Autor mit einem Text erreichen.
 
Zuletzt bearbeitet:

mondnein

Mitglied
Es handelt sich lediglich um ein Gedicht.
Das ist der springende Punkt, die Form dieses Textes: Er ist Gedicht, d.h. die Schlußverse formulieren eine Klausel:
Das Jahr kennt seine letzte Stund‘,
ich kenne meine Stunde nicht.
Das gibt der Gedankenmelodie der fünf Strophen den Schwung oder Sturz, die Katastrophe der Dramatik und die Sentenz einer melancholischen Meditation.
Parallelismus von "kennen" und "letzter Stunde", schlußendliche Konzentration der Todesvergegenwärtigung im Privaten bei gleichzeitiger Emphase, wie ein schreiendes Verschweigen. Fast schon übertrieben mit dieser Emotionalität, also schlicht naiv, fast schon rührend mit der Untiefe der gereimten Übertragung vom abstrakt im count down abgezählten Jahreswechsel, wo die Uhren gutgenormt allesamt von Zeitzone zu Zeitzone umspringen aufs lyrische Ich. So lese ich dieses Lied.

grusz, hansz
 



 
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