Die Ernte vor der Reife

"Wenn der Beamte kommt, dann sag ihm bloß nicht, dass du den Hof nicht übernehmen willst." Mein Vater war Landwirt und hatte einen größeren staatlichen Kredit beantragt. Ich war der einzige Sohn, und ohne Aussicht auf einen Hoferben würde der Kredit vielleicht nicht bewilligt werden.

Ich war damals zwölf und ich war der, der den Hof nicht übernehmen wird. Keine sehr komfortable Situation. Von Zeit zu Zeit tat mein Vater so, als sei noch alles offen. Dann hielt er mich zur Mitarbeit an, übertrug mir kleine Aufgaben. Davon will ich ein Beispiel bringen.

Mein Vater fing immer neue Sachen an. Es gab bei uns Großvieh und Kleinvieh, Feldfrüchte und Gartenerzeugnisse, darunter auch Schnittblumen. Und dann kam noch Obst dazu. Äpfel und Birnen, Kirschen und Pflaumen und sogar Pfirsiche. Die Buschbäume trugen in diesem Jahr erstmals reichlich. Meinem Vater fehlte die Zeit, selbst alle Bäume abzuernten. Er war ein gehetzter Mann. Ich lief ihm zur falschen Zeit über den Weg.

"Es wird Zeit, dass du dir einmal einen Überblick über unser Wirkungsfeld verschaffst ..." Er liebte allgemeine Betrachtungen als Einleitung, ich fand seine Ausdrucksweise dann geschraubt. Bald kam er, schon barscher, zur Sache: "Die Pfirsiche müssen vom Baum. Du wirst sie heute Nachmittag herunterholen. Jetzt gleich." Ich hatte Besseres vorgehabt: mich draußen in der Landschaft mit Jungen aus der Nachbarschaft zu treffen. Da gab es eine Mulde mit vielen Quellen und mit kleinen Bächen. Man konnte sie leicht aufstauen und dann das Wasser auf einmal als Sturzbach, alles wegreißend, abfließen lassen.

Mein Vater bemerkte meinen Unwillen und beschloss, die Sache rasch abzumachen. Er sagte in scharfem Ton: "Dort am Rand steht der Baum. Siehst du ihn? Hol sofort den großen Korb aus dem hinteren Keller und stell ihn nachher aufs Treppenpodest." Er ging schnell weg. Er hatte sich durchgesetzt, mein Wille war gebrochen. Ich machte mich eilig an die Arbeit. Wenn ich bald fertig war, konnte ich doch noch zu den Quellen gehen.

Das Buschbäumchen war schon zur Hälfte leer gepflückt. Die Früchte lagen im Korb. Da stellte ich fest, dass diese Pfirsiche noch hart waren. Sie waren ziemlich klein und von graugrüner Farbe. Offenbar waren sie unreif. Richtig, reif waren die Früchte des nächsten Baumes in der Reihe. Wie hatte ich mich so täuschen können? Mein Fehler musste möglichst vertuscht werden. Ich kippte den Korb um, die vorzeitig gepflückten Früchte kollerten den Abhang hinunter und verschwanden unter wilden Himbeeren. Dann pflückte ich die schönen roten Pfirsiche vom Nachbarbaum.

Mein Vater kam unerwartet zurück, um mich zu kontrollieren. Er lobte mich und nahm einen Pfirsich aus dem Korb. "Schöne Früchte, gut geraten. Wenn nur alles so gut würde." Er ließ den Blick über die anderen Bäume schweifen. Fiel ihm nichts auf? Da trug ein Baum nur auf einer Seite Früchte, es sah doch sonderbar aus. Mein Vater sagte nichts. Wir trugen den Korb zum Haus. Ich fragte mich, ob er wirklich nichts bemerkt hatte. Oder warf er sich insgeheim vor, mir den richtigen Baum nur von fern und in Eile gezeigt zu haben?

Im Winter darauf gründeten wir eine Schülerzeitung. Ich suchte Stoff für meinen ersten Artikel und kam auf die Sache mit den Pfirsichen. Ich beschrieb es so, wie es sich abgespielt hatte, doch nicht als Ich-Erzählung. Die Geschichte war einem Jungen namens Werner passiert. Am Schluss stellte ich die Frage: Und war Werners Vater am Ende wirklich nichts aufgefallen? Oder machte er sich Vorwürfe?

Ich war ursprünglich kein verschlossenes Kind. Als die erste Nummer der Schülerzeitung verteilt war, erzählte ich es meiner Mutter. Mein Vater hörte beim Mittagessen davon und wollte das Heft sehen. Mir fiel keine Ausrede ein, ich brachte es ihm, auch neugierig, wie er es aufnehmen würde. Es war meine Erstveröffentlichung, und mein Vater war der erste Leser, dessen Reaktion ich kennen lernen würde.

Mein Vater las den kleinen Bericht. Unmittelbar danach las ich einander widerstreitende Gefühle von seinem Gesicht ab. Kam noch etwas? Mein Vater sagte - nichts.

Vielleicht bilden wir uns den Ablauf der Zeit wirklich nur ein. Vielleicht ist wirklich alles nur sich endlos dehnende Gegenwart. Im Grunde schreibe ich noch immer, um mir die Fragen zu stellen, die mein Vater unterlassen hat.
 



 
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