Die Erfinderin

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lietzensee

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Die Erfinderin​



Hellen lachte. So einfach war es gewesen. Nicht weil sie auf den Erfahrungen und Ideen vieler Vorgänger aufgebaut hatte, sondern weil sie etwas ganz Abwegiges versucht hatte. Noch einmal klebte sie den kleinen Metallkasten an ihre Schläfe und spürte sofort Hunger. Den kannte jede Kreatur. Das Kaninchen sah auf ihre Hand. Sie schütte das Futter in seinen Napf. Als das Tier zu fressen begann, empfand Hellen die Befriedigung des gestillten Appetits.

In ihrer Küche ging sie auf und ab und freute sich über ihre Erfindung. Sie würde es Hellens emotional-kognitiven Universaltranslator nennen. Immer schon hatte sie wissen wollen, was in anderen Wesen vorging. Sie störte der eine Satz, der irgendwann in jeder Auseinandersetzung fiel: Du verstehst mich nicht. Die Lösung dafür schmiegte sich nun kühl an ihre Schläfe. Damit würde sie die Welt verändern.

Hellen wollte den Kasten abnehmen, da hörte sie die bekannten Schritte aus dem Wohnzimmer, Jette kam. „Hallo ...“, begann Hellen, doch sprach sie nicht weiter. Mit offenem Mund beobachtete sie, wie das Mädchen hastig zum Kühlschrank ging und die Tür öffnete. Mit einem Jogurt in der Hand verließ sie dann wieder den Raum.

Hellen blickte auf die geschlossene Tür. Das war anders gelaufen, als sie erwartet hatte. Ihre Tochter fühlte so wie sie selbst. Aber das Mädchen dachte ganz anders. Auf und ab gehend versuchte sie, zu begreifen. Ihre eigene Tochter erschien ihr plötzlich fremd- weil sie ihre Gedanken gelesen hatte. Hellen schlucke. Gedanken so fremdartig, so wenig der Logik in ihrem eigenen Kopf folgend, dass die Haare in ihrem Nacken kribbelten. Aber das war ihre eigene Tochter. Fast bekam sie Angst davor, was sie erfunden hatte.

Da klingelte es an der Tür. Sie öffnete und der Paketbote stand vor ihr. Ein fremder Mann, Hellen riss sich den Kasten von der Schläfe und schrie.
 
Zuletzt bearbeitet:
Falls das jemand wissen möchte: Ich habe nicht die geringste Ahnung, welchen Inhalt die mentale Verschränkung mit dem Postboten haben könnte. Leider weiß ich nicht mal, ob ich die haben sollte.
 

jon

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Ich bin auch nach mehrmaligem Lesen noch immer mit mir uneins, ob ich diese kleine Story wegen ihrer Knackigkeit mag oder wegen ihrer Effekthascherei nicht mag. Mit Effekthascherei meine ich, dass Hellens Reaktionen zwar recht stark und gewissermaßen "dekorativ" sind, aber zunehmend unverständlicher werden.

Schon bei der Tochter ist nicht klar, was Hellen stocken lässt.
Zum einen: Es wird nicht klar, was Hellens Erfindung kann - am Anfang klingt es wie ein Emotionen-Überträger (*), dann scheint es doch (auch) ein Gedankenleser zu sein.
Zum anderen: Was meinst du damit, Jette fühlt genau wie sie? Und was genau dachte Jette in diesen wenigen Sekunden, was so erschütternd anders ist?
Aber immerhin: Irgendwie kann man sich das noch vorstellen - es ist ja eines der eindrücklichsten Phänomene, dass Eltern ihre pupertierenden Kinder nicht mehr verstehen. )Bei kleinen Kindern wird der Effekt, dass man nicht weiß, woher "das" jetzt kommt, noch als putzig empfunden.)
(* Für eine so kurze Kurzstory mag die Beschreibung okay sein, wenn man es weiterdenkt, tun sich allerdings massive Problem auf.)

Dass man allerdings überhaupt nicht erfährt, was Helen beim Postboten wahrnimmt, killt die Pointe. Es könnte sein, dass er grade Mordphantasien nachhängt. Es könnte sein, dass Helen plötzlich auf fürchterliche Erinnerungen des Alten blickt. Es könnte auch einfach nur sein, dass diese (wie Binsenbrecher es nennt) mentale Verschränkung einfach nur ihren Verstand überlastet. Jede dieser Versionen macht eine andere Geschichte draus.

Details:

So einfach war es gewesen. Nicht weil sie auf den Erfahrungen und Ideen vieler Vorgänger aufgebaut hatte, sondern weil sie etwas ganz Abwegiges versucht hatte.
Ich sehe hier den logischen Zusammenhang nicht.

Noch einmal setzte sie den kleinen Metallkasten an ihre Schläfe …
Das ist eine Ultra-Kurz-Geschichte, schon klar, aber vielleicht kannst du ein bisschen präziser werden. Im Moment habe ich seit diesem Satz die Frage im Kopf, wie das Ding hält.

Sie wollte den Kasten abnehmen,
Hier ist das sogar ein Kasten - warum fällt der nicht einfach runter? Warum zerrt das nicht unangenehm an der Haut?

„Hallo...“, begann Hellen, doch sprach sie nicht weiter.
Leerzeichen nach Hallo

Mit offenem Mund beobachtete sie, wie das Mädchen hastig zum Kühlschrank ging und die Tür öffnete. Mit einem Jogurt in der Hand verließ sie dann wieder den Raum.
Hier würde ich Jette schreiben, sonst könnte man denken, Helen tut das.

Das war härterKOMMA als sie erwartet hatte. Ihre Tochter fühlte genau wie sie selbst. Aber das Mädchen dachte so anders. Auf und ab gehend überlegte sie, was sie nun tun sollte.
Es wird überhaupt nicht klar, was es da jetzt zu überlegen gibt. Wenn sie sich fragt, wie Jette darauf (was auch immer sie in ihr gelesen hat) kommt, ist es eine andere Geschichte als wenn sie darüber nachdenkt, ob Jette schon immer so anders tickte, und eine noch andere, wenn sie jetzt anfängt, darüber zu sinnieren, ob die Erfindung wirklich so toll ist, wie sie annahm.

Hellens Augen wurden groß.
Hier wird der Point of View verletzt. (Zum anderen Problem mit dem Schluss: siehe oben)
 

lietzensee

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Hallo Jon,
vielen Dank für deine umfangreiche Kriik und die vielen Hinweise! Der Knackpunkt auf den ich hinaus wolle war, dass Menschen einfach zu unerschiedlich denken, um fremde Gedanken begreifen zu können. Ich stelle mir vor, dass schon die Alltagsgedanken in den Köpfen anderer Menschen ein verstörendes Erlebnis wären.

Eine Pointe, dass der Mann vor der Tür irgendwas Außergewöhnliches denkt wolle ich gerade nicht.

Offensichtlich ist das nicht so rüber gekommen, wie ich wollte. Ich habe den Text noch mal überarbeitet. Ist die Stoßrichtung jetzt vielleicht etwas besser verständlich?

Hier wird der Point of View verletzt.
Autsch, da hast du natürlich recht.

Ich sehe hier den logischen Zusammenhang nicht.
Naja, es gibt zwei Arten von technischem Vortschritt. Bei der Ersten nimmt man ein eine schon bestehende Technik und verbessert sie. Man verbessert zum Beispiel die schon bestehende Magnetbandtechnik, um den Klang zu verbessern. Bei der zweiten Art schafft man hingegen etwas völlig Neues. Zum Beispiel könnte man einen digitalen Speicher für Klang erfinden, der per Laser von einer Scheibe abgelesen wird.
Bei der ersten Art kann man meist einigermaßen abschätzen, ob und welcher Vortschritt möglich ist. Bei der zweiten Art ist das schwerer voraus zu sagen. Hellens Maschine zum Gedankenlesen würde ich in der zweiten Kategorie sehen.

Viele Grüße und schönen Sonntag
lietzensee
 

jon

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Teammitglied
Hallo lietzensee,

mit den Änderungen passt die Geschichte besser zu deiner Intention. Ich würde allerdings den Kursivdruck weitestgehend entfernen und nur bei "Aber das war ihre eigene Tochter. " als Betonung stehen lassen. Eventuell kann man dahineter noch etwas schreiben wie "…Tochter, ihr Gedankenmuster sollten ihr doch vertraut sein."

Bei dem logischen Zusammenhang: Danke für die Erklärung, aber das löst das Logikproblem nicht. Der Knackpunkt ist das "weil". Im Moment steht da: Es war einfach, weil sie es ganz neu erfunden hat. Das ist nicht logisch.
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Jon

Im Moment steht da: Es war einfach, weil sie es ganz neu erfunden hat. Das ist nicht logisch.
Tatsächlich ist es auch so gemeint. Falls man auf den Vorarbeiten Anderer aufbaut, übernimmt man immer auch die Beschränkungen dieser Vorarbeiten. Jede Technologie hat bestimmte Grenzen, die nicht überschritten werden können.
Nach meinem Wissen gibt es derzeit keinen technischen Ansatz, der Hellens Kasten zum Gedankenlesen in Aussicht stellen könnte. Wenn sie also so ein Ding erfindet, muss sie irgend einen abwegigen Trick entdeckt haben, auf den bisher niemand gestoßen war. In diesem Sinne war die Erfindung leicht, weil sie nicht auf den Arbeiten anderer aufgebaut hat.
Ich wollte natürlich auch damit spielen, dass der Satz ein wenig paradox klingt. Offensichtlich habe ich mich dabei verspielt und der Satz ist zu verwirrend geraten. Das kann ich auch daran ablesen, dass ich jetzt hier noch mal eine Erklärung schreibe, die halb so lang wie mein ursprünglicher Text ist.

Vielen Dank für deine konkreten Antworten, die sind immer sehr hilfreich.

Viele Grüße
lietzensee
 

Steppenwolf

Mitglied
Hallo lietzensee,

ich finde Idee und Umsetzung gut. Dein Stil liest sich sehr flüssig und frisch. Was die Erfindung angeht, dachte ich erst, der Apparat könne nur Gefühle andere Lebewesen lesen. Dann konnte Sie aber auch die Gedanken der Tochter lesen. Da geht für mich persönlich ein wenig von der guten Idee verloren, da der Stoff „Gedankenlesen„ ja schon ein wenig abgedroschen ist. Eine Erfindung, die lediglich die Emotionen und Gefühle der Anderen entziffert, fände ich spannender. Falls du mal erwägst, aus der Kurzprosa einen Roman zu entwickeln ;).

Viele Grüße,
Steppenwolf
 



 
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